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Das Salz in der Suppe. Wie eine neue Gruppe von »Salts« die Organisierungsbemühungen von Langzeitbeschäftigten stärkt

Dossier

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitWas im folgenden Beitrag als ›was ganz Neues aus den USA‹ daherkommt, wird bei vielen Leser:innen des express nur ein müdes Lächeln hervorrufen: Was hier beschrieben wird, klingt doch sehr nach der eigenen früheren Praxis der Betriebsintervention. Umso interessanter vielleicht, dass Mie Inouye in ihrem Beitrag auch die Geschichte der US-amerikanischen Betriebsintervention anreißt. Als »Salting« findet diese Tradition gerade unter veränderten Vorzeichen vermehrt wieder Anklang unter akademisch geprägten US-Linken. Wer weiß, vielleicht auch ein Modell für Deutschland? Der eine oder die andere Gewerkschaftssekretär:in soll vermeintlich bereits darüber grübeln, was sich so mit gekündigten Delivery Riders anfangen lässt. Unübersehbar knüpft der in dieser Ausgabe übersetzte Beitrag auch an die Kritik Marian Swerdlows am Organizing-Konzept Jane McAleveys im express 12/2022 an. Darüber hinaus erscheint er uns als Redaktion aber auch geeignet, eine Debatte über das Verhältnis akademischer und proletarischer Linker in Gang zu setzen…“ Artikel von Mie Inouye in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 1/2023 in der Übersetzung durch die express-Redaktion und weiteres zur Debatte:

  • Aus der Krise der Arbeiter*innenbewegung durch „Salting“ – erst recht, wenn der Chef das ‚illegal‘ findetNew
    „… Gewerkschaftliche Organisierungsbemühungen sind heute bestenfalls zufällig und sporadisch. Gelegentliche große oder namhafte Kampagnen sorgen für ein gewisses Medieninteresse und vermitteln den Eindruck, dass die Gewerkschaften lebendig und gesund sind. Die jüngsten Erfolge der Studierenden, die Starbucks-Bewegung, Amazon und die Aktivitäten im Non-Profit-Sektor sind zu begrüßen, aber insgesamt zu gering, um den allgemeinen Niedergang aufzuhalten. Die Organisierungsbemühungen im öffentlichen Sektor sind weitgehend zum Stillstand gekommen, da die Anerkennung von Gewerkschaften in vielen Staaten und Kommunen immer noch verboten ist. In der Privatwirtschaft ist die Zahl der Gewerkschaftswahlen, die vom National Labor Relations Board überwacht werden, auf einem historischen Tiefstand. Als ich 1979 der Gewerkschaftsbewegung beitrat, wurden 7.266 NLRB-Wahlen abgehalten, bei denen die Gewerkschaften fast 45% der Stimmen erhielten. Im Jahr 2021 sank die Zahl der Gewerkschaftswahlen unter 1.000, und die Gewinnquote lag bei knapp 50 Prozent. Die Zahlen für 2022 zeigen eine gewisse Verbesserung, aber bei weitem nicht das, was nötig ist. Auch die Größe der heute organisierten Einheiten ist erheblich geschrumpft, was bedeutet, dass viel weniger Arbeitende organisiert sind. Obwohl die US-amerikanische Gewerkschaftsbewegung die finanziell reichste Gewerkschaftsbewegung der Welt ist, werden nur wenige und oft kurzlebige Mittel bereitgestellt, um die Organisierungskrise zu bewältigen. (…) Die viel gepriesene „transformative“ Organisierungsinitiative des AFL-CIO-Kongresses 2022 bleibt unsichtbar. Einige Einzelgewerkschaften haben ihre Ressourcen für die Reorganisation aufgestockt, aber die schiere Größe der Aufgabe erfordert weit mehr. Salting ist eine Möglichkeit für Aktivist*innen, die Organisierung voranzutreiben und die Institution voranzubringen.
    Salting umstritten?
    Die Arbeitgeber bezeichnen Salting als ungesetzlich. Sie behaupten regelmäßig, dass Arbeitende, die eine gewerkschaftliche Organisierungskampagne im Betrieb unterstützen, „Gewerkschaftspflanzen“ sind. Die Bosse behaupten das, obwohl es absurd ist – die Aufrichtigkeit und Authentizität von jedem, der ihre totale Kontrolle in Frage stellt, muss diskreditiert werden. Gelegentlich tun sich arbeitnehmerfeindliche Politiker*innen mit den Arbeitgebern zusammen, um das Salting anzuprangern und irgendwie zu skandalisieren. Von Zeit zu Zeit werden gefälschte Anhörungen im Kongress abgehalten, um Salting anzuprangern. Die aktuellen Bestrebungen einige namhafte Unternehmen, zu salzen, könnten die Aufmerksamkeit dieser extremistischen, gewerkschaftsfeindlichen Elemente im aktuellen Kongress auf sich ziehen. So soll es sein. Ihre ungeschickten Bemühungen in der Vergangenheit, die zu schrillen Tönen und wilden Übertreibungen neigen, sind immer gescheitert. Bei der Verteidigung der Salting-Projekte der Gewerkschaften muss ein sachlicher und direkter Ansatz verfolgt werden: Salting ist oft die notwendige Form des Widerstands gegen die Diktatur des Arbeitgebers im Betrieb. Wenn gewerkschaftliche Organisierung de facto illegal ist – wenn Arbeitende zu Zehntausenden entlassen und schikaniert werden, weil sie ihr Recht auf gewerkschaftliche Organisierung auf dem Papier wahrnehmen – ist Salting eine völlig gerechtfertigte Reaktion. Es wirkt wie ein Katalysator für Arbeitende, die zwar oft Gewerkschaften unterstützen, aber die Hoffnung verloren haben und aus Angst vor Repressalien zögern, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Wenn der Betrieb in eine solche Situation gerät, leisten diejenigen, die sich wehren, eine wirklich lobenswerte Arbeit. Letztendlich sind wir doch alle Salze. Wir haben keine andere Möglichkeit, unseren Lebensunterhalt zu verdienen, als einen Chef zu finden, der uns einstellt – und warum sollten wir nicht eine Gewerkschaft gründen oder eine bestehende Gewerkschaft stärken wollen, wenn wir schon dabei sind?“ Artikel von Chris Townsend vom 3. Mai 2023 auf LaborNotes externer Link („We Are All Salts“)
  • Salz: die Würze, nicht die Suppe.
    „‚Salting’ bedeutet, dass man einen Job mit der Absicht annimmt, am Arbeitsplatz eine Organisierungskampagne zu starten oder zu unterstützen“. So definiert der:die IWW-Organizer:in MK Lees diese gewerkschaftliche Taktik im unten stehenden Artikel. Vermehrt kann man dieser Tage aus allen möglichen linken Strömungen über Salting lesen, oft unter dem Stichwort: ‚strategisch arbeiten gehen‘. In der Direkten Aktion allerdings gibt es wenig theoretische Reflexion, wie auch kaum ein Nachdenken über die eigene Salting-Praxis – welche Fehler wir machen, welche Erfolge wir haben, und was wir daraus lernen können. (…) Kürzlich gab es Aufrufe an „arbeitslose Jungsozialist:innen”, Jobs bei Amazon anzunehmen, da das Unternehmen einen ökonomischen Ort von strategischer Bedeutung darstelle. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich sofort in meinen persönlichen Albtraum von einer Schar eingebildeter junger Linker ohne Organisationserfahrung versetzt fühlte, die sich am Arbeitsplatz lächerlich machen und große politische Reden führen, bis sie schließlich alle gefeuert werden oder von selbst kündigen. Aber vielleicht ist das nicht fair von mir. Die Idee, den großen Energieschub der Democratic Socialist of America von einem oberflächlichen Wahlkampf hin zu strategischer Organisation am Arbeitsplatz zu lenken, ist sicherlich grundsätzlich eine begrüßenswerte Entwicklung. Und ein geeinter Block von Amazon-Arbeiter:innen, die bereit sind, direkte Aktionen durchzuführen, wäre durchaus eine große Sache! Aber dieser Ruf zu den Waffen, mit welchem linke Undercover-Agent:innen in bestimmte Arbeitsplätze eingeschleust werden sollen, hat mich dazu gebracht, über meine eigenen Erfahrungen mit „Salting“ nachzudenken. Ich habe in meinen frühen 20ern in einer kleinen Fabrik und zweimal für eine Kampagne in der Kurierbranche „gesalzt“. Ich habe auch Salts geholfen, Jobs zu bekommen, sie also für Kampagnen angeworben, welche ich von außen unterstützt habe. Meine Organisation, die IWW, setzt Salting häufig als Taktik ein, um eine Organisierungskampagne in Gang zu bringen oder zu unterstützen. Gewerkschaften setzen Salts auf unterschiedliche Weise ein, aber was mich besonders interessiert, ist die Idee, dass Linke „strategische” Jobs mit großen Plänen annehmen (deren Details in der Regel ziemlich unscharf sind) und sich selbst im Zentrum dieser Pläne sehen. (…) Das wirft die Frage auf: wenn ein:e IWW-Organizer:in oder ein:e Sozialist:in einen Job als Salt annimmt, aber die Rolle des:der Strateg:in und Organisator:in monopolisiert – ohne ein Komitee aufzubauen und die Führungsqualitäten seiner:ihrer, zumindest auf Bewusstseinsebene, „nicht-radikalen” Kolleg:innen zu entwickeln – worin besteht dann der qualitative Unterschied zwischen einer vom Personal gesteuerten Gewerkschaft und dem Salting-Modell? Noch heimtückischer ist es, wenn eine Vielzahl von Salts beginnt, ein Komitee vollständig zu ersetzen. (…) Eine Handvoll Radikaler infiltriert einen Arbeitsplatz, lässt diesen für kurze Zeit lichterloh brennen – und die ganze Kampagne zerfällt bald zu Asche. Ein Muster, das uns schon so häufig begegnet ist, dass wir es nun als eine weitere gefährliche Abkürzung bezeichnen können. Als eine weitere Weise, wie Linke sich selbst an die Stelle einer Massenbewegung setzen. Aber wir können aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und uns zunehmend verbessern. Dabei sollten wir uns stets bemühen, einen kühlen, objektiven Blick auf die Stärken und Schwächen unserer Kampagnen zu werfen. Die aktuelle Hinwendung zum Arbeitsplatz als einem neuerlichen Fokus der Kämpfe ist grundsätzlich eine positive Entwicklung. Aber wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass ein paar Revolutionär:innen in einer vermeintlich strategischen Branche die geheime Zutat sein werden, die eine Arbeiter:innenrevolte in Gärung bringen. Wir waren Zeug:innen, wie schon jetzt vereinzelte Amazon-Beschäftigte entlassen wurden, weil sie gegenüber den Mächtigen das Maul aufgemacht haben. Währenddessen machten Gewerkschaftsorganisationen diese als Märtyrer:innen zum Mittelpunkt einer Schandkampagne gegen Amazon, was letztlich aber der Unternehmensleitung direkt in die Hände spielte. Das kommt mir alles recht bekannt vor. Für mich spricht das für die Tatsache, dass wir nicht noch mehr Militante brauchen, die die Menschen mit ihrem vermeintlichen Mut bei Amazon oder anderswo inspirieren. Wir brauchen dringend eine langfristige Organisation: nachhaltige, repräsentative, partizipatorische Komitees von Arbeiter:innen, die gemeinsam Entscheidungen treffen und Arbeitskampfmaßnahmen ergreifen. Der Weg dorthin führt über eine langsame, geduldige, Stein für Stein setzende Organisation. Es ist nicht flashy, es wird nicht in den Nachrichten sein – aber ohne es wird uns auch eine ganze Busladung von Militanten, die sich von außen hereinschleichen, nur eine weitere Illusion von unserem Fortschritt vorgauckeln.“ Beitrag von MK Lees von IWW Los Angeles am 11. März 2023 bei der Direkten Aktion externer Link in der Übersetzung von Fritz Faul

