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Frankreich am 31. Januar: Riesig… Aber nun, wie weiter?

31. Januar 2023: Streik- und Kampftag in Frankreich gegen die Renten"reform"Die Mobilisierung zum Sozialprotest wurde am 31. Januar gegenüber dem 19. Januar d.J. nochmals übetroffen – Quantitativ dürfte dies kaum noch getoppt werden können – Die entscheidende strategische Frage lautet nun: Wie weiter? – Ein gemeinsamer Aufruf zu Protesten am 07. sowie 11. Februar einigt alle relevanten Gewerkschaften, die Streikfrage jedoch dezidiert nicht… Nochmals übertroffen wurde die bereits riesige Protestmobilisierung gegen die Renten„reform“pläne in Frankreich vom 19. Januar 23 (wir berichteten ausführlich) am Mittwoch dieser Woche, dem 31. Januar 23. Landesweit übertraf die Mobilisierung zu Protestzügen sowohl in den Angaben des Innenministeriums, mit 1,27 Millionen (gegenüber 1,16 Millionen am Aktionstag davor), als auch in denen der Gewerkschaften mit 2,8 Millionen Teilnehmenden in über zweihundert Städten (am 19. Januar in ihren Zahlen: zwei Millionen) jeweils die des letzten Aktionstags zwölf Tage zuvor. Dies lässt sich auch in allen einzelnen Städten ablesen, den mittleren und kleineren – wo die Mobilisierung proportional zur Bevölkerungszahl besonders hoch ausfällt – als auch in Metropolen wie Paris und Marseille…“ Artikel von Bernard Schmid vom 3.2.2023 – wir danken!

Frankreich: Riesig… Aber nun, wie weiter?

Die Mobilisierung zum Sozialprotest wurde am 31. Januar gegenüber dem 19. Januar d.J. nochmals übetroffen – Quantitativ dürfte dies kaum noch getoppt werden können – Die entscheidende strategische Frage lautet nun: Wie weiter? – Ein gemeinsamer Aufruf zu Protesten am 07. sowie 11. Februar einigt alle relevanten Gewerkschaften, die Streikfrage jedoch dezidiert nicht…

 Nochmals übertroffen wurde die bereits riesige Protestmobilisierung gegen die Renten„reform“pläne in Frankreich vom 19. Januar 23 (wir berichteten ausführlich) am Mittwoch dieser Woche, dem 31. Januar 23. Landesweit übertraf die Mobilisierung zu Protestzügen sowohl in den Angaben des Innenministeriums, mit 1,27 Millionen (gegenüber 1,16 Millionen am Aktionstag davor), als auch in denen der Gewerkschaften mit 2,8 Millionen Teilnehmenden in über zweihundert Städten (am 19. Januar in ihren Zahlen: zwei Millionen) jeweils die des letzten Aktionstags zwölf Tage zuvor. Dies lässt sich auch in allen einzelnen Städten ablesen, den mittleren und kleineren – wo die Mobilisierung proportional zur Bevölkerungszahl besonders hoch ausfällt – als auch in Metropolen wie Paris und Marseille.

In der französischen Hauptstadt gingen laut Behördenzahlen am 31. Januar d.J. „87.000“ Menschen (gegenüber 80.000 am Aktionstag zuvor) auf die Straße, laut gewerkschaftlichen Angaben „500.000“ (gegenüber 400.000 zwölf Tage zuvor). Die Wirklichkeit liegt auf quantitativer Ebene – natürlich nicht bei den Inhalten!- in aller Regel irgendwo in der Mitte zwischen den jeweiligen „politischen“ Zahlen. Laut eigenen Beobachtungen des Verfassers dieser Zeilen dürfte die reale Zahl in Paris bei rund einer Viertelmillion liegen. Der Protestzug verlief auf zwei parallelen Routen, auf der Höhe des Nahverkehrsbahnhofs Port-Royal im Pariser Süden benötigte er zwischen circa 15.30 Uhr (die Anfänge waren ziemlich ausgefasert) und 18.05 Uhr zum Vorbeiziehen.

Hingegen gingen die Zahlen zur Streikbeteiligung zurück, etwa im Schulwesen (von zwischen 60 und 70 Prozent am ersten Aktionstag auf knapp unter 50 am zweiten lt. Gewerkschaftszahlen), bei der Bahngesellschaft SNCF (von circa 45 auf 35 Prozent des Gesamtpersonals) und im Energiesektor. Dies könnte auch darauf zurückzuführen, dass ein Teil des beteiligten Personals keine Lohntage durch einen Arbeitskampf verlieren will, wenn diesem keine unbefristete Arbeitsniederlegung folgt, da dies in seinen Augen als eine Verschwendung ohne Perspektive erscheinen würde. Am 31. Januar gab es keinen zentralen Aufruf zur unbefristeten Fortsetzung des Streiks.

