Der Nobelpreis als Kampfinstrument, um die marktradikale Neoklassik am Leben zu erhalten

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 22.8.2017

Zu dem Treffen der Wirtschafts-Nobelpreisträger in Lindau jetzt 2017: Wirtschafts-Nobelpreis als Kampfiinstrument für die marktradikale Neoklassik (seit 1969)

Ulrike Herrmann nimmt das Treffen von 18 Wirtschaftsnobelpreisträgern diese Woche in Lindau (http://www.derbetriebswirt.de/media/pdf/BW_2017_02_Lindau_Wirtschaftsnobel.pdf externer Link pdf, http://www.lindau-nobel.org/de/meeting/ externer Link und http://www.mediatheque.lindau-nobel.org/program/meeting-2017-eco externer Link) zum Anlass, über die Bedeutung dieses Preises zu reflektieren ( http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5435218&s=Ulrike+Herrmann&SuchRahmen=Print/ externer Link) und erkennt, dass dieser Wirtschaftsnobelpreis ein genialer PR-Coup im Kampf gegen die Sozialdemokratie war und ist.

Das hatten die Ökonomen Avner Offer und Gabriel Söderberg in ihrem Buch „The Nobel Factor“ herausgefunden. (http://press.princeton.edu/titles/10841.html externer Link)

So war der Wirtschafts-Nobelpreis – der nichts mit dem Stifter dieses Preises, dem Unternehmer Alfred Nobel, zu tun hat, sondern nur dessen Image als Marke benutzt, (https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred-Nobel-Ged%C3%A4chtnispreis_f%C3%BCr_Wirtschaftswissenschaften externer Link) – von Anfang an ein politisches Kampfinstrument.

Die schwedische Reichsbank stiftete diesen Preis für Wirtschaft im Jahr 1969 (!), um im Kampf gegen die sozialdemokratischen Regierungen, die es als oberste Priorität ansahen für Wohnungen und Vollbeschäftigung zu sorgen, einen öffentlichkeitswirksames Druckmittel in die Hand zu bekommen. (https://www.theguardian.com/commentisfree/2016/oct/10/politics-shaping-nobel-prize-economics-social-democracy externer Link)

So sahen sie einen Weg,um sich durchzusetzen und jede Art von Sozial- und Wirtschaftspolitik als überflüssig oder gar störend anzuprangern, in der „Schöpfung“ dieses Nobelpreises für Wirtschaft, den die schwedische Reichsbank vergibt. (http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5435218&s=Ulrike+Herrmann&SuchRahmen=Print/ externer Link)

Was in den letzten Jahrzehnten (ungefähr ab dem Ende von Bretton Woods 1970 ff.: http://www.vidc.org/news/news-92009/stephan-schulmeister-und-heiner-flassbeck-finanz-und-wirtschaftspolitik/ externer Link) sich als „die“ ökonomische Wahrheit etabliert hatte, muss in Frage gestellt werden.

Und so kam es, dass einer der bekanntesten und profilitiersten Ökonomen Paul Romer gegenüber dieser Art von Ökonomie – die jetzt auf diese Art „künstlich“ am Leben gehalten wird, – vorwarf: „Diese Ökonomie funktioniert nicht mehr, wie es bei einer wissenschaftlichen Disziplin üblich sein sollte.“ (vgl. Paul Romer „Die Ökonomen missbrauchen mathematische Modelle, um so unter dem Deckmantel scheinbar neutraler Modelle ihre Dogmen unters Volk zu bringen.“ (https://www.welt.de/wirtschaft/article144153161/Top-Oekonom-knoepft-sich-Nobelpreistraeger-vor.html externer Link)

Damit warf er den Kollegen vor, wie auf einem interreligiösen Treffen nur noch Dogmen zu rezitieren – und dafür dann auch noch – vor allem von den Regierungen – andächtige Stille zu erwarten.“ (http://www.zeit.de/2016/49/paul-romer-witschaftsprofessor-weltbank-oekonomie-glaube externer Link)

