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„Burn, baby, burn“ – über den Umgang mit Banken im Libanon

Auch bei den Protesten im Libanon spielen die Frauen eine zentrale Rolle, hier im November 2019 in Beirut„… Nur 24 Todesfälle wegen Covid-19 wurden bisher registriert. Doch Hunderttausende verloren Arbeits­platz und Einkommen. Es sind nicht nur die Mittellosen, die nun erneut eine Revolution fordern. In Tripolis, der zweitgrößten Stadt des Libanon, fanden am Sonntag große Autokonvois aus Protest gegen den Tod eines 26jährigen statt, den Soldaten in der Woche zuvor bei einer Demonstration erschossen hatten. Die Mittelschicht musste in den vergangenen zwei Monaten untätig zusehen, wie sich ihre Ersparnisse in Luft auflösten. Die meisten von ihnen erhalten ihr Gehalt in US-Dollar, vieles kann man im Libanon auch nur mit dieser Währung kaufen. Doch die Banken geben seit Januar nur noch libanesische Lira aus – zum alten Kurs von 1 500 Lira für einen US-Dollar. International und in den Wechselstuben muss man inzwischen 5 000 Lira für einen Dollar zahlen. (…) Das politische System des Libanon wird in der Wissenschaft als Konkordanzdemokratie bezeichnet. Es soll die Mitsprache der verschiedenen Bevölkerungsgruppen sichern. Im Libanon gehen Ämter und Mandate nach einem Schlüssel an die unterschiedlichen Konfessionen. Das zementiert eine quasifeudale Gesellschaftsstruktur. Bei jeder Wahl teilen immer dieselben Familien und Milizenführer die Macht unter sich auf. Die Anführer der Sunniten, Schiiten, Maroniten und Drusen sichern sich gegenseitig ab und sorgen dafür, dass keine andere politische Kraft eine Chance bekommt. So konnte die kommunistische Partei trotz großer Anhängerschaft jahrzehntelang keine Mandate erringen. Die Beiruter Bürgerbewegung Madinati erzielte bei den Kommunalwahlen 2016 keinen einzigen Sitz, obwohl sie in einigen Stadtteilen sogar die absolute Mehrheit der Stimmen erhielt. In diesem politischen System geht leer aus, wer keine schlagkräftige, jederzeit mobilisierbare Klientel hinter sich hat. Die Anführer der Glaubensgemeinschaften sorgen für Arbeit, Armenhilfe und andere Dienstleistungen. Sie haben kein Interesse an einem funktionierenden Staat, sondern wollen vor allem dessen Ressourcen plündern, für ihren Landbesitz, ihre Fabriken, Baufirmen, Krankenhäuser, Schulen und Fernsehkanäle, mit denen sie ihre Klientel bedienen…“ – aus dem Beitrag „Wo die Banken brennen“ von Hannah Wettig am 07. Mai 2020 in der jungle world externer Link über die neu aufgeflammten Proteste im Libanon, die sich massiv gegen die Banken richten. Siehe dazu drei weitere Beiträge, die sich in unterschiedlicher Weise um Banken, Währung und Protest drehen: Ein Bericht über Proteste in verschiedenen Städten des Libanon, einer über Gewerkschaftsproteste am 1. Mai – und einer, über den „Antrag“ der regierung auf einen neuen Kredit beim Internationalen Währungsfonds:

  • „Unruhen im #Libanon“ am 02. Mai 2020 bei Enough is Enough externer Link berichtet unter anderem aus verschiedenen Orten des Libanon: „… In der Hauptstadt Beirut marschierten zahlreiche Demonstrant*innen, einige trugen medizinische Masken und forderten mehr Menschen auf, sich ihrer Demonstration anzuschließen. Sie skandierten gegen die finanzielle Situation. Später versammelten sich Menschenmassen, um Steine auf die vor der Zentralbank versammelte Polizei zu werfen. In Sidon, im Südlibanon, skandieren Menschenmengen „Revolution! Revolution!“ Sie warfen Benzinbomben auf ein Gebäude der Zentralbank und zündeten es an, bevor sie weitere Banken angriffen. Der Libanon ist mit seinen massiven Schuldenzahlungen an ausländische Gläubiger in Verzug geraten, und das Regime von Hassan Diab will die libanesischen Massen mit einem „Rettungspaket“ dafür bezahlen lassen. Das libanesische Pfund ist seit Oktober auf die Hälfte seines Wertes gefallen. Die libanesische Wirtschaft zählt zu den am höchsten verschuldeten der Welt. Die Regierung Diab ist die Marionette der schiitischen Milizen der Hisbollah, die ihrerseits vom iranischen Regime und den syrischen Regimes sowie den unterschiedlichen Milliardären der einzelnen Sekten im Libanon unterstützt werden. Die Banken werden ins Visier genommen, weil sie den Menschen nicht erlauben, Geld abzuheben. Darüber hinaus befinden sich viele der Banken im Besitz wichtiger Politiker. Wegen der hohen Armut und Arbeitslosigkeit war Tripolis das Epizentrum der Proteste. Im vergangenen Oktober war es Schauplatz weit verbreiteter Proteste. Während gewöhnliche Menschen daran gehindert wurden, Geld abzuheben und Auslandsüberweisungen zu tätigen, wurde den Reichen erlaubt, 5,7 Milliarden Dollar abzuheben…“
  • „Beirut will Finanznot mit IWF-Hilfe überwinden“ am 01. Mai 2020 bei der Deutschen Welle externer Link zum Desaster-„Rettungskurs“ der libanesischen Regierung unter anderem (ohne genauer darauf einzugehen, wie man denn da so „ums Leben kommen“ kann: „… Ministerpräsident Hassan Diab habe ein entsprechendes Gesuch an den Internationalen Währungsfonds (IWF) unterschrieben, meldet die staatliche Nachrichtenagentur NNA. „Das ist ein Wendepunkt in der Geschichte des Libanons“, sagte Diab demnach. „Wir haben einen ersten Schritt gemacht, um den Libanon aus dem finanziellen Abgrund zu retten.“ Im März musste die Regierung erstmals erklären, dass sie  fällige Staatsanleihen nicht zurückzahlen kann. Die libanesische Lira hat im Vergleich zum Dollar in den vergangenen Monaten mehr als die Hälfte ihres Wertes verloren. Der IWF erwartet, dass die libanesische Wirtschaft in diesem Jahr um zwölf Prozent schrumpft. Offiziellen Angaben zufolge leben inzwischen 45 Prozent der Libanesen unter der Armutsgrenze.Die Corona-Pandemie verschärft die Krise noch weiter. Viele Libanesen klagen, dass sie wegen der hohen Preissteigerung ihre Familien nicht mehr ernähren können. (…) Bereits im Oktober 2019 hatten Massendemonstrationen gegen die politische Führung, die Korruption und die schlechte wirtschaftliche Lage begonnen. In der Nacht zum Donnerstag hatte es den dritten Tag in Folge heftige Proteste im Norden des Libanon gegeben. Aufgebrachte Demonstranten attackierten erneut Bankfilialen an und zündeten sie an. An mehreren Orten kam es zu Zusammenstößen zwischen Protestteilnehmern und Soldaten. Ein 26-Jähriger kam bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften uns Leben...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=172029
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