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Nach Frauen- und Jugendaktionstagen in Frankreich: Ausgang des Kräftemessens um die Rentenreform noch ungewiss – ist noch alles offen?

Frauentagsdemo in Paris am 8. März 2023: feministischer Streik (Foto Bernard Schmid)Mehrere Mobilisierungen (auch) mit Gewerkschaftsbezug: Demonstrationen zum Frauentag am 08. März, Jugend- und Studierendendemonstration am 09. März; ihnen folgt eine Klimademonstration am heutigen 10. März. Mobilisierung zu Streiks und direkten Aktionen: sektorenbezogen sehr unterschiedlich. Neue (Mega?-)Aktionstage am morgigen Samstag, den 11. März und am kommenden Mittwoch ooder Donnerstag, den 15./16. März d.J. geplant. Staatspräsident Macron weigert sich, die Gewerkschaften zu empfangen. Ungewissheit über Fortgang des parlamentarischen Prozederes und dessen eventuelles verfassungsrechtliches Nachspiel…“ Vorspann zum Artikel und Fotos von Bernard Schmid vom 10.3.2023 – wir danken!

Frankreich: Ausgang des Kräftemessens um die Rentenreform noch ungewiss – ist noch alles offen?

Frauentagsdemo in Paris am 8. März 2023: Wie am 7. auch am 8. März: Bündnis zwischen Gewerkschaften, Klimaschützer/innen und Feministinnen (Foto Bernard Schmid)

Wie am 7. auch am 8. März: Bündnis zwischen Gewerkschaften, Klimaschützer/innen und Feministinnen

Mehrere Mobilisierungen (auch) mit Gewerkschaftsbezug: Demonstrationen zum Frauentag am 08. März, Jugend- und Studierendendemonstration am 09. März; ihnen folgt eine Klimademonstration am heutigen 10. März.
Mobilisierung zu Streiks und direkten Aktionen: sektorenbezogen sehr unterschiedlich. Neue (Mega?-)Aktionstage am morgigen Samstag, den 11. März und am kommenden Mittwoch o. Donnerstag, den 15./16. März d.J. geplant. Staatspräsident Macron weigert sich, die Gewerkschaften zu empfangen. Ungewissheit über Fortgang des parlamentarischen Prozederes und dessen eventuelles verfassungsrechtliches Nachspiel

Frauentagsdemo in Paris am 8. März 2023: Weder kapitalistische Ausbeutung noch patriarchale Ohrfeige (Foto Bernard Schmid)

Weder kapitalistische Ausbeutung noch patriarchale Ohrfeige

Wer derzeit in Frankreich an Protesten teilnehmen möchte, hat reichlich Gelegenheit dazu. In Paris bspw. folgten auf die Demonstrationen vom mittlerweile sechsten landesweiten „Aktionstag“ gegen die Renten„reform“ vom Dienstag, den 07. März – Labournet berichtete dazu am Mittwoch – mit laut Gewerkschaftszahlen „700.000“ und laut Angaben des Innenministeriums „81.000“ Teilnehmenden am Mittwoch, den 08. März die internationale Frauentags-Demo und am Donnerstag, den 09. März eine Jugend- und Studierendendemonstration gegen die Rentenreformpläne. Am heutigen Freitag wiederum folgt eine Klimaschutz-Demonstration, wobei zu erwarten ist, dass auch dort positive Streik- und Gewerkschaftsbezüge auftauchen, waren doch bei den Demonstrationen in Paris sowohl am 07. als auch am 08. März jeweils thematische Blöcke zum Umwelt- und Klimaschutz mit Gewerkschaftsfahnen (u.a. CGT, Solidaires, Confédération paysanne) mitgelaufen.

Frauentagsdemo in Paris am 8. März 2023: Demoblock mit Amnesty international-Beteiligung & Iran-Bezug durch den Slogan (femme, vie, Liberté = "Frau, Leben, Freiheit" bzw. Zan, Zendegi, Azadi) (Foto Bernard Schmid)

Demoblock mit Amnesty international-Beteiligung & Iran-Bezug durch den Slogan (femme, vie, Liberté = „Frau, Leben, Freiheit“ bzw. Zan, Zendegi, Azadi)

 

Die diesjährige Frauentagsdemonstration in Paris, die laut unseren Beobachtungen real um die 20.000 Menschen versammelte (laut Polizeipräfektur: „13.500“ (vgl. https://www.lemonde.fr/politique/live/2023/03/08/greve-du-8-mars-en-direct-le-trafic-sera-encore-perturbe-jeudi-dans-les-transports-le-senat-poursuit-l-examen-de-l-article-7_6164584_823448.html externer Link), war die gewerkschaftliche Präsenz – als solche beileibe kein Novum – in diesem Jahr besonders ausgeprägt. Die Heißluftballons der Gewerkschaftsverbände CGT und FSU mit ihren Abgeordneten bildeten den Abschluss der Demonstration, und die Union syndicale Solidaires – Zusammenschluss der linken Basisgewerkschaften SUD – stellte einen der größten Demoblöcke.

