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[Telus in der Türkei, Teleperformance in Kolumbien] Gegen Traumata und Union Busting: Der Kampf der TikTok-Moderator:innen

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitTikTok, der Social-Media-Gigant, der Milliarden von Menschen zum Scrollen bringt, ist auf eine große, weitgehend unsichtbare Belegschaft angewiesen. Hinter der Unterhaltung stehen Beschäftigte – Moderator:innen, Ingenieur:innen, ausgelagerte Kolleg:innen –, die mit langen Arbeitszeiten, psychischer Belastung, geringem Lohn und fehlenden Rechten konfrontiert sind. Gegen ihre Ausbeutung wehren sich TikTok-Beschäftigte von der Türkei bis Kolumbien. TikTok lagert einen großen Teil der Moderation seiner Inhalte an Firmen wie Telus International aus. In İzmir beschäftigt Telus rund 1.000 Moderator:innen, die verstörendes TikTok-Material herausfiltern – etwa Videos, die Kindesmissbrauch, Selbstmorde, Terrorpropaganda oder Tierquälerei zeigen bzw. gutheißen. Die meisten Beschäftigten verdienen kaum mehr als den nationalen Mindestlohn. (…) In Kolumbien berichten die Moderator:innen von Teleperformance – einem ähnlichen Outsourcing-Unternehmen – über nahezu identische union busting-Taktiken: Einschüchte-rung, Überwachung und Entlassungen. In beiden Ländern wurden Gewerkschafter:innen von privaten Sicherheitsdiensten verfolgt und sogar bei der Polizei angezeigt…“ Artikel von Kıvanç Eliaçık vom 9. April 2025 in LaborNotes externer Link in der Übersetzung durch Lucas Rudolph in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 5/2025:

Gegen Traumata und Union Busting

Der Kampf der TikTok-Moderator:innen – von Kıvanç Eliaçık*

TikTok, der Social-Media-Gigant, der Milliarden von Menschen zum Scrollen bringt, ist auf eine große, weitgehend unsichtbare Belegschaft angewiesen. Hinter der Unterhaltung stehen Beschäftigte – Moderator:innen, Ingenieur:innen, ausgelagerte Kolleg:innen –, die mit langen Arbeitszeiten, psychischer Belastung, geringem Lohn und fehlenden Rechten konfrontiert sind. Gegen ihre Ausbeutung wehren sich TikTok-Beschäftigte von der Türkei bis Kolumbien.

TikTok lagert einen großen Teil der Moderation seiner Inhalte an Firmen wie Telus International aus. In İzmir beschäftigt Telus rund 1.000 Moderator:innen, die verstörendes TikTok-Material herausfiltern – etwa Videos, die Kindesmissbrauch, Selbstmorde, Terror­propaganda oder Tierquälerei zeigen bzw. gutheißen. Die meisten Beschäftigten verdienen kaum mehr als den nationalen Mindestlohn.

»Die Arbeit hinterlässt Spuren«, sagt ein Moderator aus İzmir. »Du siehst Gewalt, Missbrauch, Tod – und dann gehst du nach Hause und tust so, als wäre es ein normaler Tag.« Ein Beschäftigter, der an den laufenden Protesten gegen TikTok und Telus in İzmir beteiligt ist, sagt: »Zuerst denkt man, dass man nur am Schreibtisch sitzt. Aber die Bilder, die du jeden Tag siehst – verstümmelte Körper, Ausbeutung, Hass – verändern deine Sicht auf die Welt. Man hört auf zu reagieren. Man schläft nicht mehr.«

Mehrere Moderator:innen sagen, sie hätten Antidepressiva genommen, um damit irgend­wie fertig zu werden. Andere berichten von Kolleg:innen, die in Ohnmacht fielen, Zusam­menbrüche erlitten oder, tragischerweise, sich das Leben nahmen. Die Unterstützung ist minimal. »Wir dürfen einen Psychologen aufsuchen, aber nur in den Pausen«, erklärt ein Beschäftigter. »Wenn man zu viele ›Wohlfühlminuten‹ in Anspruch nimmt, wird man als nicht leistungsfähig eingestuft.

