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Der Kampf um die Betriebsschließungen: Italienischer Unternehmerverband will Tote sehen

Streikaufruf für Betriebsschliessungen wegen Corona in ItalienEs geht hin und her in der Auseinandersetzung um die Schließung nicht lebenswichtiger Betriebe und Einrichtungen in Italien: Auf das ursprünglich von Regierung, Unternehmerverband und den drei großen Gewerkschaftsverbänden unterzeichnete Abkommen, das vor allem der Aufrechterhaltung der Produktion dienen sollte, folgte eine regelrechte Streikwelle. Die die Regierung nun, am Wochenende, zum Nachgeben zwang. Wenn auch reichlich verklausuliert und mit diversen Schlupflöchern versehen, sah ein Dekret des Ministerpräsidenten eben die Schließung dieser nicht lebenswichtigen Bereiche vor – worauf wiederum der Unternehmerverband Confindustria mit massivem Protest reagierte. Wie anderswo auch, will der Verband um jeden Preis – und vor allem um den Preis der Gesundheit der Beschäftigten – die Kapitalverwertung aufrecht erhalten. Die Regierung zuckt zunächst zurück, dann doch wieder nicht – und die Basisgewerkschaften, wie USB oder SI Cobas und ADL Cobas halten ihre Streikaufrufe für diese Woche aufrecht, zu mindestens so lange, bis die Regierung ihnen gegenüber sich eindeutig und konkret für die Schließung erklärt, während die großen Verbände sich nun gezwungen sehen, ebenfalls für die Schließung einzutreten, zu mindestens in Erklärungen. Währenddessen Beschäftigte im Gesundheitssystem einen Appell an die Beschäftigten der Privatindustrie richten – sie sollen „für sie mit streiken“. Und die Gewerkschaften dieses Bereichs massiv die Rechnung der menschlichen Kosten der Epidemie aufmachen – die in Italien, mehr noch, als anderswo in Wirklichkeit die tödlichen Kosten der Austeritätspolitik und der Privatisierung im Gesundheitswesen sind. Siehe dazu unsere aktuelle Materialsammlung „Tödliche Epidemie in Italien: Nur im Kampf gegen Unternehmerverband und Austerität aufzuhalten“ vom 23. März 2020:

„Tödliche Epidemie in Italien:
Nur im Kampf gegen Unternehmerverband und Austerität aufzuhalten“

(23. März 2020)

„Wir sind kein Schlachtvieh!“ am 20. März 2020 bei Solidarisch gegen Corona externer Link kommentiert, übersetzt  und dokumentiert den Aufruf von SI Cobas, sozusagen zur Situation, die die Grundlage des aktuellen Kampfes bildet: „… „Ich bleibe zuhause – ich bin kein Schlachtvieh!“ – Unter dieser Parole protestieren seit einer Woche italienische ArbeiterInnen in Logistik und Industrie. Während viele kleine Unternehmen in Folge der Notlage schließen mussten, hat der Arbeitgeberverband Confindustria die Fortsetzung der Produktion in den großen Unternehmen vorläufig durchgesetzt. (…) Wir dokumentieren einen Aufruf der Basisgewerkschaft S.I. Cobas: „In den Warenlagern, in denen wir vertreten sind, bleiben 90 % der Arbeit fern. Sehr viele Arbeiter sind unserer Aufforderung und ihrem Willen gefolgt zu bekräftigen, dass ihre Profite nicht wichtiger sind, als unser Leben. Wir veröffentlichen hier einige Fotos von den tausenden, die angekommen sind. In den Sektoren der Distribution von Arzneimitteln und Lebensmittel haben wir die Weisung gegeben zu arbeiten, unter Einhaltung aller Schutzmaßnahmen. Darunter fallen die Desinfizierung der Gemeinschaftsräume in den Warenlagern und die Reduzierung der Anwesenden durch Rotation und Schichten, so dass es weniger Kontakte gibt.“...“

Vor einigen Minuten hat Conte nun trotzdem das Dokument unterschrieben: ab morgen 23. März gilt eine partielle und temporäre Schliessung der Produktion. Wie das Dokument aber zeigt, bleiben viele Sektoren und Branchen ausgeschlossen und daher ein Großteil der Produktion offen“ – am 22. März 2020 im Twitter-Kanal von Maurizio C. externer Link markiert das – vorläufige (?) – Ende des Hin und Her um das Regierungsdekret zur Schließung der nicht lebenswichtigen Bereiche  

Schließung der nicht lebensnotwendigen Produktion wegen COVID2019italia? Die heute in Kraft tretende Verordnung gilt weder für die Waffenindustrie noch für die Zulieferbetriebe. Die Regierung Conte spielt weiterhin mit dem Leben von 9 Millionen Arbeiter*innen“ ist, einen Tag später, am 23. März 2020 bei Maurizio C. externer Link sozusagen die Konkretion des vorhergehenden Tweets über potenzielle Ausnahmen…

