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Soziale Demagogie der französischen Rechtsextremen zum Rententhema: Vorsicht vor falschen Freunden… die sich in der Parlamentsdebatte gewiss lautstark zu Wort melden werden!

#presidentielles2022 in Frankreich: Merde vs extreme merdeManche Stimmen behaupten ja – oder fordern oder wünschen es mit Nachdruck  -, dass sich keine aktiven Anhänger der rechtsextremen Partei Rassemblement national (RN) auf der Straße befinden werden, wenn am morgigen Donnerstag, den 19. Januar 23 die französischen Gewerkschaften den Auftakt zu ihren ersten Protesten gegen die Renten„reform“ – Labournet berichtete zuletzt am Montag, den 16.01.23 – setzen werden…“ Artikel von Bernard Schmid vom 18.1.2023:

Soziale Demagogie der französischen Rechtsextremen zum Rententhema:

Vorsicht vor falschen Freunden… die sich in der Parlamentsdebatte gewiss lautstark zu Wort melden werden!

Manche Stimmen behaupten ja – oder fordern oder wünschen es mit Nachdruck -, dass sich keine aktiven Anhänger der rechtsextremen Partei Rassemblement national (RN) auf der Straße befinden werden, wenn am morgigen Donnerstag, den 19. Januar 23 die französischen Gewerkschaften den Auftakt zu ihren ersten Protesten gegen die Renten„reform“ – Labournet berichtete zuletzt am Montag, den 16.01.23  – setzen werden.

Wir aber wissen: Es werden mit absoluter Gewissheit erklärte RN-Anhänger ab morgen um die Mittagszeit auf den Straßen sein. Auch ohne dass ihre Partei dazu aufrief, zu demonstrieren, was dezidiert nicht der Fall ist. Und ohne dass wir Einblicke in interne Geheimnisse der organisierten Rechten hätten.

Der Grund dafür: Über 10.000 Angehörige von Polizei und Gendarmerie werden am morgigen Donnerstag mobilisiert werden, um die Demonstrationen zu begleiten, unter ihnen 3.500 allein in Paris. (https://www.lepoint.fr/societe/reforme-des-retraites-plus-de-10-000-policiers-et-gendarmes-mobilises-18-01-2023-2505248_23.php externer Link und https://www.bfmtv.com/police-justice/manifestation-du-19-janvier-plus-de-10-000-policiers-et-gendarmes-mobilises_AP-202301180204.html externer Link) Nun ist ebenfalls bekannt, wie das Wahlverhalten von Polizeiangehörigen zu rund fünfzig Prozent ausfällt. (Vgl. https://www.liberation.fr/checknews/2020/06/10/est-il-vrai-que-les-policiers-et-gendarmes-votent-a-75-pour-l-extreme-droite-comme-le-dit-melenchon_1790710/ externer Link und https://www.liberation.fr/politique/vote-rn-chez-les-policiers-et-militaires-cest-un-etat-dabandon-qui-nourrit-un-sentiment-populiste-20210511_45AVJS7DBBAL5A2N7B2H4S2F74/ externer Link)

Dies trifft allerdings auf politische Wahlen (insbesondere Präsidentschaftswahlen) zu. Bei Berufsvertretungswahlen stimmen Polizistinnen und Polizisten überwiegend für konservative Organisationen, von denen sich vor wenigen Monaten insgesamt 13 zu einem „Block“ zusammenschlossen. (Vgl. https://www.lemonde.fr/societe/article/2022/12/09/le-bloc-syndical-mene-par-alliance-arrive-en-tete-des-elections-professionnelles-dans-la-police_6153642_3224.html externer Link) Die führende unter ihnen, Alliance, ist für ihre Rechtslastigkeit und ihren mitunter höchst fragwürdigen, nun ja, Humor in bestimmten Publikationen bekannt. Allerdings ist ihr Apparat organisatorisch-politisch mit der konservativen Rechtspartei LR (Les Républicains, ungefähr mit einer stark geschwächten CDU/CSU in Deutschland vergleichbar) verbandelt und nicht mit der neofaschistischen extremen Rechten in Gestalt des RN. Bei Präsidentschafts- oder Europaparlamentswahlen etwa stimmt die Basis der Polizeigewerkschaften jedoch tendenziell eher für Letztere. Auf Ebene der Berufsvertretungswahlen wiegen explizit rechtsextreme Polizeigewerkschaften hingegen nur rund fünf Prozent.

