Paketzustellung von Amazon nach dem Ende von Flex: Miese Arbeitsbedingungen bei Subunternehmen

Dossier

[Broschüre] Amazons letzte Meile - Ein Onlinehändler als Prekarisierungstreiber in der Paketlogistik. Eine Fallstudie zum Verteilzentrum Erfurt-Stotternheim… Unbezahlte Überstunden, Anstellung ohne Arbeitsvertrag, schreiende Vorgesetzte: Die Liste der Vorwürfe von Fahrern, die täglich Amazon-Pakete zustellen, ist lang. (…) Paketzusteller wie Martin sind in der Regel nicht bei Amazon selbst angestellt, sondern bei einem Subunternehmen. Amazon erklärt gegenüber dem NDR, bundesweit mit Hunderten kleinen und mittelständischen Partnern zusammenzuarbeiten, die im Auftrag des Konzerns Bestellungen an Kundinnen und Kunden zustellen. (…) Besonders der Arbeitsdruck sei drastisch gewesen, sagt Martin. Das lässt auch eine Sprachnachricht aus einem internen Chat des Subunternehmers erahnen, die dem NDR zugespielt wurde. Darin ist ein Mann zu hören, der offenbar an die Fahrer gerichtet rumschreit, weil jemand einen Tag frei haben wollte…“ Reportage von Sebastian Friedrich und Philipp Hennig vom 21.06.2022 bei tagesschau.de externer Link, siehe auch den Panorama-Beitrag externer Link dazu und weitere Infos sowie Hintergründe:

  • Ausbeutung bei Amazon: Menschen sind keine Maschinen. Täglich rund 270 Pakete für ein Subunternehmen, das häufig Arbeitnehmerrechte missachtet… New
    „…. „Wenn du Probleme mit dem Chef hast, ruf an!“ Immer wieder sagt Michael Wahl diesen Satz. Dazu reicht er einen Flyer durch die Fenster der Transporter, die hier vor den Toren des Amazon-Verteilzentrums in Hoppegarten kurz hinter der östlichen Berliner Stadtgrenze darauf warten, auf das Betriebsgelände fahren zu dürfen. Michael Wahl arbeitet bei Faire Mobilität, der Beratungsstelle des DGB für migrantische Beschäftigte. Seine Kollegen und er haben heute Flyer in zehn verschiedenen Sprachen dabei. Sie wollen ihr Beratungsangebot bekannt machen, mit dem sie den Fahrer:innen bei arbeitsrechtlichen Probleme helfen können. Oft bleibt keine Zeit für mehr als diesen Satz, es muss schnell gehen. (…) Die meisten Fahrer:innen kommen nicht aus Deutschland, für manche von ihnen ist es der erste Job auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Faire Mobilität bietet Beratung zu arbeitsrechtlichen Themen in verschiedenen Sprachen an. (…) „Für welche Firma arbeitest du?“, fragt Wahl durch das Fenster. Fast jedes Mal bekommt er eine andere Antwort. Denn die Fahrer sind nicht direkt bei Amazon angestellt, sondern arbeiten für Subunternehmen, meist kleine Logistikfirmen, oft nur mit einer Handvoll Mitarbeiter. (…) „Dieses Subunternehmen-System gibt Amazon die Möglichkeit, die Verantwortung von sich zu schieben“, sagt Michael Wahl. (…) Wenn Amazon wirklich wissen wollte, was die Subunternehmen tun, müssten sie sich nur an die Fahrer wenden, sagt Michael Wahl: „Die haben alle Infos.“ (…) Ein Amazon-Sprecher sagt auf Anfrage, der Konzern stelle „hohe Anforderungen“ an die Subunternehmen. „Wir überprüfen die Lieferpartner regelmäßig, um sicherzustellen, dass sie die geltenden Gesetze und unsere Richtlinien einhalten, und ergreifen Maßnahmen, wenn dies nicht der Fall ist.“ In wie vielen Fällen solche Verstöße festgestellt wurden, könne er nicht sagen. (…) 270 Pakete muss er heute ausfahren, sagt Hassan, der eigentlich anders heißt, aber aus Angst vor seinem Arbeitgeber anonym bleiben will. „Amazon ist es egal, was für ein Wetter ist, es ist ihnen egal, ob wir Unfälle machen.