Debatte über die Haltung der Industriegewerkschaften zum Thema Klimagerechtigkeit und Transformation

Dossier

"There are no Jobs on a dead Planet!"Genossinnen und Genossen, liebe deutsche Linke: Wir müssen reden. Und zwar über die Rolle der deutschen Industriegewerkschaften – allen voran der IG BCE und der IG Metall – im Kampf für globale Klimagerechtigkeit. (…) In den letzten Jahren ist eine Reihe progressiver sozialer Bewegungen entstanden, die diese Kämpfe vorantreiben. Zum Beispiel die Anti-Kohle- und Klimagerechtigkeitsbewegung. Oder die Anti-Auto- und Pro-Verkehrswende-Bewegung. Beide Kämpfe, für den Kohleausstieg und gegen die Autogesellschaft, sind zwar einerseits globale Gerechtigkeitskämpfe. Sie rufen aber andererseits den harten Widerstand genau der Akteure hervor, die in der Geschichte der gesellschaftlichen Linken bisher (mit Ausnahme einer kurzen Zeit nach 1968) üblicherweise mit Fortschritten im Kampf um Gerechtigkeit verbunden wurden: der großen Gewerkschaften, die in diesen Sektoren organisieren. (…) Wir müssen die schwierige Debatte darüber beginnen, warum die Industriegewerkschaften in den letzten Jahrzehnten zu jenen gehört haben, die aktiv sozialökologische Transformationen in Schwerindustrieregionen verhindert oder zumindest verzögert haben und wie damit in Zukunft umzugehen ist...“ Artikel von Tadzio Müller vom 18.06.2020 beim ND online externer Link und die Debatte danach:

  • IG Metall fordert Investitionsoffensive „gegen Politikverdrossenheit und für Demokratie“ durch eine Task Force Transformation – Unterstützung kommt durch einen Brandbrief aus der Wirtschaft New
    • Investitionsoffensive gegen Politikverdrossenheit und für Demokratie
      „IG Metall: Klimaneutraler Umbau der Industrie muss besser und schneller werden +++ Task Force Transformation soll bis September Lösungen erarbeiten +++ Christiane Benner: „Sicherheit im Wandel und klare Zukunftsperspektiven sind der beste Schutz gegen Politikverdrossenheit.“
      Die IG Metall nimmt Unternehmen und Politik in die Pflicht, die Industrie konsequent klimaneutral aufzustellen und so gute Arbeit in Deutschland für die Zukunft zu stärken. „Es braucht jetzt von allen Seiten ein klares Bekenntnis zum Erhalt und zum sozial-ökologischen Umbau des Industriestandorts Deutschland – und zwar mit Taten, nicht mit Worten“, sagt Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall, anlässlich der Jahrespressekonferenz der Gewerkschaft. „Unternehmen müssen jetzt in die Vollen gehen und hierzulande in Zukunftstechnologien investieren. Die Ampelkoalition muss ihr kleinteiliges, teils dogmatisches Agieren aufgeben. Wir sind überzeugt: Die Bundesregierung kann das besser! Das muss sie in diesem Jahr beweisen und endlich den großen Wurf wagen.“ Mit Blick auf den derzeitigen Stand der Transformation in Deutschland zeichnet die Erste Vorsitzende ein gemischtes Bild: Einerseits gebe es wichtige industrielle Neuansiedlungen, etwa für Batteriefertigung oder Halbleiterproduktion. Gleichzeitig nähmen Standortschließungen und Verlagerungen zu, von denen ganze Regionen betroffen seien.
      Sicherheit im Wandel bester Schutz gegen Politikverdrossenheit
      „Deindustrialisierung gefährdet den Zusammenhalt im Land und damit auch unsere Demokratie“, warnt Benner. „Die Beschäftigten verlangen eine klare Perspektive. Sicherheit im Wandel – das ist der beste Schutz gegen Politikverdrossenheit.“ Konkret fordert die IG Metall staatliche Investitionen in Höhe von etwa 500 Milliarden Euro bezogen auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Die seien nötig, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsfest aufzustellen.
