Klima-Klassenkampf: Internationale Debatten für eine gemeinsame Front gegen Umweltzerstörung und Angriffe auf Arbeits- und Menschenrechte

Dossier

Titelbild der Transnational Social Strike Broschüre mit einer Müllinsel, die auf dem Meer schwimmtDass Klimaproteste und Klassenkampf sich nicht ausschließen müssen, ist mittlerweile bei vielen Gewerkschaften (noch nicht allen) und (immer mehr) Klimaaktivist:innen  angekommen. Wie gemeinsame Strategien aussehen können, um für eine sozial gerechte und grüne Zukunft zu kämpfen, wird in immer mehr Kontexten diskutiert. Wir wollen an dieser Stelle Beiträge, die sich mit Klassenkampfperspektiven für die Rettung der Umwelt, Menschen und Natur beschäftigen, sammeln. Dabei geht es um Kämpfe in der Ölindustrie, Logistik, dem Gesundheitssektor und vielen anderen Bereichen, der Frage nach Konversion von umweltschädlichen Fabriken und dem Schulterschluss verschiedener Bewegungen. Siehe unser neues Dossier zu internationalen Debatten:

  • »In der Arbeit handeln wir die Gestaltung der Gesellschaft aus«: Von den Chicagoer Schlachthöfen zum Klimawandel New
    Im Interview von Raul Zelik vom 22. März 2024 in Neues Deutschland online externer Link erklärt der Soziologe und Verfasser von »Stoffwechselpolitik«, Simon Schaupp (edition suhrkamp 2024), den Zusammenhang von Gewerkschaftskämpfen und Ökologie, den er am Beispiel des US-Mittelwestens der 1930er Jahre veranschaulicht: „… Nachdem die europäischen Siedler sowohl die Bisons als auch die Indigenen weitgehend ausgerottet hatten, kam es dort zu einer Industrialisierung der Fleischwirtschaft. Die Prärie wurde umgepflügt, die Landwirte bauten im großen Stil Futtermais an. Es kam zu einer starken Bodenerosion und schließlich zu gewaltigen Sandstürmen, den so genannten dust bowls, die den Himmel über den USA zeitweise verdunkelten. Aufgrund der Missernten verloren Hunderttausende Bauern ihre Höfe an die Banken und mussten als Landarbeiter Richtung Westen migrieren. Die Umweltkrise schlug in eine soziale Krise um. (…) Bei der Entwicklung der Landwirtschaft in den USA gab es drei entscheidende Prozesse: Erstens die Motorisierung, zweitens die Verbreitung von Pestiziden, die Monokulturen überhaupt erst möglich machten, und schließlich die Haber-Bosch-Methode, also die Herstellung von Kunstdünger. Bis dahin war die Landwirtschaft an die Stoffkreisläufe des Bodens gefesselt gewesen. Jetzt zog man den Stickstoff aus der Luft. Das Problem beim Kunstdünger allerdings ist, dass für seine Herstellung extrem viel Energie benötigt wird. So betrachtet ist die industrielle Landwirtschaft sehr ineffizient. Mit einer Kalorie Energie werden heute nur 2,8 Kalorien Mais produziert; bei den traditionellen Anbaumethoden der Indigenen ist es sehr viel mehr. Man kann das als »Paradox der Nutzbarmachung« bezeichnen: Die Techniken zur Effizienzsteigerung unterlaufen sich selbst. (…) Das Kapital muss nicht nur die Arbeit, sondern auch die Natur nutzbar machen. Dieser Prozess ist nie völlig abgeschlossen: Wir Menschen entziehen uns der Kontrolle, und auch die Natur bleibt widerspenstig. In gewisser Hinsicht wirkt sich die Autonomie der Natur umso stärker aus, je weiter ihre Nutzbarmachung voranschreitet. Der wesentliche Unterschied zwischen Arbeit und Natur besteht natürlich darin, dass die Natur nicht emanzipatorisch handeln kann. (…) Der Klimawandel ist ein dramatisches Beispiel dafür, welche Folgen die Nutzbarmachung der Natur nach sich zieht. Ob es eine »finale Krise« des Kapitalismus sein wird, wage ich nicht zu prognostizieren. Aber wir haben es auf jeden Fall mit sich zuspitzenden sozialökologischen Krisen zu tun. (…) Bei Marx ist die Arbeit der Stoffwechsel mit der Natur. Es war immer schon falsch, das zu übersehen.“
  • Jenseits von Techno-Solutionismus und Öko-Austerität: Auf dem Weg zu einer Arbeiter*innen-Klima-Bewegung
    Nachdem Gewerkschaften durch die aggressiven Forderungen des Kapitals in die Defensive gedrängt und von vielen ihrer politischen Verbündeten im Stich gelassen wurden, sehen heute viele Arbeiter*innenorganisationen die Klimakrise als eine Herausforderung, sich neu zu formieren und ihre Verhandlungsmacht neu zu kalibrieren. Eine Renaissance der Arbeiter*innenbewegung steht bevor, und sie könnte zur antikapitalistischen Basis der Klimabewegung werden, argumentieren Toby Mckenzie-Barnes und Chris Saltmarsh in ihrem Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds”…“ Artikel von Toby McKenzie-Barnes und Chris Saltmarsh vom 30.11.2023 in der Berliner Gazette externer Link – der zweite Teil dieses Artikels wird nächste Woche veröffentlicht, siehe auch:

    • Arbeiter haben ein existenzielles Interesse an einer nachhaltigen, umweltfreundlichen Produktion und sie sind auch diejenigen, die die Hauptlast einer sozial-ökologischen Transformation tragen werden, argumentiert Dario Azzellini in seinem #AlliedGrounds -Videotalk“ – engl. Video von berlinergazette auf Twitter externer Link
  • Klimaschutz ist Klassenkampf – und wir verlieren ihn
    Diese Woche haben wir die Grenze erstmals durchbrochen. Die ganze Welt war erstmals seit Menschengedenken im Schnitt 2 Grad wärmer, als in vorindustriellen Zeiten. Daran haben wir Menschen wohl alle gleich viel Schuld? Moment mal, sagt Barbara Blaha. (…)
    Klimagerechtigkeit: Nicht alle haben gleich viel Schuld
    Denn: Wir produzieren nicht alle gleich viel CO. Wir Menschen sind nicht in gleichem Maße für steigende Temperaturen, zerstörerische Stürme, lange Dürreperioden und Waldbrände verantwortlich. Während 80 Prozent der Österreicher:innen seit 1990 ihren CO-Ausstoß reduziert haben, hat das oberste Prozent im selben Zeitraum nochmal 25 Prozent zugelegt. Das gilt nicht nur in Österreich. Die Verschmutzer-Elite sitzt auch weltweit betrachtet ganz oben. Das reichste Prozent der Welt lebt ein wunderbar entspanntes, klimatisiertes Leben: auf Kosten unseres Planeten. Sie verursachen so viel CO wie 5 Milliarden Menschen zusammen. (…)
    Und doch passiert politisch so wenig. Warum? Weil Klimaschutz Klassenkampf ist.
    Wer das Klima retten will, wer unseren Planeten retten will, muss sich mit denen da oben anlegen. Klimaschutz ist Klassenkampf, aber unsere Klasse ist gerade dabei, ihn zu verlieren. Entweder wir sichern die Lebensbedingungen für alle künftigen Generationen oder wir lassen zu, dass einige wenige sehr reiche Menschen ihren zerstörerischen Lebensstil beibehalten. Nach unten haben wir eine Grenze definiert, unter die – zumindest in der Theorie – niemand fallen soll: die Armutsgrenze. Aber es gibt auch ein Limit nach oben, über das niemand steigen sollte. Und dieses Limit gibt uns unser Planet vor.“ Kommentar von Barbara Blaha vom 24. November 2023 in moment.at externer Link
  • Workers for Future: Die Klimabewegung vergisst die Arbeiter*innen 
    Die kapitalistische Produktionsweise beutet in ihrem rastlosen Selbstzweck nicht nur die Natur, sondern auch die Lebenskraft der Arbeiter*innen aus. Die gegenwärtige Klimabewegung blendet diesen Umstand weitgehend aus. Entsprechend hat sie den Arbeiter*innen wenig anzubieten.
    Wie halten wir es mit (Lohn-)Arbeit und Klassenkampf in der sozialökologischen Transformation? Diese Frage ist in der aktuellen Klimaschutzdebatte alles andere als hip. Arbeiter*innen und Gewerkschaften werden vielmehr verdächtigt, sich mit ihren Lohnforderungen eine Logik des Wirtschaftswachstums zu eigen zu machen und sich an Arbeitsplätze zu klammern. In der (radikaleren) ökologischen Linken wiederum dominiert ein Verständnis von Kapitalismus als Enteignung, Vertreibung und Repression von Indigenen und Bäuer*innen des Globalen Südens, die dann auch eher als revolutionäre Subjekte imaginiert werden als die Arbeiterklasse. Eine Auseinandersetzung mit dem kapitalistischen Arbeits- und Produktionsprozess erscheint nachrangig, gerade die vermeintlich ‚privilegierten weißen‘ Arbeiter*innen des Globalen Nordens werden gemeinhin als integrierte Langweiler*innen, wenn nicht Reaktionär*innen angesehen, die lediglich ihr Häuschen, Familie und Urlaubsreisen im Sinn haben und oft auch noch rechts wählen. Und umgekehrt scheint von Arbeiter*innen-Seite die Ökologie-Frage eher abgewehrt zu werden: Die Grünen gelten vielen Arbeiter*innen als Hauptfeind, erklärte der Soziologe Klaus Dörre in der Wochenzeitschrift Freitag 25/2023.
    Wer sich in dieser Gemengelage seitens der Öko-Linken überhaupt auf weiße Arbeiter*innen bezieht, bemüht meist den offiziellen Gewerkschaftsdiskurs: Der ökologische Umbau müsse sozial ausgewogen stattfinden und die Arbeiter*innen mitnehmen. Dafür bräuchte es Alternativarbeitsplätze sowie entsprechende Umschulungen für die Beschäftigten der Kohle- und Stahl-, Chemie- und Autoindustrie. Diese wohlmeinende Versorgungserzählung ist allerdings nicht nur eigentümlich paternalistisch, sondern greift vor allem viel zu kurz. Ausgeblendet wird dabei, dass man in dem Kampf für eine andere (Re-)Produktionsweise immer auch die Frage nach der Arbeit und damit auch nach den Arbeitssubjekten und ihrer gesellschaftlichen Rolle mitdenken muss. Wie und durch wen soll denn eine neue, nicht-warenförmige Art von gesellschaftlichem Reichtum erarbeitet werden? Selbstverwaltete Kommunen, autonome Landgemeinden und Öko-Genossenschaften sind als »Halbinseln«, wie es Friederike Habermann nennt, gegen den Strom kapitalistischer Zurichtung enorm wichtig. Aber wir sollten nicht der Illusion erliegen, dass sich mit ihnen der Kapitalismus allmählich einhegen und austrocknen lässt. Die Geschichte zeigt eindrücklich, dass er sich das aufgrund seiner expansiven Logiken nicht gefallen lässt. Entsprechend braucht es eine Auseinandersetzung mit der – übrigens auch im Globalen Süden zentralen – (Lohn-)Arbeit und eine Kapitalismuskritik, die Klassenauseinandersetzungen als Überwindung dieser lohnförmigen Arbeit im Sinne von neuen Formen der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums denkt.
    Klassenkampf ist mehr als Umverteilung
    Für eine antikapitalistische Perspektive braucht es ein sozialökologisches und damit ein qualitatives Verständnis des Klassenwiderspruchs. Es reicht nicht aus, das Kapital-Arbeit-Verhältnis in der klassischen, traditionsmarxistischen Form als das Abpressen von Mehrarbeit für den Profit des Kapitals zu beschreiben. Solche Darstellungen verfangen sich in quantitativen Betrachtungen von steigenden oder fallenden Profitraten, längeren oder kürzeren Arbeitszeiten, höheren oder niedrigeren Löhnen oder etwa den Ausgaben für Arbeitsschutz. Bei aller Wichtigkeit dieser Fragen verfehlen sie das Wesentliche: Dass die Profitmaximierung auf eine an sich komplett nutzlose, tote Form von Reichtum ausgerichtet ist – das Geld, beziehungsweise dessen Vermehrung – während die Menschen das gesellschaftliche Leben durch ihre lebendige Arbeit hervorbringen. (…) Mit diesem qualitativen, sozialökologischen Begriff von Klassenwiderspruch und Ausbeutung wird klar, warum sich Arbeiter*innen bislang für Kämpfe um ökologische Transformation nicht gerade massenhaft begeistern: Ihre lebendige Arbeit kommt darin nicht vor. (…) Es geht hier nicht darum, die offensichtliche Verstrickung etablierter Gewerkschaften und selbstredend auch der Arbeiter*innen in Profitmaxime und fortgesetzte Vernutzung fossiler Energien zu verteidigen. Aber eine Umwelt(!)-Bewegung, die die sozialleibliche Umwelt, also die Unterdrückung und das damit verbundene Leiden in der (Lohn-)Arbeit nicht betrachtet, wird von Arbeiter*innen völlig zu Recht als äußere, sie negierende Zumutung verstanden und in Teilen entsprechend angefeindet…“ Artikel von Stefanie Hürtgen am 17.10.2023 im iz3w-Heft 399 externer Link – das iz3w-Heft 399 vom November / Dezember 2023 externer Link hat das Schwerpunktthema: Klimakrise – Was tun, wenn’s brennt?