“ Oft ziehe sich die Arbeit jetzt bis weit in den Abend hinein. (…) Was genau mit den Paketen passiere, ob er sie im Hausflur abstelle oder bei Nachbarn oder vor der Haustür liegen lasse, sei Amazon egal. „Hauptsache, mein Auto ist leer, wenn ich wieder hier bin“, sagt Hassan. Wenn eins der Pakete verschwindet, werde ihm der Schaden vom Lohn abgezogen – egal, ob dann noch etwas übrig bleibt. Die Berater:innen von Faire Mobilität bestätigen, dass sie solche Fälle von Regressforderungen gegenüber den Fahrer:innen aus ihrer Beratungspraxis kennen. (…) Hassan erzählt von seiner Frau und seiner Tochter, die er seit Wochen kaum mehr zu Gesicht bekommt, weil sie schon schlafen, wenn er nach Hause kommt. „Mein Leben ist Arbeit, nach Hause, duschen, schlafen, Arbeit, nach Hause, duschen, schlafen, es gibt nichts anderes mehr“, sagt er. (…) Bis vor drei, vier Jahren seien die Bedingungen noch etwas besser gewesen, sagt Hassan. „Aber jetzt arbeiten hier immer mehr Menschen aus Rumänien und Bulgarien, und die beschweren sich nie, die lassen alles mit sich machen.“ Tatsächlich sind Amazon und die Subunternehmen etwa für Menschen, die vorher in der Fleischindustrie gearbeitet haben, vergleichsweise attraktive Arbeitgeber: Der Stundenlohn liegt oft etwas über dem gesetzlichen Mindestlohn, die Arbeit in den Kühlhallen der Fleischindustrie ist außerdem körperlich und mental noch belastender. Wer etwas Deutsch oder Englisch spricht, bewirbt sich bei den Amazon-Lagern, wer dazu noch einen Führerschein hat, als Fahrer bei einem der Subunternehmen. Für die Politik gibt es Möglichkeiten zu verhindern, dass Beschäftigte im Niedriglohnsektor auf diese Art gegeneinander ausgespielt werden. Eine dieser Möglichkeiten wäre ein Verbot von Subunternehmen in der sogenannten KEP-Branche, mit der die Kurier-, Express- und Paketdienste zusammengefasst werden. Die Gewerkschaft Verdi fordert ein solches Verbot, die Linksfraktion im Bundestag brachte in diesem Jahr ebenfalls einen entsprechenden Antrag ein…“ Artikel von Malene Gürgen vom 20. Dezember 2023 in der taz online externer Link
  • Paketdienst Amazon: Keine Festanstellung, keine Verantwortung
    „Auto parken, Türe auf, Paket raus, klingeln, Treppe hoch, Paket abgeben, quittieren lassen, Treppe runter, weiterfahren – Paketbot:innen haben gerade jetzt viel zu tun. Ihr Verdienst ist gering und ihre Rechte kennen sie oft nicht. Früher Vormittag, knapp über null Grad. Am Auslieferungszentrum von Amazon in Sindelfingen öffnet sich ein großes Rolltor, fünf Paar Transporterscheinwerfer leuchten nach draußen, die ersten Sprinter fahren los. Begleitet werden sie bis zur Straße von Frauen und Männern in orangefarbenen oder grünen Amazon-Leuchtwesten mit Rückenaufschriften wie „Dispatcher“, „Yard Marshall“, „Area Manager“. Direkt nach dem Start halten viele Transporter erst mal kurz am Straßenrand. Die Fahrer:innen checken ihr Handy, auf dem die genaue Route der heutigen Tour eingetragen ist, manche rauchen noch eine, trinken aus ihrem mitgebrachten Thermobecher einen Schluck Kaffee, telefonieren mit der Familie zu Hause. Dieser kurze Stopp ist für andere Leuchtwestenträger:innen die Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen. Eine Handvoll Frauen und Männer von Verdi, dem DGB, der Katholischen Betriebsseelsorge und von der Fairen Mobilität gehen auf die stehenden Autos zu, bieten Flyer an, die auf Polnisch, Russisch, Ukrainisch und acht weiteren Sprachen Hilfe anbieten. Denn Paketauslieferer haben oft Probleme. Zu lange Arbeitszeiten, zu schwere Pakete, vorenthaltener Lohn. Dragana Bubulj kennt sich da aus, sie arbeitet für die Faire Mobilität Stuttgart, eine Einrichtung, die vom DGB getragen wird. Der Auftrag: sich um prekär Beschäftigte vor allem aus osteuropäischen EU-Ländern zu kümmern. Die Paketbranche ist einer der Schwerpunkte, hier arbeiten viele EU-Bürger:innen, die oft kein oder nur rudimentär deutsch sprechen. Dragana Bubulj ist wie alle Faire-Mobilität-Beschäftigten mehrsprachig. (…) Bei Amazon selbst ist kein Fahrer angestellt, das macht das US-Unternehmen (Jahresumsatz weltweit knapp 514 