Frauentagsdemo in Paris am 8. März 2023: Block von afghanischen Staatsangehörigen. Gefolgt von einem iranischen und einem kurdischen Block (Foto Bernard Schmid)

Block von afghanischen Staatsangehörigen. Gefolgt von einem iranischen und einem kurdischen Block

Einen Aufmerksamkeitsmagneten bildete einmal mehr die von Frauen gebildete Musiktruppe „Les Rosies“, die in den Reihen von ATTAC Frankreich entstand und mit ihrem Songspektakel – in blauen Putzkitteln – zum Themenblock Rente, Frauen- Erwerbsarbeit und -Familienarbeit regelmäßig Hunderte sich im Takt bewegende Menschen hinter ihrem Lautsprecherwagen laufen lässt und Tausende Schaulustige anzieht. „Les Rosies“ mitsamt Publikum waren stets bei den gewerkschaftlichen „Aktionstagen“ seit Januar d.J. präsent (wie auch bereits bei der Vorgängerbewegung gegen die letztlich nicht durchgesetzte „Rentenreform“ der damaligen Macron-Regierung im Winter 2019/20), zuletzt am Dienstag dieser Woche, und eben ebenso am Frauentag vom Mittwoch. (Am Rande des „Aktionstags“ vom 06. Februar waren neun Mitglieder der Truppe in Polizeigewahrsam genommen worden, wegen „Denkmalsbeschädigung“, weil sie in der Nähe des Parlamentsgebäudes mit Kreide auf den Boden „Rente mit 60“ gemalt hatten. Alle neun kamen nach ein paar Stunden ohne Strafverfolgung frei. (Vgl. https://linsoumission.fr/2023/02/07/9-rosies-en-garde-a-vue-retraites/ externer Link und https://www.humanite.fr/social-eco/rosies/des-rosies-arretees-pour-avoir-manifeste-781712 externer Link. Zur diesjährigen Frauentags-Demo vom 08. März 23 in Paris vgl. neben den Bildern des Autors auch diesen korrekten Bericht: https://www.france24.com/fr/france/20230308-8-mars-%C3%A0-paris-les-manifestantes-appellent-%C3%A0-l-%C3%A9galit%C3%A9-au-travail-comme-dans-la-vie externer Link)

Jugend- u. Studierendendemonstration in Paris gegen die Renten"reform" am 9. März 2023: Architekturstudierende (Foto Bernard Schmid)

Jugend- u. Studierendendemonstration in Paris gegen die Renten“reform“ am 9. März 2023: Architekturstudierende (Foto Bernard Schmid)

Eher eine derzeitigen Schwächepunkte der sozialen Gesamtbewegung aufzeigen konnte hingegen die Jugend- und Studierendendemo vom Donnerstag, den 09. März. Nur rund 2.000 Menschen (laut Beobachtung des Verf.) kamen dabei auf der Route zwischen der Gare Saint-Lazare – einem der sechs Pariser Bahnhöfe – und der place de la République zusammen. Die jüngere Generation ist bislang unterdurchschnittlich mobilisiert, im Vergleich zu den berufstätigen Altersgruppen, zu denen in den Demonstrationen auch in nicht geringer Zahl solidarische Rentner/innen (obwohl selbst von der bevorstehenden „Reform“ nicht betroffen, da bereits pensioniert) hinzukommen – vielleicht auch, weil die Rente in ihren Augen in utopischer Ferne steht.