  • Soziologe Steffen Mau: „Klimapolitik, das ist ein Klassenkampf im Werden“
    Ungleichheit Wer wenig verdient oder Bürgergeld bezieht, erfüllt die Pariser Klimaziele schon jetzt: Der Soziologe Steffen Mau spricht über die „Ökologie der Arbeiterklasse“, die medial fast nie vorkommt, und warum ungerechte Klimapolitik scheitern muss (…) Im öffentlichen, diskursiven Raum tritt eigentlich fast immer nur die Ökologie der Mittelschicht hervor. Ihre Merkmale sind im Wesentlichen: sie ist wissensbasiert, sie beruht auf individuellen Konsumentscheidungen und sie fokussiert vor allem auf den eigenen Lebensstil. Es ist eine Art „Ich muss und kann mein Leben ändern, um dem gerecht zu werden, was klimapolitisch notwendig ist“. In den unteren Schichten ist das anders. In der Ökologie der Arbeiterklasse ist die ökologische Frage von Anbeginn an mit sozialen und ökonomischen Fragen verzahnt. Nicht nur, dass man sich fragt: Was bedeutet das für meine Möglichkeiten, meinen Lebensstandard zu sichern? Kann ich mir das überhaupt leisten? Sondern die unteren Schichten stellen auch die Gerechtigkeitsfrage viel stärker: Wie werden die Transformationskosten verteilt? Tragen die, die viel mehr zum Klimawandel beigetragen haben, auch die Folgekosten? Oder wird das auf uns übergewälzt, so dass es Lebensmöglichkeiten massiv einschränkt? Man begegnet im öffentlichen Diskurs oft der Idee, dass wir die Leute mit Informationen überhäufen müssten, damit sie Klimapolitik unterstützen. Das ist aus meiner Sicht die falsche Strategie. Denn die Leute stimmen durchaus zu, dass etwas getan werden muss. Aber sie gehen nicht mehr mit, wenn sie das Gefühl haben, dass Klimapolitik ungerecht ist und obendrein ihre soziale Sicherheit oder ihren materiellen Standard bedroht. (…) So wie Klimapolitik oft formuliert und vermittelt wird, führt sie zu Reaktanz: Was, ihr wollt uns jetzt unseren Lebensstil vorschreiben? Viele Menschen, die in der sozialen Hierarchie unten stehen und sowieso weniger Möglichkeiten haben, in ihrem beruflichen Kontext eigenständig und autonom zu entscheiden, pochen umso mehr darauf, dass sie im Privatleben diese Entscheidungsfreiheit behalten. Weil sie sowieso schon geringere Handlungsspielräume im Alltag haben. Wenn dann das Gefühl dazukommt, dass nun die Mittelschicht definiert, was gut und richtig ist, und den eigenen Lebensstil als falsch und unethisch abwertet, dann gibt es eine Form von Reaktanz, die mit klimapolitischen Konflikten gar nichts mehr zu tun hat, sondern mit der Anerkennung der eigenen Lebenswelt. (…) Wenn man bedenkt, dass der Übergang zur industrialisierten Welt auch mit der Neuerfindung zentraler Institutionen des sozialen Ausgleichs – dem Wohlfahrtsstaat – einhergegangen ist, dann könnte man sagen: Der Übergang von der fossilen zur post-fossilen Welt ist eine ähnlich große Transformation, weil die gesamte Energiebasis, auf der unser Wirtschaften beruht, sich verändern soll. Also muss man darüber nachdenken, welche neue Institutionen der Kompensation, des Ausgleichs, der Sicherung von gesellschaftlicher Fairness es braucht. Darüber haben wir bisher zu wenig diskutiert…“ Interview von Pepe Egger vom 30.10.2023 im Freitag online externer Link – leider im Abo
  • Organisierung von Plantagenarbeitern: Was es bedeutet, das kollektive Gedächtnis für einen gerechten Übergang zu aktivieren
    Normalerweise sind Umweltfragen nicht Teil der gewerkschaftlichen Aktivitäten, die sich hauptsächlich mit Löhnen und Arbeitnehmerrechten befassen. Wenn wir jedoch das Thema Gesundheit und Sicherheit in den Produktionsstätten ansprechen, können die Gewerkschaften potenziell eine Verbindung zwischen Arbeits- und Umweltkämpfen herstellen, wie Hariati Sinaga in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe „Allied Grounds“ argumentiert, der sich auf die entscheidende Rolle der Erinnerung in Palmölplantagen konzentriert…“ engl. Artikel von Hariati Sinaga vom 15.09.2023 in der Berliner Gazette externer Link („Organizing Plantation Workers: What it Means to Activate Collective Memory For a Just Transition“)
  • Wir können das Klima nicht ohne die Arbeiter retten 
    Teile der Klimabewegung sehen Beschäftigte in fossilintensiven Industrien als Gegner statt als potenzielle Verbündete. Das ist ein schwerer Fehler. Denn wir können bei der Transformation nicht auf sie verzichten.
    Kürzlich ließ eine Umfrage die Klimabewegung in Deutschland aufmerken: Ihr zufolge sind die Zustimmungswerte für Klimaaktivismus in den letzten zwei Jahren dramatisch eingebrochen, nur noch halb so viele Menschen unterstützen die Aktionen – 34 statt 68 Prozent. Sicherlich hat die rechte Hetze gegen die Letzte Generation ihren Teil dazu beigetragen. Als alleinige Erklärung reicht das aber nicht hin. Die Klimabewegung muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie in der Lage ist, für eine Transformation unserer Wirtschaftsweise zu werben, die den Menschen auch erstrebenswert erscheint.
    Für Aufsehen sorgten einige Wochen zuvor auch Aussagen externer Link einer Degrowth-Wissenschaftlerin. Andrea Vetter, Co-Autorin von The Future is Degrowth, argumentierte, dass weiße und gewerkschaftlich organisierte Arbeiterinnen und Arbeiter des Globalen Nordens wahrscheinlich keine wichtige Rolle in der Transformation spielen werden. Nämlich würde deren »imperiale Lebensweise« direkt von der Ausbeutung von Menschen im Globalen Süden profitieren. Folglich hätten sie kein Interesse daran, eine Transformation zu gestalten, die ihre Lebensweise gefährden würde. (…) Allerdings, so betonen die Autoren, hätten sich die Arbeiterinnen und Arbeiter des Globalen Nordens diese Lebensweise nicht bewusst ausgesucht, zumal sie selbst sozial beherrscht würden. Damit wären sie auch nicht direkt für die ungerechten Konsequenzen ihrer Lebensweise im Globalen Süden verantwortlich. Trotzdem würden sie diese globale Herrschaftsordnung reproduzieren und von ihr profitieren. Vetter und Gleichgesinnte gehen also davon aus, dass die Klimakrise nur dadurch bewältigt werden kann, dass sich die Lebensbedingungen von Lohnabhängigen im Globalen Norden verschlechtern. Folglich ergäbe es keinen Sinn, sie als Bündnispartner für dieses Projekt zu gewinnen. Diese Sicht ist auch in weiten Teilen der deutschen Klimabewegung und Linken verbreitet. Unter dem demokratischen Gesichtspunkt ist diese Form von Klimapolitik aber genau deshalb zum Scheitern verurteilt, da sie nicht fähig wäre, breite Mehrheiten zum Beispiel für ein Wahlprogramm zu mobilisieren. Nur die Wenigsten würden einem Programm des »Weniger ist mehr« ihre Stimme geben.
    Auch geht diese Sichtweise am Kernproblem der Klimakrise vorbei, nämlich der Produktion. Da die Klimakrise hauptsächlich durch die Ausstöße der fossilabhängigen industriellen Produktion (inklusive Energiegewinnung und damit verbundenen Aktivitäten wie dem Transport) getrieben wird, müsste eine Strategiedebatte in Ländern wie Deutschland darauf zielen, wie wir Industrien möglichst schnell dekarbonisieren. Zusätzlich müsste sie auch die Frage beinhalten, wie wir Technologien und Infrastrukturen für zukünftige emissionsfreie Produktion entwickeln. Die Dekarbonisierung eines von der Industrie abhängigen Landes geht direkt mit einem tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt einher. Arbeitsplätze und Berufe fallen weg, andere entstehen, und diejenigen, die bestehen bleiben, verändern sich infolge des Klimawandels stark. Die Transformation der Produktion darf nicht auf Kosten der Lohnabhängigen gehen, wie es ab und zu in Degrowth-Debatten anklingt und wie es die Arbeit der Ampel-Regierung andeutet. Um das zu verhindern, müssen Gewerkschaften in der Debatte Vorrang haben. (…)
    Die aktuelle Energiewende schafft neue Arbeitsplätze in diesen stark liberalisierten Märkten und baut gleichzeitig Jobs in den Sektoren ab, die traditionell hohe gewerkschaftliche Organisationsgrade mit starker Mitbestimmung aufweisen. Zudem geschieht dies in Regionen, wo die negativen Konsequenzen vergangener Strukturwandelprozesse den Menschen noch in Erinnerung sind – man denke an den Ausstieg aus der Braunkohle im Osten oder im rheinischen Revier nahe dem Ruhrpott.
    Jobs in erneuerbaren Energien bedeuten mitunter schlechtere Arbeitsbedingungen externer Link als in den fossilabhängigen Sektoren, da sie oft einen geringeren Organisationsgrad aufweisen. Aus diesem Grund stehen Gewerkschaften in den USA externer Link diesen neuen Jobs in vielen Fällen misstrauisch gegenüber. Vor kurzem veröffentlichte die Gewerkschaft United Auto Worker (UAW) ein Video externer Link über die schlechten Arbeitsbedingungen und Löhne, die Arbeiterinnen und Arbeiter in der E-Automobil-Branche erleben. In der Tesla-Fabrik in Grünheide ist es ähnlich. Die Tarifbindung in reinen Windenergie-Unternehmen liegt in Deutschland bei nur 40 Prozent, unter dem bundesweiten Durchschnitt von 50 Prozent. Dieser Anteil könnte sich allerdings etwas erhöht haben, nachdem die Beschäftigten bei Vestas 123 Tage erfolgreich für ihren Tarifvertrag streikten. Das zeigt wiederum, welche immense Anstrengung nötig sein wird, um dem grünen Ordoliberalismus hierzulande entgegenzuwirken. (…)
    Im Rahmen meiner eigenen Forschung hatte ich in den letzten Monaten die Möglichkeit, mit Beschäftigten aus der Braunkohlewirtschaft in NRW über den Strukturwandel zu sprechen. Dabei äußerten sie nur wenig Angst vor einem Arbeitsplatzverlust. Dies lässt sich durch die Ergebnisse der Verhandlungen von IG BCE und Verdi in der sogenannten Kohlekomission erklären: Ältere Beschäftigte können mit dem Anpassungsgeld in Vorruhestand gehen, Jüngeren soll nicht betriebsbedingt gekündigt werden und sie bekommen die Möglichkeit, sich umzuqualifizieren. Deutlich zu vernehmen ist allerdings die Angst vor einer Deindustrialisierung der Region. (…)
    Die Befragten legten auch eine erhöhte Klimaskepsis an den Tag. Mehrmals wurde mir mitgeteilt, dass es den »menschengemachten« Klimawandel nicht wirklich gäbe oder dass es ihn zwar gäbe, RWE aber nicht maßgeblich zu ihm beigetragen habe. Es ist viel zu den Hintergründen von Klimaskepsis geforscht worden. Klar ist, dass von der Fossilindustrie geförderte konservative Politikerinnen und Think-Tanks einen Anteil daran haben, solche Ansichten in der Bevölkerung zu verbreiten. Eine erhöhte Klimaskepsis externer Link unter Beschäftigten der fossilen Energiebranche im Vergleich zu anderen Berufen ist auch bekannt. (…)