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Das Salz in der Suppe

Wie eine neue Gruppe von »Salts« die Organisierungsbemühungen von Langzeitbeschäftigten stärkt – von Mie Inouye*

Was im folgenden Beitrag als ›was ganz Neues aus den USA‹ daherkommt, wird bei vielen Leser:innen des express nur ein müdes Lächeln hervorrufen: Was hier beschrieben wird, klingt doch sehr nach der eigenen früheren Praxis der Betriebsintervention. Umso interessanter vielleicht, dass Mie Inouye in ihrem Beitrag auch die Geschichte der US-amerikanischen Betriebsintervention anreißt. Als »Salting« findet diese Tradition gerade unter veränderten Vorzeichen vermehrt wieder Anklang unter akademisch geprägten US-Linken. Wer weiß, vielleicht auch ein Modell für Deutschland? Der eine oder die andere Gewerkschaftssekretär:in soll vermeintlich bereits darüber grübeln, was sich so mit gekündigten Delivery Riders anfangen lässt. Unübersehbar knüpft der in dieser Ausgabe übersetzte Beitrag auch an die Kritik Marian Swerdlows am Organizing-Konzept Jane McAleveys externer Link im express 12/2022 an. Darüber hinaus erscheint er uns als Redaktion aber auch geeignet, eine Debatte über das Verhältnis akademischer und proletarischer Linker in Gang zu setzen.

Am 1. Mai 2022 marschierten Organi­ze­r:in­nen der Amazon Labor Union (ALU) gemeinsam mit dem New York City Central Labor Council und Gemeinde-Organizer:innen vom Washington Square Park zum Foley Park. Nach einem langen Nachmittag mit Demonstration und Sprechchören in der Sonne machte sich etwa ein Drittel des Kern-Organizingkomitees auf den Weg zu einer Maifeier in der Zentrale der Kommunistischen Partei in Chelsea. Im geräumigen Büro der Partei, das mit Bildern von William Z. Foster und Lenin geschmückt war, trank eine multikulturell-diverse Gruppe von Mittzwanziger:innen − ALU-Organizer:innen, Mitglieder der Young Communist League (YLC) und Demonstrierende − Modelos und Bud Lights, aß Pizza und tanzte zu den Backstreet Boys. Sie feierten den 1. Mai und die erste erfolgreiche Gewerkschaftswahl bei Amazon − den Sieg der ALU am 22. April 2022 im Lagerhaus des Amazon Fulfillment Centers JFK8 auf Staten Island.

Die Party war von langjährigen Amazon-Mitarbeite:innen und »Salts« organisiert. Salts sind Arbeiter:innen, die einen Job mit dem Ziel aufnehmen, ihn gewerkschaftlich zu organisieren − eine Strategie, die linke Organisationen in der Vergangenheit angewandt haben, die aber in den letzten Jahrzehnten nicht zu Ergebnissen geführt hat. Salts spielten eine wichtige, aber wenig beachtete Rolle bei der weithin gefeierten Gewerkschaftswahl der ALU am JFK8. Sechs der etwa zwei Dutzend Mitglieder des zentralen Organizing-Komitees waren Salts. Die ALU-Organizer:innen landeten am 1. Mai im Hauptquartier der Kommunistischen Partei, weil Justine Medina, ein Mitglied des Organisationskomitees, das von der Young Communist League für das JFK8 angeworben worden war, bei der Planung der Party half.

Die heutigen Salts sind Teil einer neuen militanten Minderheit, einer Schicht kämpferischer, politisch bewusster Kader innerhalb der Arbeiter:innenbewegung. Ihre Anwesenheit bei Amazon und Starbucks deutet darauf hin, dass wir Zeug:innen einer organischen Konvergenz zwischen einer akademisch gebildeten Mittelschicht und der real existierenden Arbeiterklasse sind. Diese neue kämpferische Minderheit, die sich aus Arbeiter-Anführer:innen und linken Hochschulabsolvent:innen zusammensetzt, hat das Potenzial, eine verjüngte Arbeiter:innenbewegung und andere Post-Occupy- und Post-Bernie-Sanders-Flügel der US-Linken zu vereinen. Wenn dies geschieht, dann ist der Sieg auf dem JFK8 ein Vorbote für viele weitere, die noch kommen werden.

