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Frankreich am 7. März 2023: Gute Mobilisierung… aber zu spät?

Demo in Paris gegen die Renten"reform" am 7. März 2023: Gewerkschaften- und Klimabündnis (Foto Bernard Schmid)Es war die größte Mobilisierung dieses Jahres, auf Aufruf der französischen Gewerkschaften hin, gerichtet gegen die am 10. Januar dieses Jahres verkündete „Rentenreform“. Ob man nun die – gewöhnlich niedrigeren – Zahlen des Innenministeriums, in diesem Fall lauten sie: „1,28 Millionen“, oder die wie üblich höheren Angaben der Gewerkschaften („3,5 Millionen“, Communiqué de presse intersyndical du 7 mars 2023) heranzieht: Am gestrigen Dienstag wurde beim sechsten „Aktionstag“ in Folge seit Januar dieses Jahres ein Mobilisierungsrekord erreicht. An 270 verschiedenen Orten in Frankreich gingen mehr Menschen denn je zuvor in diesem Jahr auf die Straße. Zu den Stärken der Mobilisierung zählen auch neuartige Bündnisse. So gingen in Paris Umwelt- und Klimaschutzverbände in einem gemeinsamen Block mit Gewerkschaften zur Demo…“ Artikel und Fotos von Bernard Schmid vom 8.3.2023 – wir danken!

Frankreich: Gute Mobilisierung… aber zu spät?

Demo in Paris gegen die Renten"reform" am 7. März 2023: Schaut auf Eure Rolex, die Stunde steht auf Streik (Foto Bernard Schmid)

Demo in Paris gegen die Renten“reform“ am 7. März 2023: Schaut auf Eure Rolex, die Stunde steht auf Streik (Foto Bernard Schmid)

Es war die größte Mobilisierung dieses Jahres, auf Aufruf der französischen Gewerkschaften hin, gerichtet gegen die am 10. Januar dieses Jahres verkündete „Rentenreform“. Ob man nun die – gewöhnlich niedrigeren – Zahlen des Innenministeriums, in diesem Fall lauten sie: „1,28 Millionen“, oder die wie üblich höheren Angaben der Gewerkschaften („3,5 Millionen“, Communiqué de presse intersyndical du 7 mars 2023 externer Link) heranzieht: Am gestrigen Dienstag wurde beim sechsten „Aktionstag“ in Folge seit Januar dieses Jahres ein Mobilisierungsrekord erreicht. An 270 verschiedenen Orten in Frankreich gingen mehr Menschen denn je zuvor in diesem Jahr auf die Straße. Zu den Stärken der Mobilisierung zählen auch neuartige Bündnisse. So gingen in Paris Umwelt- und Klimaschutzverbände in einem gemeinsamen Block mit Gewerkschaften zur Demo. Ähnelt dieses Bündnis dem zwischen Verdi und Fridays for future bei den Streiks in deutschen Städten in der zurückliegenden Woche, wurde es in Frankreich durch die gemeinsame Erklärung unter anderem der CGT, von Greenpeace und anderen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus dem Jahr 2020 nach dem ersten Lockdown – „So nicht weiter“, nach dem Wiederanfahren – vorweggenommen. Auch die Mobilisierung für Frauenrechte am heutigen 08. März fließt mit der Streikbewegung zusammen, zumal Frauen, die durch Kindererziehungszeiten eine gebrochene Erwerbsbiographie aufweisen, zu den stärksten Verliererinnen der geplanten Anhebung des Renteneintrittsalters und der Zahl abgeforderter Beitragsjahre zählen.

Demo in Paris gegen die Renten"reform" am 7. März 2023: Eltern & Lehrkräfte im Streik, um nicht bis zum Tod zu arbeiten (Foto Bernard Schmid)

Demo in Paris gegen die Renten“reform“ am 7. März 2023: Eltern & Lehrkräfte im Streik, um nicht bis zum Tod zu arbeiten (Foto Bernard Schmid)

Die bislang stärkste Mobilisierung war am 31. Januar erreicht worden, damals zählten das französische Innenministerium „1,27 Millionen“ und die Gewerkschaften „2,8 Millionen“ Menschen in den Protestzügen. (https://www.bfmtv.com/economie/economie-social/social/retraites-au-moins-1-27-million-de-manifestants-ce-mardi-un-record-historique_AV-202302010050.html externer Link) Hinzu kamen am gestrigen Tag Streiks, unter anderem bei der französischen Bahngesellschaft SNCF und den Pariser Verkehrsbetrieben der RATP, wo jeweils zahlreiche Züge ausfielen, sowie im Energiesektor. In mehreren Wasser- und Atomkraftwerken wurde die Leistung heruntergefahren, ohne Konsequenzen für die Haushalte, jedoch für den Stromexport im europäischen Netzverbund.

Die Streiks werden an den meisten Orten fortgesetzt. In allen Raffinerien in Festlandfrankreich (ohne „Überseegebiete“) ist der Treibstoffversand seit Montag unterbrochen. (https://www.lindependant.fr/2023/03/08/reforme-des-retraites-la-greve-se-poursuit-dans-les-raffineries-totalenergies-les-expeditions-de-carburant-interrompues-11045921.php externer Link) Um es infolge dessen zum Beginn einer ernsthaften Kraftstoffkrise an den Tankstellen kommen zu lassen, bräuchte es allerdings einen rund zwei Wochen dauernden Arbeitskampf.

