Nach Halle: Mehr Netzkompetenz für Ermittler statt Massenüberwachung

Dossier

Kasperle-Theater zur "Sicherheit". Grafik von Jascha Buder zur Kampagne von Digitalcourage„… Der Anschlag von Halle ist noch nicht einmal aufgeklärt, die Toten noch nicht unter der Erde, da werden die altbekannten Instrumente aus der Schublade geholt: Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner, Verschlüsselung knacken, Messenger überwachen, politische Datenbanken anlegen und schärfere Gesetze sowieso. Dazu mehr Personal für BKA und Verfassungsschutz, jene Behörden also, die ihre Budgets schon in den vergangenen Jahren verdoppeln konnten. Neu an den Forderungen ist nur, dass es diesmal nicht gegen den islamistischen, sondern gegen den rechten Terrorismus gehen soll. Egal was passiert, mehr Überwachung soll es richten. Jedes Mal. Während der Rassismus bis weit in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht, Unionspolitiker rechts mit der AfD schritthalten wollen, Nazis in Bundeswehr und Polizei ihr Unwesen treiben können und die AfD nun wirklich in den Fußstapfen der NPD angekommen ist, soll es die gute alte anlasslose Massenüberwachung wieder richten. Massenüberwachung, das Allheilmittel der Hardliner. Wie immer ist dabei egal, dass der Nachweis ihrer Wirksamkeit nicht erbracht wurde, vor allem nicht im Fall von Halle. (…) Natürlich müssen wir vehement die Rolle von radikalisierenden Youtube-Algorithmen hinterfragen, die jeder stinknormalen Nutzerin zwei Videos später die abwegigsten Verschwörungstheorien liefern. Das ist gefährlich, weil der Mainstream hier ungefragt und permanent mit toxischem Mist befeuert wird. (…) Dieser Druck entsteht aber nicht ohne ein klares Anerkenntnis, dass wir gesellschaftlich ein Problem mit dem Rechtsradikalismus haben. Und dessen Wurzel beginnt nicht erst bei mordenden Rechtsterroristen und stiernackigen Stiefelnazis, sondern dort, wo die „Bis-zur-letzten-Patrone-Rhetorik“ eines Horst Seehofers den demokratischen Raum verlässt. (…) Bevor also weiter Grundrechte abgebaut werden sollen, müssen die Gesetze evaluiert werden, die heute schon zur Verfügung stehen. Wir brauchen ein Moratorium für Sicherheitsgesetze. Alles andere ist unverantwortlicher Raubbau an den Freiheit unserer Gesellschaft.“ Kommentar von Markus Reuter vom 15. Oktober 2019 bei Netzpolitik externer Link – siehe dazu auch Ein Regierungsprogramm gegen Rechts: Oder ein rechtes Regierungsprogramm? sowie zur Umsetzungsebene das Dossier: NetzDG u.a.: Wie sich die Debatte um Fake (und Hate) News zum Problem für Presse- und Meinungsfreiheit entwickelt und hier unter Überwachungsaspekten:

  • Parlamentarisches Kontrollgremium: Geheimdienstchefs wollen Rechtsextremismus mit mehr Überwachung aufklären New
    „Einmal im Jahr sprechen die Chefs der drei deutschen Geheimdienste öffentlich im Bundestag. In diesem Jahr wurde nicht so viel über Islamismus, sondern vor allem über die Gefahr von rechts geredet. (…) Der Wunschzettel der Geheimdienste bleibt allerdings ungeachtet der Beobachtungsschwerpunkte gleich: mehr Personal, mehr rechtliche Befugnisse und die dazugehörige Technik natürlich. Von der „Virtualisierung“ des Rechtsextremismus sprach BfV-Chef Haldenwang. In Messengergruppen und Imageboards bekämen Rechtsextremisten mehr Reichweite, könnten sich international verbreiten und vernetzen sowie Inhalte emotionalisieren. (…) An neuen Befugniswünschen nennt Haldenwang Onlinedurchsuchung und sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Die kommt immer da ins Spiel, wo es um verschlüsselte Kommunikation geht. Wenn die sich nicht mithören lässt, wollen die Geheimdienstler sie direkt am Gerät abgreifen. (…) Bisher