Die militante Minderheit

Der Sieg der ALU bei JFK8 und die gewerkschaftliche Organizing-Welle bei Starbucks legen für viele einen Vergleich mit den 1930er Jahren nahe. Die weit verbreitete Arbeitermilitanz in den 1930er Jahren legte ganze Regionen des Landes lahm und schuf die Voraussetzungen für die Verabschiedung des New Deal, der die Arbeitsbedingungen regelte und die gewerkschaftliche Organisierung schützte. Diese Geschichte ist in den Salts von heute lebendig, die sich in der Tradition der Arbeiterradikalen der 1930er Jahre sehen. Die Salts sind, so Medina, »Arbeitergeschichte-Nerds«. »Wir wissen über die IWW bescheid und wie die Kommunisten in den 1930er Jahren mit dem CIO verbunden waren. Eine der Quellen, die die Mitglieder des JFK8-Organizing-Komitees während der Kampagne nutzten, war William Z. Fosters Handbuch ›Organizing Methods in the Steel Industry‹ von 1936 (siehe express 12/2022, S. 12), das damals als Blaupause für linke CIO-Organizer galt

Foster, ein radikaler Gewerkschaftsorganizer und Generalsekretär der Kommunistischen Partei von 1945 bis 1957, war einer der einflussreichsten Theoretiker der militanten Minderheit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er war über fünf Jahrzehnte lang Mitglied in einer Reihe linker Organisationen, von der IWW bis zur Kommunistischen Partei, und setzte sich konsequent dafür ein, Radikale in die etablierten Gewerkschaften zu schicken. Sie schlossen sich sowohl als einfache Arbeiter als auch als Gewerkschafter an, um Arbeiter zu radikalisieren, neue Gewerkschaften zu gründen und bestehende Gewerkschaften in Vehikel für den Klassenkampf zu verwandeln.

Foster, selber Industriearbeiter, war überzeugt davon, dass die Arbeiterklasse die einzig mögliche revolutionäre Kraft war. Gleichzeitig schätzte er die intellektuellen und politischen Fähigkeiten der meisten Arbeiter:innen gering ein, und seine Vorstellung von der kämpferischen Minderheit war von Elitedenken geprägt. 1920 gründete er die Trade Union Educational League (TUEL), eine Organisation, die darauf abzielte, die Führungsrolle der Radikalen innerhalb der etablierten Gewerkschaften auszubauen und die Industriegewerkschaft zu fördern. […]

Die Rolle der militanten Minderheit bestand zum einen darin, die Massen aufzuklären, zum anderen aber auch darin, die Führung in den Gewerkschaften zu übernehmen. Die TUEL wollte die »Reaktionäre, Inkompetenten und Ganoven, die strategische Positionen« in den Gewerkschaften besetzten, durch »Männer und Frauen, die die Gewerkschaftsbewegung nicht als ein Mittel zum bequemen Lebensunterhalt, sondern als Instrument zur Erreichung der Emanzipation der Arbeiterklasse betrachten«, ersetzen. Für Foster und andere Radikale seiner Zeit war der Aufbau einer kämpferischen Minderheit ein Mittel, um die Arbeiterbewegung zu verbreitern, die konservativen Mainstream-Gewerkschaften zu radikalisieren und die Arbeiterklasse mit revolutionären politischen Organisationen zu verbinden.

Micah Uetricht und Barry Eidlin argumentieren 2019 in einem Beitrag [1], dass die militante Minderheit für das Wachstum der Arbeiterbewegung in den 1930er und 1960er Jahren von zentraler Bedeutung war. Diese Führungskräfte waren die »erfahrensten und engagiertesten Organizer« der Arbeiterbewegung und trugen zur Militanz und Dynamik ihrer Gewerkschaften bei. Laut Uetricht und Eidlin spielte die militante Minderheit oft eine wichtige Vermittlerrolle zwischen den Kämpfen am Arbeitsplatz und in der Community sowie zwischen den einfachen Mitgliedern und der Gewerkschaftsführung. Sie trug auch dazu bei, die Errungenschaften der Arbeiterbewegung während ihrer Aufstiegsphasen zu konsolidieren.

Industrialisieren und Salzen

In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren tauchte ein neuer Begriff auf, um die Beziehung zwischen der organisierten Linken und der Arbeiterbewegung zu beschreiben: »Industrialisieren«. Industrialisieren bedeutet, eine Gewerkschaft zu übernehmen, um sie zu demokratisieren, sie nach links zu drängen und Arbeiter:innen zu radikalisieren. [2] Während sich der Begriff »militante Minderheit« auf ein radikalisiertes Segment der Arbeiterklasse bezieht, kommt der Agent des »Industrialisierens« von außen. Der Begriff spiegelt die sich verändernde Klassenzusammensetzung der organisierten Linken wider; in den 1960er Jahren hatte sie ihre enge Verbindung zur Arbeiterklasse verloren.

