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Frankreich nach dem zehnten, vor dem elften „Aktionstag“ gegen die Renten“reform“

Frankreich: Zehnter Aktionstag gegen die Renten"reform" am 28. März 2023 (Solidaires)Am gestrigen Dienstag, den 28. März war die Beteiligung am zehnten „Aktionstag“ gegenüber dem neunten (vom 23.03.23) insgesamt rückläufig; nicht jedoch in Paris. Doch Gewerkschaftsführungen (zunächst die CFDT, ihr folgte dann die CGT-Spitze) um „Schlichtung“ bemüht; Kritik bei Eröffnung des CGT-Kongresses. Streikfront durchwachsen. Müllstreik in Paris geht zu Ende – nach einem Sieg auf Branchenebene. In einem anderen Bereich, dem der Raffinerien, unterlag inzwischen die CGT mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen die strafbewehrten Dienstverpflichtungen. Die Dienstverpflichteten hatten das verbleibende Kerosin, mit dem die Pariser Flughäfen beliefert werden, abgepumpt. Nun liegt der Betrieb dennoch trocken. Relative Zurückhaltung der Polizei, Sondereinheit BRAV-m in der Kritik – Nach Zusammenstößen am Wochenende in Saint-Soline: Öko-Gruppierung steht vor dem Verbot…“ Artikel von Bernard Schmid vom 29.3.2023 – wir danken!

Frankreich nach dem zehnten, vor dem elften „Aktionstag“ gegen die Renten“reform“

Am gestrigen Dienstag, den 28. März war die Beteiligung am zehnten „Aktionstag“ gegenüber dem neunten (vom 23.03.23) insgesamt rückläufig; nicht jedoch in Paris. Doch Gewerkschaftsführungen (zunächst die CFDT-, ihr folgte dann die CGT-Spitze) um „Schlichtung“ bemüht; Kritik bei Eröffnung des CGT-Kongresses. Streikfront durchwachsen. Müllstreik in Paris geht zu Ende – nach einem Sieg auf Branchenebene. In einem anderen Bereich, dem der Raffinerien, unterlag inzwischen die CGT mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen die strafbewehrten Dienstverpflichtungen. Die Dienstverpflichteten hatten das verbleibende Kerosin, mit dem die Pariser Flughäfen beliefert werden, abgepumpt. Nun liegt der Betrieb dennoch trocken. Relative Zurückhaltung der Polizei, Sondereinheit BRAV-m in der Kritik – Nach Zusammenstößen am Wochenende in Saint-Soline: Öko-Gruppierung steht vor dem Verbot…

Wir hatten es am Montag dieser Woche an dieser Stelle kurz, in einer Zeile angekündigt: „In Paris tritt nach der öffentlichen Müllabfuhr nun auch die private Abfallbeseitigung, die für die andere Hälfte der Stadt zuständig war, in einen Streik ein“  (https://www.labournet.de/internationales/frankreich/gewerkschaften-frankreich/frankreich-vor-dem-zehnten-aktionstag-am-morgigen-dienstag-tritt-der-konflikt-in-eine-moeglicherweise-entscheidende-phase/)

Dieser Streik geht jedoch nun zu Ende, bzw. er wurde seit gestern ausgesetzt. In Paris wird die Abfallentsorgung für je rund die Hälfe der Arrondissements durch die öffentliche Müllabfuhr, und (für die andere Hälfte) durch private Unternehmen, insbesondere Derichebourg übernommen. Diese Organisation hatte der damalige Bürgermeister der Hauptstadt, Jacques Chirac, zu Anfang der 1980er Jahre infolge eines damaligen, massiv befolgten Müllabfuhrstreiks beschlossen, um das Risiko zu vermindern, dass sich an allen Orten zugleich Abfälle anhäufen.