Am 07. Februar, dem nunmehr nächsten Aktionstag am kommenden Dienstag, steht es nun zur Debatte. Bei der Bahngesellschaft SNCF sprechen sich für den nächsten Dienstag zwei Gewerkschaften (von vier als „tariffähig“ anerkannten und insgesamt achten) für einen unbefristet fortgeführten Streik aus, die übrigen jedoch dagegen. Und am 11. Februar, dem Samstag der kommenden Woche, spricht das gewerkschaftsübergreifende Aktionsbündnis – die intersyndicale – vom Aufruf zu erneuten Demonstrationen, die dieses Mal auch jene ansprechen sollen, nicht jedoch explizit vom Streiken. Am Donnerstag erklärte nun CFDT-Generalsekretär Laurent Berger, sein Dachverband sei gegen einen Streikaufruf, da der 11./12. Februar mit dem Wochenende des Schulferienbeginns im Raum Paris und im nördlichen Frankreich und möglichem Reiseverkehr zusammenfielen.

Bei den Pariser Nahverkehrsbetrieben der RATP halten die Gewerkschaften zusammen und rufen gemeinsam auf, allerdings bislang zum 07. und zum 11. Februar, nicht jedoch zu einer (unbefristeten) Fortsetzung zwischen diesen beiden Daten oder danach.

Dabei erklären sich beim bürgerlichen Umfrageinstitut Elabe – wo 72 Prozent der Befragten insgesamt die Rentenreform ablehnen und über sechzig Prozent Proteste dagegen unterstützen – 60 Prozent der Befragten auf die Frage, wie sie eine „Blockade des Landes“ durch Streiks sähen : „Dies ist das einzige Mittel.“ (Das ist eine der angebotenen Antwortmöglichkeiten) Relevante Teile der öffentlichen Meinung wären also bereit, sich darauf einzustellen…

Bei dieser Positionierung vor allem der CFDT bzw. ihres Apparats, die sich derzeit offenkundig dagegenstellen und zugleich an der Führung der Proteste beteiligt sind, kommen mehrere Aspekte zusammen.

Erstens stimmt es natürlich, dass es sich auf die Publikumsgunst positiv auswirken kann, den Ferienstart an jenem Wochenende des 11./12. Februar nicht zu behindern, auch wenn aus finanziellen Gründen eine Mehrheit der Französinnen und Franzosen nicht in Skiferien fährt (…zumal in diesem Monat ferner auch eine Streikankündigung von CGT und FO für die Beschäftigten in den Skistationen vorliegt, über die auch medial viel berichtet wird).

Zum Zweiten – und entscheidender – ist jedoch, dass die CFDT-Spitze generell eine Konzeption verfolgt, die darauf hinausläuft zu denken, es sei mit drei oder vier Aktionstagen mit größerer Beteiligung getan, um die Regierung zur Umkehr zu bewegen – ohne dass Arbeitskämpfe mit hässlichen Begleiterscheinungen wie wirtschaftlichen Einbußen wirklich erforderlich wäre.  (Vgl. dazu auch bei einer zugleich gewerkschaftsnahen und sowjetnostalgischen Publikation: http://www.communcommune.com/2023/01/retraites-cfdt-pense-que-de-trois-ou-quatre-demonstrations-de-force-pourraient-suffire-pour-faire-reculer-le-gouvernement.html externer Link)

Sympathiebekundungen in der öffentlichen Meinung bilden demnach, dieser Konzeption zufolge, ein wichtigeres Element im Aufbau eines Kräfteverhältnisses als etwa Streiks mit grässlichen Auswirkungen. Diese Auffassung seitens der CFDT-Führung ist nicht konjunktureller Natur und unter dem Eindruck jüngster Eindruck herausgebildet, sondern schlug sich bereits in den späten 1990er Jahren auf Gewerkschaftstagen nieder (vgl : https://jungle.world/artikel/1998/51/sind-streiks-archaisch externer Link).

Hinzu kommt zum Dritten jedoch noch ein anderer, weniger an die große Glocke gehängter Aspekt: Cfdt-Chef Laurent Berger befindet sich hinter den Kulissen in intensiven Verhandlungen mit denjenigen Abgeordneten der konservativen LR-(Oppositions)fraktion, die entweder auf bestimmte Zugeständnisse hinarbeiten oder aber die „Reform“ behindern könnten.

Nun ist die Partei LR (ungefähr mit einer stark geschwächten CDU/CSU in Deutschland, die gegenüber einer – macronistischen – FDP einerseits und einer lepenistischen AfD andererseits ins Hintertreffen geraten wäre, vergleichbar) selbst gespalten. Und ihre Spaltungslinien tragen möglicherweise mit dazu bei, dass es bei der Durchsetzung der „Reform“ im Parlament nicht reibungslos zugeht, sondern die Regierung am Ende ihren Entwurf autoritär – ohne Beendigung der Debatte in der Sache – über die Sondermechanismen der Artikel 47-1 oder 49-3 der Verfassung (wir berichteten) und ohne Mehrheitsvotum durchdrücken muss, was jedoch ihre Legitimität erheblich schwächen würde.