      Transformationskommission gefordert
      Damit der klimaneutrale Umbau der Industrie schneller und besser vorankommt, soll eine neue Transformationskommission ins Leben gerufen werden. Vertreter aus Bundes- und Landesregierungen, Unternehmen, der IG Metall sowie Expertinnen und Experten sollen hier zügig ein konkretes Programm bearbeiten. (…)
      „Die Beschäftigten brauchen jetzt eine aktive Industriepolitik. Die Lage ist zu ernst für parteipolitische Spielchen”, betont Kerner. „Notwendig sind klare, zukunftsweisende Entscheidungen: Die Schuldenbremse gehört abgeschafft, zumindest muss sie so reformiert werden, dass sie keine Zukunftsbremse mehr ist und Arbeitsplätze gefährdet. Eine Deindustrialisierung Deutschlands werden wir nicht akzeptieren.“…“ Pressemitteilung vom 25. Januar 2024 externer Link mit weiteren Infos
    • Brandbrief aus der Wirtschaft: Was führende Unternehmen von der Politik erwarten
      „Mehr als 50 Unternehmen haben einen Brandbrief an die Politik verfasst – aus Sorge um die Wirtschaft, das Klima und die Demokratie. Zwischen den Zeilen lautet die Botschaft an Regierung und Opposition: Reißt euch zusammen. Unterschrieben haben den Appell unter anderen der Industriekonzern Thyssenkrupp, der Sportartikelhersteller Puma, das Energieunternehmen EnBW, die Drogerieketten dm und Rossmann, der Stahlkonzern Salzgitter, der Hausgerätehersteller Miele, das Handelsunternehmen Otto, der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport und das Chemieunternehmen Wacker. Im Unternehmensappell schalten sich die unterzeichnenden Firmen in die Diskussion über die Schuldenbremse ein. Sie fordern eine „Weiterentwicklung“. Im Klartext: eine Lockerung, die dem Staat mehr Neuverschuldung ermöglicht. Das Argument: Um die Wirtschaft klimagerecht umzubauen, würden „massive – vor allem finanzielle – Ressourcen“ benötigt. Dafür brauche es einen geeigneten „haushaltspolitischen Rahmen“, um staatliche Investitionen zu ermöglichen, die dann private Investitionen anreizen. Die Kritik an der Schuldenbremse in ihrer derzeitigen Ausprägung ist deshalb bemerkenswert, weil die Unternehmen damit den Unionsparteien und der FDP widersprechen, die ihnen in der Regel näher stehen als SPD und Grüne. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass sich der Unternehmensappell mit Kritik und Forderungen nicht nur an die Ampel-Regierung wendet, sondern ausdrücklich auch an die Opposition…“ Beitrag von Daniel Pokrara vom 27.01.2024 in tagesschau.de externer Link – siehe dazu:

  • Beschäftigte wollen grüne Transformation selbst organisieren. Die IG Metall begreift immer mehr: Sie sitzt am Hebel der ökologischen Wende
    „Die „schöpferische Zerstörung“, dank der sich der Kapitalismus ja angeblich stets verjüngen und erneuern soll, ist dann am Ende doch nicht so schöpferisch. Nehmen wir das Bosch-Werk in Trudering in München. Einspritzventile und elektrische Kraftstoffpumpen für Verbrennungsmotoren werden hier bis dato hergestellt, ein Ding der Vergangenheit, wenn doch die große Transformation von Mobilität und Energie künftig ohne Verbrennung auskommen soll. E-Autos fahren ohne Einspritzventile – klar, dass das Bosch-Werk weg gehört. Aus und vorbei. So scheint es zumindest die ebenfalls wenig schöpferische Unternehmensführung zu sehen. Anders ist das bei der Belegschaft. Die und ihre gewerkschaftliche Vertretung, die IG Metall, will nicht nur ihre Arbeitsplätze erhalten, was naheliegend scheint. Sie will auch – jedenfalls schöpferischer als alle anderen hier – ihr Werk umstellen, auf Technologien, die Zukunft haben. Wärmepumpen zum Beispiel, statt Kraftstoffpumpen. (…) Unterstützt werden die Beschäftigten dabei von Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Die fordern – unter der eingängigen Parole „Klimaschutz und Klassenkampf“ – „keine Entlassungen für den Klimaschutz“. Stattdessen entwickeln sie zusammen mit den Beschäftigten Ideen für eine schöpferische Transformation des Bosch-Werks. Die IG Metall sitzt am Hebel der Transformation, die im grünen Kapitalismus so oder so