Mitte bis Ende der 60er und in den 70er Jahren »industrialisierten« sich die aufstrebenden Student:innen der Mittelschicht in der Neuen Linken, um die Verbindung der Linken zur Arbeiterklasse wiederherzustellen. Gruppen, die sich mit der Neuen Kommunistischen Bewegung und einer Reihe trotzkistischer Organisationen identifizierten, ­allen voran die Internationalen Sozialisten, schickten Hunderte von Student:innen und Hochschulabsolvent:innen in Fabriken und Arbeiterkommunen, um eine Arbeiterbasis für ihre revolutionären Organisationen aufzubauen.

Diese Strategie hat ein gemischtes Erbe. Viele der jungen Radikalen, die sich in der Industrie engagierten, waren nicht in der Lage, lange durchzuhalten. Eidlin zufolge ist dies zu einem großen Teil auf die industrielle Umstrukturierung in den 1980er Jahren zurückzuführen. Mit der Schließung von Stahl- und Autowerken und der Deregulierung des Speditionsgewerbes verschwanden viele der Arbeitsplätze, in die sich die Menschen eingearbeitet hatten, einfach. Außerdem brannten viele neu industrialisierte Arbeiter:innen, die in schwierige Jobs geschickt worden waren, schnell aus, da sie auf diese Art von Arbeit schlecht vorbereitet waren.

Trotz dieser Unzulänglichkeiten stellt Eidlin fest, dass die Hinwendung zur Industrie in den 1970er Jahren Gewerkschaftsorganisationen hervorbrachte, die die Militanz der Arbeiter:innen und die Gewerkschaftsdemokratie förderten, wie z.B. Labor Notes, ein Nachrichten- und Analysemedium und ein Netzwerk von Basisgewerkschaftern, das unter den heutigen Gewerkschaftsradikalen sehr einflussreich ist, und die Teamsters for a Democratic Union (TDU), eine Reformbewegung innerhalb der Teamsters, die die Reformliste unterstützte, die bei den Gewerkschaftswahlen im November 2021 siegreich war. Ohne diese Organisationen sähe die heutige Gewerkschaftsbewegung ganz anders aus. Außerdem haben einige Gewerkschafts­funktionär:innen und Aktivist:innen durchgehalten und ihre Gewerkschaften in eine kämpferischere Richtung geleitet. Eidlin räumt das komplexe Erbe ein: »Es ist eine ausgesprochen gemischte Bilanz, aber gleichzeitig müssen wir die wirklichen Grenzen erkennen und die wirklichen Errungenschaften anerkennen

Seit den 1990er Jahren hat das »Salzen« das »Industrialisieren« weitgehend ersetzt. Während »Industrialisierung« in der Regel bedeutet, dass man in einem Betrieb mit einer bestehenden Gewerkschaft einen einfachen Job annimmt, um zur Demokratisierung der Gewerkschaft beizutragen, findet »Salting« in Betrieben ohne Gewerkschaft statt. Salts werden in der Regel von etablierten Gewerkschaften eingestellt, um gewerkschaftlich geführte Organizing-Kam­pagnen zu unterstützen. Wie das »Industrialisieren« impliziert jedoch auch das »Salzen«, dass es von außerhalb der Arbeiterklasse kommt. Jaz Brisack beispielsweise − eine College-Absolventin und Rhodes-Stipendiatin, die bei der ersten erfolgreichen Organisierungskampagne bei Starbucks in Buffalo, New York, mitgewirkt hat − kam zu ihrem Job bei Starbucks als Salt für Workers United. Die Gewerkschaften bieten den Salts eine unterschiedlich hohe finan­zielle Entschädigung und Mentorenschaft.

Aber die Grenzen zwischen »Industrialisieren« und »Salzen« scheinen heute zu verschwimmen. Junge Leute »salzen« ohne jegliche Verbindung zu einer etablierten Gewerkschaft. So kam beispielsweise keiner der ALU-Salzer:innen mit einer etablierten Gewerkschaft zum JFK8, und Medina war die einzige, die von einer politischen Organisation (der YCL) rekrutiert wurde. Einige von ihnen zogen quer durch das Land, um einen Job bei JFK8 anzunehmen, nachdem sie von Chris Smalls gelesen hatten. Chris Smalls ist ein langjähriger Lagerarbeiter, der im Jahr 2020 Aufmerksamkeit erregte, weil er Amazon wegen der Sicherheitsbedingungen im Lager herausforderte und die Gewerkschaftsbemühungen anführte.

Howard Wurzeln, ein Amazon-Beschäftigter und Organizer bei Amazonians United, einem US-weiten Netzwerk von Amazon-Beschäftigten, das Organizer im Unternehmen unterstützt und fördert, stellt fest, dass Salts bei Amazon unabhängig voneinander im ganzen Land auftauchen, nicht nur bei JFK8. »Wenn man als Arbeiter etwas organisieren will, wohin geht man dann heutzutage? In den siebziger Jahren konnten die Organisationen der Neuen Kommunistischen Bewegung ihre Mitglieder in die Industrie schicken, weil es so viele Leute gab, die sich an die Richtlinien des Zentralkomitees hielten. Das haben wir nicht.« In Ermangelung linker Organisationen, die in der Lage sind, Arbeiter:innen in bestimmte Branchen zu schicken, »ist es nur eine Frage, wer da draußen Werbung macht und wie«.