    Viele der Beschäftigten, mit denen ich sprach, setzten Klimaschutz, wie er von der Ampel-Regierung durchgesetzt wird, mit einem Armutsrisiko gleich. Dies könnte teilweise ihre Klimaskepsis erklären. Weiterhin stehen einige der Menschen, die ich interviewte, der Klimabewegung sehr kritisch gegenüber. Mehrmals wurde mir mitgeteilt, dass Aktivistinnen und Aktivisten Beschäftigte angefeindet und mit der Frage konfrontiert hätten, ob sie sich nicht schämen würden, für RWE zu arbeiten. Ein Betriebsrat fragte mich, warum man sich für einen Beruf schämen sollte, mit dem man die eigene Familie ernährt. (…) Ich führte ähnliche Interviews auch mit Beschäftigten der Automobilindustrie. Obwohl ihre Situation eine andere ist, da hier nicht die komplette Branche verschwindet, besteht eine interessante Parallele zu den Beschäftigten im rheinischen Kohlerevier. Beschäftigte in beiden Branchen hängen vor allem an den guten Arbeitsbedingungen, was Freizeit, Löhne, Mitsprache im Betrieb und Tarifbindung angeht. Ein Festhalten an dem konkreten Endprodukt ihrer Arbeit (Verbrennermotoren und Braunkohle) war in vielen Interviews hingegen nicht ausschlaggebend. Beschäftigte in der Braunkohleindustrie identifizieren sich zwar stärker mit ihrem Beruf, jedoch nicht so sehr, dass sie eine neue Tätigkeit (zum Beispiel in erneuerbaren Technologien) prinzipiell ablehnen würden. Auch den Beschäftigten aus der Automobilindustrie war es größtenteils egal, was sie produzierten. Hauptsache, die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich nicht. Das deutet darauf hin, dass Industriebeschäftigte flexibel genug sind, ihre Tätigkeiten im Zusammenhang einer Transformation anzupassen. (…)
    Gewerkschaften, in denen die Mehrheit der Mitglieder ihre Berufe oder Arbeitsplätze nicht verlieren werden, sind leichter als Bündnispartner einer Klimabewegung zu gewinnen. Das zeigte kürzlich das Bündnis zwischen Verdi und Fridays for Future bei der ÖPNV-Tarifrunde. Angesichts der großen Rückschläge für die Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten (sinkender Tarifbindung und Mitgliederzahlen) und der defensiven Position, die sie in der Folge eingenommen haben, werden vom Strukturwandel betroffene Industriegewerkschaften nicht von heute auf morgen Klimaverbündete werden. Nur ein gemeinsames Programm von Klimabewegung und Gewerkschaften, das Abstiegsängsten entgegenwirkt und Vertrauen in eine allgemeine Verbesserung der materiellen Lebensverhältnisse aufbaut, wird das leisten können. Das setzt wiederum voraus, konkrete Konzepte zu entwickeln, wie die Energieerzeugung und andere Technologien in die öffentliche Hand übertragen werden können, und die bisherige Rolle des Staates zu hinterfragen, um der Sparpolitik ein Ende zu setzen. Starke Gewerkschaften könnten zudem wieder ihr traditionelles Projekt angehen, die Arbeitswelt zu demokratisieren. Mit einer weitreichenden Mitbestimmung könnten Arbeiterinnen und Arbeiter in Deutschland sich effektiv international und solidarisch gegen neue extraktivistische Ausbeutung im Globalen Süden einsetzen. (…) Die Gewerkschaften müssen über die engen Grenzen der Tarifpolitik hinaus als politische Akteure tätig werden. Und die Klimabewegung muss sich davon verabschieden, die Lebensweise und Arbeitsformen der Lohnabhängigen moralisch zu kritisieren und über die Lebensrealitäten Industriebeschäftigter hinwegzusehen.“ Artikel von Von Nicole Kleinheisterkamp-González vom 13. September 2023 in Jacobin.de externer Link, siehe dazu auch:

  • Energiewende: „Fridays“ wollen Workers for Future werden 
    „… Die Schulstreik- und Jugendbewegung Fridays for Future (FFF) kämpft seit längerer Zeit gegen das Vorurteil an, sie bestehe nur aus Bürger- und Kleinbürgerkindern, die alle mal „Laberfächer“ studieren werden, Handwerk und Ingenieurskunst geringschätzen und nicht wirklich mit anpacken wollen. Akzente setzten „die Fridays“ bereits im März mit der Unterstützung der Streiks von ÖPNV-Beschäftigten, um attraktivere Arbeitsbedingungen und Löhne für diejenigen durchzusetzen, die das Rückgrat einer klimagerechten Verkehrswende sein sollen. Einige der FFF-Jugendlichen wollen aber auch selbst Berufe ergreifen, in denen sie unmittelbar Teil der sozial-ökologischen Transformation sein können, die sie zum Teil seit fünf Jahren auf Demos fordern. Jetzt wird es in der Hauptstadt konkreter: Der Berliner Senat soll eine Ausbildungsoffensive für Solarberufe starten. Die Berliner Firma Zolar, die bundesweit Solaranlagen vertreibt, würde sich wiederum über öffentliche Aufträge freuen – und richtet gemeinsam mit Fridays for Future und der Organisation ProjectTogether das erste Berliner Solarcamp aus. Interessierte Jugendliche sollen dort an die handwerkliche Seite der Energiewende herangeführt werden. Für einfache Montagearbeiten sind sie danach bereits einsetzbar und könnten in diesem Bereich als Hilfskräfte arbeiten. Weitere Qualifikationsmöglichkeiten sind jedoch gefragt. „Wir hören oft, Jugendliche wollen nur studieren, sich die Hände nicht schmutzig machen. Im Gegenteil: Die Bereitschaft von jungen Menschen, die Energiewende wie hier buchstäblich in die Hand zu nehmen, ist unglaublich hoch“, so Linus Dolder von Fridays for Future am Mittwoch auf der Pressekonferenz zum Solarcamp. (…) In zwei Wochen waren dort laut Fridays for Future die ersten 21 Assistenzkräfte qualifiziert worden. Einige hätten direkt eine Anstellung gefunden.“ Beitrag von Claudia Wangerin vom 24. August 2023 in Telepolis externer Link

  • [Buch] Alexander Neupert-Doppler: Ökosozialismus Auf einem toten Planeten gibt es keinen Klassenkampf
    Ein theoretisches Konvolut fragt danach, wie die Befreiung des Menschen mit der Befreiung des Planeten verbunden ist?
    Kommunistische und sozialistische Theorie ist immer ein Versuch, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu erfassen, ihre Verschleierung durch ideologische Deformierung zu enttarnen und gleichzeitig Fragen der Möglichkeit von Emanzipation zu stellen. Das theoretische Konvolut, das Alexander Neupert-Doppler in seinem Buch unter dem Schlagwort „Ökosozialismus“ subsumiert, ist diesem Zugang verpflichtet. Und eine entscheidende Stärke des Buches liegt in jenen Passagen, welche die Paradigmenwechsel ökosozialistischer Theorie als Ergebnis von verlorenen und gewonnenen Kämpfen verstehen. Gleich zu Beginn seines Buches stellt Neupert-Doppler klar, dass der Ökosozialismus als eine utopische Denkbewegung zu verstehen ist. Utopisches Denken speist sich für ihn aus den Faktoren der Negation des Bestehenden, der Konkretion bestehender Möglichkeiten, der Intention gesellschaftlicher Veränderung, der Artikulation bislang sublimierter Bedürfnisse und der Motivation als Horizont für reale Kämpfe…“ Besprechung von Christoph Zeevaert am 23. August 2023 im untergrund-blättle.ch externer Link
  • Klimakrise und Ökosozialismus
    Der marxistische Theoretiker und Autor des Bestsellers „Capital in the Anthropocene“ (2020), Kohei Saito, bespricht die drei Antworten auf die ökologische Krise im linken akademischen Diskurs: Klima-Keynesianismus, Akzelerationismus und Ökosozialismus. (…) Saito hielt diesen Vortrag im Rahmen der Konferenz „Unsustainable Past – Sustainable Futures“ (2021)…“ Video bei labournet.tv externer Link (engl. mit dt. ut | 20 min | 2021)
  • Degrowth-Kommunismus und Klimakrise: »Wir brauchen eine neue Art des Überflusses« 
    Der japanische Philosoph Kohei Saito im Interview von Guido Speckmann im ak 695 vom 15. August 2023 externer Link über seine Verbindung von Degrowth, Marx und Kommunismus: „… Ich bin mir durchaus bewusst, dass der Degrowth-Kommunismus kein sehr verbreitetes Verständnis von Marx’ Utopie des Sozialismus ist. Auch habe ich in der Vergangenheit nicht explizit über Degrowth geschrieben oder diese Idee akzeptiert, weil ich aus einer marxistischen Tradition komme. Ich hegte Sympathien für Green-New-Deal-Vorschläge, die darauf zielen, die Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiter*innenklasse mit Klimapolitik zu verbinden. Erst durch die Verschärfung der Klimakrise habe ich erkannt, wie ernst diese tatsächlich ist. Und ich war sehr beeindruckt von Greta Thunberg und sozialen Bewegungen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion oder Just Stop Oil. Sie stehen für mehr als nur Investitionen in grüne Technologien und nachhaltiges Wachstum. Mir wurde klar: Die Klimakrise ist so gewaltig, dass wir ganz andere Lösungen brauchen als die, die selbst in der Linken für selbstverständlich gehalten werden. (…) [Thunberg und die Fridays] waren ein Anstoß, und dann bin ich wieder zu Marx zurückgekehrt, habe seine Manuskripte und Notizbücher gelesen. Mir wurde klar, warum er nichtwestliche Gesellschaften studierte, warum er von den russischen Dorfgemeinschaften so fasziniert war. In meiner früheren Arbeit hatte ich mich nur mit seinen naturwissenschaftlichen Notizbüchern beschäftigt. Aber als ich diese beiden Themen miteinander verband, erkannte ich, dass Marx nicht so optimistisch war, was die technische Entwicklung und die Entwicklung der Produktivkräfte anging. Und er akzeptierte auch die Idee einer eher stationären Wirtschaft. Und so begann ich, die These des Degrowth-Kommunismus zu entwickeln. (…) Es geht nicht darum, mehr Materialien zu verbrauchen, mehr Produkte zu konsumieren, nicht um mehr Geld. Es geht darum, gemeinschaftliches Kulturwissen zu bereichern, darum, etwas zu teilen; Menschen empfinden dann Freude und Glück. Neue Arten von Reichtum können auf Gemeinschaft und auf dem Teilen basieren, ich nenne es Commons, es ist der Reichtum des Gemeinwesens. (…) Natürlich brauchen wir Investitionen in grüne Energien und Elektrofahrzeuge, aber gleichzeitig sollten wir unsere imperiale Lebensweise viel radikaler infrage stellen. Wir sollten große Autos, kurze Inlandsflüge und den individuellen Autoverkehr in Städten verbieten. Das ist mit Degrowth vereinbar und auch antikapitalistisch. Marxist*innen sollten von diesen Bewegungen lernen und sich mit der Degrowth-Tradition auseinandersetzen, anstatt zu argumentieren, dass mehr Entwicklung gut für die Arbeiter*innenklasse sei. (…) Wir müssen, wie eingangs erläutert, den Überfluss neu definieren und zum Beispiel kürzere Arbeitszeiten fordern. Das ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch für die Arbeitenden, denn gerade in Ländern wie Japan machen die Beschäftigten Überstunden ohne Ende. Wir müssen neu definieren, was sozialistische Politik fordern sollte. Dazu müssen wir aber zunächst von der Wachstumskritik lernen. Wir müssen unser stereotypes, negatives Bild von Degrowth ändern. Es geht eben nicht darum, arm zu werden oder unsere Bedürfnisse einzuschränken. Deshalb bin ich froh, dass immer mehr Menschen versuchen, ein breiteres Bündnis von sozialen und ökologischen Bewegungen aufzubauen, weil wir keine Zeit haben, innerhalb des kleinen marxistischen Kreises zu diskutieren und uns zu kritisieren. Und ich hoffe, dass sich die Arbeiter*innenklasse dem Bündnis anschließen wird. Dann wird es eine neue sozialistische Bewegung im 21. Jahrhundert geben.“
  • Workers and Climate: Die Arbeitnehmer leiden auf vielfältige Weise unter den Auswirkungen des Klimawandels. Für wen besteht ein erhöhtes Risiko, und was kann getan werden, um das Leiden zu verringern?
