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Jerusalemer Deklaration zu Antisemitismus und ihre Folgen für die Kritik an der Politik Israels

Dossier

Jerusalemer Deklaration zu Antisemitismus„… Die JDA externer Link ist eine Reaktion auf die vielfach umstrittene Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (Internationale Allianz zum Gedenken an den Holocaust; IHRA). Diese Definition wurde die letzten Jahre vielfach instrumentalisiert, um jegliche Kritik an der israelischen Besatzungspolitik und Palästina-Solidarität zu delegitimieren und kriminalisieren. Deshalb lehnen auch weite Teile der jüdischen Linken, sowohl in Israel als auch in der Diaspora, die IHRA-Definition ab. Die JDA ist eine Antwort auf diese zunehmende Instrumentalisierung des Kampfes gegen Antisemitismus von rechts. Sie arbeitet explizit heraus, wann Kritik an der Lage in Israel-Palästina antisemitisch ist und wann nicht. Zum Beispiel sagt sie explizit, dass Antizionismus und Antisemitismus nicht dasselbe sind und auch der Aufruf zu Boykott, Divestment und Sanktionen (BDS) nicht per se antisemitisch ist. Das ist ein wichtiger Schritt sowohl im Kampf gegen Antisemitismus als auch zur Dekriminalisierung von Palästina-Solidarität. (…) Das Problem an der IHRA-Definition ist, dass sie viel zu vage ist und sich daher leicht instrumentalisieren lässt. Die JDA ist viel präziser und weist auch darauf hin, dass der Kontext einer Aussage zentral ist…“ Aus dem Interview „Jerusalemer Deklaration zu Antisemitismus“ mit Isabel Frey, am 5. Mai 2021 bei der ArbeiterInnenmacht externer Link, siehe weitere Beiträge dazu:

  • Moshe Zuckermann: „Judentum, Zionismus und Israel sind verschiedene Kategorien“ New
    Der deutsch-israelische Soziologe Moshe Zuckermann über die Ursachen der Eskalation in Nahost, die israelische Innenpolitik und die Antisemitismusdebatte (…) Es muss ein für alle Mal verstanden werden: Judentum, Zionismus und Israel sind drei verschiedene Kategorien und entsprechend auch Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik. Das zeigt sich schon daran, dass nicht alle Juden Zionisten, nicht alle Zionisten Israelis und nicht alle Israelis Juden sind. Es ist klar, warum diese Kategorien in Deutschland allzu häufig gleichgesetzt werden. Das bedient deutsche Befindlichkeiten und Bedürfnisse der Schuldabtragung. Aber nicht nur ist diese Gleichsetzung an sich falsch, sondern sie bedient objektiv auch die Interessen der israelischen Propaganda.“ Interview von Ramon Schack vom 19. Mai 2021 in telepolis externer Link, siehe auch:

  • Human Rights Watch beschuldigt Israel der Apartheid: Der ausführliche Bericht fordert den IStGH auf, Anklage gegen den Staat Israel zu erheben 
    „… Im November 2019 wurde der Direktor von Human Rights Watch für Israel/Palästina, Omar Shakir, aus Israel abgeschoben – aufgrund seiner politischen Ansichten und der Beschuldigung, die BDS-Bewegung zu unterstützen. Shakirs Berufung vor dem israelischen Obersten Gerichtshof gegen die Entscheidung des Innenministeriums scheiterte. Ende April 2021 veröffentlichte Human Rights Watch einen detaillierten Bericht von 213 Seiten, in dem erklärt wird, auf welche Weise sich die israelischen Behörden des Verbrechens der Apartheid schuldig gemacht haben. Der Bericht nimmt Bezug auf Artikel II der Anti-Apartheid-Konvention der UN von 1973 und die Definition im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Ein Großteil des Berichts basiert auf Recherchen, die von Omar Shakir durchgeführt wurden. Mitautor ist Eric Goldstein. (…) Jahrelang wurde Human Rights Watch dafür kritisiert, zu nachsichtig mit israelischen Menschenrechtsverletzungen umzugehen, einen – wie sie es nennen – „ausgewogenen“ Ansatz zu verfolgen und zu versuchen, die israelische Regierung nicht zu sehr zu verärgern. Nachdem Omar Shakir abgeschoben worden war, wurde er durch Eric Goldstein als amtierenden Direktor ersetzt. Die Organisation scheute sich nicht mehr, in einer klaren Sprache über die vom Staat Israel begangenen Verbrechen öffentlich zu informieren. (…) Der Bericht von Human Rights Watch trägt den denkwürdigen Titel „A threshold crossed“ („Eine überschrittene Schwelle“), was darauf hindeutet, dass eine bestimmte Schwelle überschritten werden muss, damit Rassismus, Segregation und Diskriminierung nach der UN-Konvention den Tatbestand der Apartheid erfüllen…“ BIP-Aktuell #169 vom Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern (BIP) e.V. vom 10. Mai 2021 externer Link
