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Während weltweit viele (auch linke) Medien darüber berichten, dass Chinas Wirtschaft wieder wächst – tun dies kaum welche über den wachsenden Druck auf Chinas Arbeiterinnen und Arbeiter

Coronavirus, die Hetze und der Ausnahmezustand: China im Shitstorm„… Rund zehn Monate nach dem offenen Ausbruch der Covid-19-Pandemie verzeichnen die meisten Länder Ost- und Südostasiens eine spürbare bis weitreichende Normalisierung ihres Alltagslebens. Japan, Südkorea, Singapur und Volksrepublik China inklusive Hongkong hätten seit September zusammengenommen nie mehr als 1.000 Neuinfektion pro Tag registriert, heißt es etwa in einem aktuellen US-Medienbeitrag; entsprechend könnten Bars und Restaurants wieder stark frequentiert werden, Konzerte und Sportveranstaltungen würden zahlreich besucht. Dabei sei die Pandemie in den vier erwähnten Ländern mit ihren insgesamt knapp 1,6 Milliarden Einwohnern weiter unter Kontrolle. Tatsächlich melden einschlägige Statistiken Infektionsraten von lediglich drei Personen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen in Japan, einer Person von 100.000 in Südkorea und Singapur sowie 103 Infizierte insgesamt in der vergangenen Woche in ganz China. Der jüngste Ausbruch im chinesischen Qingdao wurde durch den Test sämtlicher Einwohner der Stadt innerhalb kürzester Zeit mit Erfolg eingedämmt. In Ost- und Südostasien insgesamt, wo gut ein Drittel der Weltbevölkerung lebt – oft in extrem dicht besiedelten Gebieten -, ist bisher weniger als ein Fünftel der globalen Covid-19-Todesopfer zu beklagen. Zudem erholt sich in mehreren Ländern der Region die Wirtschaft recht rasch. China etwa verzeichnete im dritten Quartal ein Wachstum von 4,9 Prozent und kann laut jüngsten Schätzungen seiner Zentralbank im Gesamtjahr mit einem Plus von 2 Prozent rechnen, nach einem Absturz im ersten Quartal um 6,8 Prozent...“ – aus dem Beitrag „In der zweiten Welle“ am 21. Oktober 2020 bei German Foreign Policy externer Link – woraus sowohl die Unterschiede zu Europa (Massentests für alle in nahezu allen Ländern – und Masken tragen muss in vielen Ländern der Region ohnehin nicht „verordnet“ werden) deutlich werden, als auch die Leerstellen solcher Betrachtungen (denn nicht nur in China wächst der Arbeitsdruck). Siehe dazu eine kleine Materialsammlung zur aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung der VR China und den Auswirkungen auf große Teile der Bevölkerung – sowie die Ankündigung einer Web-Veranstaltung dazu von Rosa Luxemburg-Stiftung und Forum Arbeitswelten:

„Stockende Erholung“ am 03. Juni 2020 in der taz online externer Link – also zu Beginn der wirtschaftlichen Erholung hebt hervor: „… Während Dienstleistungssektoren derzeit in praktisch allen größeren Volkswirtschaften einbrechen, scheint die Durststrecke für die chinesische Service-Industrie nach drei Monaten bereits vorbei zu sein. Mit einem Rekordwachstum prescht die Branche im Mai nach vorne, das legt zumindest der Caixin Einkaufsmanger-Index nahe. Dieser liegt für Chinas Dienstleistungssektor bei 55, wobei jeder Wert ab 50 bereits auf Wachstum hindeutet. Zum Vergleich: In Japan steht derselbe Index lediglich bei 26.5, in Indien sogar nur bei 12.6. China ist nicht nur die erste große Volkswirtschaft, die vom Coronavirus getroffen wurde. Das Land hat auch als erstes die epidemiologischen Einschränkungen gelockert und die Ökonomie wieder hochgefahren. Der Alltag geht wieder seinen normalen Gang: Die Schulen im Land sind größtenteils geöffnet, die Restaurants voll, die Büros auf Normalbetrieb und der Berufsverkehr läuft wie gewohnt.(…) Der Subindex für „neue Exportaufträge“ fällt sogar krass negativ aus, was auf das Kernproblem der chinesischen Wirtschaft hindeutet: die schwache Nachfrage aus dem Ausland. Auch wenn das Land im Vergleich zu noch vor zehn Jahren deutlich weniger von Auslandsexporten abhängig ist, kann der Riese aus Fernost ohne eine stabile Weltwirtschaft nur bedingt die Krise meistern. Ende Mai hat Chinas Premierminister Li Keqiang erstmals in der Geschichte des Nationalen Volkskongresses kein numerisches Wachstumsziel für das laufende Kalenderjahr ausgegeben, sondern visiert stattdessen die Stabilisierung des Arbeitsmarktes an. „Noch immer gibt es über 600 Millionen Chinesen mit einem monatlichen Einkommen von kaum 1.000 Yuan (125 Euro)“, sagte Li bei seiner Rede. Das ehrgeizige Ziel der Kommunistischen Partei ist es, bis Jahresende neun Millionen Jobs zu kreieren – und dadurch auch die gesellschaftliche Stabilität zu wahren. Zudem hat die Staatsführung auch ein umgerechnet rund 128 Milliarden Euro großes Stimuli-Paket geschnürt. Dabei werden vor allem Staatsfirmen aus dem Bausektor für Infrastrukturprojekte unterstützt. „Wir haben derzeit viele neue Projekte bekommen und investieren auch mehr als sonst“, sagt etwa die Mitarbeiterin einer Pekinger Baufirma mit der Bitte um Anonymität…“