Alle relevanten Polizeigewerkschaften, von konservativ bis sozialdemokratisch, rufen ihrerseits zum Protesttag am morgigen Donnerstag auf. Auch diesbezüglich fürchtet das Innenministerium übrigens, im Zusammenhang mit ihrer Teilnahme, eventuelle Spannungen mit Autonomen in den Demonstrationen. Sagt es jedenfalls.

Aber lenken wir den Blick jenseits der Polizei. Auch unter den gewerkschaftlich organisierten oder mit den Gewerkschaften sympathisierenden Demonstrierenden wird es im Übrigen einige geben, die – in der Wahlkabine, im Schutz des Wahlgeheimnisses – insbesondere bei Präsidentschaftwahlen der extremen Rechten ihre Stimme gegeben haben. Dass auch relevante Teile der Lohnabhängigen dies taten und wohl noch tun werden, ist keinerlei Geheimnis und wird auch in den Reihen der französischen Gewerkschaften wahrgenommen und zum Teil diskutiert. (Vgl. https://www.ifop.com/publication/analyse-du-vote-selon-la-proximite-syndicale-2/ externer Link)

Umso nachdrücklicher stellt sich die Frage, wie sich die extreme Rechte aktuell zu dem derzeit besonders im Mittelpunkt der sozialen Kraftprobe stehenden Rententhema positioniert.

Ihre Chefin, Marine Le Pen, positioniert sich derzeit… geographisch in Westafrika. Zu Gesprächen, die ihre „internationale Statur“, ihre außenpolitische Relevanz untermauern sollen und bei denen es unter anderem (nicht ausschließlich) um Migrationsbegrenzung gehen wird, hält sie sich derzeit in der senegalesischen Hauptstadt Dakar auf. (Vgl. https://www.lemonde.fr/politique/article/2023/01/17/en-quete-d-une-image-internationale-marine-le-pen-s-aventure-a-dakar_6158134_823448.html externer Link)

Dies ist insofern bequem, wenn man dadurch erstens unangenehmen Erklärungen zum Inhalt eines Konfliktthemas entgehen kann und zum Zweiten über eine gute Gründe darüber verfügt, warum man gerade nicht im Mittelpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzung steht – wo Le Pen auch ohne ihre Reise nicht gestanden hätte. Denn bei Arbeitskämpfen, bei Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaften einerseits und Regierung sowie Kapital andererseits hat die extreme Rechte es oft schwer. Kann sie sich doch richtig weder auf der einen noch der anderen Seite positioniert, besteht ihre Geschäftsgrundlage doch genau darin, zu behaupten, solche Gegensätze zugunsten einer „Gemeinschaft“ auf anderer (nationaler, rassischer…) Grundlage zu überwinden. Bereits beim Raffineriestreik im Oktober 2022 fiel Marine Le Pen durch Auslassungen auf, die darauf hinausliefen zu sagen: „Weder dafür noch dagegen, ganz im Gegenteil…“ Um noch hinzuzufügen, grundsätzlich sei die Inkompetenz der Regierung schuld, und man sei für eine „große Lohnkonferenz“.

Zum Demonstrieren möchte man derzeit dezidiert nicht aufrufen. Parteichef Jordan Bardella (der junge Nachfolger von Marine Le Pen an der Parteispitze; Letztere zog sich seit 2022 auf den Fraktionsvorsitz in der Nationalversammlung zurück) beruft sich dabei bei seinen TV-Auftritten darauf, die Gewerkschaften seien ja nur falsche Herausforderer und in Wirklichkeit Verbündete des Regierungslagers. Zum „Beweis“ führt er an, Letztere hätten ja dazu aufgerufen, bspw. bei der Präsidentschaftswahl 2022 (in ihrer Stichwahl stand die Neofaschistin Marine Le Pen dem Amtsinhaber Emmanuel Macron als Herausforderin gegenüber) gegen Le Pen zu stimmen. Also für Macron, also seien sie in Wirklichkeit „Komplizen“, lautet seine Beweisführung.

