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Protest gegen Corona-Willkür (in Neapel) – und die mediale Hetzkampagne dagegen. Seit wann würden (irgendwo auf der Welt) Rechtsradikale gegen den Unternehmerverband demonstrieren?

Dossier

Neapel am 26.10.2020: prekäre Arbeiter, Kleinhändler, selbständig Arbeitende demonstrieren für ein garantiertes Einkommen. Gesundheit und SozialeSicherheit schließen sich nicht aus. Die Reichen sollen die Krise bezahlen“„… Wie erwartet wurde sofort eine Medienkampagne entfesselt gegen diejenigen, die auf die Straße gingen. Der Rauch des Tränengases hatte sich noch nicht verzogen und  die politischen Kommentatoren stellten bereits Hypothesen über die verschiedenen Richtungen der Camorra und der Faschisten auf, schlugen den üblichen Fetisch der Ultras vor, die für alles Böse in der Welt schuldig sind, und verbanden die gestrigen Proteste mit denen von „Keine Maske“, auch wenn die Botschaft, die auf den Platz gebracht wurde, eine ganz andere war. Und ein Großteil der höflichen Linken in diesem Land hat sich in diese bequeme rassistische und koloniale Erzählung eingekuschelt. Eine lineare Erzählung, die, ohne die Spannungen, Widersprüche und Instanzen des Protests von unten zu erfassen, bedeutet: Es sind schließlich die üblichen Neapolitaner. Exorziert den Aufstand. Das Problem ist, dass jedes Mal, wenn es in diesen Zeiten ein autonomes Phänomen eines umfassenderen sozialen Konflikts gibt, ob es sich nun um die “Bewegung der Mistgabeln” oder die der gelben Westen handelt, dieses in unerwünschten, ambivalenten und widersprüchlichen Formen auftritt. Oft finden wir Menschen auf der Straße, die zumindest theoretisch gegensätzliche Interessen haben dürften, und noch häufiger werden diese Gegensätze auf der Straße ausgetragen. Es ist also viel einfacher, sie als faschistisches Phänomen zu charakterisieren, nur weil Roberto Fiore versucht, mit einem Tweet von seinem bequemen Sessel in Rom aus Teil davon zu werden, oder als Aktionen, die von der Camorra koordiniert werden (es ist nicht klar, mit welchem Ziel), als zu versuchen, sie zu verstehen und an ihnen teilzunehmen, um zu ihrer Entwicklung beizutragen. Wie jemand zu Recht auf Facebook bemerkte, ist die Mainstream-Erzählung ziemlich ähnlich der, die wir vor einigen Jahren als Reaktion auf den Notstand bei der Müllentsorgung  hatten: Die Verantwortung für die Krise wird auf die Bevölkerung übertragen, die, besorgt um ihre eigene Gesundheit, gegen die Inkompetenz und Korruption von Institutionen und privaten Unternehmen rebelliert (siehe Gesundheitswesen), und schlussendlich taucht auf magische Weise die Infiltration des organisierten Verbrechens in den Proteste auf, um sie zu delegitimieren und auf ein delinquentes Phänomen zu reduzieren. Ein bereits bekanntes Skript, das immer dann wiederholt wird, wenn sich die Menschen nicht an das Notstand Management von oben anpassen...“ – aus der Erklärung „#Napoli – Eine Nacht der #Revolte gegen #Ausnahmezustand und #Ausgangssperre“ am 24. Oktober 2020 bei Enough is Enough externer Link von Gruppierungen, die keineswegs Corona leugnen – wohl aber das Recht der Behörden auf Willkür und den Wert medialer Kapitalkampagnen. Siehe dazu auch weitere aktuelle Beiträge – sowohl zur bürgerlichen Medienkampagne, als auch zur Mobilisierung gegen Regionalregierung und Unternehmerverband:

  • Die Proteste gegen Lockdown 2 (nicht nur) in Neapel gehen weiter: Die Propagandakampagne gegen sie auch New
    Weiterer Protest in Napoli. Vor der regionalen Regierung versammeln sich Aktivist*innen der Basisgewerkschaft usb sindacato: Gefordert werden Investitionen in Schule, Transport und Gesundheit und die Internalisierung der ausgelagerten Diensteam 29. Oktober 2020 im Twitter-Kanal von Maurizio C. externer Link ist eine weitere aktuelle Meldung über die (bei weitem nicht nur in Neapel) fortgesetzten Proteste – die sich auch gegen die Propaganda richtet, es würden dort nur Rechte demonstrieren und protestieren. Siehe dazu eine weitere aktuelle Meldung über den konkreten Charakter der Proteste (in Neapel) und einen Beitrag zur Komplexität der Proteste, die von der bürgerlichen Propaganda diffamiert werden:

    • Protest von potere_al popolo vor einem privaten COVID19-Testzentrum in Napoli, wo ein Test mind. 60€ kostet. Die öffentlichen Zentren werden bewusst geschlossen, um den Privaten die Profite zu garantieren – auf dem Rücken der kollektiven Gesundheit“ ebenfalls am 29. Oktober 2020 im Twitter-Kanal von Maurizio C. externer Link ist eine weitere Meldung, die deutlich macht, dass Rechte sich daran gar nicht beteiligen können, weil es sich ja gegen ihre Chefs richtet…
    • „Napoli gegen den Lockdown“ von Bethan Bowet-Jones, Franceso Pontarelli, Giuliano Granato und Maurizio Coppola am 28. Oktober 2020 im revolt:mag externer Link zu den neapolitanischen Protesten und der Regierungspropaganda unter anderem: „… Die Wut, die sich in den Protesten ausdrückt, hat dazu geführt, dass sogar ausländische Medien darüber berichtet haben. Vom Bürgermeister von Napoli, Luigi De Magistris, über Regionspräsident Vincenzo De Luca bis hin zu Exponent*innen der Zentralregierung – alle haben die Ereignisse unisono als „geplante, kriminelle Aktionen von Ultras, Camorra und Faschisten“ degradiert. Die Politiker*innen und nationalen Medien verhielten sich also nicht besser als irgendwelche Verschwörungstheoretiker*innen, die die sozialen Gründe der Proteste mittels alter und herabwürdigender Stereotypen der Menschen des Südens (Stichwort „antineapolitanischer Meridionalismus“ verschleiern und delegitimieren. Die Zusammensetzung der Proteste war tatsächlich vielfältig und komplex. Auf die Straße gingen Kleinhändler*innen, Selbstständige und informelle Arbeiter*innen. Sie haben sich mobilisiert, weil sie zu den sozialen Gruppen gehören, die in den letzten Jahren wegen der ökonomischen Krise bereits Schulden gemacht haben, für die soziale Dienste schlecht funktionieren und die den öffentlichen Institutionen daher kaum mehr trauen. Gerade in Napoli besteht zudem eine besondere Nähe zwischen Subproletarier*innen (also denjenigen, die am Rande der Gesellschaft leben oder in kleinkriminellen Kreisen verkehren) und Kleinbürgertum (denjenigen, die eigene Produktionsmittel besitzen: Handwerker*innen, Ladenbesitzer*innen usw.). Die Grenzen zwischen diesen sozialen Kategorien sind fließend, doch das soziale Milieu bleibt konstant und die Bereitschaft zum Konflikt groß. Mit der aktuellen Krise haben diese sozialen Gruppen einen ökonomischen und sozialen Statusverlust erlebt, was angesichts des Tourismusbooms in den letzten zehn Jahren besonders hart ist. (…) Obwohl sich alle im Klaren waren, dass die zweite Welle stark einschlagen würde, haben De Luca und die Zentralregierung nichts unternommen, um eine Vertiefung der gesundheitlichen und sozialen Krise zu vermeiden. Die Proteste sind also vor allem darum ausgebrochen, weil in diesen Monaten die Ersparnisse aufgebraucht wurden und der Hunger und die psychologische Verzweiflung stark zugenommen haben. Heute haben die Menschen nicht mehr die gleiche Bereitschaft wie noch am 9. März 2020, einen Lockdown zu akzeptieren. Breite Teile der Gesellschaft sind nicht mehr bereit, neue Einschränkungen zu tolerieren. Zumal sie auf die Ineffizienz und Unfähigkeit einer politischen Klasse zurückgehen, die unfähig ist, das gesundheitliche und soziale Desaster zu vermeiden oder adäquat anzugehen. Im März hatte die nationale Regierung noch Gelder für soziale Maßnahmen gesprochen. Nun hat sie erklärt, dass kein Geld mehr zur Verfügung steht. Und während der regionale Gouverneur De Luca noch kurz vor den Regionalwahlen Ende September Gelder nach dem Gießkannenprinzip verteilt hatte, hat er diesmal nichts mehr anzubieten. Folglich können die Forderungen der Proteste so zusammengefasst werden: „Wenn du uns einschließt, musst du uns bezahlen“...“
  • Italiens Regierung möchte damit durchkommen, es seien nur Rechte, die gegen ihre Willkürakte protestieren: Als ob die (beispielsweise) etwas gegen die – erlaubte – Öffnung der Einkaufszentren hätten… 