Milliarden US-Dollar, davon 33,6 Milliarden in Deutschland) nicht. Prinzipiell werden für die letzte, die teuerste Meile vom Lager zu den Kund:innen Fremdfirmen beauftragt – oft dürfen die ausschließlich für Amazon fahren, wie eine Recherche von „Correctiv“ beschreibt. Auf die Frage, warum Amazon keine Pakezulieferer:innen direkt anstellt, antwortet der Konzern nicht. (…) Die Branche boomt, weil immer mehr Menschen Klamotten, Lebensmittel, Medikamente und so weiter im Internet bestellen. Der Umsatz steigt, die Löhne für die Paketbot:innen, die zumeist angelernt sind und von denen überdurchschnittlich viele aus dem Ausland stammen, allerdings weniger. Laut einer Untersuchung des Statistischen Bundesamtes liegt der Monatslohn für Un- und Angelernte bei 2.100 bis 2.500 Euro brutto. Dafür müssen die Botinnen und Boten sechs Tage die Woche arbeiten, weiß Johann Brstiak, acht Stunden pro Tag. Brstiak ist bei der katholischen Betriebsseelsorge, kümmert sich speziell um Amazon in Sindelfingen. (…) Eine junge Fahrerin, die gerade das Amazongelände verlassen hat, stört das mit den Subunternehmen nicht. Bahar Gedik fährt seit eineinhalb Jahren für Amazon, ihr jetziger Arbeitgeber sei in dieser Zeit ihr dritter und der wäre jetzt auch okay. (…) Ihre Kundschaft in Nürtingen, wo sie ausfährt, sei meistens nett. Selbst müsse man immer freundlich sein, denn die Kund:innen würden ja per Mail befragt, wie zufrieden sie mit der Lieferung waren. „Wir werden wöchentlich bewertet und die Kundenstimmen sind da ganz wichtig.“ Für eine gute Bewertung gebe es 50 bis 75 Euro Wochenbonus, sagt Gedik. (…) Solange jemand jung und fit ist, kann der Paketboten-Job okay sein. Mit der Zeit allerdings geht die Arbeit auf die Knochen. Das zeigt eine Studie der Berufskrankenkassen von 2018, wonach Beschäftigte von Postdiensten Spitzenplätze bei Krankentagen, bei der Medikamenteneinnahme und bei Krankenhausaufenthalten einnahmen, wie die Wirtschaftswoche damals berichtete. (…) Verdi hat mittlerweile eine Petition gestartet, mit der die Bundesregierung aufgefordert wird, die Arbeitsbedingungen in der Paketbranche zu verbessern.“ Beitrag von Gesa von Leesen vom 13. Dezember 2023 bei Kontext: Wochenzeitschrift Ausgabe 633 externer Link
  • Subunternehmer: „System der Ausbeutung“ bei Amazon? Interne Papiere zeigen nun, wie Amazon die Ausbeutung von Fahrern begünstigt 
    Der Bundesrat will die Arbeitsbedingungen von Paketboten verbessern. Doch der Vorstoß droht ins Leere zu laufen. Interne Papiere zeigen nun, wie Amazon die Ausbeutung von Fahrern begünstigt.
    Mustafa* hat seine Zeit als Zusteller für Amazon-Pakete in schlechter Erinnerung. Bis zu 300 Pakete am Tag habe er ausgeliefert. „Ich habe getragen wie ein Sklave vom Morgen bis zum Abend.“ Am Monatsende habe sein Chef, ein Subunternehmer von Amazon, ihn um Lohn geprellt. Weil Ähnliches in der Logistikbranche häufig vorkommt, will der Bundesrat das Paketboten-Schutzgesetz verschärfen. In einer Prüfbitte an die Bundesregierung geht es unter anderem um ein Verbot des Subunternehmertums. Allerdings mit einer Ausnahme: Wer Tariflohn zahlt, soll weiter bestehen bleiben dürfen. (…)
    Im Falle des Versandhändlers Amazon zeigen Recherchen von SR, „Correctiv“ und „Nordsee-Zeitung“ erstmals, wie der Branchenriese die prekäre Lage der Paketfahrer begünstigt. Aus Unterlagen und Verträgen geht hervor: Die Vorgaben für Subunternehmer sind umfangreich. Deren wirtschaftlichen Spielraum halten Branchenkenner für klein. Öffentlich stellt Amazon einen Gewinn von 60.000 bis 140.000 Euro pro Jahr in Aussicht. Für 60.000 Euro müsste ein Subunternehmer aber wohl schon zwölf Monate lang 20 Lieferwagen im Einsatz haben. Er müsste dabei wesentliche Posten vom Auto-Leasing, über die Buchhaltungssoftware bis zu Versicherungen zu vorgegebenen Konditionen über Vertragspartner von Amazon abwickeln. Und er wäre darauf angewiesen, ausreichend Routen zu bekommen. Denn eine Garantie für eine bestimmte Zahl an Touren gibt Amazon nicht, so betont es der Konzern selbst. (…)