vonstatten gehen wird. (…) Wer mit Betriebsräten und Aktiven aus der IG Metall spricht, erfährt, was die Beschäftigten im Zuge der Transformation umtreibt. Entgegen dem Vorurteil über die Metaller haben die eine genaue Vorstellung davon, wie die Transformation ihren jeweiligen Betrieb verändert. Und eine gesellschaftspolitische Idee davon, dass die Klimawende stattfinden muss. Die auch unter Linken verbreitete Vorstellung des weißen Industriearbeiters, der nur seinen Arbeitsplatz erhalten will, ist doppelt schief: Nicht nur waren Belegschaften in der Produktion schon immer diverser, sie haben außerdem eine sehr realistische Einschätzung des eigenen Produktionsstandorts und Sektors. (…) Allein aufgrund der derzeitigen Schwäche der linken Parteien und des Fehlens wirklich grüner Alternativen liegt die Transformationsaufgabe bei der Arbeiterbewegung selbst. Strategisch müssen sich die Metallgewerkschaft und die Klimabewegung gemeinsam auf mittelfristige Projekte einigen, die sie gemeinsam gegen Unternehmensführungen und die politischen Parteien organisieren können. Auch über den 1. Mai hinaus.“ Beitrag von Ines Schwerdtner vom 1. Mai 2022 aus Der Freitag Ausgabe 17/2022 externer Link
  • Klimabewegung und Gewerkschaften – Eine schwierige Kooperation, bei der beide Seiten viel zu gewinnen haben 
    „… Seit einigen Jahren hat sich vor allem in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi eine Strömung herausgebildet, die in den oft von jungen Menschen getragenen außerparlamentarischen Protestbewegungen Bündnispartnerinnen sieht, von denen auch die Gewerkschaften profitieren können. Bernd Riexinger war in Stuttgart einer der Protagonisten dieser Strömung. Beim Tarifkampf im Einzelhandel gab es bald auch eine praktische Kooperation zwischen GewerkschafterInnen und Aktiven in sozialen Bewegungen. Im Rahmen der „Aktion Dichtmachen“ blockierten zwischen 2008 und 2012 in verschiedenen Städten linke AktivistInnen von den Beschäftigten bestreikte Einzelhandelsfilialen, um dort den Einsatz von Streikbrechern zu verhindern. (…) Diese fand ihre Fortsetzung unter anderem in der Kampagne „Make Amazon Pay“, bei der es um die außerbetriebliche Unterstützung der Beschäftigten des Online-Konzerns im Kampf um einen Tarifvertrag geht. (…) Bundesweite Beachtung fand die Kooperation zwischen Klima- und Gewerkschaftsbewegung erstmals 2020 im Tarifkampf für eine bessere Bezahlung der Beschäftigten im Öffentlichen Nahverkehr. (…) Überraschender war schon, dass sich im Sommer 2021 in München KlimaaktivistInnen mit den bedrohten Beschäftigten des dortigen Bosch-Werkes solidarisierten, das bisher Benzinpumpen hergestellt hat. (…) Mit der Forderung nach Konversion stellen die Beschäftigten auch die Machtfrage, weil sie sich eben nicht mehr auf Forderungen nach mehr Lohn und weniger Arbeitszeit beschränken und die Frage, was produziert wird, nicht länger der Kapitalseite überlassen. Dafür brauchen sie außerbetriebliche Verbündete – und fanden sie im Falle des Münchner Bosch-Werks in der Klimabewegung, die ihnen lange Zeit als Gegnerin hingestellt wurde, die ihnen angeblich ihre Arbeitsplätze wegnehmen will. (…) Es muss sich zeigen, ob das Beispiel des Münchner Bosch-Werks Schule macht. Eine solche Kooperation muss erkämpft werden – gegen GewerkschafterInnen vom Typus eines Klaus Ernst ebenso wie gegen KlimaaktivistInnen, die in den Beschäftigten in den Fabriken der Massenproduktion nur rücksichtslose Klimaschweine sehen. Dabei würden von einer gelingenden Kooperation beide Seiten profitieren. Die Gewerkschaften könnten für jüngere, aktivistische Kreise attraktiv werden, und die Klimabewegung könnte nicht nur neue Bündnispartner gewinnen, sondern auch erkennen, dass der Kampf um ein Klima, in dem alle Menschen leben können, eine Klassenfrage ist.“ Kommentar von Peter Nowak aus Der Rabe Ralf Februar/März 2022 bei Grüne Liga Berlin externer Link
  • Ökosozialistische Strategie: industrieller Umbau als gemeinsames Projekt von Klimabewegung und Gewerkschaften 
