[Debatte in PROKLA] Konzepte der Teilhabe: Bedingungsloses Grundeinkommen oder Recht auf Arbeit?

PROKLA - Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft - 198 vom März 2020: Globale Stoffströme und internationale Arbeitsteilung„… Warum ist die Auseinandersetzung über die Alternative bedingungsloses Grundeinkommen (wie sie in ihrer konsequentesten Variante vertreten wird) oder Recht auf Arbeit nach wie vor von zentraler Bedeutung? Weil sie richtungsweisend sein kann für die politische Selbstverständigung in Zeiten der Krise der  Lohnarbeitsgesellschaft. Beide Forderungen wollen auf jeweils unterschiedliche, ja gegensätzliche Weise dazu beitragen, die bösartigen Folgen dieser Krise, wie sie sich in der zunehmenden Prekarisierung von Arbeits- und Lebensbedingungen bis hin zur sozialen Ausgrenzung zeigen, zu überwinden. Beide setzen darauf, dies bereits innerhalb bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse zu tun, zielen aber zugleich darauf ab, die Machtverteilung innerhalb dieser Verhältnisse zu verschieben und damit die Möglichkeiten sozialer Teilhabe zu erweitern. Dabei legt sich die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, in ihrer konsequentesten Lesart, mit dem bürgerlichen Leistungsprinzip an, das die Pflicht zur Gegenleistung durch Erwerbsarbeit einfordert; die Forderung nach einem Recht auf Arbeit wiederum legt sich mit der uneingeschränkten Macht des Managements von privaten Unternehmen, aber auch von öffentlichen „Arbeitgebern“ an, darüber zu entscheiden, wer unter ihrer Kontrolle erwerbstätig sein kann, wer nicht. (…) Für welche dieser beiden Forderungen aber lohnt es sich zu kämpfen, und zwar gerade aus der Perspektive der Interessen von Arbeitslosen und prekär Beschäftigten? (…) Ein Recht auf Arbeit kann die vom bedingungslosen Grundeinkommen erwarteten Erweiterungen  individueller Handlungsspielräume durchaus und noch konsequenter realisieren. Umgekehrt blendet aber die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen die zentrale Frage nach der Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit aus…“ Artikel von Martin Kronauer „Konzepte der Teilhabe: Bedingungsloses Grundeinkommen oder Recht auf Arbeit?“ in der PROKLA 197 „Krisen der Reproduktion“ vom Dezember 2019 externer Link – wir danken! Siehe nun die Erwiderung von Stephan Lessenich in der empfehlenswerten PROKLA 198:

  • Und ewig grüßt der Maulwurf. Ein Kommentar zu Martin Kronauers Plädoyer für ein »Recht auf Arbeit« New
    „… Die »Umgestaltung der Erwerbsarbeitsverhältnisse in einer Weise, dass alle an ihnen partizipieren und mindestens einen kulturell angemessenen Lebensunterhalt verdienen können« (619), das ist der regulative Fluchtpunkt von Kronauers Teilhabeprogrammatik. Warum aber der strikte Fokus auf »Erwerbsarbeit«? Oder genauer, und erstens: Warum nennt er das Kind nicht beim Namen? Denn es geht ihm doch faktisch um Teilhabe an Lohnabhängigkeit, um die Unterwerfung der Teilhabesuchenden unter ein soziales Herrschaftsverhältnis zum Zweck des Zugangs zu individuellen Lebenschancen und gesellschaftlich wertgeschätzten Gütern. Und zweitens: Was ist eigentlich mit – je nach theoriepolitisch bevorzugter Semantik – »Reproduktionsarbeit«, »Sorgearbeit«, »Care«? (…) Ist die Form des Entgelts – der Arbeitslohn – tatsächlich Ausdruck der allgemeinen Bedeutung der Arbeitsleistung? Oder nicht vielmehr, oder doch mindestens so sehr, Ausdruck ihrer partikularen Bedeutung, als Dienst nämlich an der privaten Profitaneignung? (…) Warum spielt für Kronauers Wertschätzung der Erwerbsarbeit deren sozial wie ökologisch häufig destruktive Qualität kei ne oder aber nur eine untergeordnete Rolle – wohingegen »private« Arbeit in Haushalten, Vereinen und Initiativen nicht selten damit beschäftigt ist, die Scherben erwerbsgesellschaftlich produzierter Zerstörungen aufzusammeln und wo möglich zu kitten? (…) Wenn allein die Erwerbsarbeit dafür sorgen kann, »dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse überwunden und Marktabhängigkeit und Kapitalmacht zurückgedrängt werden« (627): Ist dann die Tatsache, dass dies im jüngsten, mehr als bloß konjunkturellen Beschäftigungsboom gerade nicht passiert ist, sondern genau das Gegenteil, für eine kritisch-soziologische Analyse und Argumentation bedeutungslos? Martin Kronauer setzt also alles auf das Pferd der Erwerbsarbeit, auf deren Rücken soziale Teilhabe – und zwar nicht nur für