Zwar tauchen immer wieder stärker mobilisierte harte Kerne aus dem studentischen Milieu auf, etwa am Dienstag plus Donnerstag dieser Woche die Studierenden von Pariser Architekturschulen, deren Bildungszweig aufgrund von Unterfinanzierung und mangelnder Mittelausstattung besonders in der Krise zu stecken scheint. Auch kamen zu beiden Demonstrationen Studierende von Universitäten wie Paris-1 (Sorbonne) oder Nanterre in der Nähe von Paris, jedoch handelt es sich dabei offenkundig um politisierte Kerne – mit Nähe zur radikalen Linken -, nicht um einen Teil der „Masse“ der Studierenden. Am Donnerstag früh kam es zu Blockaden und Blockadeversuchen vor Schulgebäuden, doch wurden von rund 3.000 weiterführenden Sekundarschulen in Frankreich rund fünfzehn zeitweilig erfolgreich blockiert, vor allem in Paris und Marseille. Vor fünfzehn weiteren kam es zu Blockadeversuchen, vor einer im TV gezeigten Oberschule in Marseille jedoch blieb dies etwa erfolglos mangels Masse, mit circa dreißig beteiligten Oberschüler/inne/n.

Jugend- u. Studierendendemonstration in Paris gegen die Renten"reform" am 9. März 2023: Jugend und die Polizei... (Foto Bernard Schmid)An der Spitze der Jugend- und Studierendendemonstration (zu welcher auch ältere Semester aus Solidarität erschienen… auch der Verfasser dieser Zeilen ist nicht mehr gar so jung wie bei der französischen Streikbewegung 1995…) liefen, was eine seltsame Mischung ergab, sowohl Abgeordnete der linkspopulistischen Wahlplattform LFI mit ihren Schärpen als auch Mitglieder des black block. Alias Club der Freundinnen und Freunde der Kleingruppengewalt(-gegen-Sachen) und des größtmöglichen Glasbruchs als, in ihren Augen, maximalen vorstellbaren (schein-)revolutionären Akts. Am Rande der Jugenddemonstration, da diese im Unterschied zu den Gewerkschaftsdemos ohne Ordner/innen/dienst auskam, fanden die Freundinnen und Freunde der Undsoweiter eine geeignete Spielweise und konnten sich austoben, was unweigerlich respektive erwartbar einen Polizeieinsatz und Spalierlaufen an der Spitze nach sich zog. Neben Mülleimern ging auch ein Auto in Flammen auf. Gut, nun ist es ökologisch betrachtet zweifellos ein größeres Verbrechen, massenhaft motorisierte Individualfahrzeuge zu bauen, als welche abzuwracken, doch auch ihr Anzünden ist keine Wohltat für die Atemluft. Und der Club der Freundinnen und Freunde der Undsoweiter dürfte sich „eigentlich“ seit diesem Dienstag, den 07. März aufgrund seiner hirnlosesten Aktion von allen gründlich diskreditiert haben. Nämlich, nachdem einige seiner Anhänger(innen?) an diesem 07. März in Paris – im Vorfeld der Gewerkschaftsdemo und einigem Abstand zu ihr – einen Notarztwagen demolierten, mit ausgerissenen Verkehrsschildern traktierten und dessen Scheiben einschlugen, bevor das Herannahen des dazu gehörigen Notarztes sie vielleicht ihren Irrtum erkennen ließ. Kurz, es wäre vielleicht nicht das Schlechteste, würde der oben genannte Club sich vielleicht einfach mal weiterer Aktionen enthalten. 

Geändert handelt sich allerdings der Umgang der Staatsmacht mit ihr: Seit dem 2022 vollzogenen Wechsel des Pariser Polizeipräfekten, von Didier Lallement (seit 2019) zu Laurent Nunez, vormals Staatssekretär im Innenministerium, änderte die Pariser Polizeiführung ihre Strategie und setzt auf eher chirurgische Eingriffe, die meist – obwohl nicht immer – relativ punktzielgenau auf die Freundinnen und Freunde der Kleingruppengewalt abzielen. Didier Lallement hätte die Gunst solcher Momente gewiss genutzt, um ganze Demonstrationen in Bruchstücke auseinanderfallen zu lassen, indem die Polizei mitten hindurch grätscht (wie u.a. 2019 mehrfach geschehen); Nunez hat ein anderes Verständnis davon, wie die „Stabilität“ des Ganzen besser aufrecht zu erhalten sei.

