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Flüchtlingsfeindliche Asylpolitik in den Niederlanden: Medizinische Katastrophe in überfülltem Asylbewerberheim – „We Make Space“ protestiert

Dossier

MiGreat NL protestiert im September 2022 gegen flüchtlingsfeindliche Asylpolitik in den NiederlandenVor der Asylantragsstelle Ter Apel in den Niederlanden („Das Moria der Niederlande“) waren die menschlichen Bedingungen für Geflüchtete zuletzt so schlimm, dass im August 2022 ein drei Monate altes Kind verstarb. Ärzte ohne Grenzen prangerten die fehlende Hygene und Gesundheitsbedingungen für die betroffenen Menschen vor Ort an. Daraufhin wurde das Camp aufgelöst und Menschen in verschiedene neue Einrichtungen verteilt. Die Kommunen sind nicht bereit, Menschen aufzunehmen und müssen durch die Regierung gezwungen werden – die sich zugleich weigert, weitere Geflüchtete aus der Türkei anzunehmen… In Amsterdam formte sich am Sonntag, den 4. September 2022 ein Protest namens „We Make Place“, der bessere Unterbringung und schnellere Aufnahmeverfahren fordert. Wir dokumentieren weitere Hintergründe:

  • Flüchtlinge in den Niederlanden: Essen und Trinken auf nacktem Boden New
    „… Die Wiese vor dem zentralen Flüchtlingslager der Niederlande in Ter Apel ist jetzt leer. Noch vor einigen Wochen machten andere Bilder Schlagzeilen. Menschen campierten hier wochenlang ohne Toiletten und Duschen. Sie aßen und schliefen zu Hunderten auf dem nackten Boden. Im Sommer war die Lage durch den Zustrom außer Kontrolle geraten. Ein Baby starb an Austrocknung und es gab einen Anschlag. Nach diesen Vorfällen richtete die niederländische Armee eine Stunde weiter nördlich in Zoutecamp, in der Provinz Groningen, ein provisorisches Asylbewerberzentrum ein. Nun warten die Flüchtlinge in den weißen Zelten auf den Entscheid über ihren Asylantrag. (…) [S]elbst wer einen positiven Asylbescheid bekommt, muss oft hier bleiben. Nur wenige niederländische Gemeinden sind bereit, neuen Wohnraum für Flüchtlinge zu Verfügung zu stellen. Das trifft oft unbegleitete Minderjährige, klagt Engbers. „Glücklicherweise wurden vergangene Woche neue Plätze geschaffen. Statt über 300 sind hier jetzt noch etwa 200 unbegleitete Minderjährige – aber die Not ist immer noch hoch, denn es kommen ja auch Neue an.“ (…) Denn eigentlich dürfen im Anmeldezentrum Ter Apel maximal 55 unbegleitete Minderjährige verbleiben. Das hat vor kurzem ein niederländisches Gericht geurteilt. Die niederländische Flüchtlingsorganisation Vluchtelingenwerk Nederland hatte die Regierung verklagt. Die Richter urteilten, dass die Zustände in dem Auffanglager weiter nicht den EU-Normen entsprechen und die Regierung die Zustände verbessern solle. Martijn van der Linden vom niederländischen Flüchtlingswerk betont, die Krise sei hausgemacht. „In den vergangenen Jahren haben die Niederlande Personal und Auffangplätze abgebaut, dies hat insbesondere dazu geführt, dass das System vollgelaufen ist.“ Der Staatssekretär für Asylfragen ist gegen den Richterspruch in Berufung gegangen. Das Berufungsurteil wird für den 10. November erwartet.“ Beitrag von Olga Chladkova vom 29. Oktober 2022 bei tagesschau.de externer Link
  • We Make Space“-Proteste am 4. September 2022 in Amsterdam für menschenwürdige Unterbringung von Asylsuchenden
    „Am Sonntagnachmittag findet auf dem Amsterdamer Museumplein eine Demonstration statt, um auf die Krise im Ter Apel Antragszentrum für Asylsuchende aufmerksam zu machen. Laut Het Parool werden die Teilnehmenden auch eine humanere Asylpolitik fordern. (…) Die Veranstaltung zur Ter Apel-Krise, die am Sonntag um 16 Uhr beginnt, ist Teil einer Reihe von Demonstrationen in den ganzen Niederlanden unter dem Motto „Wir machen Platz“. Sie beginnt auf dem Museumplein und zieht durch die umliegenden Stadtteile, bevor sie wieder auf dem Platz endet. Die Demonstration wird von der Hilfsorganisation MiGreat organisiert. „Das ist nicht länger möglich“, schrieb die Organisation auf ihrer Facebook-Seite zur Aufnahmekrise. „Wir fordern das Kabinett, die Tweede Kamer, die COA, das IND und die Gemeinden auf, alles zu tun, was sie können, um eine gute Aufnahme und schnelle, großzügige Asylverfahren zu gewährleisten. Heute noch!