Unterschiedliche Faktoren spielen dabei herein: Da die konservativen Abgeordneten (von LR) anders als vor 2012 kaum noch in den städtischen Ballungsräumen gewählt wurden – dort haben die Macron-Anhänger 2017 und 2022 politisch die klassischen Konservativen auf Ebene der parlamentarischen Vertretung verdrängt -, sondern die übriggebliebenen LR-Parlamentarier heute eher eine kleinbürgerliche Wählerschaft in ländlichen Wahlkreisen vertreten, bockt zum Teil ihre eigene soziale Basis. Kleine Selbständige in ihrer Wählerbasis können durchaus gegen eine Verlängerung ihrer Lebensarbeitszeit wettern. Hätte LR noch die frühere Stärke der Konservativen vor 2017 und Regierungsverantwortung inne, würden solche inneren Widerstände im Namen der Staatsräson weggebügelt. Derzeit aber brechen sie bei LR durch. Circa fünfzehn ihrer Abgeordneten dürften gegen die „Reform“ votieren, weitere fünfzehn ihr gesichert zustimmen; eine Hälfte der LR-Fraktion steht irgendwo dazwischen.

Dabei könnte LR allerdings auch darauf bedacht sein, zu spekulieren, dass eine künftige eigene Regierng der Konservativen – vielleicht 2027 – diese Aufgabe dann doch viel besser für die Bourgeoisie bewerkstelligen könnte.

In Teilen der Bourgeoisie und ihrer Medien gibt es inzwischen gewisse Absetzbewegungen. So rechnete ein Moderator der Rubrik „Wirtschaft“ des Privatfernsehsenders BFM TV (dieser ist vor allem mit dem Handelskapital verflochten, die Direktoren der Supermarktketten Leclerc und LIDL zählen zu seinen häufigen Gästen; eine Verflechtung, die angesichts der Bedeutung der Werbung im Privatfernsehen und für die Produktplatzierung auch nicht verwundert) zur Mitte dieser Woche vor, angesichts der ganzen Zugeständnisse, die die Regierng nun bei der Durchsetzung der „Reform“ machen müsse, sei diese doch schon wieder witzlos geworden. Ein Dritel der geplanten Einspareffekte der „Reform“ würden durch Teilzugeständnisse hier und da (ein früheres Rentenalter für jene, die vor zwanzig zu arbeiten anfingen; mehr Invaliditätsrenten….) wieder zunichte gemacht. Da sei die jetzt vorgesehene Rentenreform doch auch wieder langweilig geworden, und die richtige müsse man sich bis 2030 vorknöpfen.

Da es im bürgerlichen Block ein Stück weit bröckelt – vielleicht auch deswegen wählte Innenminister Gérald Darmanin eine gewisse martialische Rhetorik (vgl. Labournet am Mittwoch, den 1. Februar), um einen Ordnungsblock in seinen Reihen zu verkörpern – und die innerparteilichen Dissonanzen bei LR dabei eine der Schwachstellen abbilden, liegt es nahe, dass Taktierer, die nicht auf einen sozialen Massenkampf setzen möchten, hier ansetzen möchten. Wohl auch CFDT-Chef Laurent Berger. Dies mag heute das Macron-Lager behindern, die Frage wäre, was es für morgen oder übermorgen vorbereiten hilft.

Noch eine andere Taktiererfraktion meldet sich lautstark zu Wort, in Gestalt des rechtsextremen Rassemblement National (RN). Er versucht, durch Gestikulieren aus dem Windschatten zu kommen, in den ihn seine Abwesenheit aus den gewerkschaftlichen Demonstrationen sowie die starke Präsenz des Linksbündnisses NUPES im Parlament manövrierten. Der RN poltert, die parlamentarische „Obstruktions“taktik der Linksopposition – mit rund 7.000 Änderungsanträgen zur „Reform“ – diene nur dazu, das Parlament zu „chaotisieren“, dies aber im geheimen Bündnis mit Macron, um nicht über die wesentlichen Inhalte zu sprechen. Diese aber stünden in den, relativ wenigen (circa 100), Anträgen des RN, dessen eigene Positionen zur Rentenfrage seit 2012 sich jedoch als sehr wandlungsfähig erwiesen – wir berichteten bereits. Die extreme Rechte sei, behauptet sie selbst, die einzig wahre Opposition, da Linke einerseits und Regierungslager in Wirklichkeit im Geheimen Absprachen treffende, verborgene Verbündete seien. Ob diese Rhetorik verfängt? Es wäre dann zu befüchten, falls sich die politischen und v.a. Sozialen Kräfte der Arbeiterbewegung in dieser Auseinandersetzung nicht durchsetzen können…

Artikel von Bernard Schmid vom 3.2.2023 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=208496
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