Rechtliche Grauzone

Anfang 2024 begannen Telus-Beschäftigte in İzmir, sich der unabhängigen Gewerkschaft Çağrı-İş anzuschließen, die Callcenter-Angestellte vertritt. Im Sommer überschritten sie die Schwelle zur Anerkennung als Gewerkschaft. Doch anstatt sich auf Verhandlungen einzu­lassen, stellte Telus die Gewerkschaft in Frage.

Mindestens 15 Beschäftigte wurden entlassen, viele unter Anwendung des umstrittenen türkischen »Code 25«, der den Beschäftigten Abfindungen oder Arbeitslosengeld verweigert. (…) Telus behauptet, alle Entlassungen seien auf Fehlverhalten oder Umstrukturierungen zurückzuführen. Die Gewerkschaft meint dagegen, es handle sich um Vergeltungsmaß­nahmen. (…)

In Kolumbien berichten die Moderator:innen von Teleperformance – einem ähnlichen Outsourcing-Unternehmen – über nahezu identische union busting-Taktiken: Einschüchte­rung, Überwachung und Entlassungen. In beiden Ländern wurden Gewerkschafter:innen von privaten Sicherheitsdiensten verfolgt und sogar bei der Polizei angezeigt.

Gefahren am Arbeitsplatz

Expert:innen für digitale Arbeit sagen, dass die Moderation von Inhalten heute einer der geistig gefährlichsten Berufe ist. Sie vergleichen ihn mit dem Kohlebergbau: So wie Bergleute Kohlenstaub einatmen, nehmen Moderator:innen psychische Traumata auf.

TikTok und Telus behaupten beide, Beratung, Unschärfefilter und algorithmische Unter­stützung anzubieten. Aber die Moderator:innen sagen, dass die Werkzeuge ihre Grenzen haben und oft dazu dienen, den Anschein von Fürsorge zu erwecken; die »Leistungs­kennzahlen« wie Geschwindigkeit, Genauigkeit und tägliche Quoten bleiben starr und erbarmungslos. »Wir können Wellness-Pausen einlegen, aber wenn wir das tun, können wir unsere Genauigkeitsziele nicht erreichen«, so ein Moderator. »Und wenn wir 94 Prozent nicht erreichen, verlieren wir Boni – oder Schlimmeres.« (…)

Wachsender Druck

Glücklicherweise sind die TikTok-Beschäftigten nicht allein. UNI Global Union (die weltweite Dienstleistungsgewerkschaft; Anm. LR  ) und die United Steelworkers (eine der größten Industriegewerkschaften Nordamerikas; Anm. LR  ) haben sich hinter Kampagnen zur Unterstützung der Telus-Moderator:innen in der Türkei und anderswo gestellt. In Kanada haben Gewerkschaftsgruppen gefordert, dass Telus die Rechte der Beschäftigten nicht bloß im Inland, sondern auch im Ausland anerkennt. (…)

Die türkischen Gewerkschaften DİSK/Sosyal-İş und Çağrı-İş machen weiter mit dem Organisieren, Protestieren und Klagen gegen ungerechtfertigte Entlassungen. »Das ist kein Heldentum«, sagt ein Moderator und Gewerkschaftsaktivist in İzmir. »Das ist Bürgersinn.« Ein gewerkschaftlicher Sieg, fügt er hinzu, »wird nicht persönlich sein – er wird der gesamten Arbeiterklasse gehören.«

Artikel von Kıvanç Eliaçık in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 5/2025

* Kıvanç Eliaçık ist Direktor der Abteilung für internationale Beziehungen des türkischen Gewerkschaftsbunds DİSK. Der Artikel erschien zuerst am 9. April 2025 online bei Labor Notes externer Link. Übersetzung: Lucas Rudolph unter Nutzung von DeepL.

Hintergründe im LabourNet:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=228191
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