    „… Die Herausforderungen für die Klimabewegung und ihren Verbündeten ist riesig. Wie lässt sich das gesellschaftliche Kräfteverhältnis so stark verändern, dass sich ein industrieller Um- und Rückbau verwirklichen lässt. Ich argumentiere, dass die Klimabewegung zusammen mit engagierten Lohnabhängigen und Gewerkschaften ein radikales Programm zur Konversion der fossilen Industrien, die Automobil- und Luftfahrtkonzerne sowie des Finanzsektors entwickeln und durchsetzen muss. (…) Das Ziel, die Klimaerwärmung auf 1,5° C gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, erfordert einen historisch einmaligen Um- und Rückbau großer Teile des gesamten produktiven Apparats unserer Gesellschaften. Das ist nur möglich, wenn wir mit dem kapitalistischen Zwang zur Akkumulation von immer mehr Kapital und der Maximierung des Profits brechen. Diesen Bruch müssen wir auch in den Alltagsforderungen ausdrücken, allerdings auf eine verständliche Weise. Bevor ich einige strategische Überlegungen zur Diskussion stelle, erkläre ich kurz, was ich unter ökosozialistischer Umwälzung der Gesellschaft verstehe. Wir brauchen eine Gesellschaft, die weniger und anders produziert, weniger transportiert, mehr Sorge für die Menschen und die Natur trägt, den gesamten Reichtum teilt und gemeinsam entscheidet (…) Ein vernünftiger „gesellschaftlicher Stoffwechsel mit der Natur“ setzt voraus, die gesamte Produktion und Reproduktion von Anfang bis Ende nach ökologischen Kriterien zu organisieren. Zerstörungsindustrien wie die Rüstungsindustrie sind komplett zurückbauen. Der motorisierte Verkehr ist in Deutschland für ein Viertel der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Daher ist der motorisierte Individualverkehr weitgehend auf den öffentlichen Verkehr und den nicht-motorisierten Verkehr zu verlagern. Die Autoindustrie ist um- und zurückzubauen und die weiterhin benötigen Produktionslinien sind zu einer öffentlich kontrollierten Mobilitäts- und Eisenbahnindustrie zu verschmelzen. Die Verkehrsleistung muss mit einer entsprechenden Raum- und Stadtplanung für eine Stadt der kurzen Wege deutlich vermindert werden. (…) Eine zentrale Herausforderung besteht darin, einen Großteil der Lohnabhängigen, auch jener in den fossilen Wirtschaftssektoren, für einen umfassenden sozial-ökologischen Umbau zu gewinnen. Leider sind die meisten Gewerkschaften weit davon entfernt, den ökologischen Erfordernissen und den sich zuspitzenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Widersprüchen Rechnung zu tragen. (…) Die Antworten der IG Metall auf diese Herausforderungen sind unangemessen. Die IG Metall propagiert ineffiziente synthetische Treibstoffe und setzt auf Elektroautos. Diese Orientierung trägt weder dem wirtschaftlichen Strukturwandel noch dem dringenden Ausbau des öffentlichen Verkehrs Rechnung. Sie missachtet komplett die ökologische Dringlichkeit, den motorisierten Individualverkehr weitgehend durch öffentliche und nicht-motorisierte Transportmittel zu ersetzen. Die Gewerkschaften in den exportorientierten Sektoren ordnen sich weitgehend den Interessen der Konzerne unter. Sie meinen, wenn sie zu Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität der Unternehmen beitragen, könnten sie am ehesten gut bezahlte Arbeitsplätze erhalten. Diese Orientierung ist auf Sand gebaut und trägt dazu bei, die Lebens- und Arbeitsgrundlagen der Lohnabhängigen ständig mehr erodieren zu lassen. (…) Aufgrund der langjährigen Entpolitisierung der Betriebsratsgremien gibt es kaum gesellschaftspolitische Diskussionen. Das verinnerlichte Co-Management verhindert, dass Betriebsräte eigene Agenden setzen. Befragungen deuten darauf hin, dass an der gewerkschaftlichen Basis und unter Vertrauensleuten durchaus die Bereitschaft besteht, die ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen in einem umfassenden Sinne anzupacken. Hierzu braucht es allerdings eigenständige gewerkschaftliche Ansätze, die von den Unternehmensstrategien unabhängig sind…“ Artikel von Christian Zeller am 30. Dezember 2021 bei isw externer Link – sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.