„Confindustria al governo: „Non si può chiudere tutto“. Sindacati: „Pronti allo sciopero generale““ von Valentina Conte am 22. März 2020 bei La Repubblica externer Link war ein Bericht über den Protest des Unternehmerverbandes gegen das Dekret, mit dem seine Unterzeichnung hinaus gezögert wurde – die Antwort der Gewerkschaften (nun auch der großen Verbände) war die Streikankündigung, weswegen wohl die Regierung dann erst mal doch das Dekret verabschiedete…

„Coronavirus, USB: lo sciopero generale del 25 marzo resta, fino a convocazione del governo“ am 22. März 2020 beim Gewerkschaftsbund USB externer Link ist die Mitteilung der Basisgewerkschafts-Föderation, dass der Streikaufruf für den 25. März, mit dem eben die Schließung der Unternehmen erkämpft werden soll, bestehen bleibe – es sei denn, die Regierung mache bei einem Treffen vorher ganz exakte Zusagen über die Art und Weise und Intensität der Schließung.

„Covid-19: Dichiarazione di sciopero della CUB inviata al Presidente del Consiglio e al Ministro del Lavoro e delle Politiche Sociali“ am 13. März 2020 bei der CUB externer Link war die Mitteilung, dass auch diese Basisgewerkschaft sich den Behörden gegenüber erklärt hat, dass sie zum 25. März ebenfalls zum Streik aufruft.

„Governo, Confindustria e Confederali cedono chiudendo le attività non essenziali: vittoria dei lavoratori, la lotta continua“ am 21. März 2020 bei der SI Cobas externer Link ist die Stellungnahme der Basisgewerkschaft zur Unterzeichnung des Dekrets für die Schließung: Ein bedeutender Sieg der wachsenden Streikbewegung sei dieser Schritt – dem man allerdings nicht zu sehr vertrauen dürfe, weswegen der Kampf auch weitergeführt werden müsse.

„POSTE. Blocco temporaneo di produzione e distribuzione!“ am 21. März 2020 bei Il Sinidicato è un’altra cosa externer Link dokumentiert die Mitteilung der Postgewerkschaft in der CGIL für die Region Ligurien, die auf die extrem angespannte Situation bei der Post nach dem Tod von zwei Kollegen hinweist und dazu aufruft, aktiv zu werden für die Verbesserung der Sicherheits-Standards auch in den lebensnotwendigen Bereichen.

„L’appello di 400 lavoratori della sanità: ci stiamo ammalando a migliaia, non possiamo scioperare, il 25 marzo fallo tu #scioperaperme“ am 22. März 2020 beim Gewerkschaftsbund USB externer Link ist der Aufruf von 400 Krankenschwestern und Pflegern an alle im privaten Bereich Beschäftigten, da sie im gegebenen Augenblick nicht streiken könnten, für sie mit zu streiken, denn die Schließung aller nicht lebensnotwendigen Bereiche sei für die Allgemeinheit notwendig…

„Beschäftigte des italienischen Gesundheitswesens äußern sich zur Coronavirus-Pandemie“ von Marc Wells am 23. März 2020 bei wsws externer Link berichtet aus den „Frontlinien“: „… Emanuele erklärte das neue Testverfahren: „Im Gegensatz zur Lombardei haben wir hier in der Toskana beschlossen, alle eingelieferten Patienten zu testen und sie entweder in die COVID- oder die Nicht-COVID-Abteilung zu stecken. Leider gab es in der Lombardei viele Kranke, sodass man ganze Krankenhäuser für die Behandlung der Infektionskrankheit herrichten musste.“ Weiter berichtete er: „Die Ansteckungswelle breitet sich langsam nach Süden aus. Jetzt gibt es auch in der Mitte des Landes immer mehr Fälle, bald wird der Süden überrollt werden. In meinem Krankenhaus werden wegen des rapiden Anstiegs der Fallzahlen viele Abteilungen zur Behandlung von COVID umfunktioniert. Erst heute haben wir zwei neue Stationen in Betrieb genommen, morgen wird eine weitere eröffnet.“ Er erklärte, weiter im Süden würde „die Rückkehr dieser Arbeiter in ihre Heimatstädte auf Befehl der Regierung nächste Woche spürbare Auswirkungen haben. Die Toskana und die Emilia Romagna haben die wohl beste Gesundheitsinfrastruktur, aber in Kampanien und Basilikata… Gott stehe uns bei! Unsere Stationen sind völlig kontaminiert, weil sie eigentlich nicht auf Infektionskrankheiten ausgelegt waren. Wir können unsere Schutzausrüstung zwei bis drei Stunden tragen, aber es ist sehr anstrengend. Das Krankenhaus hat letzte Woche ehemalige Teilzeitärzte und Pflegekräfte als Hilfspersonal eingestellt… Unser Problem ist der Mangel an Schutzkleidung. Unter meinen Kollegen sind bereits vier positiv getestet (sie sind derzeit krank).“ Das Virus ist hochgradig ansteckend: „Wir gehen davon aus, dass die meisten von uns positiv sind. Wir sind alle kontaminiert, auch unsere Familien. Ich hatte Halsschmerzen, meine Partnerin und meine Tochter auch. Wir hoffen, dass es keine Lungenentzündung wird. Nicht unsere Patienten sind das Problem, sondern die Ansteckung unter Kollegen, die in engen Räumen zusammenarbeiten. Und wir riskieren, dass wir negative Patienten anstecken.“…