    Der sich verschärfende Klimawandel hat für Arbeitnehmer schwerwiegende Folgen. Der Klimawandel wirkt sich sowohl auf Arbeitnehmer in Gebäuden als auch auf Arbeitnehmer im Freien aus, und zwar auf vielfältige Weise. Im Folgenden finden Sie einige aktuelle Artikel über die Auswirkungen des Klimas auf die Gesundheit von Arbeitnehmern, Bemühungen um bessere Vorschriften und Versuche von Arbeitgebern, sich gegen Vorschriften zu wehren…“ engl. Pressespiegel am 14.8.2023 auf Portside Labor externer Link als Nachdruck aus Various
  • Der Wert der Ausbeutung. Die künstliche Trennung von Arbeits- und Umweltkämpfen wird nicht von selbst verschwinden 
    „Sie muss durch ein neues politisches Subjekt überwunden werden, das ein postkapitalistisches Verständnis von Wert entwickelt – und zwar durch die Organisation von Technologie, Pflege und Instandhaltung rund um Gemeingüter. Auf diesem Weg können die Kämpfe von Arbeiter*innen und Umweltschützer*innen gemeinsame Werte und Praktiken schaffen, die die Hegemonie des Kapitals herausfordern. (…) Die Suche nach einer umfassenden Werttheorie in der politischen Ökonomie führt schnell zu Adam Smith und der sogenannten Arbeitswerttheorie. (…) “Der Wert jeder Ware”, die Gegenstand seiner Untersuchung war, “für denjenigen, der sie besitzt und nicht beabsichtigt, sie selbst zu benutzen oder zu verbrauchen, sondern sie gegen andere Waren einzutauschen, ist gleich der Menge an Arbeit, die sie ihm ermöglicht, zu kaufen oder zu befehlen” (Hervorhebung von mir). Smith dokumentierte die Entstehung einer neuen Produktionsweise, in der Waren nicht zum Gebrauch oder Verbrauch, sondern zum Tausch produziert werden. (…) In diesem System, dem Kapitalismus, entspricht der Wert der Waren bei ihrem Tausch gegen andere Waren, um es ganz offen zu sagen, der Menge an Arbeit, die ihre Besitzer*innen ausbeuten können. In diesem Sinne ist der Wert im Kapitalismus per Definition nichts anderes als ein Mittel zur Verwertung. Diese Weltanschauung birgt zwei Fallstricke. Erstens wirft die Ausbeutung der “Mühe und Arbeit” der Menschen, um es mit Smiths Worten zu sagen, keine ethischen Bedenken mehr auf. Es handelt sich um einen rationalen Akt, der der Logik des Systems vollkommen entspricht. Zweitens werden dadurch andere Formen der Ausbeutung weniger sichtbar. Am wichtigsten ist, dass die Ausbeutung der Natur nicht einmal als würdiger Produktionsfaktor angesehen wird, da Bäume und Luftteilchen selten streiken oder protestieren (zumindest im herkömmlichen Sinne). (…) Das Verständnis von Wert als Gemeingut kann die Kämpfe von Arbeiter*innen und Umweltschützer*innen vereinen. Die Rückeroberung der Kontrolle über das, was wertvoll ist, wird Teil der Kämpfe um die Rückgewinnung der Allmende. Es ist ein Kampf um die Vorstellung und Umsetzung einer anderen Art und Weise, unserem Leben einen Sinn zu geben und unsere Lebensgrundlagen zu reproduzieren. Geschichten rund um die Allmende sind Ausdruck einer alternativen politischen Ökonomie, einer anderen Art und Weise, Produktion, Versorgung, Lebensunterhalt und die Gestaltung unseres Lebens zu verstehen. Eine Art und Weise, in der die Mühen und Anstrengungen der Menschen mehr bedeuten als die blosse Produktion von Dingen, die meist weggeworfen werden; in der die Natur und ihre Gaben mehr sind als Treibstoff für weitere Waren; in der unsere Zukunft mehr ist als etwas, über das man spekulieren kann. (…) Eine Zukunft jenseits des Kapitalismus beginnt mit einem postkapitalistischen Verständnis von Wert. Wert als Allgemeingut eröffnet den Menschen die Möglichkeit, gemeinsam neue, sinnvolle Wege zu finden, wofür wir hier sind. Und viele tun dies bereits. Wir müssen nur ihre Geschichten verfolgen.“ Artikel von Alex Pazaitis beim untergrundblättle am 26. Juli 2023 externer Link – letztlich geht Alex u.E. allerdings mit seiner Werttheorie zurück in die Zeit vor Marx und subjektiviert nur einen objektiven Umstand, nämlich den Tauschwert (wobei er auch noch den Fehler macht, den Tausch selbst mit der Entstehung des Kapitalismus gleichzusetzen; er ist wesentlich älter). Wohlwollend interpretiert drückt Alex sehr verworren die altbekannte linke Forderung aus, dass der Gebrauchswert – und nicht der Tauschwert – das Verhältnis der Menschen untereinander bestimmen sollte. Was er aber nicht so klar sagt (wobei er hier noch Graeber falsch interpretiert und Adam Smith, der genau das betont, nicht richtig versteht). Kritisch ist Alex subjektives Wertverständnis besonders deshalb zu sehen, weil Arbeit und Umwelt durch Eingriffe in die objektive wirtschaftlichen Abläufe verbunden werden müssen, wogegen sein „Wert als Allgemeingut“ den Gebrauchswert gegenüber dem Tauschwert nicht eindeutig Priorität einräumt, und so sein „postkapitalistischen Verständnis von Wert“ genaugenommen kapitalistisch bleibt. Dies liegt aber wohl eher an fehlender und fehlerhafter Theorie als an fehlendem Interesse oder Willen…

  • Für die Überwindung der Klimakrise: Arbeit neu denken, einen Postwachstumsweg aufbauen. Wie wir das hegemoniale System durch Pflege knacken 
    „… Der Kern der meisten Probleme unserer heutigen Gesellschaften ist der Produktivismus, eine Besessenheit, eine religiöse und selbstzerstörerische Inbrunst, die auf der Überzeugung beruht, dass wir mehr arbeiten müssen, um mehr zu produzieren, dass die unerbittlichen Bemühungen um das BIP unaufhaltsam und notwendig sind. Das Problem mit der Arbeit oder der Arbeiter*innenklasse ist, dass sie an diesem Prozess teilnimmt und ihn legitimiert. Historisch gesehen, weil sie dazu gezwungen wurde, oft durch brutale Gewalt, da sie alternativer Reproduktionsmittel und Macht, einer politischen Stimme und Werkzeuge für alternative und multiple soziale Organisationen beraubt wurde. Aber nichts, was von Menschen geschaffen wurde, kann nicht von ihnen entfaltet werden. Der Imperativ des Wachstums durch immer höhere Produktion war schon immer mit Ungerechtigkeit und der Opferung von Leben und Gesundheit der Menschen in den Fabriken verbunden (und heutzutage auch in den Büros, die die Förderprozesse verwalten oder einfach nur Bullshitjobs machen). Zumindest in den letzten Jahrzehnten ist es aber auch ein System, das das Leben auf dem Planeten bedroht. Wir müssen es abbauen. Wir müssen aufhören zu wachsen. Für den Planeten und für uns als Teil des Web of Life auf ihm. Wie ist das zu erreichen? Der Bereich und das Konzept der Fürsorge, und nicht die Arbeit als Abstraktion, die sich gleichzeitig auf gesellschaftlich nützliche oder schädliche Aktivitäten beziehen kann, scheint ein großes Potenzial zu haben, dieses Anliegen voranzubringen. (…) Natürlich stellt die Art und Weise, wie Pflege heute geleistet wird, auch neue Formen der modernen Sklaverei dar. Wie sonst ließe sich etwa Hausarbeit bezeichnen? 24 Stunden am Tag arbeiten, mit sehr wenig oder gar keinen Arbeitsrechten, eingesperrt im Privathaushalt anderer, die auch die Arbeitgeber*innen sind? In der Pflege können wir sehen, wie die Kernachsen der Diskriminierung wie Geschlecht, Klasse, Rassismus, Alter, Migrationsstatus usw. zusammenlaufen. Es ist der wachsende Bedarf an sozialer Betreuung, der heute die Schichtung der sozialen Reproduktion vorantreibt und die Menschen in diejenigen, die das Recht auf Betreuung haben, und diejenigen, die gezwungen sind, für andere zu sorgen, ohne dass ihre eigenen Bedürfnisse erfüllt werden, teilt. Dies geschieht jedoch, weil die Pflege, wie alles andere in diesem totalisierenden System, nach den Regeln des Marktes, des Wettbewerbs und der Ausbeutung eines Teils der Gesellschaft erfolgt, damit der andere Teil der Gesellschaft (die alltäglichen Minderjährigen) ihre Freiheit auf Kosten der anderen genießen kann. Natürlich sind wir gleichzeitig mit dem Extraktivismus der „natürlichen Ressourcen“ mit mehreren Prozessen des Pflegeextraktivismus konfrontiert. Übrigens, stammt der Name selbst aus der produktivistischen Denkweise, in der alles eine „Ressource“ ist, die im Produktionsprozess verwendet werden muss und die keinen Wert hat, bevor sie diesem Prozess unterworfen wird. (…)
    Ich bin der festen Überzeugung, dass die Pflege gleichzeitig der Riss im System ist. Die Fürsorgeklasse ist der Gegenpol zur Manager*innenklasse, wie uns David Graeber erklärt hat, denn sie ist die Arbeit innerhalb des gegenwärtigen Systems, die kein Bullshitjob ist. Auch wenn sie ungerecht organisiert ist, handelt es sich um gesellschaftlich nützliche Arbeit. Analog dazu kann das Konzept der Fürsorge dazu beitragen, die Grundlagen eines neuen Systems theoretisch zu konstruieren. Sie konzentriert sich auf die Erhaltung dessen, was wir haben, und nicht auf den Versuch, zu wachsen. Sie ist eine notwendige Tätigkeit in allen Gesellschaften. Wie die Anthropologin Margaret Mead feststellte, beginnt unsere Zivilisation mit der Pflege, denn die anderen Tiere „retten“ nicht ein anderes Tier, dessen Knochen gebrochen sind. Wir tun es. (…) Die Care-Arbeit erinnert uns daran, wie leer der Begriff der Arbeit im Kapitalismus ist, da er alle menschlichen Tätigkeiten nach ihrem Platz im Produktionsprozess ordnet und die Herstellung von Bomben mit der Herstellung eines Medikaments gleichsetzt. Am Ende, so diese Theorie, schaffen beide nur deshalb „Wert“, weil sie den Prozess der Produktion durchlaufen haben. Wenn wir Pflegearbeit mit anderen Arten von Arbeit vergleichen, spüren wir deutlich, dass diese radikale Reduzierung der Bedeutung, die hinter dem Konzept der Arbeit in produktivistischen Wirtschaften steht, etwas Falsches ist. Die Pflege gehört also zu den Tätigkeiten, die der Natur nicht schaden und die wir bereits ausüben, wenn auch im Moment nicht auf sozial gerechte Weise. Letztlich regelt ein Regime der sozialen Reproduktion, was, wie und von wem etwas getan wird. Und das ist es, was wir grundlegend ändern müssen. Der Bereich der Fürsorge zeigt auf, was unbedingt getan werden muss. Und wenn wir in der Lage sind, sie in den Mittelpunkt unserer Gesellschaft zu stellen, so dass sie einen hohen Stellenwert erhält, können wir auch unsere Identitäten um die Fürsorge und die Fürsorge herum aufbauen, anstatt danach zu streben, Eigentümer*innen und Arbeiter*innen zu werden, damit wir uns als „wertvolles soziales Wesen“ fühlen. Natürlich können wir uns gegenseitig, die abhängigeren Mitglieder der Gesellschaft und unsere Lebenspartner*innen auf viele verschiedene Arten versorgen, aber es wäre schwierig, sich „zu sehr zu kümmern“…“
    Artikel von Angelina Kussy vom 04. Juli 2023 in der Berliner Gazette externer Link
  • Die strategische Hypothese des ökologischen Gewerkschaftswesens: Wir brauchen eine sozial-ökologische Rationalisierung von Arbeit und natürlichen Ressourcen
     „… Die Einführung von Slogans wie „System Change Not Climate Change“ und „No Jobs on a Dead Planet“ durch die Klimabewegung weist auf das Problem der überkommenen Dichotomie Umwelt vs. Arbeit hin: Warum werden wir zu einer Arbeit gezwungen, von der wir wissen, dass sie schädliche ökologische (und damit soziale) Folgen hat? Warum werden inmitten einer planetarischen Krise keine Ressourcen organisiert, um die Neuorganisation der Arbeit anzugehen, die notwendig ist, um die Menge an ökologisch nützlicher (oder nicht-konsequenter) Arbeit zu erhöhen und die umweltkillende Arbeit zu eliminieren? Die Antwort ist, mit einem Wort, das Kapital. Es ist schließlich das Kapital, dessen Vorrecht es ist, menschliche und nicht-menschliche Ressourcen nach seiner eigenen Logik zu organisieren: für seine eigene endlose und immer weiter wachsende Akkumulation und Verwertung. Um Karl Marx zu paraphrasieren: Gibt es ein Gespenst, das wir beschwören können, um diese vampirähnliche Monstrosität auszutreiben, die nur lebt, wenn sie lebendige Arbeit aussaugt, und die umso mehr lebt, je mehr Arbeit – menschliche oder nicht-menschliche – sie aussaugt? Die Hypothese des Kommunismus stellte das revolutionäre Potenzial derjenigen Klasse der Menschheit vor, die ihre Arbeitskraft an das Kapital verkaufen muss, nämlich die Arbeiter. Mario Tronti erkannte, dass, auch wenn es den Anschein haben mag, dass die Arbeit vom Kapital abhängig ist, das Kapital letztlich von der Arbeit abhängig ist und alles in seiner Macht Stehende tun muss, um die Arbeit seinem Wunsch zu unterwerfen, das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur zu organisieren. Wir erkennen an, dass letztlich eine Vielfalt von Strategien und sozialen Subjekten mobilisiert werden muss, um das gegenwärtige System der Ausbeutung und Naturzerstörung zu überwinden. Dennoch schließen wir uns einem breiteren Chor an, der behauptet, dass den Arbeiter*innen in diesem Kampf eine zentrale Rolle zukommt, da sie das Potenzial haben, die Beziehung zwischen der Gesellschaft und der nichtmenschlichen Natur zu verändern. Schließlich ist es ihre Arbeit, die diese Beziehung überhaupt erst vermittelt – wenn auch auf Befehl des Kapitals. Um dies zu erreichen, dürfen wir, die Arbeiter*innen der Welt, „Natur“ nicht als etwas Ursprüngliches und Unberührtes betrachten, das außerhalb der Gesellschaft existiert. Vielmehr müssen wir verstehen, dass sie uns als die verdinglichte Welt der Waren umgibt, die unser tägliches Leben ausmachen. Sie sind die Artefakte des vom Kapital gesteuerten Arbeitsprozesses, in dem sich ökologische Arbeit und Ressourcen – seien sie sozial, biologisch, geologisch oder was auch immer – vereinen, um eine Ware zu produzieren, die das Kapital zu seinem eigenen Nutzen und auf Kosten des Lebens als Ganzes verkauft…“ Artikel von Antje Dietrich und Daniel Gutiérrez vom 6. Juni 2023 in Berliner Gazette externer Link