    Auch mehrere Subunternehmer sehen das so. Einer sagt: „Man kann kein erfolgreiches Amazon-Subunternehmen führen mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen.“ Zur Wahrheit gehört aber auch: Amazon zwingt keinen Subunternehmer zu unredlichem Handeln. (…) Doch auch Arbeitsrechtler halten die Verträge für problematisch. Diese schränkten die unternehmerische Freiheit der Subunternehmen stark ein, resümiert Jura-Professor Manfred Walser von der Hochschule Mainz. Beispielsweise kann Amazon bestehende Verträge eigenmächtig und ohne Zustimmung ändern und bekommt auf Geheiß Einblick etwa in Gehaltsabrechnungen. Der Bremer Fachanwalt für Arbeitsrecht, Frank Ewald, spricht von „sehr geschickten und kompliziert formulierten Knebelverträgen“. Amazon verlagere das wirtschaftliche Risiko und die Verantwortung für die Fahrer auf die Subunternehmen, „ohne dabei die Kontrolle über die Ausführung der Arbeit abzugeben“. Ewald sieht Hinweise auf unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung…“ Beitrag von Caroline Uhl und Niklas Resch, SR, vom 05.07.2023 in tagesschau.de externer Link („Subunternehmer: „System der Ausbeutung“ bei Amazon?“), siehe auch

    • Ausbeutung von Paketboten: Wie Amazon Kurierunternehmen unter Druck setzt
      Amazon behauptet stets, nichts mit den schlechten Arbeitsbedingungen bei seinen Kurierunternehmen zu tun zu haben. Jetzt zeigen interne Unterlagen, wie der Logistikriese die Ausbeutung der Fahrer begünstigt.
      Wenn Fahrerinnen und Fahrer für Amazon Pakete ausliefern, verfolgt der Online-Riese jeden ihrer Schritte mit einer Smartphone-App. „Die Daten stehen im weltweiten Amazon System zur Verfügung und werden bei Bedarf genutzt“, heißt es in internen Unterlagen, die CORRECTIV, Saarländischer Rundfunk externer Link und Nordsee-Zeitung externer Link einsehen konnten.
      Das Bemerkenswerte: Die Kuriere sind gar nicht bei Amazon angestellt, sondern bei offiziell unabhängigen Subunternehmen. In Deutschland nutzt der Onlineversandhändler hunderte solcher Firmen. Amazon hat stets betont, wie eigenständig diese Kurierunternehmer agieren könnten. Die ständige Datenkontrolle steht dazu im Widerspruch. Und es ist nicht die einzige Vorgabe, die Amazon seinen Lieferdiensten macht. Die internen Unterlagen zeigen erstmals, wie Amazon die Ausbeutung der Fahrer begünstigt: Mit rigiden Vorgaben schränkt Amazon die unternehmerische Freiheit der Subunternehmer ein und ermöglicht ihnen Branchenexperten zufolge nur geringe Gewinnmargen. Diesen Druck geben die Subunternehmer an ihre Fahrer weiter. Das bestätigen – zusätzlich zu den Dokumenten – mehrere aktive und ehemalige Subunternehmer und Kurierfahrer…“ Beitrag von Miriam Lenz vom 05. Juli 2023 bei correctiv.org externer Link
    • unser Dossier: ver.di fordert entschlossenes Vorgehen gegen prekäre Arbeitsbedingungen in der Paketbranche
  • MZS Logistics in Berlin, Subunternehmen für Amazon, schließt über Nacht und läßt über zwanzig Kuriere, darunter fünf Polen, ohne Lohn zurück 
    Das Unternehmen, für das sie in Berlin gearbeitet haben, hat über Nacht geschlossen. Mehr als zwanzig Kuriere, darunter fünf Polen, warten auf ihre Lohnnachzahlung. (…) Die Kuriere lieferten Pakete von Amazon in den zentralen Bezirken Berlins aus. Sie hatten Firmenwagen, Kleidung und Scanner. Die Arbeit stand, wie es in der Kurierbranche üblich ist, unter großem Zeitdruck. Täglich mussten rund 200 Pakete ausgeliefert werden. Der Lohn? Knapp über dem Mindestlohn. Ein erfahrener Fahrer konnte etwa zweitausend Euro im Monat auf die Hand nehmen.
