Die systematischen und mafiösen Betrügereien in den Wohlfahrtsunternehmen im Care-Bereich werden auf Kosten der Beschäftigten ausgetragen (und mit Duldung der Gewerkschaften?)

Erwerbslosen- und Armutsindustrie: Die Schmarotzer. Grafik für das LabourNet Germany von TSVielen Beschäftigten der Arbeiterwohlfahrt (AWO) stieg die Zornesröte ins Gesicht, als sie von den korrupten Machenschaften der Kreisverbände in Frankfurt und Wiesbaden im Herbst 2019 erfuhren. AWO-Funktionäre hatten sich gegenseitig Honorare über zig-tausende Euro  zugeschanzt und sich einen „Dienst-SUV“ mit 435 PS genehmigt. Die Staatsanwaltschaften in Frankfurt und Wiesbaden ermitteln wegen des Verdachts auf Untreue und Betrug in mehreren Fällen. Besonders sauer reagieren auf solche Skandale diejenigen Beschäftigten, die ihre 4. oder 5. Überlastungsanzeige beim Anstellungsträger eingereicht haben und sich dann gar nichts ändert. Der skandalöse und kriminelle „Sozialbetrug“ ist nur möglich, weil es im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich keine vernünftigen Kontrollen gibt, dafür aber personelle Netzwerke und Verflechtungen sowie mafiöse Strukturen, in denen man „über Leichen“ geht, ohne dass jemand aufschreit. Wenn die Beschäftigten an die Öffentlichkeit gehen und auf diese Strukturen aufmerksam machen, laufen sie Gefahr, arbeitsrechtlichen Konsequenzen, Anschuldigungen wegen „Geheimnisverrat“ und Schadensersatzforderungen ausgesetzt zu sein. Die Ideologie der Privatisierung gesellschaftlicher Ebenen hat auch den dritten Sektor der Volkswirtschaft, die Bildungs- und Sozialeinrichtungen erreicht, mit fatalen Folgen für die Beteiligten. (…) Die Ideologie der Privatisierung gesellschaftlicher Ebenen hat auch den dritten Sektor der Volkswirtschaft, die Bildungs- und Sozial- und Gesundheitseinrichtungen erreicht, mit fatalen Folgen für die Beschäftigten…“ Beitrag vom 14. Januar 2020 beim Gewerkschaftsforum Dortmund mit vielen Beispielen und darin zur Rolle der Gewerkschaften:

  • Und darin zur Rolle der Gewerkschaften: „…. Die Arbeit in den Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereichen ist, wie die Care-Arbeit insgesamt, eingebettet in ein System korporatistischer Regulierung und marktlich-wettbewerblicher Steuerung, mit vielfältigen horizontalen und vertikalen Arenen der Aushandlung von Entgelten und Arbeitsbedingungen.
    Die isolierten Arbeitsrechtssysteme, Akteursstrukturen, Verhandlungsszenarien und Handlungsroutinen haben nicht nur eine aufgesplitterte Landschaft tariflicher Abschlüsse und Vereinbarungen hervorgebracht, sondern dieses verbändegeprägte Institutionensystem trägt dazu bei, dass die Verhandlung und Durchsetzung arbeitspolitischer Interessen in der Care-Arbeit gegenüber der Politik, aber auch gegenüber anderen Wirtschaftsbranchen, zurzeit erheblich erschwert ist. Das System der Arbeitsbeziehungen ist historisch gewachsen und letztlich das Ergebnis einer zwischen Staat, Wohlfahrtsverbänden und Wirtschaft verhandelten Ordnung.
    Die Gewerkschaften haben tatenlos zugeschaut, als das Kapital antrat, sich in die Care-Wirtschaft einzukaufen und sie durch betriebswirtschaftliches Management, Budgetierung und Pflegesatzverhandlungen aufzuwerten, mit dem Preis der Abwärtsspirale bei Entgelten und Arbeitsbedingungen. Die Ökonomisierung von Care-Arbeit ist aber nicht allein das Ergebnis der Einführung marktlich-wettbewerblicher Mechanismen in den Sozialsektor, sondern die Abwärtsspirale von Löhnen und Arbeitsbedingungen wurde auch durch das Zusammenwirken von branchenspezifischer Regulierung und Steuerung möglich, sie war immer schon eingebettet in einen fragmentierten und desorganisierten institutionellen Rahmen zur Aushandlung von Entgelten und Arbeitsbedingungen.
    Das wichtigste Anliegen der Gewerkschaften ist es und war es immer schon, den Faktor Arbeit zu kartellieren und Vollbeschäftigung zu erreichen und dabei sollte es um jede Stelle gehen, die, wenn möglich, mit einem Mitglied besetzt ist. Für den Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich bzw. dem gesamten Care-Bereich scheint das nicht mehr zu gelten. Obwohl die zuständigen Gewerkschaften die Ausbeutung und Überlastung der Beschäftigten anprangern, lassen sie es zu, dass Betrügereien mittlerweile systematisch ablaufen können. Ihnen ist bekannt, dass in den einzelnen Einrichtungen Stellen nicht besetzt sind und die meist öffentliche Finanzierung dafür weiterläuft, mit Wissen und Duldung der Beteiligten.
    Die Gewerkschaften scheuen sich, dieses kriminelle Vorgehen der Arbeitgeber zu skandalisieren und die Aufsichtsgremien und -behörden zu informieren. Sie haben Angst, dass die Betriebe, die zu Unrecht kassierten öffentlichen Personalkosten zurückzahlen müssen und die Einrichtung in die Insolvenz gehen muss, mit dem größeren Verlust von Arbeitsplätzen als bei der Nichtbesetzung. Sie haben seit vielen Jahren dabei nur zugeschaut, wenn der Anstellungsträger schlechter bezahlte Leiharbeitskräfte über eine eigene Sozialdienstleistungsgesellschaften eingesetzt und den Konflikt dahin ausrichten, darüber intern zu streiten, ob die outgesourcten Beschäftigten zu ihrer oder einer anderen Gewerkschaft gehören.
    Die Gewerkschaften lassen ihre Mitglieder im Regen stehen, die immer wieder mit Kündigung, Geschäftsgeheimnisverrat und Schadensersatzleistungen von den Arbeitgebern bedroht werden, wenn sie als Whistleblower die zuständigen Stellen informieren oder an die Öffentlichkeit gehen.“
  • Siehe zum Hintergrund zuletzt das Dossier: Riesiger Korruptionsskandal bei der Hessener AWO – auf Kosten der ArbeiterInnen – aufgedeckt
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=161602
nach oben