Warum entscheiden sich so viele junge Menschen mit Hochschulabschluss unabhängig voneinander für einen Job bei Amazon? Gene Bruskin, ehemaliger Kampagnendirektor der Justice@Smithfield-Kampagne der UFCW (United Food and Commercial Workers) und informeller Berater der ALU, macht strukturelle Bedingungen für die neue »Coolness« der Arbeiterbewegung verantwortlich. »Es ist ein spezieller Moment. Die jüngere Generation hat die Finanzkrise, Trump, Bernie, die Pandemie und all diese objektiven Verhältnisse erlebt.« Dieser Prozess in Verbindung mit der zunehmenden Bedrohung durch den Klimawandel hat bei den jungen Menschen sowohl ein Gefühl der Dringlichkeit als auch die Bereitschaft geweckt, herkömmliche Arbeiterjobs anzunehmen.

Die Hochschulabsolvent:innen von heute stehen vor einem zermürbenden, unsicheren und oft jahrzehntelangen Prozess, in dem sie versuchen, sicher in die professionelle Klasse [3] aufzusteigen. Diese Bemühungen erfordern oft eine Berufswahl, die nicht unbedingt mit den eigenen politischen Überzeugungen übereinstimmt. Außerdem werden herkömmliche »Arbeiter«-Jobs oft genauso gut oder besser bezahlt als »Angestellten«-Jobs, wie z. B. die Arbeit als Rechtsanwaltsgehilf:in oder bei einer gemeinnützigen Organisation. Unter diesen Bedingungen wird ein Job bei Starbucks oder Amazon, der die Aussicht bietet, Teil einer verjüngten Arbeiterbewegung zu sein, zu einer verlockenden Alternative. Während junge Radikale in den 1970er Jahren Klassenselbstmord begingen, indem sie sich »industrialisierten«, machen die jungen Radikalen von heute das Beste aus ihren begrenzten Möglichkeiten.

Medinas Weg zur ALU spiegelt diese Dynamik wider. Als Hochschulabsolventin aus einer Familie der oberen Mittelschicht war sie seit fast einem Jahr arbeitslos und suchte händeringend nach Arbeit, als sie von der Möglichkeit erfuhr, bei Amazon zu »salzen«. In Anbetracht ihrer politischen Überzeugungen, ihrer Auffassung von sozialem Wandel und ihres Wunsches nach einer sinnvollen Arbeit war der Job bei JFK8 der beste Job, der ihr zur Verfügung stand. Für Medina schafft die gewerkschaftliche Organisierung von Amazon nicht nur mehr Demokratie am Arbeitsplatz und bessere Bedingungen für die Beschäftigten, sondern stärkt auch die Macht der Arbeiter:innen in der strategisch wichtigsten Branche der Weltwirtschaft: »Amazon ist der Ort, an dem wir sein mussten. Wenn man sich das industrielle Fließband ansieht, muss man sich auf einen Ort konzentrieren, und das ist Amazon

Die Rolle der »Salts« bei Amazon

Die erfolgreiche ALU-Aktion bei JFK8 und die erfolglose Aktion bei LDJ5 − einem zweiten, kleineren Amazon-Lagerhaus auf Staten Island − wurden beide von Schwarzen und Braunen Langzeitarbeiter:innen geleitet, darunter Chris Smalls, Derrick Palmer, Jordan Flowers, Angelika Maldonado und Gerald Bryson. Sie kannten den Arbeitsplatz und ihre Kolleg:in­nen am besten, und einige von ihnen waren auch mit den Gewerkschaften vertraut, sei es durch Familienmitglieder oder eigene Erfahrungen. Die Beziehungen, die sie zu anderen Arbeiter:innen innerhalb des Lagers aufbauten, waren der wichtigste Faktor für die erfolgreiche Wahl von JFK8.

Im Gegensatz dazu waren sechs der sieben ALU-Salts weiß. Einer der Salts, der Amazon vor der Wahlperiode verließ, aber die Gewerkschaft weiterhin als Freiwilliger unterstützte, war Schwarz. Einige der »Salts« kamen aus einem anderen Bundesstaat, um einen Job bei JFK8 anzunehmen. Laut Flowers ist ein Mitglied des Organizing-Komitees von Florida nach Staten Island gezogen. »Sie kam aus einem anderen Bundesstaat, weil sie etwas verändern wollte. Das zeigt Gemeinschaftsgeist. Diese Leute kommen aus einem anderen Bundesstaat, um uns zu unterstützen und ihre Zeit zu opfern.« Medina betont, dass die Hauptaufgabe der Salts darin bestand, dem Beispiel der längerfristig Beschäftigten zu folgen. »Wir sind alle hingegangen, um die organische Arbeiterführung zu unterstützen, die bereits da war

Salts können auch einen Sinn für Geschichte in Gewerkschaftskampagnen einbringen, was in einer Branche wie Amazon, die lange Zeit als nicht organisierbar galt, ein großer Vorteil sein kann. Wurzeln merkt an, dass »alles, was der Chef tut, um Vergeltung zu üben, darauf abzielt, die Leute abzuschrecken und die Idee eines größeren Ziels und einer größeren Bewegung zu zerstören, so dass die Leute entmutigt werden und nur noch an das persönliche Risiko und die Belohnung denken können.« Menschen, die gewerkschaftliches Organizing als Teil einer umfassenderen Vision für einen sozialen Wandel sehen, sind für dieses Muster weniger anfällig. Wurzeln erklärt, dass auch das historische Wissen von Salts die Arbeite­r:in­nen stärken kann:

»Die Rolle von linken Aktivist:innen, Gewerkschaftsaktivist:innen und Gewerk­schaftsmitarbeiter:innen besteht für viele darin, ihr Geschichtswissen, ihr Theoriestudium, ihre Lektüre von Zeitschriften und Artikeln und ihre Verbindung zu Nachrichten aus der gesamten Arbeiterbewegung in die Arbeiterschaft einzubringen. Sie können dieses Wissen und diese Netzwerke den Arbeiter:innen nahe bringen, die vielleicht nicht damit in Berührung gekommen sind oder es nicht studiert haben oder nicht wussten, dass es so etwas zu studieren gibt. Betrachtet man sich Occupy Wall Street, Black Lives Matter, die Bernie-Sanders-Kampagne oder das Phänomen Trump, sieht man, dass es da draußen eine Menge Unzufriedenheit gibt. Das System hat für viele Menschen schon lange nicht mehr funktioniert. Es gibt ein weit verbreitetes Verständnis dafür, dass die Dinge beschissen sind und nicht unbedingt besser werden. Die Frage ist, ob die Menschen wissen, was stattdessen funktionieren könnte

Linke Organizer:innen können dazu beitragen, den Arbeiter:innen ein Gefühl für die vergangenen Errungenschaften der Arbeiterbewegung zu vermitteln, wie Wurzeln erklärt:

»Als ich mit dem Organizing anfing, bestand ein großer Teil meiner Arbeit darin, mit den Menschen über ihre Entmutigungen und Desillusionierung zu sprechen. Wenn man die Geschichte der Arbeiterbewegung kennt, kann man den Leuten sagen, dass der Chef uns mehr braucht als wir ihn. Wir sind diejenigen, die diese Pakete sortieren, und sieh dir an, was passiert ist, als die Arbeiter dort drüben aufgestanden sind, sieh dir an, was sie bekommen haben. Die Leute sind bereit. Es braucht nicht viel, um die Leute bereit zu machen, sich zu organisieren

Das Schimpfwort

Obwohl die Salts eine wichtige Rolle in den Gewerkschaftskampagnen gespielt haben, wird in den Medien nicht viel über sie berichtet. Das spiegelt eine gewisse Ambivalenz in der Linken wider, inwieweit man die Präsenz von Salts in Gewerkschaftskampagnen offen anerkennen sollte. Jaz Brisack lehnte es in einer kürzlich live ausgestrahlten Folge des Podcasts The Dig ab, die Rolle der Salts bei Starbucks Workers United zu diskutieren: »Ich glaube nicht, dass wir als Organizer:innen diese Unterscheidungen machen sollten, denn ich denke, es läuft darauf hinaus, dass ich bei Starbucks Lattes mache und den gleichen Job mache… und es ist egal, ob ich einen zweiten Job bei der Gewerkschaft oder in der gleichen oder einer anderen Branche habe. Das ist letztlich eine falsche Unterscheidung

Sie hat recht mit ihrer Vorsicht. Die Unterscheidung zwischen Nicht-Salts und Salts kann dazu benutzt werden, zu suggerieren, dass es sich bei Letzteren nicht um echte Arbeiter:innen handelt, und die Entlarvung von Salts kann sie anfällig für die Hetze der Bosse machen, die behaupten könnten, dass es sich um »externe Agitatoren« oder »Dritte« handelt, die mit den Interessen der Arbeiter:innen im Konflikt stehen. Die Bosse versuchen, Spaltungen zwischen den Arbeiter:innen auszunutzen, um ihre Organisierungsversuche zu untergraben. Das ist auch der Grund, warum es schwierig sein kann, über interne Demokratie, Rassismus und Sexismus innerhalb der Gewerkschaften zu sprechen. Der Impuls, Salts von Nicht-Salts zu unterscheiden, könnte auch ein Unbehagen an der Überschreitung von ethnisierten und Klassengrenzen widerspiegeln, die unsere Gesellschaft segregieren und den Kapitalismus stärken.

Doch auch wenn die Anerkennung dieser Unterscheidung Risiken birgt, ist sie nicht völlig falsch. Einen Job mit der Absicht anzunehmen, eine Gewerkschaft zu gründen, ist etwas anderes, als einen Job aus der Not heraus anzunehmen, auch wenn die Abwärtsmobilität der heutigen Hochschul­ab­solvent:innen diese Motive zu verwischen beginnt. Und, wie bei ALU, haben Salts oft Zugang zu Sicherheitsnetzen, die längerfristig Beschäftigten fehlen.

In derselben Folge von The Dig gab Smalls offen zu, dass es bei der ALU Salts gibt, und unterschied sie von Nicht-Salts. Über die Salts sagte er: »Ihre Aufgabe war und ist es, die Arbeiter zu unterstützen«. Für Smalls, der kein Salt ist, ist diese Unterscheidung wichtig. Aber sie ist nicht unumstößlich. Er erläuterte, dass sich gute Salts im Laufe der Jahre in den Arbeitsplatz einbetten, was ihnen ermöglicht, sich den »Arbeiter:innen« anzunähern. Nach Ansicht von Smalls sind tief verwurzelte Salts für die Gewerkschaft notwendig. »Wir brauchen sie. …Wissen Sie, besonders bei der Verhandlungseinheit, die wir hatten, wir sprechen von 8.300 Arbeiter:innen … es konnte nicht nur von Arbeiter:innen kommen. Aber es wurde von Arbeiter:innen angeführt, ganz sicher.« Die Antwort von Smalls unterscheidet Salts von Arbeiter:innen und betont gleichzeitig, dass Salts mit der Zeit und durch den Kontakt mit ihnen zu Arbeiter:innen werden können. Ob sie jemals vollständig zu »Arbeiter:innen« werden können, ist unklar. Ähnlich wie die Dynamik zwischen Salts und Nicht-Salts ist auch Smalls‘ Sicht auf Salze kompliziert und von inneren Spannungen durchzogen.