Jugend- u. Studierendendemonstration in Paris gegen die Renten"reform" am 9. März 2023: Austreten! (Foto Bernard Schmid)An der Streikfront tut sich Einiges, doch kann bislang weder davon gesprochen werden, dass sich – im Sinne eines echten Generalstreiks – alle oder fast alle Sektoren betroffen wären, noch, dass sich der Wunsch eines „angehaltenen Frankreichs“ (la France à l’arrêt), wie ihn die Gewerkschaften für den 07. März explizit formuliert hatten, erfüllt hätte. Zwar nahm die Verkehrsdichte im Raum Paris am Dienstag, den 07. März erheblich ab, da viele Menschendort, wo möglich, im Home Office arbeiteten, und zwar waren am Mittwoch, den 09. März über 500 Kilometer Stau zu verzeichnen, da die Nutzer/innen öffentlicher Verkehrsmitel streikbedingt oft auf PKWs auswichen. Doch der Bahnverkehr war und ist, wenn auch beeinträchtigt, nicht völlig lahmgelegt. Am Donnerstag befanden sich laut Angaben der Direktion der Bahngesellschaft SNCF rund 40 Prozent, laut gewerkschaftlichen Zahlen rund 50 Prozent der Bahnbediensteten im Streik, zu dem ohne Befristung aufgerufen ist und über dessen Fortführung allabendlich in Beschäftigtenversammlungen entschieden wird.

Weitere Schwerpunkte der Streikbewegung seit Wochenbeginn sind die Müllabfuhr in mehreren Städten wie Paris, Montpellier, aber auch Antibes und Vallauris an der Côte d’Azur – in der Hauptstadt hatten sich am Freitag bereits 3.700 Tonnen nicht eingesammelter Abfälle angestaut, und in den Medien begann eine Diskussion über Rattengefahr – sowie die Raffinerien. In letzteren zeichnet sich allerdings ein unterschiedliches Bild. Am Raffineriestandort Feyzin in der Nähe von Lyon zog sich am Dienstag Abend die CFDT aus dem Streik heraus, die CGT und FO streikten zunächst weiter. Inzwischen wurden im französischen Fos-sur-Mer und in der Normandnie (Port-Jérôme-Gravenchon) der Raffineriebetrieb und Treibstoffversand wieder aufgenommen. Hingegen entschieden am Freitag früh die Lohnabhängigen im westfranzösischen Donges – mitsamt dort mitstreikender CFDT -, die Raffinerie mindestens bis zum Donnerstag kommender Woche weiter zu bestreiken. (Vgl. https://www.sudouest.fr/economie/reforme-des-retraites/greves-dans-les-raffineries-reprise-des-expeditions-de-carburant-a-fos-sur-mer-14363856.php externer Link und https://www.bfmtv.com/normandie/greves-reprise-des-expeditions-de-carburant-a-la-raffinerie-esso-exxon-mobil-de-port-jerome-gravenchon_AD-202303090443.html externer Link sowie https://www.lemonde.fr/politique/live/2023/03/08/greve-du-8-mars-en-direct-le-trafic-sera-encore-perturbe-jeudi-dans-les-transports-le-senat-poursuit-l-examen-de-l-article-7_6164584_823448.html externer Link und https://www.revolutionpermanente.fr/Reconduire-jusqu-au-retrait-les-raffineurs-de-Donges-determines-pour-les-retraites-et-les-salaires externer Link)

In anderen Bereichen sieht es hingegen stärker durchwachsen aus. Im Pariser Nahverkehr wurde auf der Mehrzahl der Linien am Freitag der Verkehr weitgehend wieder aufgenommen.

Ein nächster Aktionstag wurde durch das Streikbündnis der wichtigsten Gewerkschaften, die intersyndicale, auf den morgigen Samstag, den 11. März angesetzt. Grund für die Terminwahl ist – ähnlich wie genau vier Wochen zuvor, beim damaligen dritten Aktionstag in Folge vom 11. Februar – der Wunsch, Lohnabhängigen auch ohne Lohnverlust durch einen Streiktag eine Teilnahme zu ermöglichen. (Anm.: in Frankreich wird kein Lohnersatz durch Streikgeld ausbezahlt, jedenfalls nicht systematisch, trotz inzwischen bestehender lokaler Praktiken) Abzuwarten bleibt, ob dies noch einmal zu einer quantitativ besonders starken Mobilisierung führt, was wichtig wäre für den Fortgang.

Und ein weiterer, dann achter Aktionstag wurde für den kommenden Mittwoch oder Donnerstag, den 15. respektive 16. März angesetzt, also den Tag, an dem der parlamentarische „Vermittlungsausschuss“ zwischen den beiden Parlamentskammern (Nationalversammlung und Senat) zusammentritt.

