Der Mietendeckel Berlin beschlossen. Doch warum tun (fast) alle so, als ob das Gesetz noch sei, wie ursprünglich geplant?

Dossier

Plakat und Logo der Wiener Mietenkampagne„… Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) kritisiert die Änderungen am Mietendeckel, die am Gesetzentwurf für den Mietendeckel Berlin in letzter Minute vorgenommen wurden. Der Mietendeckel steht heute im Abgeordnetenhaus zur Verabschiedung auf der Tagesordnung. Die Regierungsparteien entwickelten den Mietendeckel auf Druck von Basisinitiativen, die noch wesentlich weitergehende Forderungen erhoben hatten wie die Enteignung großer Wohnungskonzerne. Das Land Berlin erlässt ein Verbot für Wuchermieten, aber die MieterInnen müssen nach der neuen Regel eine Minderung selbst einklagen. Das kommentiert Dorothea Härlin, Vorstand von GiB, wie folgt:„MieterInnen in Millionen Berliner Wohnungen haben ihre Hoffnung auf den Mietendeckel gesetzt. Es ist ein Erfolg der MieterInnenbewegung, dass der Mietendeckel nun beschlossen werden soll. Was Rot-Rot-Grün allerdings mit dem Entwurf noch in letzter Minute angerichtet hat, ist schlimm. Jede/r soll für sich alleine vor Gericht gehen müssen! Die meisten Menschen werden sich so eine Klage nicht leisten können. Das ist ein Skandal, für den sich die Parteispitzen noch verantworten müssen, an vorderster Stelle die SPD.“ GiB kritisiert weiterhin, dass der Neubau ausgenommen wurde. Neubau ist einer der wichtigsten Mietpreistreiber…“ –aus der Stellungnahme „Mietendeckel Berlin: Von Basisinitiativen durchgesetzt, von der Landesregierung verstümmelt“ von Katrin Kusche am 30. Januar 2020 bei Gemeingut in BürgerInnenhand externer Link zur „last minute“ Verstümmelung eines einst vielversprechenden Gesetzes… Siehe dazu weitere – kritische – Beiträge (und nach dem Karlsruher Urteil gegen den Mietendeckel nun weiter zum Thema im Dossier: Die Kampagne der Wohnungskonzerne für ihre Profite und gegen den Mietendeckel in Berlin: Hat erste Erfolge – und wird verstärkt: Volksbegehren):

  • Initiative Genossenschaft von unten zur Klage von Wohnungsgenossenschaften gegen den Mietendeckel: „Kein Verständnis für das Handeln der Kläger“ 
    Am 12. Februar 2020 trat in Berlin das Gesetz zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung, besser bekannt unter dem Namen „Mietendeckel“, in Kraft. Von der überwiegenden Mehrheit der Berliner Mieter wurden die Regelungen des Gesetzes mit großer Zustimmung aufgenommen. Dem ständig ungebremsten Anstieg der Mieten sollte durch Deckelung Einhalt geboten werden. Die Mieter atmeten auf, ihre existenzielle Unsicherheit verflog. Von Anfang an stemmten sich die Vermieter, deren Verbände und ihre Parteienlobby dagegen. Unverständlich ist, dass die Vorstände der Berliner Wohnungsgenossenschaften mit in das Horn der Miethaie stoßen und damit gegen die Interessen der Mitglieder ihrer Genossenschaft handeln.
    Erst recht ist unverständlich, dass die Vorstände von 4 Berliner Wohnungsgenossenschaften mit einer Klage vor das Bundesverfassungsgericht gezogen sind. Sie machen sich damit zum Handlanger der profitorientierten neoliberalen Interessen der Immobilienwirtschaft. Woher nehmen diese Vorstände ihre Legitimation für ihr Handeln? Keiner dieser Vorstände ist je von den Mitgliedern gewählt worden! In keiner dieser 4 Genossenschaften gab es eine Abstimmung über eine solche Klage! Woher nehmen diese Vorstände die für die Klage erforderlichen Gelder? (…) Die klagenden Genossenschaften verfügen über ausreichende Rücklagen, weisen in ihren Lageberichten keinerlei Risiken durch den Mietendeckel nach, haben in den zurückliegenden Jahren umfangreiche Modernisierungsmaßnahmen realisiert und wären angesichts der niedrigen Bankzinsen in der Lage, ohne größere Probleme Neubauten zu finanzieren. Apropos sozial ausgewogen: Wie viele Hartz-IV-Empfänger wurden in den letzten 10 Jahren in Genossenschaften aufgenommen oder sucht man nicht zuerst Neumitglieder mit nachhaltigem finanziellem Hintergrund? (…) Wir haben jedenfalls kein Verständnis für das Handeln der Kläger und fordern sie auf, ihre Klage zurückzuziehen. Die Mitglieder der Wohnungsgenossenschaften fordern wir auf, klare Position gegenüber ihren Vorständen zu beziehen.“ Stellungnahme der Initiative Genossenschaft von unten am 17.2.2021 per e-mail
