Was heißt eigentlich »sicheres Herkunftsland«?
Dossier
„Die Debatte um »sichere Herkunftsländer« ist in aller Munde – und allzu oft wird der Begriff falsch verwendet. Grund genug, kurz zu erklären, worum es dabei eigentlich geht, und mit ein paar Irrtümern aufzuräumen. (…) Dass ein Staat als »sicheres Herkunftsland« definiert wird, hat momentan leider nicht immer etwas mit der tatsächlichen politischen Realität in diesen Staaten zu tun. Vielmehr wird die Regelung aktuell in erster Linie dazu genutzt, Flüchtlingszahlen aus gewissen Ländern zu begrenzen. Mit einer solchen Einstufung soll deutlich gemacht werden, dass die Menschen hier keine Chance auf Asyl haben, um Fluchtbewegungen zu verringern. Dazu wird pauschal behauptet, in diesen Staaten gäbe es keine politische Verfolgung, die Schutzsuchende als Asylgrund geltend machen könnten…“ Hintergrund vom 09.03.2017 von und bei Pro Asyl
und mehr dazu:
- EuGH zu Anforderungen an sicheres Herkunftsland: Nur sicher, wenn es für alle sicher ist – vorerst. Mit der GEAS-Reform ändert sich das
„… Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) erhöht die Hürden bei der Bestimmung von sicheren Herkunftsländern für beschleunigte Asylverfahren. Die EU-Mitgliedstaaten können nur dann Listen sicherer Länder festlegen, wenn sie die Quellen für ihre Einschätzung offenlegen und die gesamte Bevölkerung in dem Land sicher ist, entschied das Gericht am Freitag in zwei Verfahren (Urt. v. 01.08.2025, Az. C‑758/24, C‑759/24). Anlass für die Verfahren bildet Italiens umstrittenes „Albanien-Modell“ für schnelle Asylverfahren im Ausland. Die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten ist eine Grundvoraussetzung, um das Modell umsetzen zu können. Asylanträge von Menschen aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat können leichter und schneller abgelehnt werden. Eine EU-Liste sicherer Herkunftsländer gibt es nicht. (…) Der EuGH legte nun die Voraussetzungen für diese Einstufung fest. Die Mitgliedstaaten seien befugt, sichere Herkunftsstaaten eigenständig durch einen Gesetzgebungsakt zu bestimmen. Die der Einschätzung zugrunde liegenden Informationsquellen müssen aber transparent sein, um eine Überprüfung der Einstufung durch die nationalen Gerichte zu ermöglichen. Zudem entschied der EuGH, dass es nicht genügt, wenn der Staat für manche Personengruppen sicher ist und für andere, wie etwa homosexuelle oder queere Menschen, nicht. Nur wenn der Staat allen einen ausreichenden Schutz biete, darf er als sicher eingestuft werden, so der EuGH. (…) Die Schutzsuchenden zogen in Rom vor Gericht. Das war sich nicht sicher, ob die Liste der sicheren Herkunftsländer der italienischen Regierung mit EU-Recht vereinbar ist, und wandte sich deshalb im Wege des Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH. Das Gericht führt in seiner Vorlage aus, dass der italienische Rechtsakt, durch den die Einstufung im Oktober 2024 erfolgt war, nicht die Informationsquellen angebe, auf die der italienische Gesetzgeber seine Einschätzung gestützt habe. In der früheren Regelung seien die Erkenntnismittel noch ersichtlich gewesen. Diese Intransparenz nehme sowohl dem Antragsteller als auch der Justiz die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Einstufung zu bestreiten bzw. zu prüfen. Der EuGH stellte nun klar, dass es den Mitgliedstaaten zwar freistehe, eine Einstufung durch Gesetzgebungsakt eigenständig vorzunehmen, dass diese Entscheidung jedoch gerichtlich überprüfbar sein müsse. Die gerichtliche Kontrolle müsse sich auf alle materiellen Voraussetzungen der „Sicherheit“ des betreffenden Staates beziehen. Aus diesem Grund treffe den Mitgliedstaat die Pflicht, sämtliche hierfür genutzten Erkenntnisquellen zu benennen und den Betroffenen sowie den Justizbehörden den Zugang hierzu zu