„Express delivery workers protest wage arrears as Singles Day approaches“ am 22. Oktober 2020 beim China Labour Bulletin externer Link ist faktisch ein (später, indirekter) Kommentar zum oben gemeldeten Aufschwung der Dienstleistungsbranche: Darin wird vom Kampf der Fahrrad-Kuriere verschiedener Unternehmen der Express-Auslieferung in den Tagen zuvor zusammenfassend berichtet, der mit jenem der Essens-Kuriere (die seit Wochen immer wieder protestieren – siehe im LabourNet am 14. Oktober 2020: „Wir ernähren China“: Fahrrad-Kuriere im Kampf um menschenwürdige Bedingungen – wie viele andere junge Menschen aus ländlichen Gebieten in Zeiten von Corona und digitaler Ökonomie) nicht zufällig viele Gemeinsamkeiten hat: Eben auch, dass sie sich gegen die Nichtausbezahlung von Löhnen zur Wehr setzen müssen – und es auch tun.

„Erneuter Zuwachs auswärtiger Investitionen in China“ am 22. Oktober 2020 bei CRI externer Link meldet offizielle Zahlen darüber, wer – unter anderen – den wirtschaftlichen Wiederaufschwung auszunutzen gedenkt: „… Nach Angaben des chinesischen Handelsministeriums sind die real eingesetzten auswärtigen Investitionen in China im Zeitraum Januar bis September 2020 auf 103,26 Milliarden US-Dollar gestiegen. Dies entspricht einem Zuwachs von 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Der Direktor der Abteilung für auswärtige Investitionen des Handelsministeriums Zong Changqing erklärte am Donnerstag in Beijing vor der Presse, dass sich die Entwicklungstendenz auswärtiger Investitionen stabilisiert habe und im dritten Quartal eine deutliche Zunahme verzeichnet worden sei. Wie Zhong Changqing weiterhin ausführte, seien die Strukturen für auswärtige Investitionen im Verlauf der ersten drei Quartale optimiert worden…“

„Chinas neuer Normalbetrieb“ von Fabian Kretschmer am 19. Oktober 2020 in nd online externer Link berichtet vom Wirtschaftswachstum Chinas im dritten Quartal: „… Dementsprechend massiv fiel der Wirtschaftseinbruch im ersten Quartal aus: Um 6,8 Prozent ist das Bruttoinlandsprodukt laut offiziellen Zahlen geschrumpft, so stark wie zuletzt gegen Ende der Kulturrevolution in den 1970er Jahren. Inzwischen nahezu virusfrei konnte das Land seine Wirtschaft wieder hochfahren: Schulen, Büros und Einkaufszentren sind seither wieder vollständig in Betrieb. Die im April wieder geöffneten Fabriken litten zwar zunächst unter der eingebrochenen Nachfrage aus dem Ausland, allen voran aus Europa. Doch systematisch passten sich chinesische Konzerne an die neue Situation an: Textilfabriken produzierten fortan Gesichtsmasken, Dutzende Betriebe kurbelten die Produktion von Desinfektionsmitteln oder medizinischer Ausrüstung an. Während die Industrieproduktion bereits seit Monaten auf Normalniveau läuft, zog der Binnenkonsum erst im Spätsommer wieder an. Das Vertrauen der Konsumenten kehrte also erst allmählich zurück, nachdem das Infektionsrisiko über einen längeren Zeitraum gering blieb. Seither hat sich sogar der Tourismus einigermaßen erholt: Während der Nationalfeiertage in der ersten Oktoberwoche tätigte die Bevölkerung laut dem Kulturministerium knapp 640 Millionen Reisen und generierte einen Umsatz von umgerechnet fast 59 Milliarden Euro…“ – womit hier die Frage offen gelassen wird, welche Maßnahmen die Unternehmen sonst noch so alle ergriffen haben…