Demo in Paris gegen die Renten"reform" am 7. März 2023: Architekturstudierende (Foto Bernard Schmid)

Demo in Paris gegen die Renten“reform“ am 7. März 2023: Architekturstudierende (Foto Bernard Schmid)

Just in diesem Kontext unternahm übrigens die konservative Senatsfraktion, die der Partei Les Républicains – diese hat im „Oberhaus“ des französischen Parlaments eine Mehrheit inne, während ihre Fraktion in der Nationalversammlung, dem „Unterhaus“, seit den Wahlen vom Juni 2022 auf ein Zehntel der Sitze zusammenschrumpfte – einen Vorstoß gegen das Streikrecht, jedenfalls im Petrochemie-Sektor. Dort sollen abhängig Beschäftigte, geht es nach ihrem Antrag, künftig nur noch „einmal pro Woche, und für eine Dauer von maximal drei Tagen“ von ihrem Streikrecht Gebrauch machen dürfen. Am Mittwoch Vormittag gegen 09.30 Uhr reagierte ein Mitglied der Regierungsfraktion in der Nationalversammlung, der elsässische Abgeordnete Charles Sitzenstuhl von Emmanuels Macron Präsidentenpartei Renaissance (vormals La République en marche), in einer Antwort auf den konservativen Senator Stéphane Le Rudulier: „Warum nicht?“

Nicht nur dort zeichnet sich ein eventueller Pakt zwischen dem wirtschaftsliberalen Regierungslager und einem Teil der Rechtsopposition ab. Auch bei der Verabschiedung der derzeit debattierten Rentenreform selbst deutet sich an, dass die bürgerlich-konservative Opposition mit ihrer Mehrheit im Senat dem Regierungslager zu Hilfe eilen könnte. Dabei dürfte das „Oberhaus“, wo die Debatte derzeit andauert (https://www.rtl.fr/actu/politique/reforme-des-retraites-que-s-est-il-passe-cette-nuit-au-senat-7900242449 externer Link) allerdings eine andere Textfassung verabschieden als die Nationalversammlung in erster Lesung. Dies kommt dem Regierungslager allerdings zupass. Nehmen nämlich beide Kammern unterschiedliche Versionen des Gesetzestextes an, dann wird ein Vermittlungsausschuss eingesetzt. Einigt sich dieser auf eine gemeinsame Vorlage, dann dürfen beide Kammern nur über diese „doppelt legitimierte“ Version abstimmen, und das Antragsrecht der Oppositionsfraktionen ist blockiert: Nur mit Zustimmung der Regierung dürfen dann noch Änderungen am Text vorgeschlagen und debattiert werden.

Demo in Paris gegen die Renten"reform" am 7. März 2023: Busfahrer mit Gelddose für Streikgeldsammlung (Foto Bernard Schmid)

Demo in Paris gegen die Renten“reform“ am 7. März 2023: Busfahrer mit Gelddose für Streikgeldsammlung (Foto Bernard Schmid)

Statt, wie geplant, am 26. März könnte die Parlamentsdebatte deswegen, wie es in manchen Leitartikeln inzwischen anklingt, im Falle einer Einigung bereits am 16. März abgesetzt werden. Dann würden die Streikbewegungen, die unbefristet erst am gestrigen 07. März ausgerufen wurden, jedoch noch nicht genügend Folgen entfaltet haben, um zur vollen Wirkung zu kommen und die Verabschiedung zu verhindern. Ist der Text einmal angenommen, könnte die Streikfront bröckeln. Tritt dies jedoch zu, dann würde sich rächen, dass ein Teil der Gewerkschaften so lange warten wollte. Bereits Ende Januar waren unbefristete Streiks im Gespräch, doch der so genannt „moderatere“ Teil der Gewerkschaften wie die CFDT wollte damals die – im Laufe des Februar, in drei regionalen Zonen von Nord nach Süd, angesetzten – vierzehntägigen Schulferien nicht gefährden. Allerdings reist nur eine klare Minderheit der Franzosen in diesen Winterferien, schon aus finanziellen Gründen. Eventuell hat der offiziell gehegte Wunsch, Streiks nicht unpopulär werden zu lassen – im Falle der rechtssozialdemokratisch geführten CFDT verbirgt er allerdings unschwer eine Strategie, die Verhandlungen mit dem Regierungslager oder der LR-Fraktion hinter den Kulissen für wichtiger hielt als den Aufbau eines sozialen Kräfteverhältnisses – hier der Streikbewegung ein Bein gestellt haben.

Artikel von Bernard Schmid vom 8.3.2023 – wir danken! Spätestens am morgigen Donnerstag wird aus seinen über 20 Fotos der Demo in Paris eine Galerie erstellt…

  • Siehe weitere Informationen (und Hintergründe) zum Streiktag 7.3. in unserem Dossier: Frankreichs Präsident Macron will »Rentenreform« jetzt aber doch durchboxen – Gewerkschaften geschlossen im Widerstand
  • Siehe zuletzt: Renten“reform“ in Frankreich an den Grenzen der parlamentarischen Chaotisierungsstrategie und ohne Abstimmung an den Senat verwiesen – alle Welt wartet auf den Streik ab dem 7. März
    Frankreich: Die erste Lesung des Entwurfs zur Rentenrefom wurde Freitag vor Mitternacht in der Nationalversammlung abgeschlossen – Die rechtsextreme Opposition bleibt mit ihrem Schau-Antrag allein – Heftige Kritik wird zwischen CGT-Chef Philippe Martinez und dem Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon ausgetauscht. Ansonsten wartet alle Welt auf den Streik ab dem 07. März d.J…“ Artikel von Bernard Schmid vom 20.2.2023
Demo in Paris gegen die Renten"reform" am 7. März 2023: Gewerkschaften- und Klimabündnis (Foto Bernard Schmid)

Demo in Paris gegen die Renten“reform“ am 7. März 2023: Gewerkschaften- und Klimabündnis (Foto Bernard Schmid)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=209619
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