»
Frankreich »
»
»
Frankreich »
»
»
Frankreich »
»

Frankreich im Kampf gegen die Renten“reform“: Bericht vom 7. und Ausblick auf den 11. Februar 2023

Frankreich: Gewerkschaftliche Aktionstage am 07. und 11. Februar 23 gegen die Renten„reform“Demobeteiligung erstmals leicht rückläufig, doch keine dramatischen Einbrüche – Der kommende Sonnabend, 11. Februar soll nochmals eine Steigerung der Mobilisierung bringen, durch einen Appell an Lohnabhängige, die sich keine Lohnausfälle leisten können – CGT-Chef Philippe Martinez kündigt unterdessen eine «härtere Gangart» unter Rückgriff auf das Instrument Streik an. (…) Derzeit testet der Dachverband die Reaktionen seiner eigenen Basis diesbezüglich aus, u.a. durch die eintägige Fortsetzung des gestrigen Streiktags am heutigen Mittwoch (bis zum Abend) bei der Eisenbahn und durch den dreitägigen Raffineriestreik in dieser Wochenhälfte.“ Artikel und Fotos von Bernard Schmid vom 8.2.2023 – wir danken!

Frankreich im Kampf gegen die Rentenreform

Demobeteiligung erstmals leicht rückläufig, doch keine dramatischen Einbrüche – Der kommende Sonnabend, 11. Februar soll nochmals eine Steigerung der Mobilisierung bringen, durch einen Appell an Lohnabhängige, die sich keine Lohnausfälle leisten können – CGT-Chef Philippe Martinez kündigt unterdessen eine «härtere Gangart» unter Rückgriff auf das Instrument Streik an

Paris am 07. Februar 2023 gegen die »Rentenreform«. Foto von Bernard Schmid«Gibst Du mir 64, dann antworte ich Dir Mai 68»: Die Überraschung liegt nicht so sehr im Inhalt des durch einen Demonstranten gehaltenen Schilds, sondern vor allem in der Auskunft darüber, wer es trägt. Der Spruch bezieht sich auf die vom französischen Regierungslager geplante Anhebung des Renten-Mindesteintrittsalter von derzeit 62 auf künftig 64 (ab 2030; dieses Minimal-Alter ist nicht mit dem Anspruch auf eine volle Rente ohne Strafabschläge zu verwechseln, eine solche gibt es erst entweder ab 42 und künftig ab 43 Beitragsjahren, mit fünf Prozent Abzug pro fehlendem, oder ab dem Alter von 67). Die Parole ging in den letzten Tagen und Wochen wiederholt um, möglicherweise kamen auch mehrere Personen unabhängig voneinander auf das Wort- und Zahlenspiel.

Doch am gestrigen Dienstag, den 07. Februar trug das Schild dieses hier zitierten, vom Verf. auf dem boulevard Saint-Martin (kurz vor Erreichen der Pariser place de la République) gesichteten Demonstranten trug die Unterschrift «CFDT». Und der es trug, lief tatsächlich im Zug dieses Gewerkschaftsdachverbands – also der CFDT, 1964 als nichtreligiöse Abspaltung von der christlichen Gewerkschaftsbewegung entstanden; um 1968 zeitweilig ein Sammelbecken der antistalinistischen Neuen Linken und später auch ökologisch-sozialer Kräfte, doch in den 1980er gründlich gesäubert, heute rechtssozialdemokratisch geführt und von oben her strikt auf «Sozialpartnerschaft» getrimmt.

Paris am 07. Februar 2023 gegen die »Rentenreform«. Foto von Bernard SchmidSeit rund dreißig Jahren nimmt der Verf. dieser Zeilen an Pariser Demonstrationen teil. Doch noch nie, noch nie hat er auf einer Demonstration die CFDT derart zahlreich gesichtet, die beweist, dass sie neben Gewerkschaftsfunktionären doch auch noch eine reale Basis hat. Rund zehntausend Menschen demonstrierten am gestrigen 07. Februar allein in Paris, allein unter den Farben der CFDT. Vierzig Minuten dauerte ihr Vorbeiziehen.