  • Nur in Deutschland: Jüdisches Leben soll in Deutschland florieren. Dabei werden echte jüdische Werte permanent angegriffen – und zwar von denen, die Juden angeblich beschützen wollen
    Krieg gegen die Bevölkerung Gazas stoppen„… Es ist kein Tabu, Israel zu lieben, es erfordert in Deutschland keinen Mut, seine Unterstützung oder Solidarität mit diesem Land zu erklären, oder zu verkünden, wie sehr man die Sonne, das Meer und die schönen Menschen dort liebt. (…) Tritt aber ein real-life Jew mit anderer Meinung in diese Konstellation, wird er oder sie nicht etwa als willkommene Stimme begrüßt, sondern zunehmend diffamiert. Es sind die Deutschen, die erstaunlich schnell daran sind, Jüdinnen*Juden in die Nähe von Antisemitismus zu rücken, wenn sie eine verständlicherweise andere Position zu jüdischen Themen haben. (…) Nun ist es aber so, dass ich viele Jüdinnen*Juden kenne, die Israel nicht lieben und sogar die Boykottbewegung BDS unterstützen, die in deutschen Medien selten ohne das Beiwort „antisemitisch“ auftaucht. (…) Die Schimäre des „importierten Antisemitismus“ ist ein willkommener Vorwand, um sublimierten Rassismus auszuleben. Menschen aus Einwandererfamilien gerade aus dem arabischen und afrikanischen Raum und muslimische und muslimisch gelesene Menschen müssen in Deutschland immer erst einmal beweisen, dass sie keine Antisemit*innen sind, und gelten ansonsten als Gefährder*innen. Ihre eigene historische Erfahrung hat in deutscher Erinnerungskultur keinen Platz. (…) Es gibt Antisemitismus, der sich in Hass auf Israel als jüdischen Staat, als jüdisches Projekt, als Manifestation jüdischer Macht statt Ohnmacht entlädt, Israel zum Ersatzobjekt macht. Und es gibt Kritik an Israel, wütende und unfaire sogar, die strukturellen, seit der Nation-State Bill auch gesetzlich verankerten Rassismus gegen Palästinenser*innen im Land selbst, brutale Besatzungspolitik im Westjordanland und unverhältnismäßige Erwiderungen auf palästinensische Gewalt im Blick hat. Dagegen kann man protestieren. Wer sich an diesem Protest stößt, ihn als israelbezogenen Antisemitismus markiert, soll bitte erst einmal darlegen, ob er die protestierten Verhältnisse überhaupt als protestierenswert erachtet. (…) Mein Leben als Jude wird von dieser Kritik jedenfalls nicht bedroht, das Leben von Israelis ebenfalls nicht. (…) Was bedroht mein Leben als Jude? Incelnazis wie in Halle und Hanau, Polizeinazis wie vom NSU 2.0, Bundeswehrnazis wie im Hannibal-Netzwerk, Querdenker-Nazis mit gelben „Ungeimpft“-Sternen und Waffen. Antisemitismus tötet. Gerade deswegen ist es wichtig, genau zu sagen, was eigentlich Antisemitismus ist und was nicht. (…) Aber ich bin hier und, noch einmal boruch hashem, nicht allein. Langsam entstehen Allianzen: migrantisch-jüdisch, jüdisch-palästinensisch, interreligiös, Black-Jewish, Migrantifa. Diese Allianzen und Bündnisse sind nicht einfach nur Marketingpose oder Hashtag, sie sind überlebensnotwendig. Sie entstehen durch offenen, auch schmerzhaften Dialog, damit wir eine gemeinsame Sprache finden. Wir verteidigen uns, wir unterstützen uns, wir hören unseren Geschichten zu und schreiben zusammen eine neue. Wir wissen, wer unsere Feind*innen sind…“ Essay von Fabian Wolff vom 2. Mai 2021 in der Zeit online externer Link
  • Falsche Freunde, falsche Feinde. Die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ will die Debatte entgiften. Judenhass und Kritik an Israel sollen präziser unterschieden werden.