ist das rechtlich den Polizeibehörden vorbehalten, eine Ausweitung auf BND und Verfassungsschutz plant das Innenministerium von Horst Seehofer aber seit mehreren Monaten. (…) Die CDU machte immer wieder Druck und betonte wiederholt, etwa mehr Möglichkeiten bei der Online-Durchsuchung – also bei Staatstrojanern – zu brauchen. Zuletzt auch bei einer Pressekonferenz nach dem Anschlag in Halle: „Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Bundespolizei müssen die Quellen-TKÜ durchführen können, damit Terroristen, Extremisten und Kriminelle nicht verdeckt kommunizieren können.“ SPD-Justizministerin Christine Lambrecht „signalisierte Gesprächsbereitschaft“, heißt es mittlerweile. In der Sitzung des PKGr drängt sich ein Eindruck auf: Zum einen präsentieren die Geheimdienstchefs der Öffentlichkeit, dass sie nun auch vermehrt nach rechts schauen. Zum anderen aber machen sowohl sie als auch einige der Abgeordneten mit ihren Fragen Stimmung für neue Gesetze und mehr finanzielle Mittel. Eine Funktion öffentlicher Kontrolle vermittelt das weniger. Aber umso mehr einen Vorgeschmack darauf, was im nächsten Jahr an Gesetzesvorschlägen und Mitteln diskutiert werden wird.“ Beitrag von Anna Biselli vom 29. Oktober 2019 bei Netzpolitik externer Link
  • Maßnahmenbündel: Innenminister beschließen Zehn-Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus 
    „… Nach dem Anschlag von Halle wollen die Innenminister von Bund und Ländern rasch mit einem Maßnahmenpaket auf die rechtsextremistische Bedrohung reagieren. Bei einem Sondertreffen in Berlin verständigten sich die Ressortchefs der Bundesländer mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf insgesamt zehn Punkte, darunter einen besseren Schutz von Synagogen, eine Verschärfung des Waffenrechts, strengere Regeln für Internetanbieter und mehr Ressourcen für die Behörden. Die Maßnahmen sollen schnell umgesetzt, möglichst schon nächsten Mittwoch im Bundeskabinett besprochen werden, sagte Seehofer nach dem Treffen. (…) Das „Maßnahmenbündel“, wie der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Schleswig-Holsteins Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU), das Paket nannte, sieht zudem unter anderem konsequente Vereinverbote und mehr Prävention vor. Die Innenminister stellen sich zudem hinter die Forderung von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), die Anbieter von Internetplattformen verpflichten will, strafrechtlich relevante Inhalte von Nutzern zu melden. Bislang sind sie nur verpflichtet, diese Inhalte binnen einer Frist zu löschen. (…)Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) betonte, dass die Innenminister auch für einen besseren Schutz von Kommunalpolitikern vor Hass und Bedrohungen plädieren. Lambrecht hatte vorgeschlagen, den Paragrafen, der üble Nachrede gegen Politiker ahndet, so abzuändern, dass er anders als jetzt auch auf Kommunalpolitiker Anwendung findet. Zudem soll das Bundesinnenministerium prüfen, wie extremistische Umtriebe von Beamten disziplinarrechtlich verfolgt werden können. Dabei gehe es um Einzelfälle, nicht um die bloße Mitgliedschaft in Vereinigungen, sagte Pistorius: „Niemand von uns will einen Radikalenerlass.“…“ Meldung von und bei MiGAZIN vom 21. Oktober 2019 externer Link – Recht typisch: Obwohl schon 2013 der Antirassismus-Ausschuss der UN wegen der deutschen Behandlung des Sarrazin-Rassismus mit seiner Communication No. 48/2010 externer Link wirksame gesetzliche Maßnahmen gegen Rassismus anmahnte, sind diese trotz Halle immer noch kein wichtiger Punkt. So kann das BVerfG auch weiterhin Rassismus – wenn auch widersinnig – als durch die Meinungsfreiheit gedeckt behandeln (vgl. BVerfGE 1 BvR 811/17 vom 27. August 2019)