    Was vor wenigen Tagen mit den Konflikten in Neapel gegen die neue Dekrete der Regionalregierung begann, die eine erneute Ausgangssperre und die Schließung von Gaststätten und kleinen Geschäften anordnete, hat sich innerhalb weniger Tage über weite Teile Italiens ausgebreitet. Am Dienstagabend gab es schon in über 30 italienischen Städten Proteste, Plünderungen und Riots in Turin, Strassenkämpfe in Mailand.. Diese spontane Bewegung ist voller Widersprüche, sowohl was ihre Ausrichtung als auch was ihre Zusammensetzung betrifft, wie könnte es in diesen Zeiten auch anderes sein. In Napoli gab es auf der einen Seite eine diffuse Mobilisierung von Anwohnern und Gewerbetreibenden, auf der anderen Seite eine Mobilisierung von Linken und Basisgewerkschaftlern, die sich Kämpfe mit den Bullen lieferten. Am nächsten Tag eine Mobilisierung der Faschos in Rom, die aber außer Feuerwerk nicht viel auf die Reihe bekommen haben“ so die Einleitung von Sebastian Lotzer zu seiner Übersetzung eines Textes von Turiner Aktiven „Pandemie Kriegstagebücher reloaded. Italien: Die Revolte gegen Ausnahmezustand und Ausgangssperre generalisiert sich“ am 27. Oktober 2020 bei non.copyriot externer Link über die nahe liegende Komplexität der Proteste und die angemessene Reaktion darauf (die natürlich keineswegs im „Fernhalten“ liegt). Siehe dazu auch sechs weitere aktuelle Beiträge, sowohl zum Charakter der Proteste, als auch zu ihren Ursachen:

    • „Coronavirus, couvre-feu : affrontements à Milan, Naples, Turin“ am 27. Oktober 2020 bei Anthropologie du Présent externer Link ist eine ausführliche (italienische und französische) Materialsammlung (über Aktionen am 26. Oktober) in den genannten Städten, inklusive zahlreicher Videoberichte
    • „Wer in Italien auf die Straße geht“ von Jörg Seisselberg am 28. Oktober 2020 bei tagesschau.de externer Link hält sich zwar eingangs an die in Italien und der BRD ausgegebene (na ja, muss nicht) Leitlinie von den „rechten Protesten“ und natürlich „Pfui, Gewalt“ (darf man nur in Uniform) gesteht aber  auch aus einem Gespräch mit einem gutbürgerlichen Soziologen ein: „… Gleichzeitig mahnt Zamponi, die Gewaltexzesse der vergangenen Nächte in Italien dürften nicht nur organisierten Gruppen zugeschrieben werden. Auch junge Krisenverlierer, mobilisiert über soziale Netzwerke, seien dabei gewesen: „In gewisser Weise drückt sich in diesen Ausschreitungen eine verbreitete Frustration und Wut aus. Alle sozio-ökonomischen Daten zeigen, dass die soziale Schere der Ungleichheit durch die Krise noch stärker auseinandergegangen ist. Wir reden hier auch über Vertreter eines Subproletariats aus den Vorstädten, die eine Wut zum Ausdruck bringen, die offensichtlich existiert.“ In den Protesten, so Zamponi, stünden diese jungen, gewaltbereiten Krisenverlierer Seite an Seite mit einem durch die Anti-Corona-Maßnahmen frustrierten Mittelstand: Restaurantbesitzer und andere Kleinunternehmer, denen ihre Existenzgrundlage wegbricht. Insgesamt sei in Italien eine Mischung von Menschen auf der Straße, sagt der Florentiner Soziologe, die an die sogenannte Gelbwesten-Bewegung in Frankreich erinnere. Dass in Italien kleine rechtsextreme Parteien wie Forza Nuova durch die Unruhen an Bedeutung gewinnen, denkt Zamponi nicht. „Ich glaube aber, dass die sogenannte institutionelle Rechte profitieren kann…“
    • Passiert jetzt in Napoli: prekäre Arbeiter, Kleinhändler, selbständig Arbeitende demonstrieren für ein garantiertes Einkommen. Gesundheit und SozialeSicherheit schließen sich nicht aus. Die Reichen sollen die Krise bezahlenam 26. Oktober 2020 im Twitter-Kanal von Maurizio C. externer Link (etwas „genauer“ zum Thema, wer an den Protesten wie beteiligt ist…)