  • Gegen „Korrekturen“ des Kapitalismus: Arbeits- und Umweltkämpfe verbinden, Umweltzerstörung durch neue Zyklen der Kapitalakkumulation beenden
    • Politiken der Prefiguration: Die Überschneidung von Arbeits- und Umweltkämpfen erfinden
      „Für die gegenwärtige Diskussion über die Verbindungen zwischen Arbeiter*innen- und Umweltkämpfen können diverse historische Momente als Lehrmaterial verwendet werden. Beispielsweise erinnert der “Battle of Seattle” aus dem Jahr 1999 daran, dass diese Verbindungen nicht so schwer herzustellen sind, wie sie heute manchmal scheinen. (…) Diese Bewegung erreichte 1999 mit den Protesten gegen die Welthandelsorganisation (WTO) unter dem Motto “Teamster and Turtles” (“Teamster und Schildkröten”) ihren Höhepunkt. Die WTO-Proteste zielten darauf ab, einen nicht-demokratischen globalen Plan zu stoppen, der darauf abzielte, eine globale konzerngesteuerte Wirtschaftsregierung zu schaffen, die sowohl den Arbeiter*innenrechten als auch der Umwelt schaden würde. Der Plan wurde von den etablierten demokratischen und republikanischen Parteien in den USA unterstützt, und es gab kaum Kritik in den Mainstream-Medien. (…) Was das Ereignis tatsächlich berichtenswert machte, war die Tatsache, dass die konfrontativen Proteste Wirkung zeigten: Die WTO-Tagung wurde abgesagt und ihre schlimmsten Pläne wurden gestoppt. Während viele Gewerkschafter*innen und Mainstream-Umweltschützer*innen ihrer die Demokratische Partei unterstützenden Führung folgten und sich vom Zentrum des Protests entfernten, behauptete sich eine widerständige Besetzung des öffentlichen Raums, die durch die in den vergangenen Jahrzehnten von der anarchistischen Linken entwickelte soziale Praxis organisiert wurde. Der präfigurative öffentliche Protest, bei dem EarthFirst! und Reclaim the Streets zusammentrafen, hat den Tag für die Arbeiter*innen und die Umwelt gewonnen. Der Staat hatte nicht mit dieser Art von effektivem Widerstand gerechnet…“ Artikel von Marc Herbst vom 5. Mai 2023 in Berliner Gazette externer Link
    • Operaismus: Die Analyse der Klassenzusammensetzung und die technische „Erneuerung“ des Kapitals
      „… In diesem Beitrag wenden wir die operaistische Methode der Klassenzusammensetzungsanalyse auf die Frage nach den Organisationsformen einer Umweltbewegung der Arbeiter*innen an. Operaismo – auch unter dem Englischen Begriff workerism bekannt – ist voller Zweideutigkeiten, interner Vielfalt und blinder Flecken (wie sein eigener feministischer Strang schon früh richtig und polemisch feststellte). Für uns, die wir damit aufgewachsen sind, ist dieser Ansatz nur ein Ausgangspunkt, um andere Traditionen zu erreichen, die von anderen Menschen und Orten stammen als den italienischen Fabriken, Gemeinden und Universitäten, in denen er in den 1960er Jahren seinen Ursprung hatte. In diesem Sinne halten wir fest, dass einer der Operaista-Beiträge, die auch heute noch wertvoll sind, das Prinzip ist, dass die Organisationsformen ständig aktualisiert werden sollten, um mit den Veränderungen der Zusammensetzung der Arbeiter*innenklasse an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten Schritt zu halten. Folglich ist der Operaismus nicht von Natur aus gewerkschafts- oder parteifeindlich, wie es die heute so beliebten oberflächlichen Klischees glauben machen wollen, sondern er hat vielmehr einen flexiblen Ansatz, bei dem in der Geschichte der von ihm inspirierten politischen Interventionen viele verschiedene Formeln ausprobiert wurden. Die Methode besteht darin, die Arbeiter*innen-Untersuchungen über die Klassenzusammensetzung in einem bestimmten Kontext durchzuführen, politische und organisatorische Vorschläge zu formulieren und ihre Wirksamkeit durch Versuch und Irrtum zu testen. Es handelt sich also um einen Prozess des ständigen Austauschs zwischen der Produktion von Wissen und der politischen Intervention. (…)
      Die Dialektik zwischen Klassenkampf und technologischer Innovation
      Um zu verstehen, was sich seitdem geändert hat, müssen wir uns daran erinnern, dass die Untersuchung der Klassenzusammensetzung als “Umkehrung” der Analyse der Kapitalzusammensetzung von Karl Marx entstanden ist: das Verhältnis zwischen Produktionsmitteln und lebendiger Arbeit. Nach Marx’ “allgemeinem Gesetz der kapitalistischen Akkumulation” neigt der Kapitalismus dazu, die Produktivität der Arbeit durch technologische Entwicklung zu steigern, was wiederum die Prekarität der Beschäftigung erhöht. Marx fasst zusammen: “Je höher die Produktivität der Arbeit, desto größer ist der Druck der Arbeiter*innen auf die Arbeitsmittel, desto prekärer wird also ihre Existenzbedingung.” Dieses “Gesetz” kann durch eine Reihe von mehr oder weniger kontingenten Gegentendenzen konterkariert werden, aber es ist eine konstante Kraft im Kapitalismus, deren Auswirkungen in Ermangelung ausreichend starker Gegentendenzen sichtbar werden. In jedem Fall kann es als ein Gesetz mit zwei dialektisch miteinander verknüpften Gesichtern betrachtet werden, da es sich auf die gemeinsame Entwicklung der Kapitalzusammensetzung (die Produktion wird im Durchschnitt kapitalintensiver) und der Klassenzusammensetzung (der steigende Anteil der überflüssigen Arbeiter*innenklasse) bezieht. (…)
      Die Beispiele für die Dialektik zwischen Klassenkampf und technologischer Innovation sind vielfältig, vom tayloristisch-fordistischen Fließband bis hin zur numerischen Steuerung, der Containerisierung oder – in jüngerer Zeit – dem algorithmischen Management. In Bezug auf die ökologische Krise ist der Energiebereich jedoch wahrscheinlich der wichtigste Bereich. Andreas Malm zufolge hat die Kohle die Wasserströme als Standard-Energiequelle in der Industrie abgelöst, weil das Kapital auf der Suche nach billigen Arbeitskräften mobil sein musste, und zwar in einem Kontext, der durch zunehmende Arbeitsunruhen gekennzeichnet war: “Der Kampf gegen die Arbeit*innen verlangte nach Maschinen, die nach Dampfkraft verlangten, die nach Kohle verlangte, was wiederum mit dem Wachstum der Industrie einherging.” (Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass diese Analyse, so hilfreich sie auch sein mag, den Kolonialismus als Bedingung für die industrielle Großproduktion in Großbritannien ausblendet). In ähnlicher Weise entschlüsselt Timothy Mitchell die (teilweise) Substitution von Kohle durch das flüssigere Öl und Gas als eine technologische Entwicklung, die darauf abzielt, die “Macht des Widerstands” der Arbeiter*innen zu neutralisieren, indem die Engpässe im Energiefluss minimiert werden, wobei die Pipeline ein Mittel zur Umgehung der Starrheit der Arbeiter*innenklasse ist…“
      Artikel von Emanuele Leonardi vom 18. April 2023 in Berliner Gazette externer Link („Konvergierende Kämpfe: Ökologische Politik, technologische Entwicklung und die Zusammensetzung der Arbeiter*innenklasse“). Siehe auch

  • Für den ÖPNV streiken heißt fürs Klima streiken
    • Das Bündnis von ver.di und Fridays for Future geht in die nächste Runde und zeigt: Klimaschutz und gute Arbeitsbedingungen gehören zusammen.
      Streik in der Schule, Streik im Betrieb – der Slogan, der die Klimabewegung schon lange begleitet, wurde am 3. März zum ersten Mal Realität. In über 40 Städten streikten Schüler*innen von Fridays For Future Seite an Seite mit Beschäftigten des ÖPNV. Parallel zum globalen Klimastreik von Fridays For Future hatte ver.di bundesweit zu einem Aktionstag unter den Nahverkehrsbeschäftigten aufgerufen – und in sechs Bundesländern auch zum Warnstreik. Unter dem Motto #wirfahrenzusammen setzten Aktivist*innen und Beschäftigte ein gemeinsames Zeichen für bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV und für eine Mobilitätswende als unverzichtbaren Bestandteil einer sozial gerechten Klimapolitik. In einem gemeinsamen Redebeitrag beim Klimastreik in Leipzig brachten ein Azubi der Leipziger Verkehrsbetriebe und eine FFF-Aktivistin diese Botschaft auf den Punkt: „Die schlechten Arbeitsbedingungen bei der LVB machen uns genauso fassungslos wie das kontinuierliche Versagen in der Klimapolitik.“ Die gemeinsamen Streiks sind ein Meilenstein auf dem Weg zu einer sozial- und klimagerechten Verkehrswende. Dass die Allianz um ver.di und FFF mittlerweile echte Schlagkraft aufbaut, zeigt nicht zuletzt die Reaktion der Gegner*innen: So warf die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände dem Bündnis im SPIEGEL eine „gefährliche Grenzüberschreitung“ vor, während die SZ titelte: „So streiken Verdi und Fridays for Future die Verkehrswende kaputt“. (…) Die Beschäftigungsverhältnisse im ÖPNV waren bereits vor der Inflation enorm prekär. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass es bis 2030 kaum noch Bus- und Straßenbahnfahrer*innen geben wird, wenn der Beruf nicht an Attraktivität gewinnt. Dafür wäre es dringend notwendig, dass die Beschäftigten endlich gerechten Lohn und die verdiente Anerkennung bekommen – denn ohne sie kann es auch keine Verkehrswende geben. Die seit Jahren steigenden Ticketpreise belasten zudem vor allem die einkommensschwachen Bevölkerungsteile. (…) Eine Kampagne, die verschiedene Machtressourcen unter einem gemeinsamen Anliegen –  einer sozial-ökologischen Mobilitätswende – zusammenbringt, kann unter den aktuellen gesellschaftlichen Umständen eine neue Richtung weisen. Die Bereitschaft, sich auf ein solches Bündnis einzulassen, ist unter Beschäftigten und Aktivist*innen entsprechend groß, möglicherweise um einiges größer als letztes Mal. Seit Oktober arbeiten zahlreiche Aktivist*innen und Kolleg*innen daran, die Kampagne #wirfahrenzusammen in eine neue Runde zu führen. An immer mehr Orten entstehen lokale Vernetzungen (am 3. März fanden bereits in über 40 Städten gemeinsame Aktionen von FFF und ver.di statt), in regelmäßigen Mega-Zooms werden die nächsten Schritte geplant und über die letzten Monate wurden unzählige Klima-Aktivist*innen in Organizing-Methoden geschult. In einigen Bundesländern streiken schon jetzt ÖPNV-Beschäftigte anlässlich der Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Dort organisieren bereits unzählige Klima-Aktivist*innen Unterstützung für die Streikenden: mit Kaffee am Streikposten, Solidaritätsbekundungen auf den Demonstrationen, mit Haltestellengesprächen und Postkartenaktionen, um auch in der Stadtgesellschaft um Verständnis für die Streiks zu werben. Ihren eigentlichen Höhepunkt wird die Kampagne aber erst im kommenden Jahr erreichen, wenn Anfang 2024 die Verhandlungen in der Tarifrunde Nahverkehr anstehen. (…) Eine essenzielle Idee hinter der #wirfahrenzusammen-Kampagne ist eine breite Politisierung der Tarifrunde im Nahverkehr – als ein gesellschaftspolitisches Anliegen, das weit über die betriebliche Ebene hinausgeht. Inspiration für einen solchen „Streik fürs Gemeinwohl“ ist die Gewerkschaft United Teachers LA in den USA, die 2019 neben höheren Löhnen auch kleinere Klassen, Grünflächen in den Schulen und Sanierung und Neubau von Schulgebäuden unter enger Einbindung der Schüler*innen und Eltern erstreikt haben (vgl. Zeise 2022).. In der Tarifrunde ÖPNV könnten die Kolleg*innen gemeinsam mit der Klimabewegung, mit Verkehrs-Initiativen oder der Stadtgesellschaft auch Forderungen wie den Ausbau des Streckennetzes oder die Taktung der Bahnen und Busse in ihren Kampf aufnehmen. Die Lehrer*innen in Los Angeles haben diese gemeinsamen politischen Anliegen – obwohl sie kein Bestandteil des offiziellen Forderungskatalogs waren – zur Grundbedingung von Verhandlungen gemacht: Sie haben erst dann über Löhne verhandelt, als die Politiker*innen den anderen Forderungen zugestimmt hatten. Genauso könnte ein Bündnis aus streikenden ÖPNV-Beschäftigten und protestierender Klimabewegung vorgehen: Es müsste zunächst eine Zusage für den Ausbau des ÖPNV durchsetzen, bevor in den tariflichen Verhandlungen die Arbeitsbedingungen erstreikt werden, die die Beschäftigten verdienen…“ Artikel von Nathalie Steinert in der Zeitschrift Luxemburg vom April 2023 externer Link
    • Siehe zum Hintergrund unser Dossier: [Endlich gemeinsam!] Montag, 27. März 23: Megastreiktag – ver.di und EVG rufen gemeinsam zu Verkehrs- und Infrastrukturstreiks im gesamten Bundesgebiet auf  
  • »Kritik der politischen Ökologie« − jenseits von Green New Deal und Ökosozialismus? 