  • Wohnungsbaugenossenschaften klagen gegen Berliner Mietendeckel 
    „Die Wohnungsbaugenossenschaften gelten im wohnungspolitischen Diskurs oftmals als Teil eines „gemeinwohlorientierten Sektors“.  Diese ohnehin zweifelhafte, pauschale Einordnung könnte nunmehr endgültig der Vergangenheit angehören. Vier Berliner Wohnungsbaugenossenschaften haben beim Bundesverfassungsgericht eine Sammelklage gegen den Berliner Mietendeckel eingereicht. Das Gesetz greife massiv in Grundrechte und bestehende Verträge ein, zitiert spiegel online Dirk Enzesberger, Vorstand der Charlottenburger Baugenossenschaft. An der Klage beteiligen sich außerdem die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG, die Erste Wohnungsgenossenschaft Berlin-Pankow eG und die Wohnungsgenossenschaft Marzahner Tor eG.Enzensberger kritisierte nicht einzelne Teile des Mietendeckels, sondern fordert die komplette Annullierung des Gesetzes, da es „massiv in Grundrechte und bestehende Verträge eingreift“. Ansonsten bedient er sich aus der Propaganda-Mottenkiste der Immobilienlobby: Das Gesetz verhindere Neubau und Modernisierungen und würde sogar zu einer Verschärfung der Wohnungsnot führen. (…) Bereits im vergangenen Jahr hatte der Dachverband gegen den Mietendeckel mobil gemacht und wurde quasi zum Kronzeugen von CDU, FDP und Immobilienverbänden. Ob die Klage überhaupt eine Rolle spielen wird, ist eher zweifelhaft. Denn bereits vor Monaten haben CDU und FDP eine Normenkontrollklage in Karlsruhe eingereicht, das Urteil wird für das 2. Quartal dieses Jahres erwarten.Möglicherweise wollten Enzesberger und seine Unterstützer einfach nur „Flagge zeigen“, um ein für allemal klarzustellen, dass sie mit Gemeinwohl nun wirklich überhaupt nichts am Hut haben.“ Meldung von Rainer Balcerowiak vom 3. Februar 2021 beim MieterEcho online externer Link, siehe dazu auch:

    • [Initiative “Die Genossenschafter*innen”] Stellungnahme zur Verfassungsklage von vier Berliner Wohnungsgenossenschaften gegen den Mietendeckel
      „… Mit der Klage handeln die vier Genossenschaften gegen die Interessen ihrer Mitglieder und fügen der Genossenschaftsbewegung Schaden zu. Auch die Argumente sind aus unserer Sicht abenteuerlich, sie erschweren eine nötige gemeinwirtschaftliche Wende auf dem Wohnungsmarkt. Vier Punkte sind besonders problematisch. Erstens: Wir stellen fest, dass Herr Enzesberger nicht für “die Berliner Genossenschaften” spricht. Er ist Sprecher eines Marketing- und Lobbyverbands (…) Zweitens: Die klagenden Genossenschaften führen an, dass es sich um einen verfassungswidrigen Eingriff in die Grundrechte handele. Das ist schon sehr zweifelhaft. (…) Denn ein Blick in die Bilanzen zeigt: Gerade diese vier Genossenschaften haben in den letzten Jahren hohe Überschüsse erwirtschaftet. Die Rücklagen und auch die flüssigen Mittel sind hoch. Nirgendwo ist in den Risikoberichten davon die Rede, dass der Mietendeckel die Genossenschaften gefährden würde. (…) Drittens: Mit ihrer Drohung, Sanierungen oder Modernisierungen auszusetzen, verängstigen die Genossenschaften gezielt ältere, bewegungseingeschränkte Genossenschaftsbewohner:innen. Die eigenen Mitglieder in ‚Geiselhaft‘ zu nehmen und zu manipulieren ist unredlich und stört gezielt den genossenschaftlichen Frieden. Viertens: Die klagenden Genossenschaften wenden sich mit diesem Vorgehen von den Prinzipien der Genossenschaftsbewegung ab: Sie sind weder bereit Solidarität nach innen zu befördern, indem sie Alt- und Neumitglieder gegeneinander ausspielen, noch wollen sie sich an der Lösung der stadtweiten wohnungspolitischen Notlage beteiligen und das Gesetz respektieren. Eine kleine Gruppe Berliner Genossenschaften schließt sich damit einer neoliberalen Wohnungspolitik an, die einige Lobbygruppen schon länger propagieren…“ Stellungnahme der Initiative ‚Die Genossenschafter*innen‘ vom 3. Februar 2021 externer Link
