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Gesetzentwurf in Brasilien, der das Recht auf Abtreibung drastisch angreift, ruft Proteste hervor

Dossier

Gesetzentwurf in Brasilien, der das Recht auf Abtreibung drastisch angreift, ruft Proteste hervor (Foto: La Izquierda Diario)„… Tausende von Demonstranten versammelten sich am Donnerstagabend in Sao Paulo, um gegen ein neues Gesetz zu protestieren, das Abtreibung mit Mord gleichsetzt. Die spontane Mobilisierung fand auf der zentralen Avenida Paulista statt und wurde in Brasilia, Rio de Janeiro und anderen Hauptstädten nachgeahmt. Der Gesetzentwurf, mit dem das Strafgesetzbuch geändert werden soll, sieht für Abtreibungen, die nach der 22. Schwangerschaftswoche vorgenommen werden, Haftstrafen von 6 bis 20 Jahren vor. (…) Dieser konservative, gegen die Rechte gerichtete Schritt zielt darauf ab, die Fälle, in denen Abtreibung in Brasilien heute legal ist, zurückzudrängen, indem beispielsweise vergewaltigte Mädchen gezwungen werden, die Schwangerschaft fortzusetzen, und eine Person, die eine Abtreibung vornimmt, härter bestraft wird als ein Vergewaltiger…“ span. Beitrag vom 14.6.2024 in La Izquierda Diario externer Link mit Fotos und Videos, siehe auch Hintergründe:

  • Kampagne gegen Abtreibung in Rios Krankenhäusern: „Eine brutale Kampagne, die auf Fake News basiert“ New
    Die Staatsanwaltschaft von Rio de Janeiro und Gruppen von Jurist*innen prüfen derzeit juristische Schritte gegen ein Gesetz, das Plakate mit Anti-Abtreibungs-Texten in Gesundheitseinrichtungen der Stadt vorschreibt. Das Gesetz wurde vom Stadtrat verabschiedet, von Bürgermeister Eduardo Paes (Partido Social Democrático, PSD) genehmigt und am 13. Juni im Amtsblatt veröffentlicht.
    Dieses Gesetz verpflichtet öffentliche und private Krankenhäuser, Hinweise wie diese aufzuhängen: „Eine Abtreibung kann Unfruchtbarkeit, psychologische Probleme, Infektionen und sogar den Tod bewirken“, „Wussten Sie, dass das ungeborene Kind mit dem Krankenhausmüll entsorgt wird?“ und „Sie haben das Recht, Ihr Baby vertraulich abzugeben. Sie können Unterstützung und Solidarität bekommen. Geben Sie dem Leben eine Chance“. Sollte sich die zuständige Leitung einer Gesundheitseinrichtung weigern, die Plakate aufzuhängen, sieht das Gericht zunächst eine Verwarnung vor und im Wiederholungsfall eine Strafe in Höhe von 1.000 Reais (ca. 158 Euro).
    Frauen könnten sich eingeschüchtert fühlen
    Expert*innen weisen darauf hin, dass die Plakate irreführende Informationen beinhalten und Frauen und Mädchen, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind, davon abhalten könnten, eine legale Abtreibung anzustreben. Auch Menschen, die eine Fehlgeburt erleiden, könnten sich eingeschüchtert fühlen und sich nicht trauen, um Hilfe zu bitten.
    „Wir prüfen derzeit eine Strategie, um rechtlich gegen dieses Gesetz vorzugehen, das verfassungswidrig ist“, bekräftigt die Rechtsanwältin und ehemalige Stadträtin Luciana Boiteux von der linken Partei PSOL (Partido Socialismo e Liberdade), die in den vergangenen Tagen gemeinsam mit anderen Jurist*innen Möglichkeiten analysiert hat, um gegen das Gesetz vorzugehen.
    Die Staatsanwaltschaft prüft auch „eine mögliche Unvereinbarkeit des Gesetzes mit der Bundesverfassung, insbesondere im Hinblick auf das Recht auf Abtreibung in gesetzlich geregelten Fällen, im Rahmen der öffentlichen Gesundheit, sowie eine Überwachung konkreter Handlungen der Exekutive, die sich aus der Anwendung des Gesetzes und seiner Vorschriften ergeben und die Würde der Frauen beeinträchtigen, insbesondere wenn diese Opfer von Gewalt geworden sind“, heißt es in einer Mitteilung der Behörde. (…) Das Gesetz der Stadt Rio de Janeiro kommt inmitten einer stillen Krise, die den Zugang zu legalen Abtreibungen in Brasilien betrifft. In den letzten Monaten wurden in verschiedenen Städten, darunter São Luís und Porto Alegre, Gesetzentwürfe mit ähnlichem Inhalt eingebracht. Im Jahr 2023 brachten nach Angaben des brasilianischen Gesundheitsministeriums mehr als 14.000 Mädchen unter 15 Jahren ein Kind zur Welt, aber gerade mal 1,1 Prozent hatten Zugang zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch – der in Fällen von Vergewaltigung, fetaler Anenzephalie und Gefahr für das Leben der Schwangeren gesetzlich garantiert ist
    …“ Artikel von Amanda Audi vom 17.6.25 in apublica am 28. Juni 2025 in der Übersetzung durch Christa Röpstorff im Nachrichtenpool Lateinamerika externer Link
  • Konservative Offensive in Brasilien abgewehrt: Recht auf Abtreibung bleibt bestehen 
    „… Laut ihrem Gesetzesentwurf sollte die Haftstrafe bei illegaler Abtreibung von bisher vier auf sechs bis 20 Jahre heraufgestuft werden. Somit wäre das Strafmaß höher als die sechs bis zehn Jahre für Vergewaltigung. Der Gesetzesvorschlag PL 1.904/24 wurde vom pfingstkirchlichen Kongressabgeordneten Sóstenes Cavalcanti Mitte Mai vorgelegt und durchlief am 12. Juni ein Dringlichkeitsverfahren in der Abgeordnetenkammer. Er gehört der von Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro geführten Liberalen Partei an.
    Der Entwurf löste Empörung und Ablehnung aus. Es kam zu einer massiven Mobilisierungswelle seitens der Bevölkerung – auf den Straßen, in den Sozialen Medien – sowie im Nationalkongress, die schließlich zu einer überraschenden Niederlage der konservativen Initiative führte. Der Versuch, einen Schwangerschaftsabbruch mit Mord gleichzusetzen in Verbindung mit einer unverhältnismäßigen Strafe für diejenigen, die bereits Opfer sexueller Gewalt geworden sind, sei der Grund für den Misserfolg des PL 1904 gewesen. Selbst innerhalb von Kreisen religiöser Akteur:innen sei es zur Spaltung gekommen. „Der PL des Todes kreuzigt die Unschuldigen“, prangerte eine Gruppe von 150 katholischen und evangelischen Nonnen an. „Es war nicht nur die Rückkehr auf die Straße, das Wichtigste ist die große Breite der Ablehnung des Gesetzes, die nicht zufällig geschieht, sondern aufgrund einer stillen, systematischen und kontinuierlichen Arbeit des Feminismus, der für die Abtreibung in Brasilien kämpft und nicht aufgegeben hat“, sagte Sonia Corrêa, Koordinatorin der internationalen Beobachtungsstelle für Sexualität und Politik. Nach Umfragen von Datafolha ist mit 58 Prozent die Mehrheit der brasilianischen Bevölkerung ab 16 Jahren gegen ein Verbot der Abtreibung in jeglicher Situation.
    Die Konservativen geben sich jedoch nicht geschlagen. Der Präsident des Repräsentantenhauses, Arthur Lira, kündigte an, den Gesetzentwurf in einem Sonderausschuss zu erörtern und die Abstimmung auf die zweite Jahreshälfte zu verschieben. Die ideologische Offensive der Ultrarechten hat sich seit der Präsidentschaft von Bolsonaro (2019-2022) verstärkt. Nicht nur auf nationaler, sondern auch auf bundesstaatlicher Ebene ist die konservative Einflussnahme zu erkennen. Es wurden bereits lokale Gesetze und andere Hürden gegen den legalen Schwangerschaftsabbruch erlassen. Auch Einschüchterungsversuche von Ärzt:innen, die im gesetzlich erlaubten Rahmen Abtreibungen durchführen, kamen häufiger vor
    …“ Beitrag von Maria Luziara Hatje vom 01.07.2024 in amerika21 externer Link