“ MiGreat leistet in Ter Apel „jeden Tag“ Hilfe, sagte der Vorsitzende Roos Ykema gegenüber Het Parool. „Es ist skandalös, wie die Menschen dort behandelt werden.“ In den letzten Monaten mussten Asylsuchende in dem Antragszentrum wegen Überfüllung draußen schlafen. Ein Besuch von Ärzte ohne Grenzen schlug Alarm wegen Hygieneproblemen und Infektionen unter den Asylbewerbern, woraufhin viele von ihnen in Notaufnahmestellen evakuiert wurden. MiGreat protestiert dagegen, dass „das Kabinett diese selbst geschaffene Misere nutzt, um eine noch härtere Asylpolitik zu verfolgen“, so Ykema. In den Niederlanden sind 23 weitere Demonstrationen im Rahmen der Kampagne „We Make Place“ angemeldet…“ engl. Meldung von ANP und NL Times vom 4. September 2022 externer Link („In Amsterdam, protesters rally for asylum seekers; Separate demonstration opposes immigration“) und

    • „Menschen auf der Flucht, Schutzsuchende, Migrant:innen – alle sind hier willkommen! Außer den Kabinettsmitgliedern natürlich. Gestern haben wir mit 2000 Menschen in Amsterdam demonstriert. Es gab wütende und zu Tränen rührende Reden, schöne Musik, viele scharfe Protestschilder und einen lauten Marsch durch die Stadt. (…) Der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Solange alle beteiligten staatlichen Institutionen es vorziehen, die Menschen draußen schlafen zu lassen, anstatt Verantwortung zu übernehmen, solange die Regierung es vorzieht, das Recht auf Asyl einzuschränken, anstatt die Menschen anständig zu behandeln, solange Europa von hohen Mauern und mit Schlagstöcken ausgerüsteten Grenzpolizisten umgeben ist, solange die neokoloniale Migrationspolitik auf Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Nationalität und Religion aufgebaut ist…“ Facebook-Post von MiGreat NL vom 5. September 2022 externer Link (nl. – Maschinenübersetzung) zum Protest am 4.9.
  • Niederlande: Asylunterkunft auf Wasser. Kampierende Geflüchtete in Notaufnahmezentren untergebracht. Familiennachzug erschwert
    „Am Mittwoch hat der niederländische König Willem-Alexander die Zentralstelle für Asylsuchende in Ter Apel besucht. Er sprach mit Mitarbeitern, tätschelte das Kind einer geflüchteten Familie und erkundigte sich bei den »Ärzten ohne Grenzen« nach dem Stand der Dinge. Das Elend, das sich seit Monaten und bis vor einigen Tagen noch draußen vor dem Asylzentrum abgespielt hatte, bekam er nicht mehr zu sehen. Das Lager unter freiem Himmel ist – vorerst – verschwunden. Zuletzt übernachteten bis zu 700 Personen vor dem Asylzentrum. Nun wurden sie zunächst in eilig hergerichteten Krisennotaufnahmezentren untergebracht. Spätestens ab dem 10. September sollen sie für ein halbes Jahr auf ein Militärgelände gegenüber der Willem-Lodewijk-van-Nassau-Kaserne bei Groningen umziehen, wo Platz für 500 bis 700 Menschen ist. Dort wohnen bereits etwa 450 Afghanen, die nach der Machtübernahme der Taliban im vergangenen Jahr aus Kabul evakuiert worden waren. Sobald die Asylsuchenden einen Termin bekommen, werden sie ins fast 100 Kilometer entfernte Ter Apel gebracht, um ihren Antrag vorzubringen. Im Moment beträgt die Wartezeit bis zu drei Monate. Die Stadt Amsterdam kündigte am Dienstag an, ab Oktober bis zu 1.500 Asylsuchende für ein halbes Jahr auf dem Kreuzfahrtschiff »Galaxy« einzuquartieren, das sich noch in Estland befindet. Seinen Liegeplatz soll es im Coenhaven bekommen – in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer vielbefahrenen Autobahn und großen Treibstofftanks, aber weitab von allem städtischen Leben: keine Spielplätze, keine Supermärkte, kein öffentlicher Nahverkehr. (…) Der Familiennachzug wird auf unbestimmte Zeit erschwert, um die Zahl der Asylsuchenden zu verringern. Nur wer eine Wohnung gefunden hat, darf die