  • „Grenzen aufgezeigt“ von Nico Popp am 31. Januar 2020 in der jungen welt externer Link kommentiert: „… Die Freude in der Partei Die Linke ist groß. Endlich einmal kann die Parteispitze als Argument für ihren gemütlichen Reformismus mehr als nur ein paar hohle Phrasen vorzeigen: Ein richtiges Gesetz ist es diesmal geworden! »Links ist konkret«, jubelte Katja Kipping kurz nach der Abstimmung über den »Mietendeckel« im Berliner Abgeordnetenhaus am Donnerstag. Man habe hier der »Immobilienlobby ihre Grenzen aufgezeigt und gewonnen«, befand Bernd Riexinger. Daran ist nicht viel richtig. Die »Grenzen aufgezeigt« bekam in der vergangenen Woche Kippings und Riexingers Genossin Katrin Lompscher in Berlin. Die Senatorin für Wohnen und Stadtentwicklung musste ihren Gesetzentwurf in allerletzter Minute »rechtssicher« machen. Und das heißt »konkret«: Wer als Vermieter die vorgeschriebene Mietobergrenze ignoriert oder die »eingefrorene« Miete erhöht, landet nicht mehr – wie noch im ersten Entwurf vorgesehen – von Amts wegen vor Gericht, sondern nur dann, wenn der Mieter diese Eskalation aktiv herbeiführt. Diese Änderung entkernt das Gesetz und erklärt, warum sich die »Immobilienlobby« nach dieser Kehrtwende binnen einer Woche merklich beruhigt hat. Für die außerparlamentarische Bewegung gegen den »Mietenwahnsinn«, die auch das Ziel hat, die »Enteignung« profitorientierter Wohnungskonzerne in der Hauptstadt herbeizuführen, ist der »Mietendeckel« noch aus einem anderen Grund kein Anlass zu großer Freude: Schon bei ihrer letzten, überraschend schwach besuchten Demonstration im vergangenen Herbst war zu spüren, dass Lompschers Vorstoß ihr merklich den Wind aus den Segeln nimmt. Sie hätte von Anfang an klar aussprechen müssen, dass das ein Hauptzweck der ganzen Übung war: Es war kein Zufall, dass die Idee für den »Mietendeckel« zuerst in der Berliner SPD aufkam…“
  • „Die Angst vorm Vermieter“ von Benjamin Knödler in der Ausgabe 5/2020 des Freitag online externer Link kommentiert unter anderem zur schnell noch eingeführten individuellen Klage: „… Was passiert aber mit jenen bestehenden Mieten, die 20 Prozent über der Mietobergrenze liegen? Die, so sieht es das Gesetz vor, sollen tatsächlich abgesenkt werden. Doch eben da liegt auch die Schwäche im neuen Gesetzentwurf; jene Schwäche, die FDP und CDU veranlasst, mit den „kleinen Leuten“ zu argumentieren. Denn Mieter können sich zwar von offizieller Seite bestätigen lassen, dass ihre Miete zu hoch ist – am Ende müssen sie selbst ihre Vermieter verklagen, das übernimmt die Stadt nicht für sie. „Da wird es vom Geldbeutel des Mieters abhängen, ob er das Klagerisiko auf sich nimmt“, befürchtet die Grünen-Politikerin Katrin Schmidberger in der taz. In den vergangenen Tagen bestimmte vor allem diese Änderung die öffentliche Debatte in Berlin. Denn das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter bleibt ein Abhängigkeitsverhältnis. Dass sich Mieter deshalb oft nicht trauen, zu klagen, konnte man schon bei der Mietpreisbremse sehen, wie eine Kurzanalyse für das Bundesjustizministerium aus dem Jahr 2016 zeigt: Auf die Frage, warum Mieter keinen Widerspruch einlegen wollen, nannten 75 Prozent die Angst vor einem belasteten Verhältnis mit dem Vermieter, die Angst vor Kündigung nannten 63 Prozent. Um die Absenkung der Miete durchzusetzen, müssen sich die Berlinerinnen jedoch überwinden, trotz dieser Ängste zu klagen. Immerhin werden sie hier, anders als bei der Mietpreisbremse, in ihrem Klagerecht von der Stadt bestärkt. Der Berliner CDU-Politiker Burkard Dregger macht sich dennoch Sorgen. Der taz sagte er: „Mit der Änderung wälzen die Koalitionäre alle Risiken des rechtlich höchst umstrittenen Gesetzes auf die Mieter ab. Die Konsequenzen jetzt auf die kleinen Leute schieben zu wollen, ist eine miese Nummer.“ Ein erstaunliches Urteil – vor allem, wenn man bedenkt, dass die CDU bereits eine Klage gegen den Mietendeckel angekündigt hat. Haben es die Mieterinnen und Mieter wirklich leichter, wenn sie nicht selbst klagen müssen, weil sie erst gar kein Recht bekommen, das sie einklagen können? Beim Berliner Mieterverein sieht man sich unterdessen schon nach Verstärkung bei den Vertragsanwälten um. Reiner Wild, Geschäftsführer des Vereins, sieht diese Änderung im letzten Gesetzentwurf zwar ebenfalls kritisch. Trotzdem warnt er, man solle den Fokus nicht vorrangig auf die Absenkung legen: „Wichtig ist, dass Mietenstopp, Begrenzung bei Wiedervermietung und Modernisierung zum Zuge kommen.“ Immerhin ist die Durchsetzung von Obergrenzen, auch wenn sie erklagt werden muss, ein politisches Novum...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=162115
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