Die Politiker sahen in derartigen Zweifeln wohl auch eine Chance, das ökonomische Weltbild wieder auf einen fundierteren Grund zu stellen – und machten Paul Romer zum Chefvolkswirt der Weltbank. So kam es, dass gerade jetzt in diesem Jahr 2017, dem Jahr als ein Mann zum US-Präsident gewählt worden war, der die Ergebnisse zum Klimawandel anzweifelt, die Nobelpreisträger – auch der Wirtschaft? – nicht mehr mit ihren Erkenntnissen als „wegweisend“ empfunden werden, was die Wissenschaftlergemeinschaft verunsichert bis schockiert – denn vor einem Jahr erschien ihre Welt noch in Ordnung. (http://www.zeit.de/2017/27/lindau-bodensee-nobelpreistraeger externer Link)

Eine Rückbesinnung auf diese „Neuordnung“ eines derartigen ökonomischen Weltbildes auch in der Bundesrepublik Deutschland mit dem „Wende-Papier“ von 1982:

War es damals auch ein Kreuzzug für die Etablierung des neuen ökonomischen „Glaubens“, das politisch seine Preis (Bruch einer Koalition von FDP und SPD unter Helmut Schmidt) forderte, so wurde mit dem sogenannten „Lambsdorff-Papier“ diese neue Ära des Neoliberalismus auch für Deutschland eingeleitet. (Vgl. dazu ab dem unteren Drittel auf der Seite 1 bei https://www.labournet.de/?p=109253)

Um es breiter anzugehen, muss man sagen, dass in der internationalen Ordnung das Ende von Bretton Woods (von 1944) vorausgegangen war (http://www.bpb.de/politik/wirtschaft/finanzmaerkte/54851/bretton-woods-system?p=all externer Link) – und dann kam in der Folge davon noch der Ölpreisschock von 1973 / 74, die auch Deutschland in eine Rezession stürzte. (Vgl. etwa ab der Hälfte auf der Seite 1 bei https://www.labournet.de/?p=117749)

Aber um es doch genau anzugehen, muss auch festgestellt werden, dass neben der Schwäche der Analyse bei den – jetzt neuen – Neoliberalen (auch als Monetaristen bezeichnet) auch die inzwischen zur analytisch ungenügenden „Schmalbrüstigkeit“ der damaligen Keynesianer hinzu kam. (Vgl. Gustav Horn ebenda)

Der deutsche Sachverständigenrat Wirtschaft als Repräsentant dieses „versteinerten“ ökonomischen Weltbildes des Neoliberalismus.

Rudolf Hickel hat das in trefflicher Ironie einmal vorgestellt, wie sich auch diese Wende von Ökonomen im Sachverständigenrat nachvollziehen lässt. Jedoch langsam löst sich auch die Folgebereitschaft der Politik gegenüber diesen „Dogmen“ auf. (https://www.labournet.de/?p=106557 externer Link)

So stellte sich sogar die Frage, ob diese Art von ökonomisch-wissenschaftlicher Weltsicht überhaupt noch als Ökonomie bezeichnet werden kann – oder schon reiner Populismus ist, wenn der deutsche SVR auch den EZB-Präsidenten Draghi auffordert, seine Geldpolitik zu beenden – ohne die dann erforderlichen Alternativen klar vorzustellen. Denn: Ohne Draghi und „seine“ EZB wäre der Traum vom gemeinsamen Europa mit einer gemeinsamen Währung schon im Juli 2012 geplatzt. (Übrigens EZB-Präsident Draghi wird die Tagung der Wirtschaftsnobelpreisträger 2017 in Lindau eröffen.)

Vieles, was politisch nötig wäre, geschieht einfach nicht. Und genau diese politische Perspektiv- und Tatenlosigkeit hat dann Draghi zum Getriebenen gemacht, der eine Maßnahme nach der anderen ergreift, um zu verhindern, dass die Eurozone zerfällt.. Dies festzustellen bleibt dann wieder nur dem einzelen „Wirtschaftsweisen“ Peter Bofinger mit seiner Minderheitsmeinung noch.