Dies ist nicht der erste Angriff auf das Recht auf Abtreibung in Brasilien:

  • 2015: „Das Recht auf Abtreibung soll erheblich eingeschränkt werden. Die neue Regelung sieht Strafen gegen Ärzte und jegliche Mitwirkende vor, nur noch im Fall von Vergewaltigung und Risiken für das Leben der Mutter soll Abtreibung erlaubt sein. Das Gesetz wurde bereits von einer Kommission geprüft und geht jetzt im November an das Parlament. Dieser Rückschritt ist auf den wachsenden Einfluss der evangelikalen Pfingstkirchen zurückzuführen, die oft als einzige in Armenvierteln präsent sind, wo es nicht einmal Schulen oder Ärzte gibt.In Sao Paulo haben am 30. Oktober Tausende Frauen gegen das Gesetz demonstriert und die Hauptstraße Avenida Paulista blockiert…“ in Brasilien: Proteste gegen Parlamentspräsident Eduardo Cunha
  • 2022: „… Ein weiteres Dilemma besteht in der Unterstützung liberaler sozialer Werte, die in einigen Politikbereichen in den ärmeren Bevölkerungsschichten schwächer ausgeprägt ist. Dies wurde deutlich, als sich Lula Anfang April offen für das Recht auf Abtreibung aussprach, ein Thema, das die meisten Politiker in Brasilien um jeden Preis zu vermeiden versuchen. Lula brachte die Frage der Abtreibung mit der Klassenzugehörigkeit in Verbindung, indem er darauf hinwies, dass „Madames“ (reiche Frauen) für Abtreibungen nach Paris oder Berlin gehen, während arme Frauen in Brasilien auf informelle und gefährliche Verfahren zurückgreifen müssen.
    Jedes Jahr wird etwa die Hälfte der 500.000 Frauen, die sich einer Abtreibung unterziehen, ins Krankenhaus eingeliefert, weil sie abtreibungsfördernde Pillen eingenommen haben, die seit den 70er Jahren auf den Straßenmärkten erhältlich sind.
    Lulas Einmischung in die Abtreibungsfrage führte zu Ablehnung bei Verbündeten und in seiner eigenen Partei, die sie als taktisch gefährlich ansieht. Lula war gezwungen, schnell zu betonen, dass er persönlich gegen Abtreibung ist, eine Position, die er in den vergangenen Jahren oft geäußert hat, aber dass er eine andere legale Lösung für das Thema bevorzugt.
    Laut einer Umfrage vom Dezember 2018 unterstützen 26 Prozent der Bevölkerung die derzeitigen Abtreibungsregeln, die eine Abtreibung nur im Falle einer Vergewaltigung oder bei Gefahr für das Leben der Mutter erlauben, während 41 Prozent eine Abtreibung unter keinen Umständen zulassen würden. Von den 100 Millionen Brasilianern aus der Arbeiterklasse sind 51 Prozent strikt gegen Abtreibung, mehr als im Landesdurchschnitt…“ in: “Berichte aus Brasilia”, Ausgabe 5 von Jörg Nowak vom April 2022: Brasilien und Bolsonaro: Politische Konsolidierung und neue Korruptionsskandale

Siehe auch unser Dossier: [Weltweiter Überblick] Kampf um Abtreibungsrecht: Wie Ultrakonservative die Menschenrechte auslegen

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=221135
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