„China nach der Abriegelung: Neue Probleme, alte Politik“ von Peter Main am 08. Juni 2020 bei den Maulwürfen externer Link dokumentiert (ursprünglich in ArbeiterInnenmacht) hob zu Beginn des Wiederaufschwungs insbesondere zur Situation der Landbevölkerung hervor: „… Angesichts der Drohungen von US-Präsident Trump mit einem Handelskrieg waren schon vor der Pandemie die Aussichten auf eine Steigerung der Ausfuhren als Weg zum allgemeinen BIP-Wachstum nicht gut. Die Steigerung des Binnenkonsums ist daher zu einem wichtigen Ziel geworden, aber es ist eines, das ein Merkmal der chinesischen Gesellschaft offenbart, das oft übersehen wird: die enorme soziale Ungleichheit. Im gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt liegt das Pro-Kopf-Einkommen in China bei etwa 30.000 Renminbi, d. h. etwa 4.000 US-Dollar pro Jahr, aber das verdeckt die Tatsache, dass 40 Prozent der Bevölkerung, 600 Millionen Menschen, mit weniger als 1.000 Rebminbi, d. h. etwa 130 US-Dollar pro Jahr, auskommen müssen. Es ist kein Zufall, dass 40 Prozent der Bevölkerung auf dem Land leben. Einerseits bedeutet dies, dass Geldeinkommen nicht ihre einzige Unterhaltsquelle ist. Auf der anderen Seite macht es sie eindeutig nicht zu einem effektiven Markt für hochwertige Industriegüter, denn jemand mit 130 Dollar im Jahr wird sich kein neues Auto kaufen. Es unterstreicht auch, wie weit die Landbevölkerung von der Integration in die chinesische Marktwirtschaft entfernt ist. In seiner Rede auf der Schlusssitzung des Nationalen Volkskongresses wies Premierminister Li Keqiang auf die Notwendigkeit hin, das verfügbare Einkommen dieses potentiell riesigen Marktes zu erhöhen, musste aber auch feststellen, dass die Kleinst-, Klein- und Mittelbetriebe, von denen man erwarten könnte, dass sie ihn bedienen, mit zunehmenden Schwierigkeiten zu kämpfen hätten. Diese beziehen sich auf ein weiteres Hauptthema in Lis Rede, nämlich die Notwendigkeit, sich mit der wachsenden Verschuldung und den „untilgbaren Krediten“ zu befassen, d. h. solchen, für die sich die KreditnehmerInnen nicht einmal die Zahlung von Zinsen leisten können…“

„Armut vs. Reichtum in China“ von Arian Hyseni, Lara Erdemir und Yasmine Caldara in der AGSW-Ausgabe vom Juni 2019 externer Link zur „Ausgangssituation“ dieser Probleme vor der Epidemie unter anderem: „… In den 1970er Jahren war die Bevölkerung vor allem in ländlichen Gebieten wohnhaft. Dies hat sich in den letzten 40 Jahren stark verändert. Die Regierung förderte den Städtebau. Baute sogar ganze Städte neu, damit die Verstädterung schneller voranschreitet. Man rechnet damit, dass im Jahr 2025 schon 900 Millionen der 1.3 Milliarden Chinesen in der Stadt leben werden. Land ist in China nicht geschützt. Wenn die Regierung beschliesst, dass das Land gebraucht wird, werden die armen Bauern enteignet. Die Entschädigungen decken meist nicht den Wert des Landes. So bleibt den armen Menschen oft nichts anderes übrig, als sich in den Städten Arbeit zu suchen. Viele ziehen aber auch freiwillig in die Städte, weil sie sich dort ein besseres Leben mit mehr Wohlstand, Bildung und besserer Arbeitsqualität erhoffen. Meist verbessern sich die Lebensumstände durch die harte Arbeit der Menschen. Auch wird in den letzten zehn Jahren mehr auf den Umweltschutz geachtet. So leiden die Chinesen zwar noch unter Smog, das Wasser ist aber sauberer und nach einigen Lebensmittelskandalen, kann man sich auch mehr auf Giftstofffreie Lebensmittel verlassen. China treibt den Bauboom so sehr an, dass es zur Entstehung von Geisterstädten gekommen ist. Diese Geisterstädte werden in den nächsten Jahren bevölkert sein, wenn die Regierung mit ihren Plänen gut vorankommt. (…) Das Einkommen der Landbevölkerung wuchs nur langsam und hält bei weitem nicht mit dem rasanten Anstieg der Löhne in der Stadt mit. Konnte ein Geschäftsmann clever investieren, war es möglich, dass er mit harter Arbeit großen Reichtum erlangen konnte. So hat sich die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter geöffnet. Fabrikarbeiter verdienen inzwischen im Durchschnitt etwa 240 Dollar im Monat. Der Staatlich festgelegte Mindestlohn beträgt 110 Dollar im Monat. Es wird geschätzt, dass in ländlichen Gebieten ca. 20% der Bevölkerung als arm gilt. In städtischen Regionen ca. 25%. In den Städten sind es vor allem die Wanderarbeiter, deren Löhne gering ausfallen, da sie Rechtlich nicht gleichgestellt sind…“