    Rund 200 Wis­sen­schaft­le­r*in­nen aus aller Welt haben die „Jerusalem Declaration on Antisemitism“ unterzeichnet externer Link. Die meisten sind Juden, die ihr Leben der Erforschung jüdischer Geschichte, des Antisemitismus oder des Holocaust gewidmet haben. Und die ein wachsendes Unbehagen miteinander verbindet, das auch mich veranlasst hat, zu unterschreiben externer Link. Der Kampf gegen Antisemitismus ist gekidnappt worden, von politischen Interessen, die mit der Verteidigung jüdischen Lebens und jüdischer Kultur, mit der Verteidigung jüdischer Selbstbestimmung wenig zu tun haben. Wir leben in einer Welt, in der sich ein autoritärer Nationalist wie Victor Orbán, der seine Macht nicht zuletzt einer antisemitischen Kampagne verdankt, als Freund Israels deklarieren kann. (…) In diesem Sinne hat auch „König Bibis“ Thronfolger Jair Netanjahu letztes Jahr gemeinsam mit der AfD das Ende der „globalistischen EU“ und ein „christliches Europa“ gefordert. Die Welt, in der wir heute gegen Antisemitismus kämpfen, ist komplizierter geworden. (…) Doch wenn deutsche Politiker heute von Antisemitismus reden, dann gibt es fast nur ein Thema: BDS, die palästinensische Boykottbewegung. Der Streit darüber hat verschiedene Dimensionen. Es geht darum, ob wir Europa, ob wir Deutschland als offene Gesellschaften begreifen, in denen wir ethnisch, kulturell und religiös verschieden sein mögen, aber unter Einhaltung gemeinsamer Regeln zusammenleben, oder ob wir Identitäten und Territorien homogen definieren und damit die Katstrophe des Nationalismus fortschreiben. Dazu gehört dann eben auch: die Juden auf „ihr“ Territorium zu verweisen. Zugleich geht es um einen schmerzlichen innerjüdischen Streit: Können wir nach Auschwitz in der Diaspora noch – oder endlich – selbstbewusst und selbstbestimmt leben? Oder müssen wir nach dem nationalen Wahn des 20. Jahrhundert uns alle in einem „sicheren Hafen“ verschanzen, der sich womöglich in ein selbstgewähltes Ghetto verwandelt, nur diesmal hinter selbstgebauten Mauern? Und schließlich tritt immer deutlicher ein innerisraelischer Streit vor Augen, der darüber geführt wird, ob dieses Land eine ethnisch-religiös exklusive Burg sein soll, auf die sich Juden zurückziehen können, oder ob das Land von „fremder Besatzung befreit“ werden soll, wie es BDS fordert. Oder ob daraus ein gemeinsamer Staat seiner jüdischen und nichtjüdischen Bürgerinnen und Bürger werden kann, der zu dem finden muss, was diese Menschen miteinander teilen können, aber nicht auf dem basieren kann, was sie voneinander trennt…“ Gastkommentar von Hanno Loewy vom 29.3.2021 in der taz online externer Link
  • Antisemitismus, Israel, BDS: Für ein Denken in Widersprüchen. Warum die Versuche, von Deutschland aus Antisemitismus zu definieren, im Zweifelsfall ziemlich deutsch sind
    „… Die Auseinandersetzungen um die Frage, was Antisemitismus heute sei und inwieweit sich dieser in israelkritischen Äußerungen widerspiegele, ist ein Stachel im Fleisch dieses einfachen Weltbilds. Man höre allein die deutschen Reden am Holocaust-Gedenktag. Es wird sich gegen den Antisemitismus verwahrt und gleich noch gegen den „zugewanderten Antisemitismus“ (Schäuble). Parolen und Floskeln standen einer Rede von Saul Friedländer gegenüber, der sein Bekenntnis zu Israel mit seiner individuellen Erfahrung als heimatloser Überlebender verknüpfte