ermöglichen. (…) In materieller Hinsicht entschieden die Luxemburger Richter, dass ein Mitgliedstaat einen Herkunftsstaat nur dann als sicher bestimmen darf, wenn er die selbst festgelegten materiellen Voraussetzungen für die Sicherheit in Bezug auf bestimmte Personengruppen erfüllt. Dies gelte allerdings nur bis zum Inkrafttreten der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Eine neue EU-Verordnung wird im Juni 2026 die derzeit geltende EU-Asylverfahrensrichtlinie ersetzen. Die Neuregelung gestattet in Art. 61 Abs. 2 sowohl regionale Ausnahmen als auch solche für „eindeutig identifizierbare Personengruppen“. Das Urteil des höchsten europäischen Gerichts ist auch für Deutschland wegweisend. Das bestätigt Migrationsrechtlerin Prof. Dr. Pauline Endres de Oliveira. Denn auch Deutschland hat eine Liste sicherer Länder festgelegt. (…) Ob und wie es nach der Entscheidung mit dem „Albanien-Modell“ weitergehen kann, ist laut der Professorin unklar. „Es gibt noch zahlreiche Rechtsfragen, die beim ‚Italien-Albanien-Modell‘ im Raum stehen“, erklärt die Dozentin der Humboldt-Universität Berlin. Zum Beispiel, ob die geplante Unterbringung von Asylsuchenden in solchen Zentren rechtlich einer Inhaftierung gleichkomme. Das wäre problematisch, denn nach internationalem Recht dürfe niemand ohne rechtlichen Grund inhaftiert werden – und eine Asylantragstellung sei kein Haftgrund.“ Mitteilung vom 1. August 2025 bei LTO, siehe zu Hintergründen:
- Pro Asyl zu Einordnung zur heutigen EuGH-Entscheidung zu sicheren Herkunftsstaaten und dem Konzept der „return hubs“
„… Dem Urteil wird insbesondere vor dem Hintergrund des italienischen Albanien-Modells Bedeutung zugeschrieben: Denn die Einstufung von Ländern als „sichere Herkunftsstaaten“ ist Voraussetzung für die Durchführung von beschleunigten Asylverfahren, wie die italienische Regierung sie für Asylsuchende in Albanien unter Haftbedingungen vorsieht. Bislang scheiterte Giorgia Meloni jedoch bei allen drei Umsetzungsversuchen an der italienischen Justiz. Deshalb nutzt die italienische Regierung die albanischen Lager seit Ende März 2025 als Abschiebehaftanstalten für abgelehnte Asylsuchende mit Abschiebebescheid. Meloni experimentiert hier mit einer Idee, für die sich auch die EU-Kommission jüngst einsetzte (sogenannte return hubs). Auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt forderte zuletzt mehrfach lautstark Rückführungszentren außerhalb Europas. Das ist aus Sicht von PRO ASYL eine höchst gefährliche Entwicklung: „Das Modell der sogenannten Rückführungszentren verfolgt eine gefährliche ‚Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn‘-Politik, die sich um Menschenrechte und die Schicksale der Betroffenen nicht schert. Die Kosten für Melonis menschenunwürdiges Propaganda-Projekt sind exorbitant, was in einem krassen Gegensatz zu der völligen Ineffizienz und Wirkungslosigkeit des Modells steht. Ganz gleich, ob die albanischen Lager zur Durchführung von Asylverfahren oder als Abschiebelager dienen – die menschenrechtliche Bilanz des ‚Albanien-Modells‘ ist verheerend: Pauschale Inhaftierungen, fehlender Zugang zu Rechtsschutz, Intransparenz sowie das Ausbleiben demokratischer Kontrolle haben zur systematischen Entrechtung von Schutzsuchenden beigetragen. Es darf keine ‚rechtsfreien Zonen‘ außerhalb der EU geben, in denen Mitgliedsstaaten sich ihrer Verantwortung für Asylsuchende scheinbar einfach entledigen können“, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.“ Pressestatement von Pro Asyl vom 1. August 2025 - Dossier: Ein Flüchtlingsbekämpfungs-Deal nach dem anderen: Deutschland und die EU und ihre »Migrationspartnerschaften« und
- Dossier: Italienische Flüchtlingspolitik sowie
- Dossier: Migrationspakt und GEAS: Neuer Anlauf in der EU-Flüchtlingspolitik (???)