Nun streikte die städtische Müllabfuhr bereits seit dem 06. März, also mittlerweile seit drei Wochen. Doch hatten die strafbewehrten Dienstverpflichtungen (réquisitions), begründet durch „Notarbeit“, sowie die Räumung von besetzten Mülldepots – um die Ausfahrt von Müllfahrzeugen, die durch Nichtstreikende bedient werden konnten, zu erzwingen – den aufgetürmten Müllberg von zuvor 10.000 Tonnen (am vorletzten Freitag erreicht) auf zuletzt 6.600 Tonnen reduziert. – Anm.: In einem anderen Bereich, dem der Raffinerien, unterlag inzwischen die CGT mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen die strafbewehrten Dienstverpflichtungen. (Vgl. https://www.francebleu.fr/infos/politique/requisitions-a-la-raffinerie-de-gonfreville-l-orcher-la-justice-rejette-le-refere-de-la-cgt-9218860 externer Link und https://www.latribune.fr/economie/france/raffinerie-de-totalenergies-en-normandie-le-recours-de-la-cgt-rejete-les-requisitions-autorisees-956638.html externer Link) Dieses Urteil betrifft die größte Raffinerie des Landes in Gonfreville. Allerdings wurde zugleich am Dienstag bekannt, dass die dortigen Dienstverpflichtungen (vgl. https://www.paris-normandie.fr/id399180/article/2023-03-24/quatre-requisitions-sont-tombees-la-raffinerie-de-normandie-gonfreville-lorcher externer Link) aufgehoben wurden, weil die Raffinerie trocken liegt. Die Dienstverpflichteten hatten das verbleibende Kerosin, mit dem die Pariser Flughäfen beliefert werden, abgepumpt. Nun liegt der Betrieb dennoch trocken.

Zurück zur Müllabfuhr: Dort hätte nun zum vorhandenen Streik der öffentliche Müllabfuhr auch der der privaten hinzukommen können. Zu Wochenbeginn war der Streik der privaten Entsorgungsunternehmen, neben der städtischen Müllabfuhr, zunächst angekündigt worden. Nach Hinterlegung der „Streikwarnung“ wurde diese jedoch alsbald zurückgezogen. Deswegen hatten wir es zu Wochenanfang auch zunächst bei der Ankündigung belassen.

Es handelt sich jedoch nicht um ein einfaches Einknicken. Vielmehr hatten die Gewerkschaften durch ihren Streik bzw. ihre Streikankündigung erreicht, dass in der gesamten Pariser Abfallentsorgung Verhandlungen aufgenommen wurden, sowohl über die Löhne als auch über die Anerkennung branchenbezogener critères de pénibilité (ungefähr: „Erschwerniskriterien“, Kriterien für erschwerende Arbeitsbedingungen). Letztere führen, werden sie durch die Unternehmen anerkannt und behördlich registriert, zum Recht auf eine frühere Anerkennung und wirken wie die Anschreibung zusätzlicher Beitragsjahre. Auf Branchenebene wird dadurch die Auswirkung der geplanten Renten„reform“, insbesondere die Anhebung des Mindestalters – dieses sollte für Müllwerke von 57 auf 59 steigen – konterkariert. 

Dies darf man als relativen Erfolg für die betroffenen Beschäftigten der Müllentsorgungsbranche betrachten; zugleich lässt es die allgemeine Streikfront ein Stück weit bröckeln. An dieser sieht es nach wie vor ziemlich durchwachsen aus. Nach wie vor entfallen eine Reihe von Zugverbindungen, ist der Betrieb in Raffinerien heruntergefahren und bleiben Methan-Transporter vor der Einfahrt in Industriehäfen auf dem Meer blockiert. Doch ist etwa der Bahnverkehr nicht völlig lahmgelegt, der Nahverkehr noch weniger (mit stärkerer Streikauswirkung am vorigen Donnerstag, dem 23. März oder neunten „Aktionstag“, seitdem schwächerer im Nahverkehr im Raum Paris). Die Beteiligung an Vollversammlungen ist insgesamt nur mäßig.

Am gestrigen Dienstag, den 28. März war die Beteiligung am zehnten „Aktionstag“ gegenüber dem neunten (vom 23.03.23) insgesamt rückläufig; nicht jedoch in Paris, wo – reale Zahl – einmal mehr rund 200.000 Menschen, vielleicht eine Viertelmillion demonstrierten (behördliche Zahl: „93.000“). Am Standort des Verfassers benötigte der Protestzug zwei Stunden und dreißig Minuten zum Vorbeiziehen, er lief einmal mehr auf zwei parallelen Routen gleichzeitig ab. Vor allem in kleineren und mittleren Städten ging die Beteiligung insgesamt zurück. Das Innenministerium sprach am Abend von „700.000“ Teilnehmenden (gegenüber knapp 1,1 Millionen am Donnerstag zuvor), die CGT von „zwei Millionen“ (gegenüber „3,5 Millionen“ am vorigen Donnerstag). Vgl. zu näheren Einzelheiten:

Am Abend riefen die in ihrem Bündnis intersyndicale zusammengeschlossenen Gewerkschaften zu einem weiteren, elften Aktionstag am Donnerstag, den 06. April d.J. auf.