„Austerität ist tödlich“ von Alexis Passadakis am 18. März 2020 im Freitag online externer Link zur Entstehung der extrem kritischen Situation in den Krankenhäusern insbesondere Italiens: „… Rom, August 2011: In das Postfach der italienischen Regierung flattert ein Brief der Europäischen Zentralbank. Was dem Brief folgen wird, ist eine drastische Kürzungswelle, die auch das Gesundheitswesen erfasst. Die EZB erklärt in ihrem Schreiben, dass Schutz vor steigenden Zinsen auf italienische Staatsanleihen nur unter der Bedingung harter Einschnitte gewährt würde. Sie hatte in der Troika die EU-Kommission und den Internationalen Währungsfonds hinter sich. Die italienische Regierung führte diese Einschnitte durch – in der Folge sank die Anzahl von Krankenhäusern im Land um 15 Prozent. Die Krise des Gesundheitssystems in der aktuellen Pandemie ist eine Folge dieser Austeritätspolitik. Und als das südeuropäische Land nun im Angesicht der Corona-Pandemie Ende Februar über den Zivilschutzmechanismus der EU (EU Civil Protection Mechanism) um sofortige Unterstützung bat, folgte: Nichts. Kein einziger EU-Staat schickte medizinisches Material oder Personal. Diese unterlassene Hilfeleistung kommt nicht von Ungefähr, sondern hat eine Vorgeschichte. Das Corona-Virus trifft in der EU auf gesellschaftliche Infrastrukturen, die von mindestens einer Dekade scharfer Austeritätspolitik erschöpft sind. In der auf den Finanzcrash von 2007 und 2008 einsetzenden Krise der Eurozone setzten EU-Kommission und EZB alles daran, die Banken und andere Finanzmarktakteure als systemrelevant zu deklarieren und mit hohen Milliardenbeträgen zu retten. Öffentliche Ausgaben für soziale Belange, so hieß es, würden das Wachstum hemmen. Deshalb wurden entsprechend neoliberaler Konzepte die Gesundheitssysteme umgebaut und öffentliche Budgets gekürzt...“

 „Mailand, 14 – 18 März, aus dem Stadtgefängnis“ am 22. März 2020 bei de.indymedia externer Link über die Reaktionen der Staatsmacht auf die Gefängnisproteste unter anderem: „… Familienangehöriger eines Gefangenen aus der ersten Abteilung: “Er hat mich gerade angerufen, er hat mir alles erzählt, dass sie ihn zu dritt verprügelt und zerschlagen haben, dass seine Hände gebrochen sind, aber es geht ihm gut, dass sie alle geschlagen haben, weil sie in der Verwirrung nicht darauf geachtet haben, wer da war und wer nicht da war, sie haben das Licht ausgemacht und alle geschlagen. Sie hielten ihn mit den Füßen auf dem Boden fest und schlugen ihn mit Schlagstöcken. Nachdem sie ihn geschlagen hatten, um ihn in die Zelle zurückzubringen, mussten sie ihn über den Boden schleifen, weil er nicht aufstehen konnte, und zwei Tage lang konnte er nicht aufstehen, weil er sich schwach fühlte. Danach, als sie merkten, dass er nichts damit zu tun hatte, entschuldigten sie sich. Er sagte, sie sollen etwas zu essen mitbringen, weil sie alle hungrig sind”. Ein Familienangehöriger eines Insassen der ersten Abteilung: “Er sagte, ich befinde mich in einer beschissenen Situation. Sie geben nur Wasser und Zigaretten aus. Sie haben die Kochplatten herausgenommen. Die Lebensmittel sollten heute eintreffen, aber sie sind nicht angekommen. Heute hatten sie Gott sei Dank eine Stunde Hofgang. Ich sagte: “Du hast endlich angerufen, ich habe seit einer Woche nicht geschlafen”, und er sagte: “Du schläfst nicht? Wo ich hinsehe finde Ich auch heute immer noch neue blaue Flecken”. Er erzählte mir, dass einer der Jungs Knüppelspuren auf dem Rücken hat und diese dem Direktor zeigt, der antwortete: “Diese Knüppelspuren, die Sie auf dem Rücken haben, die habe ich in meinem Herzen für alles, was euch passiert ist”…“

„L’epidemia lascia l’agricoltura italiana senza lavoratori“ von Stefano Liberti am 20. März 2020 bei Internationale externer Link ist ein Ausblick auf die italienische Landwirtschaft – ohne migrantische Billig-Arbeitskräfte kaum zukunftsfähig….

„«A Bergame, une génération entière est mise à genoux»“ von Cecile Deparge am 20. März 2020 bei Europe Solidaire externer Link dokumentiert, ist ein Bericht aus Bergamo, einen der Orte mit den übelsten Auswirkungen der Epidemie – wozu die Autorin zusammenfassend meint, dass dies ein großes Problem auch in der Zukunft einer ganzen Generation in dieser Stadt sein werde…

Siehe zum Thema:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=164767
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