- Pro Asyl zu Einordnung zur heutigen EuGH-Entscheidung zu sicheren Herkunftsstaaten und dem Konzept der „return hubs“
- Umgehung des Bundesrat: Regierung will sichere Herkunftsländer per Verordnung
„Abgelehnte Asylbewerber aus Staaten, die als sicher gelten, können schneller abgeschoben werden. Die Koalition will sogenannte „sichere Herkunftsstaaten“ künftig per Verordnung einstufen – und so den Bundesrat umgehen. Linke kritisiert: Union öffnet damit politischer Willkür Tür und Tor.
Die Bundesregierung bereitet einen Gesetzentwurf vor, der die Einstufung von Staaten als sogenannte sichere Herkunftsländer vereinfachen soll. Wie der „Tagesspiegel“ berichtet, wird eine Verabschiedung im Kabinett an diesem Mittwoch angestrebt. Konkret geht es darum, dass die Regierung Herkunftsländer von Asylbewerbern künftig per Rechtsverordnung entsprechend einstufen können soll und damit ohne Zustimmung des Bundesrats. Gilt ein Land als sicher im Sinne des Gesetzes, dann bedeutet dies, dass dort die politischen Verhältnisse vermuten lassen, dass es dort keine politische Verfolgung oder unmenschliche Behandlung oder Bestrafung gibt. Asylanträge von Menschen, aus diesen vermeintlich „sicheren“ Herkunftsstaaten lehnt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in der Regel als offensichtlich unbegründet ab. Dies schließt die Anerkennung eines Schutzstatus im Einzelfall aber nicht aus. Abgelehnte Antragsteller können jedoch leichter und schneller abgeschoben werden. (…)
Als sichere Herkunftsländer gelten in Deutschland aktuell neben den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Albanien, Bosnien-Herzegowina, Ghana, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro, Senegal, Serbien, Georgien und Moldau. Die Einstufung soll die sogenannte „irreguläre“ Migration aus diesen Staaten verringern.“ Meldung vom 03.06.2025 im Migazin - Rechtslage sichere Herkunftsstaaten: Wer entscheidet, was sicher ist
„Die Definition als sicherer Herkunftsstaat soll Behörden und Gerichte entlasten. Doch die gesetzlichen Hürden, die Liste um die Maghreb-Staaten oder Georgien zu ergänzen, sind hoch. Das Grundgesetz gibt es vor: Nach Artikel 16a Absatz 3 kann der Gesetzgeber bestimmte Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklären. Möglich ist das aber nur, wenn es als sicher gilt, dass in diesem Land keine politische Verfolgung und auch keine unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. (…) Um das zu bewerten, muss man sich in dem betreffenden Staat drei Dinge ansehen: Die Rechtslage, die Rechtsanwendung und die allgemeinen politischen Verhältnisse. Wenn es in einzelnen Landesteilen politische Verfolgung gibt oder zum Beispiel einzelne Bevölkerungsgruppen unmenschlich behandelt oder bestraft (zum Beispiel gefoltert) oder politisch verfolgt werden, darf das Land nicht zum sicheren Herkunftsstaat erklärt werden. Ist das aber nicht der Fall, kann der Bundestag ein entsprechendes Gesetz beschließen. Der Bundesrat muss diesem zustimmen, damit es in Kraft tritt…“ Beitrag von Kolja Schwartz aus der ARD-Rechtsredaktion vom 18. Juli 2018 in tagesschau.de
Siehe auch:
- Dossier: Ein Flüchtlingsbekämpfungs-Deal nach dem anderen: Deutschland und die EU und ihre »Migrationspartnerschaften«
- Zur willkürlichen Anwendung siehe z.B. unser Dossier: [Maghreb-Staaten] Folterstaaten sind keine sicheren Herkunftsstaaten