  • Corona-Pandemie und kapitalistische Transformation – Konflikte und Perspektiven 
    „In den Metropolen des Nordens trifft das SARS-CoV-2-Virus („Corona-Virus“) auf einen Gegenwartskapitalismus, der sich schon vor der Pandemie in keinem guten Zustand befand. Soziale Ungleichheit, Klimakrise, Rechtspopulismus und andere Missstände prägten ihn. (…) Gegenwärtig (…) dominiert der Kampf gegen die Corona-Pandemie nahezu alles. Aus marxistischer Perspektive ist es zwingend, die Pandemie als gesellschaftliches Phänomen und nicht unabhängig von der Dominanz des neoliberalen Kapitalismus in der Weltgesellschaft zu betrachten. Natürlich: Das Virus ist weder kapitalistisch noch neoliberal. Aber die Pandemie und ihr Verlauf sind geprägt durch den neoliberalen Kapitalismus. Die kapitalistischen Verhältnisse prägen Entstehung, Verlauf und Auswirkungen der Coronakrise mehr als die öffentlichen Debatten es erahnen lassen. (…) Der Versuch, das Recht auf Arbeit in der ökologischen Transformation zu schützen, ist für sich genommen eine Herkulesaufgabe. Die Verbindung mit eingreifenden Maßnahmen in die fossilistische Wertschöpfung macht die ganze Sache zu einer Jahrhundert-Aufgabe. Die heftigen Konflikte um die Frage, ob der strauchelnden Automobilindustrie mit einer Kaufprämie für Autos mit Verbrenner-Antrieben unter die Arme gegriffen werden soll, zeigt, wie spannungsgeladen solche Fragen sind. Welche Schlussfolgerungen könnten aus der Spannung zwischen Arbeits- und Naturinteressen in der kapitalistischen Ökonomie gezogen werden? Auf jeden Fall, dass politische Allianzen in diesen gesellschaftlichen Settings unverzichtbar sind – und fragile Angelegenheiten bleiben werden. Ein Mindestmaß an Bereitschaft zur wechselseitigen Anerkennung von Interessenlagen, Sichtweisen und Politikpräferenzen ist unverzichtbar. Zweifelsohne müssen die Gewerkschaften ihre Brücken-Forderungen zwischen Beschäftigung und Umwelt härter auf ihre Tauglichkeit für eine sozial-ökologische Transformation prüfen. Und der Eindruck eines klassenvergessenen krisenkorporatistischen Lobby-Bündnisses zwischen Kapital und Arbeit sollte von Beginn an vermieden werden. Doch auch die Kritiker*innen aus dem Öko-Lager sollten es sich nicht zu leichtmachen. Auch sie sollten sich vor der Unterbewertung der Reproduktionsinteressen der abhängigen Arbeit hüten und die sozialen Zukunftsängste der Industriebeschäftigten ernst nehmen. Gefragt ist also eine reflektierte bündnispolitische Toleranz. Natürlich darf diese Toleranz das gemeinsame Ziel der sozial-ökologischen Transformation und des Übergangs zu einem neuen Wachstums- und Entwicklungsmodell nicht konterkarieren. Denn dann verlören die Allianzen Identität, Sinn und Berechtigung. Doch unabweisbar ist auch: Angesichts der notwendigen Gegenmacht, ohne die eine sozial-ökologische Transformation nicht gelingen kann, sind breite gesellschaftliche Bündnisse unverzichtbar. Die Gewerkschaften oder die marxistische Linke alleine werden das nicht schaffen. Dass es mitunter schwierig und konfliktreich sein wird, in heterogenen Bündnissen gemeinsame Politiken zu formulieren, sollte nicht entmutigen. Eine Leitlinie für alle Beteiligten an solchen Bündnissen könnte sein, was Marx in der Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation 1864 mit Blick auf die Arbeiterklassen sagte: „Ein Element des Erfolges besitzt sie (die Arbeiterklasse), die Zahl. Aber Zahlen fallen nur in die Waagschale, wenn Kombination sie vereint und Kenntnis sie leitet.“ (MEW 16, S. 12) Die Marxist*innen sollten versuchen, aus ihrer Perspektive an dieser Kenntnis mitzuarbeiten.“ Beitrag von Hans-Jürgen Urban vom 16. März 2021 beim gewerkschaftsforum.de externer Link (Bei dem Text handelt es sich um die transkribierte und überarbeitete Fassung eines Vortrags, den der Autor am 21. 11. 2020 vor der Marx-Engels-Stiftung (online) hielt).