    • und er ergänzt am 27.10.2020 externer Link: „Die Proteste gegen einen zweiten #Lockdown ohne #Grundeinkommen letzten Freitag in #Napoli haben in #Medien und #Politik den schlimmsten #Meridionalismus hervorgerufen: Laut den selbstdeklarierten Experten können soziale Proteste in Napoli nur von der #Camorra orchestriert sein. Gestern Abend protestierten aber Prekarisierte, informelle Arbeiter*innen und Kleingewerbebetreibende in ganz #Italien für #Gesundheit und #SozialeSicherheit für alle und dafür, dass die Reichen die #Coronakrise bezahlen. #Klassenkampf #Verteilungskampf
    • Bereits zwei Tage vorher – am 24. Oktober 2020 ebenfalls im Twitter-Kanal von Maurizio C. externer Link – die Meldung zur Beteiligung – und dies im Kontrast zu den gutbürgerlichen Medien, die alte „Anti-Süd“ Traditionen des italienischen Bürgertums neu entdecken und schon immer wussten, dass das in Neapel nur Banditen sein können: „In Napoli protestieren gerade 100te gegen die Krisenpolitik der Regierung. „Wir bezahlen eure Krise nicht“. Verschiedene Sektoren der Arbeiterklasse (Lehrer*innen, Kulturschaffende, Erwerbslose) fordern ein garantiertes Einkommen im Falle eines neuen Lockdown
    • „La Napoli proletaria oggi in piazza per dare voce a chi non ha niente da perdere“ am 26. Oktober 2020 bei der Basisgewerkschaft SI Cobas externer Link ist ein Beitrag, in dem die Proteste in Neapel nochmals eindringlich gegen die bürgerliche Propaganda verteidigt werden (und daran erinnert, dass SI Cobas zu jenen Organisationen gehörte, die dazu aufriefen): „Es sind die Proteste jener, die nichts zu verlieren haben“.
    • „L’autunno del nostro scontento“ von Dante Barontini am 27. Oktober 2020 bei Contropiano externer Link ist ein Beitrag, der ebenfalls über verschiedene Beteiligungen an den aktuellen Protesten im „Herbst unserer Unzufriedenheit“ berichtet, vor allem aber die grundsätzlichen Bedingungen dafür konkret erläutert: Neben wirtschaftlichen Nöten auch der Widerstand gegen die Willkürakte einer Regierung, die Freizeit verbbieten will – außer, versteht sich, man reduziert diese darauf, in Einkaufszentren zu „shoppen“ – das „darf“ man (dort arbeiten natürlich erst recht).
    • Siehe dazu auch unser Dossier: Corona-Krise in Italien: Auch eine soziale Krise
  • „Ausschreitungen in Neapel bei Protesten gegen geplanten Lockdown“ am 24. Oktober 2020 in Spiegel online externer Link leistet hier als Beispiel gleich zwei Aufgaben zugleich: Die Zusammenfassung politischer und medialer Reaktion in Italien – und das Wirken als bundesdeutsches Leitmedium: „… Laut Rainews24 wurde auch die Polizei mit Steinen beworfen. „Neapel ist wieder ein Pulverfass“, heißt es auf der Website des Nachrichtensenders. Die Polizei setzte den Angaben der Ansa zufolge unter anderem Tränengas gegen die Protestierenden ein. Regionalpräsident De Luca verurteilte die Ausschreitungen scharf in einem Facebook-Posting: „Einige Hundert Delinquenten haben das Bild der Stadt beschmutzt“, schrieb der Regionalpräsident. Es sei eine unwürdige Gewaltdarbietung gewesen und eine organisierte Guerilla-Aktion. Er stellte klar, dass er keinen Schritt von seiner strikten Linie abrücken werde. „Es gibt keine Entschuldigung für diese Gewalt“, schrieb Italiens Außenminister Luigi Di Maio in seinem Facebook-Profil. Nichts von dem, was in der Nacht passiert sei, sei „akzeptabel“. „Niemand darf sich erlauben, Frauen und Männer der Ordnungskräfte anzugreifen.“ Er hat in seinem Posting auch ein Video eingebettet, das die Ausschreitungen zeigt…“ – mit anderen Worten, der Herr Außenminister will weiter am Polizeistaat basteln, ihm ist die Polizei ein Heiligtum…
  • „Napoli. Caricata la manifestazione sotto la Confindustria“ am 24. Oktober 2020 bei Contropiano externer Link ist ein Beitrag, der knapp die Besonderheiten der sozialen Realität Neapels skizziert (besonders großer informeller Arbeitsbereich etwa) – was auch eine Zusammensetzung der Protestierenden aus Kleinunternehmern und Erwerbslosen sowie Prekären erklärt, und unterstreicht, dass diese Situation erfordert, klare Orientierungen zu vertreten – wie es nicht zuletzt mit dem Protest am zweiten Tag vor der Unternehmerverband geschehen sei.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=180131
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