    Der kürzlich verstorbene Bruno Latour und Nikolaj Schultz haben jüngst ein »Memorandum« vorgelegt, das in seiner Zuspitzung auf den »Hauptwiderspruch« Ökologie ebenso radikal ist  wie die – durchaus nachvollziehbaren – Aufrufe zu mehr Militanz etwa des Ökomarxisten Andreas Malm (»Wie man eine Pipeline in die Luft jagt«, Berlin 2020). (…) Eine von der globalen Arbeiterklasse im weiteren Sinne (also inkl. unbezahlten Reproduktionsarbeiter:innen, Subsistenzwirtschafter:innen vor der Proletarisierung, Schuldknechten und Sklav:innen etc.) dominierte Bewegung, die durchaus im Bündnis mit einzelnen Fraktionen anderer Klassen stehen kann, formiert sich durch artikulierten Machtanspruch im Sinn einer power to do, nicht einer power over zu einer Partei im Marxschen Sinne, die den Anspruch hat, hegemonial zu werden,  um die Welt zu verändern. Im Memorandum spiegelt sich dies in der sehr nachvollziehbaren Feststellung, dass die »ökologische Klasse« eine ganz andere Form von Staat, man könnte auch sagen, einen Nicht-Staat, bräuchte, was, siehe oben, aber mit den »grünen« Parteien eben nicht zu machen ist…“ Artikel von Torsten Bewernitz  in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 3-4/2023

  • Multiple Krisen? Warum der postfossile Übergang eine sozialistisch-ökologische Planung braucht 
    „… Der derzeitige Übergang zu kohlenstoffarmen Gesellschaften wird, wenn er tatsächlich vollständig umgesetzt wird, viele der wenigen verbliebenen Hochburgen der Arbeiter*innenmacht sowohl im globalen Norden als auch im globalen Süden betreffen: Öl- und Mineralölgesellschaften, die Automobilindustrie, den Kohlebergbau. Eine wirklich weitreichende Variante eines solchen Übergangs würde auch eine erhebliche Reduzierung des Straßen- und Schiffsverkehrs mit sich bringen. Die entscheidende Frage ist daher, wie wir vermeiden können, dass die Post-Carbon Transitions auf dem Rücken der globalen Arbeiter*innenklasse ausgetragen werden, wodurch mehr von ihrer Verhandlungsmacht gegen die Exzesse des Kapitalismus verloren ginge und erneut die ärmeren Schichten der Gesellschaft betroffen wären und nicht zuletzt die wenigen Reste von Wohlfahrt und sozialer Sicherheit untergraben würden. Eine Möglichkeit, dies zu verhindern, wäre eine sozialistische ökologische Planung, die es ermöglicht, festzulegen, in welchen Bereichen und Sektoren Emissionen und wirtschaftliche Aktivitäten reduziert werden sollen. Zum Beispiel mehr Investitionen in den öffentlichen Verkehr als in den Individualverkehr, weniger Kohleabbau und Fleischproduktion. Eine generelle Umstellung von der Güterproduktion hin zu Pflege und persönlichen Dienstleistungen wäre ein Leitmotiv, und damit auch eine Verlagerung von Arbeitskraft aus bestimmten Sektoren und Branchen in andere. (…) Um dies zu erreichen, steht die sozialistische ökologische Planung vor drei großen Herausforderungen: 1. Im Gegensatz zur kapitalistischen Planung ist die sozialistische ökologische Planung nicht auf Profit ausgerichtet. Die sozialistische Planung verfolgt mehrere Ziele, und es ist eine enorme Herausforderung, die Konflikte zwischen diesen Zielen zu lösen. Verschiedene Teile der Gesellschaft werden von sozial-ökologischen Übergängen in unterschiedlicher Weise betroffen sein, was zu potenziellen Interessenkonflikten führen wird. Sozialistische Planung erfordert die Entwicklung demokratischer Verfahren, um diese divergierenden Interessen zu moderieren und eine Hierarchie der Bedürfnisse in der Gesellschaft aufzustellen und die Pläne entsprechend zu strukturieren. 2. Wer trifft die Entscheidungen über die Planung? Soziale Bewegungen, Gewerkschaften, nationale Regierungen oder alle drei? Was ist mit Kirchen und religiösen Gruppen? Alle zentralisierten Planungsinstitutionen würden so viel Macht haben, dass sie Anreize für den Missbrauch dieser Macht bieten. Andererseits wird in Ermangelung von Marktdisziplin eine andere Form der Disziplin erforderlich sein, um zu gewährleisten, dass die sozialen und ökologischen Ziele der Planung umgesetzt werden. 3. Die Schnelligkeit und Wirksamkeit von Entscheidungen steht im Widerspruch zu einer partizipativen Debatte über die Ziele der Planung. Armut und soziale Ungleichheit sind dringende Bedürfnisse, und auch die ökologische Krise ist dringend. Aber Demokratie und politische Partizipation brauchen Zeit und Debatten. (…) Um diese drei Fragen zu bearbeiten, werde ich mich zum Teil auf die Schriften des Sozialisten Otto Neurath und auf die Arbeiten zeitgenössischer Wissenschaftler*innen stützen, die seine Ideen im Lichte der ökologischen Ökonomie diskutieren. (…) Angesichts des allgemeinen Scheiterns marktwirtschaftlicher ökologischer Lösungen und des Aufschwungs verschiedener autoritärer Konzepte verspricht die sozialistische ökologische Planung, ein Gleichgewicht zwischen menschlichem Wohlergehen und ökologischen Belangen herzustellen. Einige ökologische Maßnahmen führen zu unmittelbaren Vorteilen für das menschliche Wohlergehen, während andere zumindest mittelfristig den Belangen des menschlichen Wohlergehens zuwiderlaufen. Nur mit praktischen Lösungen und Vorschlägen für die drei Widersprüche, mit denen die sozialistisch-ökologische Planung konfrontiert ist, kann das Gleichgewicht zwischen sozialer und ökologischer Entwicklung erreicht werden.“ Artikel von Jörg Novak vom 15. März 2023 in der Berliner Gazette externer Link
  • Internationaler Wissenschaftsrat: Naturkatastrophen nehmen zu, aber die Welt ist nicht darauf vorbereitet – wie sieht es mit der Arbeiter:innenbewegung aus?
    • „Die Welt ist nicht ausreichend auf die zunehmenden Naturkatastrophen vorbereitet, so ein am 28. Februar veröffentlichter Bericht. Er fordert ein Umdenken beim globalen Risikomanagement. Im Jahr 2015 beschloss die internationale Gemeinschaft globale Ziele, um die Zahl der Todesopfer und Schäden bis zum Jahr 2030 zu senken. In einer Erklärung, die als Sendai Framework bekannt ist, sollte in die Risikobewertung und -minderung sowie in die Katastrophenvorsorge investiert werden. Laut dem Bericht des Internationalen Wissenschaftsrats (ISC) ist es jedoch „bei den derzeitigen Trends ist es höchst unwahrscheinlich, dass wir die Ziele des Sendai-Rahmenwerks bis 2030 erreichen werden.“ Der ISC ist ein Zusammenschluss von Dutzenden von wissenschaftlichen Organisationen. Mehr als 10.700 Katastrophen haben seit 1990 weltweit über sechs Milliarden Menschen betroffen. Das geht aus den Daten des Büros der Vereinten Nationen für Katastrophenvorsorge hervor. Überschwemmungen und Stürme, die durch den Klimawandel noch verschlimmert wurden, führen die Liste der Katastrophen an. Sie machen 42% der Gesamtzahl aus.
      Die sich häufenden Katastrophen machen „hart erkämpfte Entwicklungserfolge in vielen Teilen der Welt wieder zunichte“, heißt es in dem Bericht. Der Präsident des ISC, Peter Gluckman, sagte unterdessen: Viel zu wenig Aufmerksamkeit und Investitionen fließen in die langfristige Planung und Prävention, von der Verschärfung der Bauvorschriften bis hin zur Einführung von Gefahrenwarnsystemen. (…) Ein Ende Januar von der UN-Generalversammlung veröffentlichter Bericht stellt außerdem fest, dass die Länder nicht auf dem richtigen Weg sind, um die Ziele des Sendai-Rahmens zu erreichen. Heute steigt die Zahl der Menschen, die jedes Jahr von Katastrophen betroffen sind. Gleichzeitig steigen auch die Kosten für direkte Schäden, die zwischen 2015 und 2021 durchschnittlich 330 Milliarden Dollar pro Jahr betragen.“
      Artikel von Glen Black vom 1. März 2023 auf The Canary externer Link („Natural disasters are increasing but the world isn’t prepared, a new report says”)
    • Anlässlich des Klimastreiks am 3. März 2023 dokumentieren wir vier Artikel und Berichte, die sich mit dem Stand des Klimaklassenkampfes seitens der Arbeitenden beschäftigen:
      • Für die Texas Environmental Workers Union geht es um den Kampf gegen fossile Brennstoffe und die Bosse
        “Nachdem die Texas Campaign for the Environment (TCE) ihre Gewerkschaft fünf Monate lang nicht anerkannt hatte, stimmten die Mitglieder der Texas Environmental Workers Union einstimmig einem eintägigen Streik zu, der am 6. Februar 2023 stattfand. Der Produzent von Working People, Jules Taylor, hat sich im Vorfeld des Streiks mit Brandon Marks und Chloe Torres für ein persönliches Interview getroffen, um über den Kampf der Mitglieder der Texas Environmental Workers Union an ihrem Arbeitsplatz zu sprechen. Die Gewerkschaftsmitglieder bitten die Zuhörer/innen, ihren Brief zu unterschreiben, in dem sie die TCE auffordern, ihre Gewerkschaft anzuerkennen, und in Erwägung zu ziehen, für ihren Streikfonds zu spenden. Die Texas Environmental Workers Union wird mit Stolz von den Communications Workers of America vertreten…” engl. Interview von Jules Taylor mit Mitgliedern von Texas Environmental Workers Union vom 21. Februar 2023 auf The Real News externer Link
      • Gewerkschaften werden gebraucht, um die Herausforderungen des Klimawandels und der menschenwürdigen Arbeit im Bergbau zu lösen
        „IndustriALL bringt eine beträchtliche Anzahl von Bergbaugewerkschaften aus Subsahara-Afrika zur Investing in Africa Mining Indaba und zur Alternative Mining Indaba in Kapstadt, Südafrika, um Vorschläge für Wege zur Bewältigung der Auswirkungen des Klimawandels in der Arbeitswelt des Bergbaus sowie der ESG-Auswirkungen zu diskutieren. Da die Auswirkungen des Klimawandels und der Industrie 4.0 die Bergbauindustrie verändern, sollten die Bergbauunternehmen diese Auswirkungen nicht als Vorwand für den Abbau von Arbeitsplätzen nutzen, sondern gemeinsam mit den Gewerkschaften und Gemeinden Maßnahmen für einen gerechten Übergang erarbeiten…“ (engl.) Bericht von IndustriALL vom 2. Februar 2023 externer Link
      • Internationalistische Bewegungen? Klimakrise, Arbeiter*innenklasse und Produktionsmittel
        „… Ökologische Reformen im Interesse der Mehrheit der Menschheit sind prinzipiell unmöglich, solange die kapitalistische Ordnung so bleibt, wie sie ist. Daher sind die umweltbewussten sozialen Bewegungen der Generation Greta Thunberg gefordert, eine tiefgreifende Neuorientierung vorzunehmen und sich mit den Arbeiter*innenbewegungen im Globalen Norden und im Globalen Süden zu verbinden. Letztlich bedeutet dies den Aufbau neuer internationalistischer Bewegungen, die von der potenziellen Macht derjenigen inspiriert und angetrieben werden, die sich der Produktionsmittel bemächtigen und die kapitalistische Ordnung als solche herausfordern könnten.Artikel von Boris Kagarlitsky vom 26. Januar 2023 in Berliner Gazette externer Link
      • Gegen Öko-Apartheid, oder: Für internationalistische und multirassische Arbeiter*innenkämpfe
        „… Anstelle eines individualistischen, inkrementalistischen und imperialistischen Liberalismus müssen wir die Klimakrise und das drohende Aussterben von einer Million Arten als Folge des extraktivistischen Kolonialismus und Kapitalismus angehen. Die Dekarbonisierung würde notwendigerweise eine Entmilitarisierung, Entkerkerung und Entkolonialisierung erfordern, weil die Klimakrise ein Symptom und nicht die Ursache unserer existenziellen Krise ist…“ Artikel von Harsha Walia vom 24.Januar 2023 in Berliner Gazette externer Link
      • Siehe am 3.3.23 in Deutschland: Globaler Klimastreik und Aktionstag im Nahverkehr am 3. März: Gewerkschaften und Klimabewegung kämpfen gemeinsam für Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit
  • Arbeit und die Eigentumsfrage: Streiken allein reicht nicht. In Zerstörerbranchen braucht es keine besseren Arbeitsbedingungen, sie gehören abgeschafft.