„Survey report of work resumption condition during the COVID-19 outbreak in China: Fewer than 30% of employees received normal wage“ am 15. Juli 2020 bei Labour Action China externer Link ist ein Beitrag über eine Feldstudie mit zahlreichen Befragungen von Betroffenen – deren wesentlichstes Ergebnis bereits in der Überschrift deutlich wird: Weniger als ein Drittel aller arbeitenden Menschen in der untersuchten Region haben während des Lockdowns ihren normalen Lohn erhalten…

„Research report phase 3.0 of work resumption situation in China: The post-COVID-19 labour rights issues in Henan Province“ am 21.August 2020 ebenfalls bei Labour Action China externer Link untersucht die (problematische) Entwicklung von Arbeitsrechten in der Provinz Henan – eine Problematik, die bereits vor der Epidemie bestand und während ihrer Wirkung weiter verschärft worden sei.

[Ankündigung] „Arbeitskämpfe in China und Aufruhr in Hong Kong“ am 13. November 2020 ist eine Web-Video-Veranstaltung externer Link von Rosa Luxemburg Stiftung und Forum Arbeitswelten (alle Informationen zur Anmeldung für die Teilnahme im Beitrag), die unter anderem mit folgenden Ausführungen angekündigt wird: „… Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts will die herrschende Kommunistische Partei China zur stärksten Wirtschaftsmacht der Welt machen. Mit dieser Zielrichtung baut sie seit dem Parteitag Ende 2012 ihre Position in Wirtschaft und Gesellschaft auch gegen Widerstände weiter aus, u.a. mit ihrer Präsenz in Betrieben, Schulen und Universitäten. Kleine Schritte einer eigenständigen, parteiunabhängigen Beteiligung der Bevölkerung an großen Veränderungen, die etwa im Umweltbereich oder in den industriellen Beziehungen in den letzten Jahren entwickelt worden waren, wurden zurückgenommen. Auch bei der Austragung von Arbeitskonflikten wurde die Opposition unterdrückt. Dies bezeugen die Inhaftierung, Drangsalierung und Einschüchterung Hunderter Aktivist*innen und Rechtsanwält*innen, die sich kritisch mit der Arbeitswelt auseinandersetzen, seit 2015. Deren internationale Kontakte wurden unter Generalverdacht gestellt und in der Folge eingeschränkt. Viele von ihnen wurden erst nach monatelanger Haft freigelassen. Trotz wachsender Repression kam es in China, wie die Streik-Statistik von China Labour Bulletin zeigt, in den Jahren 2015-2019 zu 9.845 Protestaktionen und Streiks. Einige von ihnen wurden auch außerhalb Chinas aufmerksam verfolgt und führten zu Solidaritätsaktionen. Zwei sehr unterschiedliche Beispiele hierfür sind die Kämpfe gegen Leiharbeit bei der VW-Niederlassung im nordchinesischen Changchun 2017-2018 und die Arbeitskonflikte 2018-2019 in der Fabrik JASIC im südchinesischen Shenzhen, bei der die Arbeiter*innen eine von dem parteigesteuerten Gewerkschaftsbund ACFTU unabhängige Gewerkschaft forderten. Eine neue Qualität der Herausforderung des Herrschaftsmodells der KP Chinas, die am 1. Oktober 2019 spektakulär das 70. Jubiläumsdatum der Gründung der VR China feiern wollte, entwickelte sich ab Mitte 2019, als es in Hong Kong zu anhaltenden Massendemonstrationen der Bevölkerung und aufruhrartigen Protesten gegen die verstärkten Kontrollbestrebungen der Zentralregierung über die autonome Sonderverwaltungszone kam. Diese Kontrolle wurde mit der Verabschiedung eines Gesetz zur nationalen Sicherheit in Hong Kong durch den Nationalen Volkskongress in Beijing und seiner Inkraftsetzung am 1. Juli 2020 weiter verschärft. Hinzu kommt, dass die anhaltende COVID-19-Pandemie und die Maßnahmen der chinesischen Regierung zu Irritationen und verhaltenem Widerstand in Teilen der Bevölkerung geführt haben. Um Fragen wie diese wird es auf der Veranstaltung gehen…“

Siehe zum Thema auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=180094
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