Ungeachtet dieser Spannungen ist das Salting vielleicht die wichtigste Arbeit, die linke Hochschulabsolvent:innen heute leisten können. Die Salts, die jetzt Jobs bei Amazon, Starbucks und anderswo annehmen, könnten eine Schlüsselrolle bei der Umkehrung des gewerkschaftlichen Niedergangs spielen. Seit 1954 ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad von 35 Prozent auf 10,3 Prozent gesunken, ein Rückgang, der dem Wohlergehen der Arbeiter:innen großen Schaden zugefügt hat. Gewerkschaftlich organisierte Arbeiter:innen haben bessere Löhne, Sozialleistungen und Arbeitsplatzsicherheit und die Gewerkschaften verringern die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern und ethnischen Zugehörigkeiten. Darüber hinaus würde eine starke Gewerkschaftsbewegung, die sich auf strategische Branchen konzentriert, die politische Macht der Arbeiterklasse stärken, wie es in den 1930er Jahren der Fall war.

Heute scheinen wir an der Schwelle zu einem Wiederaufleben der Arbeiter:innenbe­wegung zu stehen. Das NLRB berichtet, dass in den ersten sechs Monaten des Steuerjahres 2022 die Zahl der Gewerkschaftsanträge um 57 Prozent gestiegen ist. Eine kämpferische Minderheit, die sich zum Teil aus Salts zusammensetzt, kann dieses Wachstum weiter vorantreiben und dazu beitragen, dass die Gewerkschaften in den kommenden Jahren die erzielten Gewinne konsolidieren.

Salting ist auch deshalb so wichtig, weil es der Zersplitterung der organisierten Linken entgegenwirkt, die sich seit den 1930er Jahren vertieft hat, als sozialistische Organisationen noch viel stärker in der Arbeiterklasse verwurzelt waren. Die Unterscheidung zwischen Salt und Nicht-Salt ist einer von vielen Druckpunkten, die die Bosse nutzen können, um die Arbeiter:innen zu spalten. Aber der Unterschied kann auch eine Quelle der Stärke sein. Die Fähigkeit der Linken, in den kommenden Jahren für wirtschaftliche Gleichheit, Klimagerechtigkeit, reproduktive Rechte und Antirassismus zu kämpfen, wird von unserer Bereitschaft und Fähigkeit abhängen, ethnisierte und Klassengrenzen zu überschreiten, die uns spalten und schwächen.

Salting ist eine wichtige Form der Solidarität, weil es Menschen mit unterschiedlichen Klassenhintergründen auf dieselbe Seite eines gemeinsamen Kampfes bringt. Obwohl die realen Unterschiede zwischen ihnen berücksichtigt werden müssen, sind Salts und Nicht-Salts am selben Arbeitsplatz auch Kolleg:innen mit einem gemeinsamen materiellen Interesse an der Gründung einer Gewerkschaft. Darüber hinaus kann die Arbeit selbst, ob es sich nun um die Zubereitung von Milchkaffee oder um Organizing handelt, verbindend wirken. Als ich Flowers fragte, ob die Salts und die Nicht-Salts bei der Organisation von JFK8 unterschiedliche Rollen spielten, betonte er, dass ihre gemeinsame Arbeit sie einander angleiche. »Wir haben alle gelernt während der Bewegung. Wir haben alle die gleichen Interviews geführt und mit den gleichen Leuten gesprochen. Wir haben uns aus einem einzigen Grund organisiert – um JFK8 gewerkschaftlich zu organisieren – und das haben wir geschafft

Artikel von Mie Inouye in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 1/2023 

*  Mie Inouye ist Assistenzprofessorin für politische Stu­dien am Bard College,politische Theoretikerin und Organizerin. Der Beitrag erschien am 15. Juni 2022 im Boston Review: www.bostonreview.net/articles/labors-militant-minority/ externer Link

Übersetzung: Redaktion express.

Anmerkungen:

1  Micah Uetricht and Barry Eidlin: U.S. Union Revitalization and the Missing »Militant Minority«. In: Labor Studies JournalVolume 44, Issue 1: Conference on Socialism and Labor: Theory and PraxisMar 2019. S. 5-86.

2  Eine angemessene deutsche Übersetzung wäre wohl so etwas wie »Selbst-Industrialisierung«, oder – in Rückgriff auf Teile der Studierendenbewegung, die ›in die Betriebe gingen‹, die »Proletarisierung«. Anm.d.Ü.

3  Professional–managerial class (PMC), eine in der englischsprachigen soziologischen Klassenanalyse gängige Klassifizierung für meist akademisch qualifizierte Personen aus den Mittelschichten, die – nach Barbara Ehrenreich – mit der Verwaltung und Organisation kapitalistischer Reproduktionsnotwendigkeiten beschäftigt sind, z.B. Lehrer:innen, Ingenieur:innen, aber auch Sozialarbeiter:innen, Anm. d. Ü.

Siehe dazu auch im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=207952
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