Zugleich forderte am gestrigen Tag zunächst die CFDT-, ihr folgte dann die CGT-Spitze, die Regierung zu einer „Schlichtung“ auf. Diese könne mit einer Protestpause einhergehen. In deren Verlauf, der Vorschlag lautet auf eine sechsmonatige Schlichtungsphase, solle die Anwendung der „Reform“ ausgesetzt werden. Allerdings gab es auf dem diese Woche in Clermont-Ferrand stattfindenden, massiv konfliktgeprägten Gewerkschaftskongress des Dachverbands CGT – der Verf. wird über nähere Einzelheiten berichten – Kritik daran. Eine Delegiertenmehrheit verweigerte dem Rechenschaftsbericht des scheidenden Vorstands die Zustimmung.

Premierministerin Elisabeth Borne wird nun die Gewerkschaftsführungen voraussichtlich am Montag oder Dienstag kommender Woche an ihrem Amtssitz empfangen, d.h. am 03. oder 04. April dieses Jahres.

Solidaires/FRankreich: Stoppt die Polizeigewalt!Die Polizei hielt sich am gestrigen Dienstag überwiegend zurück, außer am Schluss bei der Räumung des Ankunftsorts der Pariser Demonstration, der place de la Nation. Zuvor blieben die meisten Polizeikräfte, insbesondere die 2019 (als Nachfolge der 1986 wegen des gewaltsamen Todes des jungen Mannes Malik Oussekine aufgelösten Motorradprügeltruppe voltigeurs) neu eingerichtete motorisierte Einheit BRAVE respektive BRAV-m, zunächst außer Sicht. Erst bei der Auflösung nach Beendigung der Demo traten sie in Aktion. (Vgl. zu ihrer Gründung im März 2019: https://www.labournet.de/internationales/frankreich/gewerkschaften-frankreich/frankreich-die-regierung-zieht-die-gangart/)

Die Sondereinheit BRAV-m geriet in den letzten Tagen infolge der Veröffentlichung eines Audiomitschnitts in der Vorwoche, der den Umgang mit Festgenommenen zeigt – darunter Sprüche bei einem tschadischen Studenten und einer jungen französischen Frau mit jüdischem Vornamen, die massiv auf ihre Herkunft anspielen, sowie Gewaltdrohungen („Das nächste Mal fährst Du nicht im Polizeiauto, sondern im Krankenwagen“) – massiv in die Kritik. Vgl. Näheres unter:

Der Pariser Polizeipräfekt Laurent Nuñez leitete ein Untersuchungsverfahren bei der Dienstaufsichtsbehörde IGPN ein, welche die Vorwürfe nun prüfen soll, lehnte jedoch eine Auflösung der Spezialtruppe zunächst klar ab. Die von Vorwürfen konkret betroffenen Beamten bleiben jedoch „bis auf Weiteres“ (jusqu’à nouvel ordre) (https://www.radiofrance.fr/franceinter/podcasts/l-invite-de-7h50/l-invite-de-7h50-du-mardi-28-mars-2023-1094738 externer Link) von Einsätzen entbunden.

Innenminister Gérald Darmanin verkündete unterdessen am gestrigen Dienstag, den 28.03.23 die Einleitung eines gesetzlichen Auflösungs-, d.h. Verbotsverfahrens gegen die Öko-Gruppierung Les soulèvements de la terre (Die Aufstände der Erde/des Bodens). Diese wird für die Organisierung der Demonstration vom vorigen Wochenende des 25./26. März d.J. im westfranzösischen Poitou, gerichtet gegen das umweltgefährdende Wasserrückhalteprojekt für die Intensivlandwirtschaft in Saint-Soline, verantwortlich gemacht. Letztere unterlag einem behördlichen Verbot, fand jedoch statt, mit laut Behörden rund „7.000“ und laut Veranstalter/inne/n gut „20.000“ Teilnehmenden. (Vgl. zuletzt: https://www.labournet.de/internationales/frankreich/gewerkschaften-frankreich/frankreich-vor-dem-zehnten-aktionstag-am-morgigen-dienstag-tritt-der-konflikt-in-eine-moeglicherweise-entscheidende-phase/) Vgl. zum Verbotsverfahren:

Artikel von Bernard Schmid vom 29.3.2023 – wir danken!

Siehe auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=210380
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