die besten Renn- und Springpferde im Stall, sondern auch für die konkurrenzgesellschaftlich lahmeren Gäule – kollektiv erkämpft werden könne. Die emanzipatorischen Potenziale des Grundeinkommens hingegen sieht er äußerst skeptisch. (…) Fordert das Recht auf Arbeit unter gegebenen, kapitalistischen Verhältnissen wirklich »die gesellschaftliche Debatte darüber heraus, welche  rbeiten gesellschaftlich notwendig sind und sein werden« (621)? Oder führt es unmittelbar zur Produktion von noch mehr (bestenfalls) gesellschaftlich überflüssigen bzw. (wahrscheinlicher) sozial korrumpierenden und ökologisch zerstörerischen Waren? Damit verbunden: Müsste man nicht über das erwerbsgesellschaftliche System der Bedürfnisse reden? Welche gesellschaftlichen Arbeiten sind denn tatsächlich »notwendig«, welche sind tatsächlich »für die Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens unhintergehbar« (621)? Wer bestimmt darüber? Und wer sollte darüber bestimmen? Nur die Arbeitenden? Oder gar nur die Arbeitenden, die für die Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens (»wirklich«) unhintergehbare Arbeit leisten? Vielleicht wird damit deutlich, dass noch einiges ungeklärt ist an einem zu institutionalisierenden »Recht auf Arbeit «. (…) Mit dem Verweis auf Anthony Atkinsons programmatischen Vorschläge einer »Beschäftigungsgarantie« und eines »Partizipationseinkommens« zielt Kronauer auf den Kampf für eine arbeits- und sozialpolitische Rekonstruktion der in die Krise geratenen Lohnarbeitsgesellschaft. »Weniger arbeiten und besser, Arbeit für alle!« (630): Mit diesem Schlachtruf schließt sein Beitrag. Aber vielleicht sollte man ja doch eher an deren Dekonstruktion arbeiten – und für eine andere Produktions- und Reproduktionsweise streiten?  (…) selbstverständlich gilt für alle linken Positionen, sei es nun das Grundeinkommen oder ein Recht auf Arbeit, dass sie grundsätzlich in dem Dilemma stehen, im Kapitalismus gegen den Kapitalismus operieren zu müssen. Die Frage ist doch vielmehr, inwiefern transformativ gedachte Programmatiken tatsächlich über die herrschenden Verhältnisse kapitalistischer Vergesellschaftung hinausweisen. Und da kann die Grundeinkommensidee gegenüber dem Recht auf Arbeit besonders in einem Belang punkten – nämlich mit der Forderung nach Bedingungslosigkeit. Es ist die Bedingungslosigkeit des Anspruchs auf materielle Existenzsicherung, die als »das eigentliche Skandalon der Grundeinkommensdebatte« (Lessenich 2009: 18) gelten kann. Es ist die Durchkreuzung der auch bei Kronauer zentralen Reziprozitätserwartung, die Ablehnung einer »Pflicht zur Gegenleistung als Voraussetzung für die Anerkennung als Vollbürger« (628), die bei den schärfsten Kritiker*innen des Grundeinkommens bisweilen nachgerade vegetative Abwehrreaktionen zu Tage fördert. Rechte zu denken, ohne im selben Atemzug korrespondierende Pflichten mitzudenken: Dass dies das bürgerliche Leistungsethos – und damit einen normativen Kern kapitalistischer Vergesellschaftung – angreift, sollte womöglich doch für die Grundeinkommensidee einnehmen…“ Artikel von Stephan Lessenich in der PROKLA – Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft – 198 vom März 2020 – wir danken dem Bertz + Fischer Verlag!
  • PROKLA – Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft – 198 vom März 2020: Globale Stoffströme und internationale Arbeitsteilung
    Globale Ungleichheiten rücken seit Jahrzehnten immer wieder in den Blick – sei es im Zusammenhang mit Verschuldung, Rohstoffkriegen oder Migrationsbewegungen. Die Prokla 198 beschäftigt sich nun mit den globalen Abhängigkeiten unserer wirtschaftlichen Ordnung. Die Verschiedenheit der Produkte, die in einzelnen Ländern hergestellt werden, und deren Position im internationalen Finanzsystem sind hier konstituierend, nicht weniger relevant aber sind politischer Einfluss und koloniale Kontinuitäten. Die Texte fokussieren auf asymmetrische Stoff- und Ressourcenströme, die zu den globalen ökonomischen und ökologischen Ungleichheiten beitragen.“ Klappentext zu PROKLA 198 vom März 2020 (192 Seiten15,- € (D) / 15,40 € (A) / ISBN 978-3-86505-898-0) und weitere Infos/Abo beim Bertz + Fischer Verlag externer Link, siehe dort auch das Inhaltsverzeichnis externer Link , aber auch die Homepage der KollegInnen von PROKLA externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=163912
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