und zugleich leise aber klar sein kritisches Verhältnis zur israelischen Regierungspolitik benannte. Hätte sich Schäuble nicht fragen müssen, ob an einem Tag wie diesem die Auseinandersetzung mit Zuwanderung hätte unterbleiben müssen, weil sie allzu häufig einen Vorwand für Rassismus liefert? Hätte er sich nicht die Mühe machen müssen, mehr zu sagen als nur Schlagworte. Diese aber prägen die deutsche Debatte. Man distanziert sich von Antisemitismus und bezichtigt andere desselben. Und schon ist man fein aus dem Schneider und auf der richtigen Seite. Nicht nur wenn es um Israel geht, ist die Sache aber nicht so einfach. Ausgehend vom gut 2000 Jahre währenden christlichen Antijudaismus, der schon vor der nationalsozialistischen Judenvernichtung extreme Verfolgungsmethoden aufwies, ist der Antisemitismus und die immerwährende Auseinandersetzung damit ein grundlegendes Thema deutschen und europäischen Selbstverständnisses. Es kann sich also nicht durch Parlamentsbeschlüsse erledigen, die definieren, was Antisemitismus sei. Vor allen Dingen dann nicht, wenn diese Definitionen vorwiegend interessegeleitet sind: Die Deutschen wollen nicht als Antisemiten beschimpft werden; die Israelische Rechte nutzt den Antisemitismus-Vorwurf, um jeden Menschenrechtsdiskurs gegenüber der israelischen Besatzung zu disqualifizieren. Auch der Blick auf Israel muss immer wieder neu geschärft werden. (…) Was auch immer zu Recht gegen BDS eingewendet werden kann oder muss, der Antisemitismus-Vorwurf entpuppt sich nicht nur als Kampagne israelischer Rechtspopulist_innen, sondern vor allen Dingen auch als eine eurozentristische Angelegenheit. Aus dem globalen Süden auf die israelische Besatzung geschaut zeigt sich eben auch eine Wahrheit. Nämlich, dass der israelische Siedlerkolonialismus in der Westbank mit allem einhergeht, was zu Siedlerkolonialismus gehört: Formen von ausgetüftelter Klassifizierung und Einteilung der ursprünglichen Bevölkerung, um sie besser kontrollieren zu können; die beständige Delegitimierung ihres Sprechens und ihrer Anliegen und klassische Repression. Um nur einige zu nennen. Es gibt also in einer Zeit, in der zu Recht unser eigenes koloniales Denken erneut auf den Prüfstand kommt, auch in der Debatte um Israel keinen anderen Ausweg als legitime Sprechweisen auszuhalten. Und die bestehen eben darin, dass aus deutscher und europäischer Sicht die Verantwortung für Judenverfolgung und Judenvernichtung Teil eines Diskurses über Israel sein muss, während sich der Süden diese Sichtweise keineswegs zu eigen macht und manchmal aufgrund bitterer Erfahrungen nicht zu Unrecht befürchtet, der Antikolonialismus könnte gegen den Antisemitismus, wie ihn europäische Politiker_innen verstehen, ausgespielt werden. Es wird so nicht kommen. Denn in der aktuellen Auseinandersetzung mit der „Politik der Feindschaft“, wie das Achille Mbembe nennt, landen wir alle im selben Boot. Die zentralen Mittel dieser Politik der Feindschaft sind, so Mbembe, Antisemitismus, Islamophobie und Rassismus. Oder mit Czolleks Worten: Wenn heute Muslime ausgegrenzt werden, sind morgen die Juden dran. Und das gilt auch umgekehrt.“ Artikel von Katja Maurer vom 06. Februar 2019 bei medico international externer Link

Siehe dazu im LabourNet:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=189712
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