Finanzkrisen sind in diesem ökonomischen Weltbild der Neoklassik einfach nicht vorgesehen, weil Instabilitäten kann es einfach nicht geben.

Mit ihrer Kritik an dieser so defizitären Volkswirtschaftslehre mit ihrer Scheuklappe nur Markt als heilsbringend anzusehen, setzt Ulrike Herrmann noch einen drauf, indem sie den australischen Ökonomen Steve Keen noch interviewt, der seit 2014 die wirtschaftswissenschaftliche Abteilung der Kingston University in London leitet.

So erklärt Steve Keen, Finanzkrisen sind in dieser Ökonomie nicht vorgesehen, weil keiner sich mit Instabilitäten befasst hat, die eine kapitalistische Geldwirtschaft kennzeichnen. So spielen eben bei diesen neoklassischen Ökonomen mit ihrer nicht vernunftbegründeten „Anbetung“ des Marktes Kredite und Spekulation keine wichtige Rolle oder werden einfach gänzlich ignoriert. (http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5439740&s=Ulrike+Herrmann&SuchRahmen=Print/ externer Link) Für Keen kommt es eben darauf an, den Kapitalismus so realistisch wie möglich zu beschreiben.

Und dieser dogmatisierte Neoliberalismus übersieht, dass wir zu viele Privat-Schulden haben. (Seit Margret Thatcher (70 Prozent im Jahr 1979) waren es kurz vor der Finanzkrise 195 Prozent)

Die Zentralbanken könnten die Privatschulden annullieren und die reale Wirtschaft unterstützen – aber sie tun das Gegenteil – und kaufen die Anleihen auf. (Siehe Steve Keen, „Can we avoid another fincial crisis?“: http://www.debtdeflation.com/blogs/2017/04/12/can-we-avoid-another-financial-crisis/ externer Link)

Bei diesem „Spiel“ profitieren nur die Finanzmärkte. Und das verstärkt die Ungleichheit nur immer weiter. Und so wird der nächste Crash in ein bis drei Jahren kommen. (http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5439740&s=Ulrike+Herrmann&SuchRahmen=Print/ externer Link)

Ja, diese „unsauberen“ Analysen, obwohl die „Wirtschaftswelt“ diesem so interessengeleiteten „falschen Blick“ (vielleicht hier ein treffenderer Ausdruck als „fake news“) so gerne „glaubte“, störte auch Martin Hellwig vom Max-Planck-Institut schon länger: „Statt sauberer Fakten nur „fiktionale“ Finanzkrisenlegenden für Deutschland: Ursachen für die Finanzkrise auch in Deutschland wurden nie untersucht. (Vgl. die Seite 1 unten bei https://www.labournet.de/?p=120135) Deshalb kann eine Finanzkrise wie 2008 / 2009 jederzeit wieder kommen, stellt Martin Hellwig nur lakonisch fest.

Und was macht der Spekulant in dieser Situation? Er liegt auf der Lauer – und wartet auf den Crash! (Siehe auch das letzte Drittel auf der Seite 1 bei https://www.labournet.de/?p=119844)

Warum China wahrscheinlich noch diesen neoliberalen Ökonomen mit ihrem so verengten finanzkapitalistischen Tunnelblick noch am ehesten auf die Sprünge helfen kann.

Wenn man nur „eurozentrisch“ den Bilck auf die Wirtschaft richtet könnte man eventuell sogar „verzweifeln“ – angesichts dieser noch vorherrschenden Spar- und Lohndumping-Orthodoxie. Aber wenn man nur einmal den Blick auch nach China richtet – und beobachten kann, wie dort das Wachstum – so erfolgreich – weiter vorangetrieben wird (https://www.welt.de/finanzen/article166720469/Diese-Indizien-sprechen-fuer-einen-jahrelangen-China-Boom.html externer Link), dann könnten vielleicht auch diese Orthodoxen noch auf andere Gedanken kommen. Und einfach erkennen, wie auf der Basis von Krediten – siehe China – die Wirtschaft auch immer weiter angestachelt werden kann (http://www.fr.de/wirtschaft/china-gekauftes-wachstum-a-1334943 externer Link), statt diese Geld – wie bei den „verlorenen“ Krediten der Exportüberschüsse – in „den Schornstein“ zu schreiben. Jedenfalls China konnte durch das Hineinpumpen von Krediten in die chinesische Wirtschaft die chinessische Wirtschaft seit der Finanzkrise 2008 auf dem Wachstumspfad halten.

