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Das bulgarische Lehrstück: Gibt es keine „Ausschreitungen“ – gibt es auch keine Medienberichte. Und auch die wichtigste Regime-Stütze EU soll kein Thema werden…

Plakat der Kampagne gegen Korruption in Bulgarien 2017„… Anfangs hatte Borissow noch geglaubt, er könne die Situation aussitzen. Einige Minister*innen mussten dran glauben, doch die Demonstrationen gingen weiter. Dann brachte Borissow eine Verfassungsänderung ins Spiel, die er seinem Volk als „demokratischen Neustart“ verkaufen wollte. Doch das Projekt meißelt nur das in Stein, was in Bulgarien leider Alltag ist: Die Mächtigen füllen sich schamlos mit Geldern aus Brüssel ihre Taschen – freundlich assistiert von einer Justiz, deren Unabhängigkeit nur auf dem Papier steht. Damit das auch weiter so reibungslos funktioniert, soll der Generalstaatsanwalt laut neuer Verfassung noch mehr Macht erhalten. Wie ernst diese Dinge verhandelt werden, zeigte eine Einlassung des Oppositionsabgeordneten Weselin Mareschki. Er habe den Verfassungsentwurf nicht gelesen und werde das auch nicht tun. Aber er habe dafür unterschrieben, das sei doch nicht so wichtig. Noch Fragen? Die sind für viele Bulgar*innen in einigen Punkten längst beantwortet, denn Borissows Spielchen ist zu durchsichtig: Zeit gewinnen – möglichst bis März kommenden Jahres, wenn eine Parlamentswahl ansteht. Wegen Polizeigewalt in Belarus verhänge die EU Sanktionen, im Falle Bulgariens nicht. Heuchelei und Doppelmoral, schreibt ein User auf dem Nachrichtenportal Mediapool.bg. Recht hat er…“  – aus dem Beitrag „Große Heuchelei“ von Barbara Oertel am 04. September 2020 in der taz online externer Link über ein weiteres der zahllosen Beispiele, in denen die EU keineswegs in irgendeiner Weise gegen ein „fragwürdiges“ Regime irgendetwas unternimmt, sondern, im Gegenteil, es weiter massiv fördert… Siehe dazu auch drei weitere aktuelle Beiträge zur Entwicklung der Proteste, darunter auch ein Beispiel, wie die unsägliche EU wieder einmal verteidigt wird, und den Hinweis auf unseren letzten Beitrag zu Bulgarien, worin es auch Informationen zum Wirken der verschiedenen politischen Strömungen im Land gab…

  • „Tag X in Bulgarien vertagt“ von Frank Stier am 03. September 2020 bei telepolis externer Link über den aktuellen „Stand der Dinge“ der Protestbewegung: „… Am Mittwoch des 2. September 2020 sind die bulgarischen Volksvertreter von ihrem historischen Sitz am Zar Osvoboditel in das ehemalige Haus des Zentralkomitees der „Bulgarischen Kommunistischen Partei“ (BKP) gezogen. Hochaufragend dominiert der in den stalinistischen 1950er Jahre errichtete Monumentalbau im Stile des Neo-Klassizismus die Stirnseite des Unabhängigkeitsplatzes, den die Sofioter auch Largo nennen. Zusammen mit dem Parteihaus markieren die unmittelbar benachbarten Gebäude von Ministerrat und Staatspräsidium die Eckpunkte des demokratischen Dreiecks der Macht. Noch vor Beginn des ersten Sitzungstags von Bulgariens Parlamentariern im einstigen ZK hatten sich am frühen Mittwochmorgen rund zehntausend Bürger am Largo versammelt. Seit nunmehr zwei Monaten fordern die sie den Rücktritt von Ministerpräsident Boiko Borissov und von Generalstaatsanwalt Ivan Geschev. Als einige Demonstranten versuchten, den auf den Stufen zur Eingangspforte des Parteihauses postierten Polizeikordon zu durchbrechen, setzten die Ordnungshüter Pfefferspray ein. Ihrerseits mussten sich die Polizeibeamten eines Hagels aus verdorbenen Eiern, Tomaten, Wasserflaschen und sogar Strohballen erwehren. Krankenwagen transportierten kollabierte Personen ab ins Krankenhaus. Es sollte der Tag X werden, der die politische Karriere von Regierungeschef Borissov nach drei unvollendeten Mandaten in elf Jahren endgültig beenden würde. Dies hofften zumindest die Gegner des Führers der rechtsgerichteten Partei „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB). Doch diesmal ist es Borissov noch einmal gelungen, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Angesichts der unversöhnlichen Feindschaft zwischen Regierung und der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition, stellt sich aber die Frage: wie lange noch?...“
  • „Ausschreitungen bei Demonstration gegen Bulgariens Regierung“ am 03. September 2020 bei der Deutschen Welle externer Link als Beispiel dafür, wie man von EU-Seite die Sache dargestellt haben möchte, sprich – haben wir doch nichts mit zu tun, das bisschen Kohle für Regimeförderung muss man gar nicht erwähnen: „… Borissow ist seit zehn Jahren fast ununterbrochen an der Macht. 2013 und 2016 trat er jeweils zurück, kehrte aber wenige Monate später wieder an die Regierungsspitze zurück. Bisher weigert er sich allerdings, vor Ablauf seiner dritten Amtszeit zurückzutreten. Die nächste reguläre Parlamentswahl wäre im März 2021. Bulgarien gilt als das EU-Land, in dem Korruption am weitesten verbreitet ist. Das Land ist vergleichsweise arm. Wenige Oligarchen kontrollieren weite Teile der Wirtschaft. Seit Wochen erlebt Bulgarien massive Proteste gegen das Kabinett von Borissow. In der vergangenen Woche hatte die Chefin der Wahlbehörde, Stefka Stoewa, überraschend ihren Rücktritt erklärt. Bei einer Sitzung der Zentralen Wahlkommission beklagte sie Probleme beim Einsatz der im Wahlkodex vorgesehenen Wahlmaschinen. Die Demonstranten setzen auf diese Art der Abstimmung, um mögliche Fälschungen zu verhindern...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=177613
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