  • Fantasievoller Kompass für die IG Metall: Der Jenaer Soziologe Klaus Dörre liefert Ideen für eine gewerkschaftliche Praxis in der Klimakrise
    „… Einer der wenigen (linken) Wissenschaftler, die in den vergangenen Jahren stetig an der Entwicklung von strategischen Orientierungen für eine gewerkschaftliche Praxis in der Klimakrise gearbeitet hat, ist der Jenaer Soziologe Klaus Dörre. Ein Beispiel ist das Konzept einer IG Metall als »progressivem Akteur einer Nachhaltigkeitsrevolution«. Dörre verzichtet dabei weitgehend auf moralische Begründungen, sondern argumentiert mit dem (langfristigen) Interesse der Mitglieder. Eine »konservierende« Gewerkschaftspolitik nämlich, wie sie etwa die IG Bergbau, Chemie, Energie im Hinblick auf die Kohleverstromung praktiziert, würde die Zukunftschancen der Beschäftigten bereits mittelfristig verschlechtern. In dem gerade erschienenen Sammelband »Abschied von Kohle und Auto« werden nun erstmals diese in zahlreichen Artikeln sowie Vorträgen entwickelten theoretischen Konzepte und politischen Strategievorschläge zu einer »Soziologie der Transformation« verdichtet. Deren Grundidee: Die »Konfliktdynamik« der modernen kapitalistischen Gesellschaften hat sich gewandelt. Angesichts der Klimaherausforderungen müssen Gewerkschaften sogar bei Kämpfen um Beschäftigungssicherung die ökologischen Folgen ihres Handelns berücksichtigen. Aus dem bisher prägenden »industriellen Klassenkonflikt« wird so ein »sozial-ökologischer Transformationskonflikt«. Politisch interessant ist diese Diagnose, weil sie die Lösung der Klimakrise zur Gemeinschaftsaufgabe von Klima- und Arbeiter*innenbewegung macht: Gewerkschaften, die die ökologischen Folgen ihrer Politik ignorieren, sind dem Untergang geweiht. Aber auch Umweltverbände, welche die legitimen Sicherheitsinteressen von Industriebeschäftigten nicht ernst nehmen, erweisen nicht nur dem Kampf für Klimagerechtigkeit einen »Bärendienst«, sondern auch dem gegen die radikalen Rechten. Empirisch unterfüttert werden Dörres theoretisch-konzeptuelle Erörterungen durch eine Reihe interessanter Fallstudien verschiedener Forscher*innen zu exemplarischen Transformationskonflikten. Sie beschäftigen sich mit dem der Auseinandersetzungen um die Braunkohle in der Lausitz oder mit der Situation der Auto- und Zuliefererindustrie in Ostdeutschland sowie Österreich. Hier steckt die notwendige Kooperation zwischen Arbeiter*innen- und ökologischer Bewegung noch in den Kinderschuhen. Dass eine solche keineswegs unmöglich ist, zeigt Julia Kaiser in ihrem Beitrag über die Zusammenarbeit zwischen den Students for Future und Verdi im öffentlichen Personennahverkehr. Auch wenn die Autor*innen hier keine graue Theorie wiedergeben, sondern mit viel soziologischer Fantasie arbeiten – von Arbeitsverdichtung gestresste Vertrauensleute dürften angesichts der Länge und Komplexität der Beiträge vor der Lektüre zurückschrecken. Abhilfe schaffen könnte auch dabei die IG Metall. Etwa, indem sie zentrale Erkenntnisse in knackigen Broschüren für die gewerkschaftliche Bildungsarbeit aufbereitet. Damit wäre dann auch ein erster Schritt raus aus der klimapolitischen Orientierungslosigkeit getan.“ Rezension von Johannes Schulten bei neues Deutschland vom 17. Januar 2021 externer Link von „Abschied von Kohle und Auto. Sozial-ökologische Transformationskonflikte um Energie und Mobilität“, herausgegeben von Klaus Dörre, Madeleine Holzschuh, Jakob Köster, Johanna Sittel erschien November 2020 im Campus Verlag zum Preis von 29,95 Euro (336 Seiten)
