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Nigerias Polizei schießt weiter – auch ohne Spezialeinheit SARS. Und die Regierung ruft jetzt nach der Armee – die Proteste gehen trotzdem weiter

Plakat der Anti-SARS-Kampagne in Nigeria Oktober 2020„… Die Lebenssituation der Jugend in Nigeria ist von Perspektivlosigkeit und Armut geprägt. 70% der Jugendlichen sind arbeitslos oder unterbeschäftigt, wenn sie doch einen Job bekommen sollten müssen sie immer damit rechnen, dass Löhne nur teilweise oder gar nicht bezahlt werden. Der Mindestlohn beträgt offiziell 30000 Naira (67€), wird aber häufig ignoriert. Die Lebenshaltungskosten steigen: Anfang September wurden Erhöhungen der Benzin- und Strompreise bekanntgegeben, kurz davor war die Mehrwertsteuer erhöht worden. Der Anlass, durch den Verzweiflung und Unzufriedenheit in Wut umschlugen, war ein am 3. Oktober über social media verbreitetes Video. Es zeigt Polizisten einer SARS-Einheit, die einen jungen Mann erschießen, wohl um an sein Auto zu kommen. Die SARS (Special Anti-Robbery Squad), bundesweite Spezialeinheiten der nigerianischen Polizei, waren seit Jahren für unprovozierte Gewalt, Korruption und Kriminalität bekannt. Es gab Fälle, in denen Jugendliche durch SARS willkürlich festgenommen wurden um von ihren Familien Lösegeld zu erpressen. Einige der Entführten wurden ermordet, weil die Angehörigen nicht zahlen konnten. Dagegen gingen seit Anfang Oktober mit der Forderung #EndSARS Millionen von Menschen in ganz Nigeria sowie aus den nigerianischen Communities im Ausland auf die Straße und ließen sich auch von massiver Repression – mehrere unbewaffnete Demonstrant*innen wurden von der Polizei erschossen – nicht stoppen. Unter dem Druck der Bewegung kündigte die Regierung von Präsident Muhammadu Buhari Polizeireformen an. So erklärte die bundesweite Polizeiführung am 11. Oktober die SARS für aufgelöst und kündigte an, dass die einzelnen Angehörigen zu anderen Einheiten versetzt würden. Kurz danach wurde aber die Gründung einer neuen Sondereinheit namens SWAT angekündigt, die die SARS ersetzen soll – der Verdacht liegt nahe, dass SARS faktisch nur umbenannt wird. Trotz der formalen Auflösung gingen die Proteste weiter. Die Bewegung fordert jetzt verpflichtende Überprüfungen aller ehemaligen SARS-Angehörigen und die Bestrafung aller an Verbrechen beteiligten Polizisten. Auch weitere Zugeständnisse, wie die Ankündigung einiger Gouverneure in ihren Bundesstaaten Entschädigungen an die Angehörigen der von SARS ermordeten auszuzahlen, führten nicht zum Abflauen der Proteste…“ – aus dem Beitrag „Nigeria: #EndSARS – Massenproteste gegen Polizeigewalt“ am 15. Oktober 2020 beim Sozialismus.info externer Link über die Hintergründe der trotz Zugeständnissen weiter gehenden Massenproteste. Siehe dazu auch einen weiteren Beitrag zu den sozialen Hitergründen der aktuellen Proteste gegen Polizeigewalt in Nigeria, sowie zwei Meldung zum repressiven Kurs der Regierung – inklusive einer mörderischen Drohung der Armee – und den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zum Thema:

  • „Lizenz zum Töten“ von Kofi Shakur am 15. Oktober 2020 in nd online externer Link zur Rolle der aufgelösten Spezialbande SARS zusammen fassend: „… In sozialen Medien ist die Einheit deshalb auch als Special Armed Robbery Squad bekannt. Alles, was sie könnten, sei »Steal Attack and Rob Society«, schrieb ein User auf Twitter, stehlen, angreifen und rauben. Ein besonderes Ziel momentan seien die sogenannten Yahoo Boys, so Atiyaye, oft junge Männer, die Geld mit Betrug im Internet verdienen. »Aufgrund der Natur der Arbeit der nigerianischen Polizei töten sie, anstatt sie zu verhaften«, erklärte der Aktivist. In einem Video, das von der nigerianischen Zeitung »Vanguard« verbreitet wurde, warnt ein Mann in Militärkleidung Angehörige der Spezialeinheit SARS. Würden diese jemals aus Versehen einen »Yahoo Soldier« töten, wären sie in großen Schwierigkeiten. Ins Visier der Spezialeinheit würden aber auch Menschen geraten, die nicht den binären Geschlechterbildern entsprechen. Sie würden von SARS beschuldigt werden, homosexuell zu sein, erzählt der queere Aktivist Ani Kayode Somtochukwu dem »nd«. Ein Gesetz von 2014 verbietet gleichgeschlechtliche Ehen und Beziehungen. »Unter diesem Vorwand werden sie verhaftet, geschlagen, erpresst, manchmal werden sie getötet, aus Versehen oder mit Absicht.« Bei den Protesten im Südosten in Enugu forderten die Demonstrierenden den Rücktritt von Präsident Muhammadu Buhari und riefen, »dass wir Arbeit brauchen«. »Diese Proteste dienen für junge Menschen als Ventil für die Ablehnung staatlicher Gewalt. Das gilt sowohl für SARS, als auch von Polizeigewalt und struktureller Gewalt«, erklärt Somtochukwu. Besonders die Forderung nach Arbeit hätte ihn gefreut, »denn es gibt eine Verbindung. Das Verständnis, dass es ein systemisches Problem ist, das eine gesellschaftliche Transformation erfordert, ist notwendig.« Er und andere hätten zwar auch auf den Protesten Homophobie erfahren, doch »wir kämpfen weiter, denn was wir fordern, ist wichtig.« Im ganzen Land würden auch queere Menschen ihre Stimmen erheben und einen radikalen Wandel der Verhältnisse fordern, so der Aktivist. Die Regierung verkündete nun, dass die Spezialeinheit mit sofortiger Wirkung aufgelöst sei. Deren Mitglieder sollen jedoch nach psychologischer Begutachtung in andere Polizeikräfte eingegliedert werden. Darüber hinaus soll die neue Sondereinheit Special Weapons and Tactics die so entstandene Lücke schließen. Viele der Protestierenden sehen darin jedoch einen Versuch zur Beschwichtigung…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=179644
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