Daraus wiederum leitete sich für ihn ab, dass man an ihrer Seite auf der Straße nichts zu suchen habe, sondern Opposition im Parlament betreiben werde. (Vgl. auch (https://www.liberation.fr/economie/social/en-direct-reforme-des-retraites-suivez-les-annonces-de-la-premiere-ministre-elisabeth-borne-20230110_2C7EA2E3KVBQPIDP2KNBKG7DLE/ externer Link)

Dies hindert den RN – sei es in Gestalt von Le Pen, oder von Bardella – nicht daran, laute, vordergründig radikal klingende Töne zu spucken. So spricht Jordan Bardella davon, seine Partei werde „die Spitze der Opposition“ zum Thema einnehmen (Vgl. https://www.bfmtv.com/politique/jordan-bardella-veut-que-le-rn-prenne-la-tete-de-l-opposition-a-la-reforme-des-retraites_AN-202301100488.html externer Link) Und spricht bezüglich der geplanten Rentenreform von einem „sozialen Krieg, der gegen das französisch Volk geführt wird“. (Vgl. https://www.bfmtv.com/politique/reforme-des-retraites-jordan-bardella-denonce-une-guerre-sociale-menee-au-peuple-francais_AV-202301100695.html externer Link)

Doch wofür steht die Partei nun inhaltlich?

Auf dieser Ebene sind ihre Positionen gar nicht so unterschiedlich im Vergleich zu denen des Macron-Lagers. Viele identifizieren den RN noch mit der verbalen Forderung einer Rückkehr zur Rente mit 60 (wie vor der „Reform“ unter Nicolas Sarkozy von 2010). Dieses Programmversprechen hatte Marine Le Pen jedoch nur kurzfristig, im Wahlkampf von 2012, erhoben und längst wieder fallen lassen.

Heute verspricht die rechtsextreme Partei:

  • denen, die vor dem Lebensalter von 20 erwerbstätig zu arbeiten anfingen, eine „Rente mit 60“ (um symbolisch den Slogan trotz längst vollzogenen Positionswechsels aufrecht erhalten, beibehalten zu können), jedoch nur unter der Voraussetzung, vierzig Beitragsjahre beisammen zu haben; das Macron-Lager verspricht eine gestaffelte Renten-Abgangsmöglichkeit je nach Arbeitsaufnahme vor 16, vor 18 oder vor 20 – vgl. dazu unseren Beitrag im Labournet vom Montag, den 16. Januar 23;
  • denen, die ab 20 zu arbeiten anfingen, jedoch lediglich eine Rente „ab 42 Beitragsjahren“ (das Macron-Lager will ab 2026 seinerseits 42, ab 2030 dann 43 Beitragsjahre zusammen sehen). Und wo das derzeitige System Abschläge von der Rente aufgrund fehlender Beitragsjahre ab dem Erreichen des Alters von 67 annulliert, spricht der RN sich dazu nicht explizit aus.

Wenn überhaupt, fällt das Rentensystem laut den derzeitigen Vorschlägen des RN also nur sehr unwesentlich besser aus als bei den Wirtschaftsliberalen… (Vgl. dazu auch (ein kurzer, inhaltlich treffender TV-Beitrag): https://www.bfmtv.com/politique/l-enquete-la-reforme-des-retraites-proposee-par-le-rn-est-elle-moins-dure-que-celle-du-gouvernement_VN-202301150097.html externer Link )

Man wird also mit denjenigen Lohanbhängigen, die auf sozialer Eben zu den Gewerkschaften halten, bei politischen Wahlen jedoch rechtsextrem wählen, inhaltlich ein paar ernsthafte Diskussionen führen müssen. Zweifellos und unvermeidbar werden sich solche Menschen auch unter den Demonstrierenden irgendwo befinden. CGT-Chef Philippe Martinez erklärte bei seinen TV-Auftritten vorige Woche wiederholt, als solche bekannte Mitglieder und Mandatsträger der extremen Rechten wolle man bei den Demonstrationen nicht dabei haben, ihre Präsenz sei unerwünscht, man habe andere Werte. Starjournalist/inn/en wie Appoline de Malherbe hatten unterdessen versucht, Martinez mit gezielten Fragen zur Allianz mit dem RN in vermeintlicher gemeinsamer Front gegen die Renten„reform“ in die Enge zu treiben, was jedoch nicht wirklich gelungen ist…

Artikel von Bernard Schmid vom 18.1.2023

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=207934
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