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Neues Hilfsprogramm der italienischen Interims-Regierung: Gießkanne gegen soziale Proteste?

Neapel am 26.10.2020: prekäre Arbeiter, Kleinhändler, selbständig Arbeitende demonstrieren für ein garantiertes Einkommen. Gesundheit und SozialeSicherheit schließen sich nicht aus. Die Reichen sollen die Krise bezahlen“„… Am Mittwoch, den 13. Januar zerbrach in Italien die Regierungskoalition. Ex-Regierungschef Matteo Renzi zog seine beiden Minister:innen aus dem Kabinett ab und ist mit seiner Partei Italia Viva aus der Regierung ausgetreten. So verlor die liberale Koalition aus Partito Democratico (PD), Movimento 5 Stelle (M5S) und Liberi e Uguali (LeU) von Ministerpräsident Giuseppe Conte die Mehrheit. Renzi war als Mitglied des PD Regierungschef gewesen, nachdem er auch fünf Jahre lang ihr Vorsitzender war. Im September 2019 verließ er die Partei und gründete Italia Viva, die in Umfragen auf etwa 3 Prozent Zustimmung kommt. Trotz der niedrigen Umfragewerte haben er und seine Leute mit 30 Abgeordneten und 18 Senator:innen ausreichend Sitze, um mit diesem Austritt die gesamte Regierung ins Chaos zu stürzen. Der Austritt aus der Regierung ist der Höhepunkt von wochenlangen Auseinandersetzungen zwischen Renzi und Conte, unter anderem über EU-Gelder. Sie stritten sich über 36 Milliarden Euro, die im Euro-Rettungsfond für Italien bereit stehen, sowie den Einsatz und die Höhe weiterer Corona-Hilfen. Italia Viva ist dafür, die Gelder anzunehmen. Doch besonders die populistische M5S stellte sich dieser Forderung entgegen und zog Conte auf ihre Seite…“ – aus dem Beitrag „Chaos-Wochen in Italien: Droht ein erneuter Rechtsruck?“ von Ayrin Giorgia am 31. Januar 2021 bei Klasse gegen Klasse externer Link über die aktuelle Regierungssituation in Italien. Siehe dazu auch 3 Meldungen von Maurizio C. (wir danken!) zu den wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung und der aktuellen sozialen Lage:

  • Zur Regierungs- und Demokratiekrise Italiens
    Gestern Abend sprach der italienische Präsident Sergio Matarella vor den Medien und kündigte an, die Konsultationen zur neuen Regierungsbildung seien gescheitert. Vor einigen Wochen geriet die zweite Regierung von Premierminister Giuseppe Conte in eine Krise und konnte keine parlamentarische Mehrheit mehr garantieren. Daraufhin gab Matarella dem Parlamentspräsidenten Roberto Fico (M5S) den Auftrag, Gespräche mit den politischen Parteien zu führen, um eine neue Regierung zu bilden – die dritte innerhalb von 36 Monaten. Diese Konsultationsgespräche sind nun aber gestern Abend ohne Lösung unterbrochen worden.
    Knapp drei Jahre nach den letzten Wahlen im März 2018 und zwei unterschiedlichen Conte-Regierungen in der gleichen Legislatur – die erste mit der Mehrheit 5-Sterne-Bewegung und der Lega von Matteo Salvini, die zweite mit der Mehrheit 5-Sterne-Bewegung und der Demokratischen Partei – muss in Italien nun eine neue Regierung gestellt werden.
    Sergio Matarella erklärte gestern, dass vorgezogene Wahlen aufgrund der aktuellen Krisensituation kaum möglich sind: Die anhaltende Pandemie-Situation und die laufenden politischen Geschäfte machen es notwendig, eine technische Regierung einzusetzen, die „die Interessen der Nation“ garantiere. Heute werde er den ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank Mario Draghi vorladen. Die Wahrscheinlichkeit einer technischen Regierung wie im Jahr 2011 unter Mario Monti ist somit gross.
    Mario Draghi kommt aus der Finanzwelt und vertritt die Interessen des grossen und europaorientierten Finanz- und Industriekapitals. Für die Bürokrat*innen in Brüssel ist er der beste Mann, um die institutionellen Hürden abzubauen, die Italiens Entwicklung blockieren. Zu seinen ersten Reformschritten könnten die Abschaffung des Grundeinkommens (eine Art Sozialhilfe für armutsbetroffene Menschen) und die Aufhebung des Corona-Entlassungsverbotes gehören.
    Die 5-Sterne-Bewegung hat schon angekündigt, dass sie ihre Unterstützung Mario Draghi nicht zusichern werde, sie fordert eine „politische Regierung“. Die Mitte-Rechts-Koalition um Leader Matteo Salvini will vorgezogene Wahlen. Die Demokratische Partei hingegen unterstützt eine technische Lösung der Krise.“ Mitteilung an die Redaktion von Maurizio C. am 3. Februar 2021 – wir danken!
  • Neuste Zahlen: Offizielle Jugendarbeitslosigkeit bei 29.7%
    Alle Indikatoren sprechen eine klare Sprache: Der in den Monaten Juli bis November 2020 erlebte „Wirtschaftsaufschwung“ wurde in der zweiten Welle der Corona-Krise wieder zu Nichte gemacht. Zu diesem Schluss kommt die neuste Studie des italienischen Statistikamtes ISTAT. Die Beschäftigungsquote ist im Monat Dezember im Vergleich zum Vorjahr um 1.9% gesunken, trotz anhaltendes Entlassungsverbot für die Unternhemen. Davon betroffen sind erstens selbständig Arbeitende: Im Monat Dezember 2020 zählt man 79.000 Arbeitsplätze weniger als noch im Vormonat; Zweitens die Arbeiter*innen mit befristeten Verträgen: Im ganzen Jahr 2020 haben 393.000 Arbeiter*innen dieser Kategorie ihre Stelle verloren. Die Zahl der sogenannten Inaktiven – Stellenlose, die die Arbeitssuche aufgegeben haben – ist im Jahr 2020 um 482.000 Einheiten gewachsen. Dazu gehören vor allem zwei Kategorien, nämlich Frauen mit einem Beschäftigungsrückgang von 0.5% und einer Zunahme der Inaktivität um 0.4% und Jugendliche: Die Arbeitslosigkeit der unter 35-Jährigen ist im Jahr 2020 auf 29.7% gestiegen, mit starken regionalen Unterschieden. Das komplette Dokument des ISTAT kann hier heruntergeladen werden: https://istat.it/it/files//2021 externer Link“ Mitteilung an die Redaktion von Maurizio C. am 2. Februar 2021 – wir danken!
  • Trotz Regierungskrise „Erfrischungsdekret 5“ durchgesetzt
    Die von Matteo Renzi und seiner Partei Italia Viva ausgelösten Regierungskrise hat zwar Premieminister Giuseppe Conte zum Rücktritt gezwungen, dennoch soll in den kommenden Tagen im Parlament über eine weitere Finanzspritze entschieden werden. Die schon im Dezember 2020 entstandene politische Krise ist vordergründig auf die Debatte rund um die Verwendung des Geldes des EU Recovery Fund zurückzuführen: Nachdem sich Matteo Renzi kritisch zu Investitionen und Verwaltungsmethode geäussert hatte, hatte Premier Conte ein definitives Programm vorgelegt, das Renzi nicht akzeptierte. Daraufhin hatte Italia Viva ihre zwei Ministerinnen zurückgezogen und die Krise ausgelöst. In den kommenden Tagen wird darüber entschieden, wie die nächste Regierung aussehen wird. Vorgezogene Wahlen sind aufgrund der allgemeinen Lage höchst unwahrscheinlich. Doch diese Krise ist Ausdruck einer längerfristigen politischen Instabilität, die Italien seit den letzten Wahlen im März 2018 erfasst hat. Währenddessen wird aber im Parlament am nächsten Regierungsdekret gearbeitet, das weitere Finanzhilfen für die prekäre Ökonomie vorsieht. Dabei handelt es sich um das fünfte Finanzpaket seit den im Oktober 2020 ausgebrochenen sozialen Protesten. Dieses „decreto ristori 5“ sieht unter anderem eine erneute Erweiterung der Kurzarbeit bis Ende Juni 2021, Investitionen im Gesundheitssektor insbesondere für die Covid-Impfungen, Zuschüsse ohne Rückzahlungspflicht für Freiberufler*innen und Bonuszahlungen für selbständig Arbeitende vor. Für diese Massnahmen werden voraussichtlich 32 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Es handelt sich dabei kaum um strukturelle Investitionen, sondern – wie schon bei den letzten Dekreten – um Finanzierungen nach dem Giesskannenprinzip. Ein Zeichen der Planlosigkeit der politichen Klasse, doch sie ist sich bewusst, dass sie sich in dieser politisch heiklen Situation keine weiteren sozialen Proteste leisten kann“. Mitteilung an die Redaktion von Maurizio C. am 29. Januar 2021 – wir danken!

Siehe zum Hintergrund im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=185891
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