Insgesamt dürften um die 200.000 Menschen in der Hauptstadt unterwegs gewesen sein; einen vollständigen Überblick zu erhalten, ist ausgesprochen schwierig, da der Protestzug sich über zwei parallele Routen vom Opernplatz bis zur place de la Bastille im Pariser Südosten ergoss (wie auch bereits am 19. und 31. Januar d.J.). Knapp über zwei Stunden dauerte das Vorbeiziehen auf dem boulevard Saint-Martin, wo nacheinander ein diffus linksradikaler Block, die CFDT, Abordnungen von streikenden Schulen, der christliche Gewerkschaftsbund CFTC, Solidaires und im Anschluss FO (Force Ouvrière) vorbeizogen. Die CGT sowie der neuere Gewerkschaftszusammenschluss UNSA (eher relativ CFDT-nahe in den Positionen) zogen unterdessen über die Parallelroute auf der rue de Rivoli.

Phantasie fand auch dieses Mal ihren Ausdruck, viele nette Slogans mit Wortspielen zu Premierminister Elisabeth Borne («Born/Borne to be alive», gegen einen hinausgeschobenen Lebensabend) oder einem Transparent wie dem, auf dem eine junge Frau mittels Pfeilen  augenzwinkernd auf ihre zwei Freundinnen und Begleiterinnen verwies mit der Aufschrift : «Bis 64 halte ich es mit denen nicht aus!»

Paris am 07. Februar 2023 gegen die »Rentenreform«. Foto von Bernard SchmidDie Beteiligung fiel leicht gteringfügiger aus als am 31. Januar, am dem das Vorbeiziehen auf einer der beiden Routen damals knapp 2 Stunden und 30 Minuten dauerte. Laut Angaben aus dem Inneren der CGT stellten deren Kreisverbände im Großraum Paris dieses Mal 106 Reisebusse zur Anfahrt zur Demo, am 31. Januar waren es 111 gewesen. Doch das quantitative Niveau bleibt sehr hoch, auch wenn das wirtschaftsliberale Magazin «L’Express» und der Privatfernsehsender BFM TV sich am Abend die zu erwartende Frage nach dem Abbröckeln stellen.

Ein nächster Demo-Termin ist auf den kommenden Samstag, den 11. Februar angesetzt. Diese Terminierung soll dazu dienen, auch denen, die sich etwa Lohnausfälle durch Streiktage (just in diesen Zeiten der Preissteigerung) kaum oder dezidiert nicht leisten können – in Frankreich gibt es kein institutionalisiertes Streikgeld! -, die Teilnahme zu ermöglichen. In gewerkschaftlichen und linken Kreisen besteht weitgehend Konsens darüber, dass dies nochmals eine zunehmende Stufe darstellen könnte, deren Erreichen, also im Falle einer Steigerung der Teilnehmendenzahl gegenüber dem 31. Januar, positiv wäre. Noch zögern die «harten Kerne» in Sektoren, die eine BLockademacht im Falle eines, v.a. unbefristeten Streiks ausüben könnten, in den handfesten Arbeitskampf zu treten. Bei der Bahngesellschaft SNCF etwa fanden am gestrigen 07. Februar laut gewerkschaftslinken Informationen Personalversammlungen zur Streikfortsetzung statt, überall, aber schwach besucht. Derzeit herrscht verbreitet eine eher abwartende Stimmung. Eine Auswertung der Ergebnisse vom Samstag dürfte dabei eine wichtige Rolle spielen können.

Paris am 07. Februar 2023 gegen die »Rentenreform«. Foto von Bernard SchmidAm gestrigen Abend kündigte CGT-Chef Philippe Martinez in einem über halbstündigen TV-Auftritt bei BFMTV/RMC an, gebe die Regierung nun nicht an, müsse alsbald an das Einlegen «härterer Mittel», insbesondere in Streikform herangegangen werden. Derzeit testet der Dachverband die Reaktionen seiner eigenen Basis diesbezüglich aus, u.a. durch die eintägige Fortsetzung des gestrigen Streiktags am heutigen Mittwoch (bis zum Abend) bei der Eisenbahn und durch den dreitägigen Raffineriestreik in dieser Wochenhälfte.

Artikel und Fotos von Bernard Schmid vom 8.2.2023 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=208689
nach oben