Derzeit ist der weitere Fortgang des parlamentarischen Verfahrens zur Verabschiedung der Renten„reform“ noch ungewiss. Im Senat, dem normalerweise eher ziemlich behäbigen „Oberhaus,“ tobt derzeit eine Geschäftsordnungsdebatte. Ziel des Regierungslagers, aber auch eines Teils der – gespaltenen, eine Mehrheit im Sinne innehabenden – konservativen Oppositionspartei Les Républicains (LR) ist es, die Antrags) und Rederechte der Opposition mittels Artikels 38 der Hausordnung zu beschneiden und ihre Redezeit zu beschränken. Am Freitag mittag aktivierte die Regierung überdies ein Verfahren, das als vote bloqué (blockierte Abstimmung) bezeichnet wird. Es handelt sich um ein Eilverfahren, das es einer Parlamentskammer nur erlaubt, einen Gesetzestext en bloc anzunehmen, aber nicht, diesen Artikel für Artikel durchzustimmen und über eventuelle Änderungswünsche an den einzelnen Artikeln zu beraten. (Vgl. https://www.lemonde.fr/politique/live/2023/03/10/reforme-des-retraites-en-direct-le-gouvernement-active-un-vote-bloque-pour-faire-accelerer-l-adoption-du-texte-au-senat_6164941_823448.html externer Link)  

Die Regierung hätte es gerne, würde zur Mitte der kommenden Woche eine halbwegs ‚demokratisch (d.h. parlamentarisch) legitimierte“ Textfassung aus dem Vermittlungsausschuss kommen. Dieser musste eingesetzt werden, weil der Senat eine andere Textfassung als die Nationalversammlung angenommen hatte. Dies könnte der Regierung, unter Rückgriff auf weitere Prozedur-Tricks, erlauben, die Antragsrechte der Opposition erneut zu beschneiden: Verfügt das Parlament über eine „gemeinsame“ Textfassung, welcher via Ausschuss aus einem Kompromiss zwischen beiden Kammern hervorging, kann die Regierung nämlich fordern, dass an ihn nicht mehr per Anträge gerührt wird. Sie kann also dem Parlament verweigern, noch über Änderungsanträge und deren Begründung abstimmen zu dürfen.

Zu Wochenanfang wurde deswegen bereits in manchen Leitmedien spekuliert, nicht erst am 26. März (dem Enddatum der, durch den Rückgriff auf das Gesetzgebungsverfahren für Haushaltsgesetze – ein weiterer Kunstgriff – auf fünfzig Tage Höchstdauer angesetzten parlamentarischen Beratung), sondern bereits am 16. März nach dem Vermittlungsausschuss könne der Text als angenommen gelten.

Jugend- u. Studierendendemonstration in Paris gegen die Renten"reform" am 9. März 2023: Paris heute... Streikende Müllabfuhr wirkt (Foto Bernard Schmid)

Paris am 9. März: Streikende Müllabfuhr wirkt

Doch dies steht nun wieder mächtig in Frage. Nicht nur, dass der Senat möglicherweise nicht wie geplant bis zum Montag Abend fertig werden könnte (die Regierung versucht dies durch ihren Verfahrenstrick zu gewährleisten, doch tobt nun eine heftige Geschäftsordnungsdebatte im „Oberhaus“…), sondern auch, dass es fraglich sein könnte, ob eine eventuelle Textvorlage aus dem Vermittlungsausschuss wirklich als „durch beide Kammern legitimiert“ gelten könnte. Die Nationalversammlung hat nämlich bislang noch überhaupt nicht über den vollständigen Text abgestimmt, vielmehr wurde die Debatte im „Unterhaus“ im späten Februar noch vor dem Erreichen des zentralen Artikels 7 abgebrochen, just um den Text in den Senat einzubringen… Es könnten also eventuell noch einige verfassungsrechtliche Schwierigkeiten auftauchen!

Es stünde zu befürchten, dass im Falle einer tatsächlichen Annahme der Vorlage durch das Parlament danach die Dynamik der Streikbewegung abbröckelt, zumal u.a. die CFDT sich dann – es ist angekündigt – unter Berufung auf den „Respekt demokratischer Verfahren“ dann zurückzieht. Dieser Effekt dürfte jedoch nicht greifen, scheitert die parlamentarische Prozedur, was der Regierung dann noch den Verordnungsweg belässt, jedoch nicht die formale demokratische Legitimation. CGT-Chef Philippe Martinez kündigte in seinem zwanzigminütigen Interview bei RMC und BFM TV am Freitag Vormittag an, es gäbe dann keinerlei Hindernis, und die Proteste müssten fortgehen….

Fortsetzung folgt garantiert!

Artikel und Fotos von Bernard Schmid vom 10.3.2023 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=209728
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