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Hunderte von Blockaden in der größten Stadt Afrikas: Die Regierung Nigerias verhängt den Ausnahmezustand und setzt die Armee ein – nach Todesschüssen fordern Zehntausende nun: „GO!“

Plakat der Anti-SARS-Kampagne in Nigeria Oktober 2020Keiner hat sie je genau gezählt (warum auch), aber mit über 15 Millionen Menschen ist die frühere Hauptstadt Nigerias Lagos heute die größte Stadt Afrikas, noch vor Kairo. Und dieser Riesenmoloch ist seit gestern, dem 20. Oktober 2020 gekennzeichnet von überall organisierten Kundgebungen und Blockaden von Straßen und Plätzen. Nachdem das Zugeständnis der Regierung an die tagelangen Massenproteste gegen die dann offiziell aufgelöste Spezialeinheit SARS vor allem dazu führte, dass immer mehr Menschen immer mehr Forderungen gegen Polizeigewalt im allgemeine erhoben (wir berichteten), hat die Regierung Buhari einen strammen Kurswechsel hin zur offenen Repression vollzogen. Nachdem es bereits bei den auf die SARS-Auflösung folgenden Demonstrationen zur massiver Polizeigewalt, inklusive Todesschüssen gekommen war, hat sie nun den Einsatz der Armee nicht nur angekündigt, sondern auch frei gegeben. Was wiederum nur noch mehr Proteste hervor rief, so dass jetzt zur Ausrufung eines zeitlich begrenzten Notstandsregimes Zuflucht genommen wurde, was aber erneut nicht zur gewünschten Friedhofsruhe führt, sondern eben zur Totalblockade von Lagos und weiteren Protesten im ganzen Land. Für die Regierung besorgniserregend ist vor allem, dass immer mehr sozusagen traditionelle Oppositionsbewegungen (wie etwa die militanten Gruppierungen im Delta) ihre Unterstützung für die Proteste ankündigen. In unserer kleinen aktuellen Materialsammlung „Ende des Polizeistaats in Nigeria?“ vom 21. Oktober 2020 wird sowohl über die aktuellen Ereignisse berichtet, als auch verschiedene politische Konsequenzen dargestellt und – knapp – auf Erfahrungen sozialer Organisationen Nigerias mit Polizeigewalt (aus „Platzgründen“ nur aus 2020) hingewiesen:

„Ende des Polizeistaats in Nigeria?“

(21. Oktober 2020)

„Ein ganzes Land in Aufruhr“ von Katrin Gänsler am 19. Oktober 220 in der taz online externer Link berichtet unter anderem: „… Die Berichte werden jeden Tag besorgniserregender. Bewaffnete Schläger sollen im Zentrum von Nigerias Hauptstadt Abuja friedliche Demonstrant*innen angegriffen haben, Dutzende wurden verletzt. Nach Informationen der Onlinezeitung Premium Times setzte die Polizei zudem Tränengas gegen die Protestierenden ein. Später am Montag heißt es, dass an strategischen Orten innerhalb der Hauptstadt Soldaten stationiert worden sind. Aus Kano, der Wirtschaftsmetropole des Nordens von Nigeria, kommen ebenfalls am Montag Bilder von brennenden Reifen und friedlichen Protestierenden, die die Kofar Mata Road, eine der Hauptverkehrsstraßen, blockieren. (…) Als Nigerias Regierung unter Präsident Muhammadu Buhari vor einer Woche das Ende von Sars bekanntgab und stattdessen die Gründung von Swat (Team für spezielle Waffen und Taktiken) ankündigte, konnte sie die Demonstrant*innen nicht besänftigten, im Gegenteil: In immer mehr Städten gehen die Leute auf die Straße, und sie begnügen sich nicht mit Demonstrationen. Am Montagnachmittag zeigen Videos, wie in der 20-Millionen-Einwohner zählenden Metropole Lagos, die größte Stadt Afrikas, zahlreiche Stadtautobahnen durch Straßenblockaden lahmgelegt sind. In einem anderen ist ein wütender und symbolischer Trauerzug im Bundesstaat Edo zu sehen, auf dem einfachen Holzsarg steht „RIP Buhari“, an den Präsidenten gerichtet. In Edo sollen auch Polizeiwachen angegriffen worden sein, aber auf den Wahrheitsgehalt lassen sich längst nicht alle Tweets und Bilder prüfen. (…) Der Protest eint Nigeria wie selten, da alle Gruppen und Gesellschaftsschichten von staatlicher Gewalt und Willkür betroffen sind. Unfaire Behandlung erleben an Checkpoints nicht nur Tagelöhner*innen oder Fahrer, sondern auch die Mittelschicht. Ansonsten sind Massenproteste in Nigeria eher selten. Zwar ist die Unzufriedenheit mit der Zentral- und Regionalregierung sowie der persönlichen wirtschaftlichen Situation oft groß. Doch Nigeria, wo rund 200 Millionen Menschen leben, ist zersplittert. Die Bewohner*innen sind Christen oder Muslime; Haussa, Igbo oder Yoruba; sie stammen aus Ogun, Plateau oder Gombe. Eine gemeinsame nationale Identität fehlt ihnen oft. Erfolgreich war ein Generalstreik in Nigeria zuletzt im Januar 2012...“