    „… Haupttäter:Innen der Umweltzerstörung sind mächtige Konzerne. Um Kollapse des Klimas, der planetaren Ökosysteme und darauffolgen zivilisatorischer Leitplanken entgegenzuwirken und sie im besten Falle zu verhindert, muss die Macht – allem voran fossiler, agroindustrieller und Techkonzerne – gebrochen werden. (…) Im Mittelpunkt dieser Entwicklung steht die Verteilung von Eigentum. So liegt in der Eigentumsverteilung die Ursache für vielerlei gesellschaftliche, ökonomische und auch ökologische Missstände. Daraus lässt sich schließen, dass die Bearbeitung der Eigentumsfrage und die Neukonstellation von Eigentumskonzepten unabdingbar für die lösungsorientierte Bearbeitung genannter und weiterer Krisenphänomene und Problemkonglomerate ist. Die kolonial-kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung von, als minderwertig eingestuften Individuen, Gruppen, Gemeinschaften, Völkern und Ethnien, ist u.a. durch die Definition von Eigentum ermöglicht wurden. Eigentum fungiert, vor allem seit der Auflösung der Allmende, als Mittel Natur und Menschen zu beherrschen, zu unterwerfen, bis zur Bedingungslosigkeit über sie zu verfügen und Vorangegangenes auszulöschen. Die Schlussfolgerung liegt nah, dass erstens die Eigentumsfrage vom Kopf auf die Füße gestellt werden muss. Wer besitzt Strukturen und entscheidet über die Art und Weise ihrer Nutzung? Zweitens muss bei dieser Bearbeitung eine Unterscheidung zwischen Arbeitsplätzen in kritischer Infrastruktur und Arbeitsplätzen in Zerstörerbranchen vorgenommen werden. Welchen Wert oder Zerstörungsanteil hat das jeweilige Berufsfeld und wie können Zerstörbranchen schnellstmöglich stillgelegt werden? (…) Das zivile Demontieren von Zerstörerbranchen kann eine schlagkräftige Herangehensweise sein, insofern drei Komponenten erfüllt sind. Erstens ist es dringend geboten, dass Gewerkschaften ihre Rolle hinterfragen. Wenn ihre Aufgabe weiterhin einzig darin besteht, in Zerstörerbranchen um den Erhalt von Arbeitsplätzen oder deren bessern Bedingtheit zu kämpfen, dann sind sie mehr Teil des Problems als der Lösung. Was ist der transformative Mehrwert einer Gewerkschaft, die die Bedingungen in Konzernen zu verbessern versucht ist, deren Existenz das grundlegende Problem ist? Statt das Verdi, DGB und Co Arbeiternehmer:Innen in Zerstörerbranchen zum Streiken animieren, ist es den reellen Problemstellungen gegenüber erforderlich nach Möglichkeiten zu suchen, aus den Arbeitsverhältnisse rauszukommen. Zweitens ist es auch ohne gewerkschaftliches Zutun erforderlich, dass Arbeitnehmer:Innen ihre Rolle als transformative Kraft und ihre Verantwortung als mehrheitlich jene Generation wahrnehmen die in unterschiedlichen Ausformungen Kompliz*innen der ökologischen Zerstörung sind. Letzteres vor allem in ihrer Rolle als Konsument:Innen, Erwachsene, Eltern, Großeltern u.a. Sie sind angehalten, nach Möglichkeiten zu suchen, in ihrer beruflichen Tätigkeit fern dieser Zerstörerbranchen ihre Berufung zu finden. Ob kollektiv oder individuell, ökologische Arbeitskämpfe in Zerstörerbranchen müssen, auf die weiträumige Beendigung ihrer Existenz hinarbeiten. Drittens ist auch der Staat dazu aufgerufen nach Möglichkeiten zu suchen Zerstörerbranchen weiträumig zu schließen, und zwar so, dass es für die Arbeitnehmer:Innen akzeptable und verträgliche Übergänge gibt. Dies könnte mittels einer Umschulungsrevolution ihren Anfang nehmen und einen Rahmen bekommen. (…) Statt Arbeits- und Fachkräftemangel auf der einen und die Form von Arbeit auf der anderen Seite separat zu behandeln, müssen sie zusammengeführt werden. Es braucht dringend eine Umschulungsrevolution, die Zerstörerbranchen und Quietschentchen-Industrien schnellstmöglich und sozialverträglich schließt und den Arbeiter:Innen neue Zukunftsperspektiven bietet de zugleich der Anker für eine sozialökologische Revolution sein werden…“ Artikel von Tino Pfaff vom 3. Februar 2023 in der Freitag-Community externer Link
  • Klima und Klasse: ›Wir brauchen breite gesellschaftliche Bündnisse‹ – ›Justice is Global‹ will aktive Beschäftigungsbündnisse gegen die Klimakatastrophe
    In der Soz Nr. 02/2023 erläutert Georg Rainov von »Justice is Global Europe« externer Link die Ziele und Erfahrungen seiner Arbeit in der Organisation: „… Unsere Organisation gibt es seit 2020. Wir sind ein Ableger von Justice is Global U.S., die wiederum ein Teil des US-Organigramms People’s Action sind, eine nationale »Grassroots-Organizing«-Plattform. Neben dem klassischen, nach außen gerichteten Organizing arbeiten wir auch für unsere interne Entwicklung im Bereich »leadership development« – wofür es leider keinen guten deutschen Begriff gibt. (…) Ich bin zur Zeit als Werkstudent bei Justice is Global tätig. Bisher sind wir vor allem in Deutschland aktiv. (…) Beim Erstarken der Klimabewegung 2018 wurde ich erstmals aktiv. Damals war ich in England für ein Auslandsjahr. Für mich war Klima das Überproblem unserer Zeit. Ich fand die Klimabewegung schön, war aber unzufrieden, wie das vor Ort ausgetragen wurde – das war in einem studentischen Kontext. Da wurde über normale arbeitende Menschen mit relativ niedrigem Einkommensniveau abgelästert. (…) Für Klimamaßnahmen müssen wir aber die Mehrheit der Leute abholen. Bei Justice is Global ist dieses Grundverständnis vorhanden, dass soziale Belange berücksichtigt, dass Klima und Klasse zusammengedacht werden müssen. Arme Leute sind stärker vom Klimawandel betroffen, sowohl global gesehen als auch innerhalb der Länder des globalen Nordens. Außerdem ist es so, dass die Durchsetzung von Klimapolitik eine andere ist, wenn Klimaaktivist:innen gemeinsam mit Beschäftigten und Gewerkschaften auftreten. (…) Wir überlegten uns, an welchem Ort sich die Transformationskonflikte rund um den Wandel in der Automobilindustrie zuspitzen. Da war Eisenach einer der herausragenden Orte, außerdem ist es zentral gelegen und aus allen Richtungen gut erreichbar. (…) Im Laufe der Arbeit lernten wir Leute in Eisenach kennen, inzwischen arbeitet eine Person fest bei uns mit. (…) Wir haben versucht, mehr über den jeweiligen Blick auf Transformationskonflikte herauszufinden – im allgemeinen, in bezug auf den Standort Eisenach, und auch auf die Klimabewegung. In den meisten Fällen war die Haltung nicht unbedingt abweisend, es gab eher Desinteresse oder neutrale Ansichten. Die Klimapolitik war einfach nicht der bestimmende Faktor. Es herrscht eine gewisse Resignation vor. (…) Wir haben uns dabei bemüht, uns in unserer Erzählung auf die Interessen von Beschäftigten und der Stadtgesellschaft zu konzentrieren und damit die negativen Erwartungen zu umgehen, die weite Teile der Bevölkerung leider gegenüber »Ökos« und Klimaaktivist:innen haben. Das hat uns vielleicht auch ein bisschen geholfen. Es gibt einen Mangel an Erfahrung und Vorbildern in Bezug darauf, wie man mit einer Industriegewerkschaft in einer untypischen Branche umgeht. Bei der Tarifrunde Nahverkehr ist die gemeinsame Interessenlage einfacher. Unser einziges Vorbild in Deutschland war die gemeinsame Aktion von Klimaaktivist:innen bei Bosch in München. (…) Blockaden oder Störaktionen mit Öffentlichkeitswirkung können ein Teil sein, aber darüber hinaus muss man breite gesellschaftliche Bündnisse suchen, auf Beschäftigte zugehen und versuchen, bei Arbeitskämpfen und Tarifauseinandersetzungen unterstützend zu wirken.“

  • Wenn Produktionsmittel nicht nur privat sind, sondern auch unser Klima verändern – Aufbau transnationaler Solidarität
    „… Internationale Zusammenarbeit ist in einer globalisierten Welt mehr denn je gefragt. Denn die Herausforderungen und Probleme haben immer eine transnationale Dimension und können daher nur durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit angegangen und bewältigt werden. Doch die Staaten sind mit sich selbst und einem zunehmend rücksichtslosen Wettbewerb untereinander beschäftigt. Basisbewegungen, Vereine, Solidargemeinschaften und Arbeiter*inneninitiativen sehen sich nach zwei Jahren Pandemie und steigender Inflation geschwächt und auf lokale Überlebenskämpfe zurückgeworfen. Auch die internationalen Organisationen sind mit den Herausforderungen überfordert; die UNO beispielsweise scheint, wie der Einmarsch Russlands in die Ukraine wieder einmal gezeigt hat, unfähig zu sein, gegen imperiale Aggressionen vorzugehen und den Imperialismus der Großmächte in seine Schranken zu weisen. Unterdessen steht die Lebensgrundlage einer wachsenden Zahl von Menschen auf der Welt auf dem Spiel, da die grundlegenden Überlebensmittel und die Gemeingüter im Allgemeinen zerstört werden. Die Arktis steht in einem scheinbar entfernten Zusammenhang, ist aber dennoch repräsentativ für diese Tendenz. Ihr Abschmelzen wird nicht zuletzt durch imperiale Mächte verursacht und beschleunigt, die danach streben, neue Seewege zu erschließen und Rohstoffvorkommen zu erobern, obwohl die UN-Seerechtskonvention diesen Raum als Gemeingut definiert und obwohl internationale Klimaschutzprogramme darauf ausgelegt sind, die Arktis zu erhalten, um – vor allem – einen unkontrollierten Anstieg des Meeresspiegels mit verheerenden Folgen für die Küstenregionen der Welt zu verhindern. Ethisch gesehen sollten die zwischenstaatlichen und zwischenimperialen Kämpfe zum Stillstand kommen und unverzüglich durch internationale Zusammenarbeit ersetzt werden. Doch da die Logik des Kapitalismus die Welt beherrscht, verschärfen sich diese Kämpfe, wodurch sich die ökonomisch-ökologischen Krisen verschärfen und Verarmung und Prekarisierung praktisch überall rapide zunehmen. Rechtspopulisten, die vorgeben, “das Volk” und “die Nation” retten zu wollen, instrumentalisieren diese Entwicklung und tragen auf ihre Weise dazu bei, dass der Internationalismus ins Hintertreffen gerät. Was bedeutet es, unter diesen Bedingungen transnationale Solidarität zu praktizieren und für universelle Gemeingüter zu kämpfen? Wo verlaufen internationalistische Horizonte? Welche Art von Organisationen könnten internationale Kooperationen ermöglichen? Diesen Fragen will das Jahresprojekt 2023 der Berliner Gazette (BG) “Allied Grounds” gemeinsam mit Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und Künstler*innen nachgehen. Aufbauend auf vergangenen Projekten wie “More World” (2019), “Silent Works” (2020), “Black Box East” (2021) und “After Extractivism” (2022) wird “Allied Grounds” den bereits begonnenen Dialog zwischen politischer Ökonomie und politischer Ökologie durch die Brille der Arbeit erweitern. (…)
    Wenn man über die Grenzen und Beschränkungen von Gewerkschaften nachdenkt, ist es von entscheidender Bedeutung festzustellen, dass diejenigen, die zunehmend die Mittel verlieren, die notwendig sind, um das Überleben zu sichern und den Kampf ums Überleben angesichts der ökologisch-ökonomischen Krisen zu führen, oft genau die Arbeiter*innen sind, die nie von einer Gewerkschaft vertreten wurden und wahrscheinlich auch nie von einer Gewerkschaft vertreten werden, entweder weil sie als “zu marginal” angesehen werden, wie weibliche Reinigungskräfte im Großbritannien der 1970er Jahre (Berwick Street Collective, 1975); oder weil sie illegalisiert sind, wie mobile Arbeiter*innen aus Osteuropa in der EU (Polina Manolova, 2021) und Arbeiter*innen ohne Papiere, die vor unzumutbaren Bedingungen in Ländern des globalen Südens geflohen sind und in Europa Asyl und Schutz gesucht, aber nie gefunden haben; oder weil sie ohne Bezahlung arbeiten und daher gar nicht als Arbeiter*innen gelten, wie Arbeiter*innem in der sozialen Reproduktion oder Nutzer sozialer Medien praktisch überall auf der Welt. Wenn wir nach Organisationsmodellen suchen, sollten wir das TriContinental nicht vergessen. Dieses wenig beachtete Bündnis für globale Gerechtigkeit entstand 1966 in Havanna auf einer Konferenz, die eine der größten Versammlungen von Antikolonialist*innen, Antiimperialist*innen und Antikapitalist*innen weltweit war. Im Vergleich zur Konferenz von Bandung (1955), die in gewisser Weise eine Fortsetzung war, war die TriContinental-Konferenz radikaler in ihrem Versuch, den Kapitalismus herauszufordern. Im Vergleich zur Bewegung der Blockfreien Staaten war die TriContinental-Konferenz weniger auf Nationalstaaten fixiert und beschäftigte sich mehr mit Befreiungsbewegungen, die noch keine staatliche Macht erlangt hatten. Mit der Organisation von Versammlungen, der Herausgabe von Aufklärungsmaterial wie einer einflussreichen Zeitschrift, der Verbindung von afroasiatischer und lateinamerikanischer Solidarität und vor allem der Unterstützung antikolonialer Kämpfe auf symbolischer, diplomatischer und logistischer Ebene verfolgte die TriContinental letztlich das Ziel, eine kommunistische Organisation aufzubauen, die auf eine internationale Revolution hinarbeiten sollte. Der Kampf der TriContinental gegen die globale kapitalistische Ausbeutung hat einen starken Strang des schwarzen internationalistischen Denkens und Organisierens hervorgebracht, der für die Zukunft des transnationalen politischen Widerstands von entscheidender Bedeutung sein könnte (Anne Garland Mahler, 2018).