  • Die Linke ist zurück (ein bisschen): Die Bewegung für Klimagerechtigkeit ist stark. Doch ohne die Unterstützung der arbeitenden Klasse sind wir machtlos 
    „… Während die Arbeiterbewegung des 20. Jahrhunderts von bestimmten Gruppierungen von Lohnabhängigen geprägt war – man denke hier etwa an die Arbeiter in den Automobilfabriken, den Bergwerken oder Industriehäfen, die symbolisch für die gesamte arbeitende Klasse einstanden –, scheint es dieser Tage geradezu unmöglich, einen ähnlich vereinenden Bezugspunkt auszumachen. Zwar gibt es vereinzelt inspirierende Aktivistinnen und Aktivisten, gewerkschaftliche Kämpfe und sogar gemeinsame Symbole, wie etwa die französischen Gelbwesten. Doch im allgemeinen Bewusstsein der breiten Bevölkerung gehen diese Fallbeispiele verloren. Der Niedergang der Gewerkschaftsbewegung in den meisten westlichen Ländern – und der schwindende Einfluss politischer Kräfte, die sich explizit klassenpolitischen Positionen verschrieben haben, wie beispielsweise die sozialistischen und kommunistischen Parteien – ging in der Tat mit einer ideologischen Offensive einher, die die besondere Bedeutung der Klassenpolitik herabsetzte. Selbst innerhalb der Linken galten die materiellen Kämpfe der Arbeiterbewegung – etwa für kürzere Arbeitszeiten, höhere Löhne und die Vergesellschaftung der Großindustrie – nicht mehr als die bündelnde Kraft, um die sich andere politische Forderungen und Bewegungen formieren ließen. (…) Angesichts der Tatsache, dass aktuelle Narrative des linken Populismus nicht selten die Notwendigkeit der Pluralität sozialer Forderungen (etwa nach Anerkennung von Minderheiten und nach »radikaler Demokratie«) gegen eine primäre Fokussierung auf Klasseninteressen ausspielen, mag es überraschen, dass sich bereits die »alte« Arbeiterbewegung diverser Anliegen und Interessen angenommen hat. Die Volksfront lässt sich nicht auf Populismus reduzieren. Und selbst wenn sie sich auf Interessen berief, die Klassengrenzen überschritten, war die gesellschaftliche Hegemonie der arbeitenden Klasse stets der strategische Aufhänger dieser klassenübergreifenden Allianzen. Wenn im linken Diskurs des 20. Jahrhunderts vom »Volk« die Rede war, meinte dieser Begriff nicht etwa die Bevölkerung im Allgemeinen. Genauso wenig waren davon lediglich die Eliten (wie etwa Kollaborateure der Nazis, Wohlhabende oder Vertreter des ausländischen Imperialismus) ausgenommen. Vielmehr war der Begriff synonym mit folgender Formulierung zu verstehen: »die arbeitende Klasse und ihre Verbündeten«. Wenn man nun über aktuelle, universelle Problemlagen der Menschheit wie etwa die drohende Klimakatastrophe nachdenkt, wird nicht unmittelbar offensichtlich weshalb solch eine Kategorie heute noch von Relevanz sein sollte. (…) Und dennoch haben gerade diese Arbeiterinnen und Arbeiter eindrucksvolle Beispiele für eine verbindende Klassenpolitik geliefert, die über die Grenzen ihrer Arbeitsplätze hinausreichen – man denke hier etwa an die walisischen Bergarbeiter, die in Solidarität zu Pflegekräften in den Streik traten, um Sand ins Getriebe zu streuen, ohne die Patientenversorgung zu gefährden. Und auch die vergangenen Streiks der Lehrkräfte in den USA zeugen davon, dass die arbeitende Klasse für die Interessen der breiteren Gesellschaft einstehen kann. Nach all den Jahrzehnten, in denen Lohnabhängige entlassen, ignoriert und gedemütigt wurden, könnte sich die Klimapolitik als das ultimative Solidaritätsprojekt erweisen – ein Kampf, der uns tatsächlich alle verbindet. Doch das kann nicht gelingen, wenn wir so tun, als seien Klassenunterschiede überwunden und als wären materielle Interessen nicht von Belang.“ Artikel von David Broder vom 2. Januar 2021 bei Jacobin.de externer Link