A Benin City, état d’Edo, les manifestant.e.s ont visiblement attaqué la prison et libéré les prisonniersam 20. Oktober 2020 im Twitter-Kanal von Ter Ter et Liberté externer Link ist ein Videobericht aus Edo über eine Gefangenenbefreiung und Sturm auf eine Polizeistation – massive Aktionen eben auch außerhalb von Lagos…

Police station burnt at Ojoam 20. Oktober 2020 im Twitter-Kanal von b9AcE externer Link ist ein Videobericht über die Reaktion der Demonstranten auf Polizeischüsse in Ojo – noch eine brennende Polizeistation…

„Soldiers open fire on protesters in Nigeria’s Lagos: Witnesses“ am 20. Oktober 2020 bei Al Jazeera externer Link ist eine kleine Sammlung von Zeugen-Aussagen über den schießwütigen Armee-Einsatz in Lagos – der ebenfalls nicht dazu geführt hat, dass die Proteste aufhörten, was aus den Aussagen auch sehr deutlich wird, dass es auch kaum passieren wird…

„Gbaja: I won’t endorse 2021 budget if there’s no provision for #EndSARS victims“ am 20. Oktober 2020 im Nigerian Bulletin externer Link steht hier als Beispiel für eine ganze Reihe von Meldungen über Vertreter des politischen Establishments, die sich in Absetzbewegungen üben. Hier der Parlamentssprecher mit seiner Ankündigung, er werde nur für den 2021er Haushalt stimmen, wenn darin eine Entschädigung für die SARS-Opfer vorgesehen sei…

„#EndSARS: 23 key demands Nigerian youths want from FG“ am 18. Oktober 2020 im Vanguard externer Link dokumentiert den Katalog von 23 Forderungen an die nigerianische Bundesregierung, den ein Zusamenschluss verschiedener Jugendorganisation erarbeitet hat und als Voraussetzung für weitere Gespräche benannt – ein Katalog der mit einer „wirklichen Auflösung und Aufklärung der Taten“ von SARS erst beginnt…

„EndSARS protest: N’Delta militants back protesters, threaten to resume hostilities“ am 20. Oktober 2020 ebenfalls im Vanguard externer Link berichtet von Verlautbarungen der (offiziell als terroristisch eingestuften) Opposition aus dem Ölgebiet des Niger-Deltas, dass sie die Proteste gegen Polizeigewalt und Regierung mit Aktionen unterstützen werden…

„#END SARS IS NOT ENOUGH. BUHARI MUST GO!“ am 20. Otober 2020 beim Democratic Socialist Movement externer Link ist die Stellungnahme einer der größeren linken Gruppen in Nigeria, die die Forderung nach Rücktritt der Regierung und grundlegenden gesellschaftlichen Reformen in den Mittelpunkt stellt.

„Nigerian Trade Union Leader Murdered“ am 27. Februar 2020 bei ROAPE externer Link meldete den Mord an dem Gewerkschaftsaktivisten Alex Ogbu der bei einer Demonstration von der Polizei erschossen wurde.

„Queer Nigerians Are Being Beaten by SARS — I’m Trying to End That“ am 13. Oktober 2020 bei Out externer Link ist ein weiteres Beispiel alltäglicher Polizeibrutalität in Nigeria – hier berichtet ein querer Aktivist von alltäglicher Verfolgung – und dem Widerstand dagegen…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=179925
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