    Wo also soll man ansetzen? Wenn soziale Bewegungen nur teilweise ausreichen, um Arbeitskämpfe auszudrücken und zu katalysieren, und wenn Gewerkschaften ebenfalls nur teilweise eine adäquate Vertretung von Arbeiter*inneninteressen bieten, dann scheint die wachsende Reibung von und in der Arbeitswelt nicht in der Lage zu sein, ihr produktives politisches Potenzial in diesen Organisationsformen voll zu entfalten. Unsere Herausforderung besteht darin, neu zu prüfen, wie diese Reibung in ein politisches Moment verwandelt werden kann, dem die bestehenden politischen Formen wie Gewerkschaften und soziale Bewegungen – würden sie neu erfunden oder zumindest repariert und erweitert – Rechnung tragen könnten. Dazu schlägt das BG-Projekt “Allied Grounds” vor, konventionelle Formen politischer Organisation im Dialog mit informellen und nicht- oder post-institutionellen Netzwerken zu betrachten, darunter solche im Bereich der reproduktiven und illegalisierten Arbeit sowie Bündnisse wie das TriContinental. Entscheidend ist, dass es sich bei letzterem um eine Anti-Schule handelt (was auch für die Nachfolgeorganisation Tricontinental Institute for Social Research gilt (Daniel Whittall, 2018), und es ist auch wichtig, dass gerade im Hinblick auf kapitalistische Strukturen der Ausbeutung, des Rassismus und der Ungleichheit hier das Lernen des Verlernens im Vordergrund stand.
    In diesem Sinne sollten wir in der Geschichte zurückgehen und das Archiv der politischen Organisation im Bereich der Arbeit neu zusammenstellen, indem wir zum Beispiel die Arbeiter*innen der kaukasischen Eisenbahn am Ende des 19. Jahrhunderts (Evelina Gambino, 2021), die 1905 entstandenen Arbeiterräte (nicht zu verwechseln mit den Betriebsräten), die Fabrik- und Arbeitsplatzbesetzungen ab 1920, die unsichtbare Organisation während der FIAT-Streiks 1959, der von der Situationistischen Internationale in Paris ausgerufene Generalstreik und die Arbeiter*innenkämpfe während des Prager Frühlings 1968, die Erfahrungen der politischen Fabrikkomitees in Italien in den 1970er Jahren, die Entstehung von Solidarność als Massenbewegung von Arbeiterinnen und Arbeitern im Jahr 1980 (Ewa Majewska, 2021), die unabhängigen Gewerkschaften, die während der Covid-19-Pandemie in Osteuropa entstanden (LevFem, 2021). Und wir sollten untersuchen, wie sich diese Episoden zu vergleichbaren Momenten im Globalen Süden verhalten, die so unterschiedlich sind wie der bewaffnete Aufstand von Sklavenarbeiter*innen in Haiti im Jahr 1794, die Kämpfe indentifizierter Vertragsarbeiter*innen aus Asien im kolonialen Afrika Ende des 19. Jahrhunderts, die antikolonialen Aufstände nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich der Produktionsmittel bemächtigten, die argentinischen Bewegungen der von Arbeiter*innen wiederhergestellten Unternehmen ab 2001, die Arbeiter*innenrevolten während des Arabischen Frühlings in Ägypten (Anne Alexander, 2021) und die Unruhen arbeitsloser Jugendlicher in Indien im Jahr 2022. (…) Unsere Leitfrage wird sein: Wenn die Produktionsmittel zu Mitteln der Klimaproduktion geworden sind, wie können wir – alle Arten von ausgebeuteten Arbeiter*innen auf der ganzen Welt – uns dann eben dieser Mittel bemächtigen und sowohl die ökosoziale als auch die dekoloniale Frage der Klimakrise angehen?“
    Artikel von Magdalena Taube vom 11. Januar 2023 auf Berliner Gazette.de externer Link („Gemeinsame Arbeitskämpfe? Die ökosoziale und dekoloniale Frage der Klimakrise“)
  • Für einen antimilitaristischen Klimaklassenkampf – Streiken für den grünen Wandel – Zeitschrift von Transnational Social Strike
    „… Diese Zeitschrift soll einen Raum für die Diskussion darüber eröffnen, wie ein transnationaler Klimaklassenkonflikt aussehen soll. Ein transnationaler Klimaklassenkonflikt ist nicht etwas, das wir bereits haben, sondern das, was wir am meisten brauchen. Das bedeutet nicht, dass wir bei Null anfangen müssen. Wir alle sind Teil von Klimabewegungen oder Organisationen, die ihre eigenen internationalen Verbindungen haben und die die Ökologie in den letzten Jahren zu einem grundlegenden Kampfterrain gemacht haben. Ermöglicht wurde dies durch die weit verbreitete Forderung nach einer Zukunft in sozialer und klimatischer Gerechtigkeit, die von Regierungen und Kapitalisten gegen bequeme Profite im Hier und Jetzt eingetauscht wird. Dies ist möglich geworden, weil wir uns dem Narrativ einer grünen Transformation entgegengestellt haben, die eine NetZero-Zukunft verspricht, während sie weiterhin Arbeitende, Frauen und Migrant:innen unterdrückt und ausbeutet und sich Ressourcen allein um des Profits willen aneignet. Die Klimabewegung hat sich viele Praktiken zu eigen gemacht, von Blockaden über Klimacamps bis hin zu globalen Streiks. Gleichzeitig drängen uns die Streiks und Proteste der Arbeitenden in den Bereichen Transport, Bergbau, fossile Brennstoffe und Kohle gegen die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, die unter dem Banner des grünen Übergangs legitimiert werden, dazu, darüber nachzudenken, wie wir die Grenzen unserer Initiativen erweitern können. Die Arbeitenden, die streiken, um ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren, kämpfen gegen ein System, das ihre Interessen gegen die ökologischen Bedürfnisse aller durch den Imperativ des grünen Übergangs ausspielt. Sie sind mit demselben System konfrontiert, das die Aktivist:innen ändern wollen, einem System, dessen Reproduktion auf der freien Arbeit von Frauen und auf den Löhnen aller Arbeitenden lastet. Hier liegt eine mögliche Verbindung, die politisch konstruiert und praktiziert werden muss. Seien wir uns darüber im Klaren: Die Aufgabe der Aktivist:innen besteht nicht darin, andere zu ‚belehren‘, wie sie den Kampf führen sollen. Vielmehr müssen sie, wie die deutschen Genoss:innen von IL betonen, dazu beitragen, „glaubwürdige, umsetzbare und konkrete Alternativen zum dominanten Narrativ“ zu schaffen, die helfen, Unterschiede zu überwinden. Unsere transnationale Klima- und Klasseninitiative muss sich damit abfinden und aus der politischen Verbindung dieser Unterschiede eine Kraft aufbauen.
    Deshalb sind wir der Meinung, dass eine Ablehnung der Klimapolitik Teil eines Kampfes gegen einen Krieg sein muss, der in der Ukraine mit realen Waffen geführt wird, und mit wirtschaftlichen und politischen Waffen auf der ganzen Welt. Heute ist der Kampf für eine Veränderung des Klimas der Gewalt, das der Krieg legitimiert, ein Kampf, der die Bedingungen für einen Klassenkampf schafft, der ansonsten von nationalen Konflikten erstickt wird. Unter dem Eindruck der drohenden Energie-‚Unsicherheit‘ haben sich Tempo und Umfang der von der EU und den nationalen Regierungen geplanten grünen Transformation geändert, die darauf abzielt, jede praktische Anfechtung ihrer Auswirkungen dem übergeordneten Interesse zu unterwerfen, ein stärkeres Europa innerhalb des Krieges aufzubauen. Der Streik ist eines der politischen Instrumente, die ökologische Bewegungen in diesen Jahren einsetzen, um ihre Ablehnung gegenüber dem Kapital und dem Unwillen der Staaten auszudrücken, den ‚Systemwechsel‘ über den ‚Klimawandel‘ zu stellen. Während es so klar ist wie eh und je, dass keine Regierung einen ‚gerechten Übergang‘ aus dieser von kapitalistischen, sexistischen und rassistischen Hierarchien verseuchten Gesellschaft heraus schaffen wird, steht noch zur Diskussion, was wir von einem Klimastreik erwarten können. Die weltweite Bewegung des feministischen Streiks gegen patriarchale Gewalt hat wesentlich dazu beigetragen, die Bedeutung und Reichweite des Streiks als sozialer Prozess zu erweitern, der darauf abzielt, die Säulen der Gewalt zu treffen, die die Gesellschaft ständig reproduziert. Wir denken, dass der Prozess des Klimastreiks, um weiter zu wachsen, in der Lage sein muss, die Linien des Klima- und Klassenkonflikts zu erfassen, die die transnationale Sphäre durchziehen, um die Weigerung zu verstärken, sich den gesamten sozialen Bedingungen zu unterwerfen, die durch den grünen Übergang auferlegt werden. Er muss den Ehrgeiz haben, die Kämpfe an den Arbeitsplätzen – und davon gibt es bereits viele im und gegen den Energie- und Fossilsektor, wie der französische Fall demonstriert – mit denen zu verbinden, die in allen von der grünen Transformation betroffenen Gebieten stattfinden, und über die Grenzen nationaler oder lokaler Auseinandersetzungen hinausgehen…“ …“
    Mit Beiträgen zu Kämpfen in der Ölindustrie, dem Logistiksektor und anderen Bereichen aus Bulgarien, Schweden, Italien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland – Broschüre von Transnational Social Strike vom Dezember 2022 externer Link („For a Climate Class Conflict. Strike the Green Transition!“)
  • Podcast zu De-Groth und Just Transition: Wie könnte es aus Sicht von Arbeitenden gestaltet werden?
    „Während die Menschheit auf eine Klimakatastrophe zusteuert, wird die Notwendigkeit, ökologisch nachhaltigere Gesellschaften und Volkswirtschaften zu schaffen, mit jedem Tag dringender. Unsere kollektive Vorstellungskraft ist jedoch oft so begrenzt, dass es unmöglich ist, sich Gesellschaften und Volkswirtschaften vorzustellen, die nicht auf Profitstreben und unendliches Wachstum ausgerichtet sind. Wie könnte also eine „Degrowth“-Wirtschaft aussehen? Für die einen ist „Degrowth“ ein Schimpfwort, das auf eine Zukunft der Sparmaßnahmen hindeutet, die zu enormen Verlusten an Arbeitsplätzen und wirtschaftlicher Stabilität für die arbeitende Bevölkerung führen würde, während die Gesellschaften versuchen, die wirtschaftliche Produktion zu drosseln, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels abzuwehren. Für andere könnte „Degrowth“ bedeuten, dass die Aktivitäten in den umweltschädlichsten Industrien wie der Öl- und Gasindustrie reduziert werden, während in anderen Bereichen wie dem Aufbau grüner Infrastruktur, der Umweltsanierung, der nachhaltigen Landwirtschaft usw. Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Aber wie so oft bekommt man nur selten zu hören, was die arbeitenden Menschen vor Ort zu diesen Themen zu sagen haben (…) Max spricht mit: Megan Milliken Biven, eine ehemalige Regierungsangestellte und Gründerin von True Transition, einer Organisation, die sich darauf konzentriert, direkt mit den Arbeitenden in der Öl- und Gasindustrie in den USA über ihre Arbeitsbedingungen, ihre Bedürfnisse in Bezug auf Ausbildung und Entlohnung sowie ihre Hoffnungen für die Industrie von morgen zu sprechen, und die sich dafür einsetzt, gut bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen und den Arbeitenden die Art von Ausbildung zukommen zu lassen, die sie für den Übergang in eine nachhaltige Energiezukunft benötigen; James Hiatt, der jahrelang in einer Ölraffinerie gearbeitet hat und sich jetzt mit der Louisiana Bucket Brigade für alternative Formen der wirtschaftlichen Entwicklung in Louisiana einsetzt, die nicht von der fossilen Brennstoffindustrie abhängig sind; und Clarke, ein langjähriger Berufstaucher, der über 15 Jahre lang vor allem für Öl- und Gasunternehmen im Golf von Mexiko gearbeitet hat, sich jetzt aber auf andere Formen des Berufstauchens verlegt.“ Podcast von Maximilian Alvarez vom 14. Dezember 2022 auf The Real News externer Link („What could a just transition to a ‘degrowth’ economy look like?“)

Hierzu außerdem (unter vielen) in LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=207789
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