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Globaler Süden am Bsp. Kenia: Prekäre Klickarbeit hinter den Kulissen des Text-Generators ChatGPT

Mäuse (Foto: Mag Wompel)„Jede Menge Nutzer:innen reden derzeit über und mit ChatGPT. Der mächtige Text-Generator lässt sich in Dialoge verwickeln, erstellt auf Anfrage Essays zu den entlegensten Themen, Gedichte verschiedener Stilrichtungen, komplexe Programmcodes und vieles mehr. Nun zeigt eine Recherche des US-amerikanischen Time Magazine externer Link, welche Rolle schlecht bezahlte Arbeiter:innen aus Kenia bei der gehypten Anwendung spielen. ChatGPT stammt von OpenAI, einem US-Unternehmen mit Sitz in Kalifornien. (…) Der Erfolg von ChatGPT beruht nicht nur auf Codezeilen und Datenbanken, sondern auch auf mühsamer Handarbeit. Denn bevor Millionen Nutzer:innen mit ChatGPT ins Gespräch kamen, haben Arbeiter:innen in Kenia unter prekären Bedingungen die Anwendung optimiert. Sie haben dazu beigetragen, dass die Antworten des Text-Generators „weniger toxisch“ ausfallen, wie aus der Times-Recherche hervorgeht…“ Beitrag von Daniel Leisegang vom 20. Januar 2023 bei Netzpolitik.org externer Link und mehr daraus/dazu:

  • KI-Arbeiter in Kenia: „Die Arbeitsbedingungen sind erbärmlich“ New
    Kenianische Arbeitnehmer säubern für weniger als zwei US-Dollar pro Stunde Trainingsdaten für Unternehmen wie OpenAI. Das hat sich nicht verbessert, seit es vor einem Jahr publik wurde. Mophat Okinyi, Menschenrechtsaktivist und Gewerkschafter, beklagt im Interview katastrophale Arbeitsbedingungen trotz Milliardenumsätzen der westlichen Unternehmen. (…) Wir wollten wissen, wie die Arbeitsbedingungen heute in Kenia sind. Die Technologiezentren in der Nähe von Kenias Hauptstadt Nairobi werden Silicon Savannah genannt, ein Wortspiel, das an das Silicon Valley in den Vereinigten Staaten erinnert, aber die afrikanische Savanne mit aufnimmt. Hat sich für die Beschäftigten dort etwas zum Positiven verändert? Mophat Okinyi aus Nairobi war einer der Content-Moderatoren, welche ChatGPT trainiert haben. Er ist Menschenrechtsaktivist, Gewerkschafter und setzt sich für die faire Behandlung und die Rechte von Tech-Mitarbeitern und Datentrainern ein. Zugleich ist er Gründer und Geschäftsführer der Techworker Community Africa, die Tech-Worker befähigt, informiert und unterstützt und dafür sorgt, dass ihre Rechte geschützt werden. Er berichtet morgen auf den Cyberfestspielen am Bodensee über digitalen Kolonialismus, die Arbeitsbedingungen in Kenia und die Geschäftspraktiken der Tech-Konzerne. Wir haben ihn zu den aktuellen Bedingungen der Datenarbeiter in Kenia gefragt. (…) Mir liegen zwar keine Echtzeitdaten über die Zahl der kenianischen Arbeitnehmer vor, die derzeit von westlichen Unternehmen wie OpenAI für Aufgaben der Inhaltsmoderation beschäftigt werden. Ich weiß jedoch, dass es eine signifikante Anzahl von solchen Arbeitskräften gibt, da große Tech-Unternehmen wie Meta und ByteDance und andere ihre Inhaltemoderations- und/oder Datenetikettierungsaufgaben hier in Kenia von Unternehmen wie Teleperformance und Samasource und anderen Outsourcing-Unternehmen erledigen lassen. (…) Meine größte Sorge ist, dass der momentan notwendige menschliche Input oft auf ausbeuterische und unmenschliche Weise gewonnen wird, besonders in Regionen wie Silicon Savannah hier in Kenia. Der Rückgriff auf menschliche Arbeitskraft zum Training und zur Verfeinerung von KI-Systemen sollte nicht auf Kosten einer fairen Behandlung und grundlegender Menschenrechte gehen. Es ist von entscheidender Bedeutung, diese ethischen Überlegungen anzusprechen, um sicherzustellen, dass der Fortschritt der KI der Menschheit zugute kommt, ohne die Würde und das Wohlergehen der an ihrer Entwicklung Beteiligten zu opfern. (…)
    Die Arbeitsbedingungen sind sehr erbärmlich, und die Arbeitnehmer haben nicht die Möglichkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Sie erhalten oft Kurzzeitverträge von drei Monaten oder weniger, was dazu dient, ihre freie Meinungsäußerung zu unterdrücken und ihre Möglichkeiten einzuschränken, sich für bessere Bedingungen einzusetzen. Viele dieser Beschäftigten werden weiter als Wegwerfarbeiter eingesetzt. Die Löhne sind außerordentlich niedrig. Bevor meine Kollegen und ich auf die Ausbeutung der Beschäftigten aufmerksam machten, bekamen diese Arbeiter 21.000 Kenia-Shilling (KES) pro Monat, was etwa 0,94 US-Dollar pro Stunde entspricht. Nach der Sensibilisierung der Öffentlichkeit erhöhte das Unternehmen Samasource den Grundlohn auf KES 27.000, was einem Stundenlohn von 1,21 US-Dollar entspricht. Trotz dieser Erhöhung reichen die Löhne nach wie vor nicht aus, um einen angemessenen Lebensstandard zu gewährleisten, was die dringende Notwendigkeit weiterer Verbesserungen bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen verdeutlicht. (…) Diese Beschäftigten bekommen umgerechnet weniger als zwei US-Dollar. Auch wenn zwei US-Dollar pro Stunde in bestimmten Kontexten als beträchtlicher Betrag erscheinen mag, ist es wichtig, die Lebenshaltungskosten und die vorherrschenden wirtschaftlichen Bedingungen in Kenia zu berücksichtigen. Solche Löhne bieten möglicherweise keinen ausreichenden Lebensstandard und entschädigen die Arbeiter nicht angemessen für die Aufgaben und Herausforderungen, denen sie ausgesetzt sind.
    Wäre die Entlohnung ausreichend, könnten sich die meisten dieser Beschäftigten das Nötigste leisten, etwa Essen am Arbeitsplatz und Fahrkosten, denn viele haben schon mit diesen grundlegenden Dingen zu kämpfen. Die Wirklichkeit ist: Viele von ihnen sind mit Schulden belastet und trotz ihrer unermüdlichen Arbeit in einem Teufelskreis der Armut gefangen. Es ist alarmierend, dass die Unternehmen, die diese Menschen beschäftigen, oft Milliardenumsätze machen, aber dennoch ist die Situation dieser Arbeitnehmer nach wie vor katastrophal, wenn sie sich im Laufe der Zeit nicht sogar noch verschlechtert hat…“ Interview von Constanze am 13.03.2024 in Netzpolitik externer Link mit Mophat Okinyi
  • Weiter im Beitrag von Daniel Leisegang vom 20. Januar 2023 bei Netzpolitik.org externer Link: „(…) Dass auch sogenannte „Künstliche Intelligenz“ nicht ohne menschliche Hilfe auskommt, ist zunächst nicht neu oder überraschend. Auch Konzerne wie Google setzen dafür Menschen ein. Der neue Bericht liefert allerdings einen eindrücklichen Einblick in die Arbeitsbedingungen hinter den Kulissen. Die Tätigkeit wird dabei nicht etwa zum US-Mindestlohn im Silicon Valley verrichtet, sondern verstärkt in den globalen Süden ausgelagert – mit schlechten Arbeitsbedingungen. (…) In einer neunstündigen Schicht mussten die Arbeiter:innen bis zu 250 Textpassagen von einer Länge bis zu 1.000 Wörtern lesen, wie aus der Recherche hervorgeht. Zum Vergleich: Dieser Text enthält rund 800 Wörter. Im Gegenzug erhielten die Arbeiter:innen – je nach Dienstalter und Leistung – einen Stundenlohn zwischen 1,32 und 2 US-Dollar. Das entspricht laut Times in etwa dem Gehalt einer Empfangsangestellten in einem Hotel in Nairobi. OpenAI bezahlte Sama einen vertraglich festgelegten Stundensatz in Höhe von 12,50 Dollar – und damit bis zu neun Mal mehr als die Arbeiter:innen pro Stunde bekamen. Dieser Betrag habe jedoch sämtliche Kosten des Unternehmens abdecken müssen, rechtfertigt ein Sama-Sprecher die Differenz. (…) Für ihr Gehalt mussten die Arbeiter:innen mitunter Beschreibungen lesen, die lebhafte Darstellungen unter anderem von sexueller Gewalt, Suiziden und Tierquälerei enthielten. „Das war Folter“, sagte einer der Arbeiter gegenüber dem Time Magazine. „Man liest im Laufe der Woche etliche solcher Beschreibungen. Und wenn es dann Freitag wird, ist man vom ständigen Nachdenken darüber verstört.“ Um die zum Teil traumatisch wirkenden Darstellungen zu verarbeiten, hätten die Arbeiter:innen um psychologische Unterstützung gebeten. Diese habe Sama ihnen aber nur eingeschränkt gewährt. (…) Im Februar 2022 beauftragte OpenAI Sama mit einem weiteren Projekt, das die Kategorisierung von Bildern vorsah, heißt es im Bericht. Einige der Bilder sollen demnach Gewalt an Kindern, Morde und Vergewaltigungen gezeigt haben. Unter US-amerikanischem Gesetz soll der Inhalt einiger der Darstellungen verboten gewesen sein. Wenige Wochen später löste Sama den Vertrag mit OpenAI vorzeitig auf, acht Monate vor dessen Ablauf. Das heißt, die Arbeiter:innen müssen seitdem nicht länger verstörende Daten für OpenAI sichten. Allerdings mussten die meisten von ihnen daraufhin weniger gut bezahlte Tätigkeiten übernehmen, berichtet das Magazin, andere verloren ihre Anstellung. Sama hat nach eigenen Angaben inzwischen seine Leitlinien überarbeitet. Kürzlich gab das Unternehmen bekannt, aus dem Geschäft mit Inhaltemoderation auszusteigen.

Siehe auch unser Dossier: Arbeiten und Organisieren in der Plattformökonomie. Über digitale Tagelöhner, algorithmisches Management und die Folgen für die Arbeitswelt – darin auch ein Beitrag zur Plattform-Arbeit in Kenia

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=208204
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