  • Wir müssen reden! Aber weniger über die Industriegewerkschaften als vielmehr mit ihren Mitgliedern 
    „… Bei der Gewerkschaft wird es anscheinend als brüske Zurückweisung empfunden, wenn die Politik der mächtigen Autoindustrie einmal einen Wunsch ausschlägt. Trotz dieses Vorfalls ist es aber verfehlt, von einer strukturellen Feindschaft zwischen Klimabewegung und Industriegewerkschaften zu sprechen. Stattdessen gilt zu ergründen, wo die Spannungen ihren Ursprung haben und wie die sozial-ökologische Linke produktiv damit umgehen kann. Der Vorfall zeigt zweierlei: 1. Teile der IG Metall sind so nah an den Autokonzernen, dass sie die Interessen der Autoindustrie und diejenigen der Beschäftigten nicht immer sauber sortiert bekommen. Das liegt daran, dass die Betriebsräte der großen Konzerne seit Jahren einen – immer wieder von kleineren Konflikten durchbrochenen – Co-Management-Kurs verfolgen. (…) 2. Die eine IG Metall gibt es so nicht, wie auch die ambivalente Haltung ihres Vorsitzenden hinsichtlich des Antriebsstranges zeigt. In ihr kommen unterschiedliche unmittelbare Interessen, politische Überzeugungen und Gewerkschaftsstrategien zusammen. Es lohnt sich, bei ihren Mitgliedern – auch den potentiellen – nach Anknüpfungspunkten zu suchen. Denn auch Beschäftigte in der Autoindustrie haben Angst vor der Klimakatastrophe oder die Einsicht, dass immer mehr Autos zum Verkehrskollaps führen. Gleichzeitig wissen die Kolleg*innen im Betrieb aber am besten um die technischen und ökologischen Probleme der E-Mobilität sowie der Absatzkrise und fürchten um ihre Jobs. Sie als Bewahrer oder Co-Manager abzuschreiben und möglicherweise an die AfD zu verlieren, wäre fatal und würde die Klimabewegung gesellschaftlich schwächen. (…) Auch wenn Demonstrationen, Proteste und ein verändertes gesellschaftliches Bewusstsein gegenüber dem Auto einiges bewirken kann: Ohne eine offensive Strategie der IG Metall wird es in absehbarer Zeit keine Durchsetzungsperspektive für ein Transformationsprojekt geben, das sich gegen die Profitinteressen der Autoindustrie stellt. Immerhin stehen angesichts der tiefen Krise in der Autoindustrie und der bevorstehenden Kämpfe gegen Entlassungen und Betriebsschließungen die Chancen gut, eine ernsthafte Diskussion mit den Kolleg*innen zu beginnen und sich aus der bloßen Beobachterposition zu lösen. Rückenwind kann die Kooperation von Klimabewegung und Gewerkschaft in einer anderen Branche, dem ÖPNV, geben. Hier arbeiten Fridays for Future und ver.di anlässlich der Tarifkampagne Nahverkehr schon seit über einem halben Jahr zusammen, um bessere Arbeitsbedingungen und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs durchzusetzen. Wenn es ihnen im September dieses Jahres hier gelingt substanzielle Schritte zu erreichen, wird auch für Beschäftigte in der Autobranche eine sozial-ökologische Verkehrswende greifbarer…“ Artikel von Fanny Zeise vom 26.06.2020 im ND online externer Link
  • wir verweisen allerdings auf die Initiative Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für Klimaschutz

Siehe zum Thema auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=174326
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