Familie nachholen. Falls nach 15 Monaten immer noch keine Wohnung bereitsteht, erhalten die Angehörigen trotzdem ein Visum. Ferner werden die Niederlande vorerst keine 1.000 Flüchtlinge pro Jahr mehr aus Lagern in der Türkei aufnehmen, wozu sie innerhalb der EU eigentlich verpflichtet sind. Zuviel für Daan de Neef, Abgeordneter der rechtsliberalen VVD von Premier Mark Rutte. Er gab am Mittwoch abend wegen der »eiskalten Asylpolitik« seinen Austritt aus der Regierungspartei bekannt und will auch auf seinen Sitz im Parlament verzichten. »Nach einer Woche, in der in Ter Apel ein drei Monate altes Baby starb und die Ärzte ohne Grenzen von einer Notsituation sprachen, hatte ich auf Mitgefühl gezählt«, schrieb de Neef laut Tageszeitung AD in in einer Erklärung. Der Politiker war jedoch innerhalb der VVD isoliert: Die meisten Mitglieder würden die Grenzen für Asylsuchende am liebsten komplett dichtmachen…“ Artikel von Gerrit Hoekman in der Jungen Welt vom 3. September 2022 externer Link
  • Asylbewerber:innen aus Ter Apel evakuiert, aufgrund Sorgen um Gesundheit und Hygiene
    „Mehrere Busse brachten am Freitagabend Asylsuchende aus Ter Apel an verschiedene Orte im Land, nachdem die Inspektor:innen für Gesundheit und Jugendhilfe (IGJ) wegen der gesundheitlichen Bedingungen im Asylbewerberheim Alarm geschlagen hatten. Ein Team von Ärzte ohne Grenzen (AzG) behandelte am Freitag 80 Menschen im Asylbewerber:innenzentrum Ter Apel und stellte dabei Probleme fest, die von vernachlässigten Krankheiten bis zu Hautinfektionen reichten. AzG hat am Donnerstag mit der medizinischen Versorgung der Asylbewerbenden begonnen. Die behandelten Menschen haben hauptsächlich vernachlässigte Verletzungen, aber viele hatten auch Hautinfektionen und einige hatten chronische Krankheiten, die nicht behandelt worden waren. Eine Person wurde am Freitag mit Beschwerden, die nicht bekannt gegeben wurden, ins Krankenhaus gebracht. Hunderte von Menschen haben tagelang außerhalb des Einsatzzentrums geschlafen, ohne dass es angemessene Einrichtungen wie Duschen gab. Am Donnerstag wurden drei Personen vom Gelände ins Krankenhaus gebracht. Einer von ihnen hatte einen Herzinfarkt, ein anderer war Diabetiker und hatte seit Wochen kein Insulin mehr. Es ist nicht bekannt, woran die dritte Person litt. Am Freitag schlug die IGJ bei Minister Ernst Kuipers und dem Vorsitzenden der Sicherheitsregion Groningen, Koen Schuiling, wegen der Gesundheitssituation in Ter Apel Alarm. Nach Angaben der IGJ besteht aufgrund der mangelnden Hygiene auf dem Gelände ein hohes Risiko für den Ausbruch von Infektionskrankheiten. Es mangelt an Wasser, sauberen Toiletten, Duschen und Unterkünften. Laut Inspektor:innen ist ein Ausbruch von Infektionskrankheiten nicht nur eine Gefahr für die Gesundheit der Menschen, die auf dem Gelände auf ihren Asylantrag warten, „sondern auch für alle, die dort arbeiten oder leben.“ Ausreichend Wasser, sanitäre Anlagen und Unterkünfte sind sofort erforderlich, um die hygienischen Bedingungen wiederherzustellen. Auch die Verbreitung von Infektionskrankheiten muss bei der Verlegung der Menschen in die Aufnahmestellen berücksichtigt werden…“ engl. Meldung von AnP und NL Times am 27. August 2022 externer Link („Asylbewerber aus Ter Apel evakuiert, weil sie sich Sorgen um Gesundheit und Hygiene machen“)
  • Wenn 700 Menschen im Freien schlafen: Chaos im Asylzentrum der Niederlande
    Die zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende im Dorf Ter Apel ist völlig überfüllt. Seit Wochen warten Menschen in Notzelten darauf, ihren Antrag zu stellen. Die Regierung gibt sich beschämt und kündigt Lösungen an…“ Beitrag von Priyanka Shankar am 03.09.2022 in DW externer Link
  • Migrantenansturm vor Asylzentrum: Das Moria der Niederlande
    Solche Bilder kennt man sonst aus Lagern wie dem Flüchtlingscamp Moria: Hunderte Migranten in notdürftigen Zeltlagern. Die hygienische Versorgung ist schlecht, überall liegt Müll. All das mitten in den Niederlanden.