  • Nach Halle: Vorratsdatenspeicherung verbieten und Verfassungschutz abwickeln. Digitalcourage warnt vor den Plänen von CDU/CSU nach dem Terror in Halle/Saale
    Digitalcourage fordert ein Verbot der Vorratsdatenspeicherung, weil u.a. erfasst wird, wer wann in welche Synagoge geht. Digitalcourage fordert die Abwicklung des Bundesamts für Verfassungsschutz, weil er nachweislich in Neonazi-Szenen verstrickt ist. Die Grund- und Menschenrechtsorganisation Digitalcourage warnt vor den Plänen von CDU/CSU. Als Reaktion auf den Terror in Halle/Saale hat die Union ein Paket zur Bekämpfung des Rechtsextremismus externer Link vorgelegt. Zu den geforderten Maßnahmen gehören die anlasslose Vorratsdatenspeicherung und die Aufrüstung des sogenannten Verfassungsschutzes. Hallo CDU: Vorratsdatenspeicherung und Verfassungschutz sind nicht die Lösung externer Link
    (1) Vorratsdatenspeicherung: Wer geht wann in welche Synagoge? Eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung erfasst alles – auch, wer wann in eine Synagoge, eine Moschee, in ein Gewerkschaftshaus oder auf eine Demonstration geht.  Konsequent wäre es, Vorratsdatenspeicherungen zu verbieten und demokratisch kontrollierte und gezielte Ermittlungsarbeit weiter auf ein modernes demokratieverträgliches Niveau anzuheben. Digitalcourage fordert ein gesetzliches Verbot von Vorratsdatenspeicherungen und eine Debatte über Maßnahmen, die grundrechtskonform einen Beitrag zu mehr Sicherheit leisten. Dazu gehören Mittel wie QuickFreeze oder Polizei-Sonderdezernate gegen rechte Gewalt. (…) (2) „Verfassungsschutz“: Heillos verstrickt in Neonazi-Szenen. Der sogenannte Verfassungsschutz ist auf dem rechten Auge blind und kann darum keine Lösung für die Gefahren von rechtem Terror sein. (…) Digitalcourage fordert eine Abschaffung des Bundesamts für Verfassungschutz und einen Aufbau einer transparent arbeitenden, demokratisch kontrollierbaren Behörde:
    Im Skandal um den Nationalsozialistischen Untergrund hat sich der Verfassungsschutz als unfähig bewiesen, die Bevölkerung zu schützen. Schlimmer noch: er hat durch die Finanzierung und Deckung von V-Leuten die organisierte Kriminalität sogar tatkräftig unterstützt. Gleichzeitig wurden die Aufklärung der Morde und Verbrechen des NSU blockiert und in großem Umfang Akten vernichtet. Darum fordern wir: Geheimdienste sofort abschaffen!“ Pressemitteilung vom 17.10.2019 von und bei Digitalcourage externer Link mit umfangreichen Hintergründen
  • Mehr Überwachung, geknackte Messenger: Die Forderungen nach dem Anschlag in Halle
    Nach dem rechtsextremen Terroranschlag in Halle werden neue Überwachungsmaßnahmen diskutiert, darunter anlasslose Massenüberwachung oder erweiterte Eingriffsmöglichkeiten für Ermittlungsbehörden. Eine Übersicht der Forderungen – und einige mögliche Alternativen. (…) Das eigentliche Problem ist, dass in Teilen unserer Gesellschaft Antisemitismus und Rassismus weiterhin einen Nährboden haben und zu wenig dagegen unternommen wird. Doch stattdessen erleben wir in den vergangenen Tagen Stellvertreterdebatten, in denen Sicherheitsbehörden und Innenpolitiker die Chance nutzen, ihre alten Forderungen nach mehr Überwachung und Kontrolle neu zu verpacken und als Wundermittel und vermeintlich neuen Lösungsansatz zu präsentieren. Wir haben für Euch zusammengetragen, welche Forderungen erhoben werden – und wie eine bessere Antwort aussehen könnte…“ Beitrag von Tomas Rudl und Christopher Hamich vom 16.10.2019 bei Netzpolitik externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=155868
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