Auch im ersten Halbjahr 2017, weiß Stefan Sauer, konnte auf diese Weise das Wachstum mit 6,9 Prozent komfortabel über dem Regierungsziel von 6,5 Prozent gehalten werden. Diese Kredite, die China immer wieder in seine Wirtschaft gepumpt hat, macht die Betriebe zwar nicht profitabel, verhindert aber Pleiten und erhält das Geschäft der Firmen. Das Ergebnis sind zwar tausende von hochverschuldeten Zombiefirmen, die dieses Wachstum antreiben. Und in der Folge wachsen bei Chinas Banken die Schulden, deren Bedienung fraglich ist. Nur wird das zum Problem?

Die renommierte Analystin Charlene Chu schätzt in der „Financial Times“ das Volumen der faulen Kredite bis zum Jahresende 2017 auf 7 600 Milliarden Dollar. Das entspräche einem Anteil von 34 Prozent an allen Krediten!

Zombiefirmen, faule Kredite – droht nun irgendwann der Crash? Nein, solange Peking ihn nicht zulässt. Und bei Bedarf kann die chinesische Regirung noch immer weitere Liquidität in den Unternehmenssektor pumpen – um weiter auf dem Wachstumspfad zu bleiben. Und einer Kapitalflucht ins Ausland hat Peking bereits per Kapitalverkehrkontrollen einen Riegel vorgeschoben. (http://www.fr.de/wirtschaft/china-gekauftes-wachstum-a-1334943 externer Link)

Vielleicht einfach nur statt deutsch-ökonomisch-zentrierter Nabelschau doch mehr Europa? Oder: Kann China mehr Vernunft in dieses neoliberale Rattenrennen um mehr Marktanteile und „verpulverte“ Exportüberschüsse bringen?

Und wenn Deutschland sich zunächst an diesem Rennen um Marktanteile auf dem Weltmarkt unter dem „Schutz“ des im Verhältnis billigen Euro nicht weiter beteiligen will, um immer noch weiteres Geld im Ausland zu verlieren? (Vgl. die Zahlen hier weiter unten von Marcel Fratzscher (DIW) noch) Es könnte ja sein, dass Deutschland sich dann auch auf ein mehr an Europa besinnen kann:

„Oder doch wieder eine Rückgewinnung der „sozialen Dimension“ für Europa gegenüber dem „vertraglich“-festgezurrten Vorrang des Marktes in einer Nach-Thatcher-Ära ohne Großbritannien? Der Vertrag von Maastricht gehört mit dem Brexit auf den Prüfstand: Für einen neuen Konsens in Europa jenseits der regelgefestigten Marktradikalität! ( (https://www.labournet.de/?p=111654 – insbesondere die Seite 2 unten f. – und zusätzlich zum Exportüberschuss noch Ulrike Herrmann: DIW-Chef Marcel Fratzscher hat es kürzlich vorgerechnet: Deutschlands Exportüberschüsse belaufen sich seit dem Jahr 2000 auf summiert 2.200 Millirden Euro – das Auslandsvermögen beträgt jedoch derzeit nur 1.600 Milliarden Euro – 600 Milliarden sind also verschwunden – Um diese Summe haben die Deutschen also ihre so tollen Waren „verschenkt“ (http://www.taz.de/!5417971/ externer Link))

P.S.: Vielleicht hilft uns jetzt dann auch die Feier zum 70. von Stephan Schulmeister auch wieder in dieser Auseinandersetzung ein Stück noch weiter – Herzlichen Glückwunsch zunächst! (https://admin.arbeiterkammer.wien/oghma/mail/displayExtMail.do?key=0.OgiVN6lAZOY%3D.1fddyiDXJFg%3D externer Link)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=120418
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