    Wo auch immer sich humanitäre Katastrophen abspielen, eilen sie zur Hilfe: in Libyen, Bangladesh, Haiti und im Kongo. Nun wird die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ – erstmals in ihrer Geschichte – auch in den Niederlanden gebraucht. Und zwar dringend, sagt Judith Sargentini, die Chefin der niederländischen Sektion. Vor dem Asylzentrum in Ter Apel sehe es aus, wie einst im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos, sagt sie. „Ich vergleiche das mit dem, was wir auf den griechischen Inseln sehen. Es ist auch EU, auch eine Schande, aber diesmal in den Niederlanden.“
    700 Menschen haben die vergangenen drei Nächte vor den Zäunen des Asylzentrums verbracht. Sie haben auf Isomatten, Plastikfolien oder einfach auf dem Boden geschlafen – die meisten nur spärlich zugedeckt. Über das Schlaflager sind Zeltplanen gespannt. Außerdem gibt es acht Dixie-Klos und fließendes Wasser, aber, so Nicole van Batenburg vom Roten Kreuz, keine Duschen. „Es ist furchtbar schmutzig. Überall liegt Müll auf dem Boden“, beschreibt sie die Situation, „Rund um die Dixie Klos stinkt es widerlich. Das ist einfach eine schreckliche Situation – nicht schön für die Menschen und auch nicht sicher.“ Immerhin blieb den Familien mit Kindern eine weitere Nacht im Freien erspart. Für sie wurden in Apeldoorn zwei Turnhallen mit Feldbetten bereitgestellt. In Ter Apel hat inzwischen das Team von Ärzte ohne Grenzen seine Arbeit aufgenommen. Einige Flüchtlinge benötigten dringend Hilfe, sagt Sargentini. „Wenn hier über Nacht 700 Menschen schlafen und im Müll liegen, dann ist das, was wir tun, niemals ausreichend.“ (…)
    Die ehemalige NATO-Militärbasis in der Provinz Groningen ist nicht nur eine Flüchtlingsunterkunft. Sie ist die zentrale Anlaufstelle für alle, die in den Niederlanden Asyl beantragen. Und da fängt das Problem schon an. Die Einbürgerungsbehörde ist personell völlig unterbesetzt. Manche Asylsuchende warten seit vier Wochen darauf, sich überhaupt erst mal registrieren zu können.
    Außerdem gebe es landesweit nicht genügend Flüchtlingsunterkünfte, beklagt Justiz-Staatssekretär Eric van der Burg. Die Kommunen seien nicht bereit, Menschen aufzunehmen. Im beschaulichen Tubbergen in Overijssel hat die Regierung deshalb Fakten geschaffen und ein ehemaliges Hotel gekauft, das gegen den Willen der Gemeinde zum Flüchtlingsheim umfunktioniet wird. Dauerhaft, so van der Burg, könne das aber nicht die Lösung sein…“ Beitrag von Ludger Kazmierczak, ARD-Studio Den Haag, vom 26.08.2022 in tagesschau.de externer Link mit Video

Siehe auch im LabourNet Germany: „Hier sind wir“ – besetztes Flüchtlingshaus in der Nähe von Amsterdam leistet Widerstand gegen Räumung

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=204063
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