    Kein Lohn
    Doch im März dieses Jahres begannen bei MZS Logistics seltsame Dinge zu passieren. Erst brach der Kontakt zum Chef ab, dann einige Wochen später zum Chef. Das Unternehmen funktionierte nur noch dank der Disponenten, die die Arbeit der Fahrer und den Betrieb der Lagerhäuser organisierten. Bis zum Schluss versicherten sie den Kurieren, dass sie wie gewohnt arbeiten und sich keine Sorgen um ihren Lohn machen müssten, der wie üblich eintreffen sollte. Als die Zahlung im April nicht eintraf, begannen die Ausreden. – Das Geld war jeden Tag fällig, gleichzeitig bestanden die Disponenten darauf, so viel wie möglich zu arbeiten, sagt der polnische Kurier, der darum bittet, seine Identität nicht preiszugeben. Die Dinge haben sich dann sehr schnell entwickelt, so ein anderer der betroffenen polnischen Fahrer. Am 3. Mai wurde ihnen mitgeteilt, dass das Unternehmen geschlossen werden sollte. Dies geschah nur zwei Tage später. Sie mussten sofort ihre Autos und die Geräte zum Scannen der Pakete an Amazon abgeben. – Und das war’s dann. Von heute auf morgen standen wir ohne Arbeit und ohne Geld da. Die Firma schuldet mir rund viertausend Euro an Lohn und nicht genommenem Urlaub“, sagt er.
    Niemand weiß etwas
    Ein Büro von MZS Logistics in einem Bürogebäude im Berliner Stadtteil Mariendorf gibt es noch, aber es ist verschlossen. Auch zu den Chefs gibt es keinen Kontakt, alle Telefone sind abgeschaltet und selbst die Website des Unternehmens ist geschlossen. Auf E-Mails antwortet niemand. (…) Die betrogenen Fahrer haben die Angelegenheit an Amazon gemeldet. Der Konzern hat eine spezielle Hotline für Kuriere eingerichtet, die Probleme mit den externen Firmen haben, die sie beschäftigen. In einer Erklärung gegenüber der Deutschen Welle sagt der Konzern, dass er den Fahrern Unterstützung angeboten hat und erwartet, dass das Problem bald gelöst wird. Amazon gab außerdem bekannt, dass es nicht mehr mit MZS Logistics zusammenarbeitet. (…) Die betrogenen polnischen Fahrer, aber auch rund zwanzig Fahrer aus anderen Ländern, warten vorerst auf konkrete Hilfe. Nur wenige Fahrer rechnen mit Geld von MZS Logistics, da sich die Eigentümer des Unternehmens in Luft aufgelöst haben und niemand weiß, was mit dem Unternehmen geschieht. Die meisten Fahrer haben bereits einen neuen Job gefunden. Einige fahren wieder für Amazon, nur bei einem anderen Subunternehmer. (…)
    Bereits vor zwei Jahren haben wir in der DW die Geschichte einer Gruppe polnischer Kuriere beschrieben, die von einem Subunternehmer des GLS-Konzerns in Thüringen betrogen wurden. – Wir hören selten etwas Gutes aus der Kurierbranche“, sagte Michael Lemm vom DGB damals. Das regelmäßige Bekanntwerden der schockierenden Fälle, in denen ausländische Kuriere von deutschen Subunternehmern ausgebeutet werden, ist seiner Meinung nach nur die Spitze des Eisbergs
    .“ poln. Beitrag von Wojciech Szymański vom 30.5.2023 bei der Deutschen Welle Polen externer Link („Berlin. Oszukani polscy kurierzy“, Berlin. Betrogene polnische Kurierfahrer – übersetzt aus dem Polnischen durch Faire Mobilität)
  • Letzte Meile beim Amazon-Verteilzentrum in Darmsheim/Sindelfingen: So ausbeuterisch, dass nicht nur ver.di, sondern auch die Betriebsseelsorge kritisiert 
    „… Ioan Brstiak, gebürtiger Rumäne, soll im Auftrag der evangelischen und katholischen Betriebsseelsorgen in Sindelfingen und Böblingen Unterstützung für die Paketzusteller organisieren und Aufmerksamkeit für diejenigen wecken, die Tag für Tag die Waren an die Haustür liefern. Am gleichen Strang zieht der Verdi-Ortsverein im Kreis Böblingen (…) Seit 2022 betreibt Amazon ein neues Verteilzentrum in Darmsheim, es steht am Ortsausgang Richtung Sindelfingen und ist gut zu sehen. Laut Brstiak arbeiten dort etwa 200 Beschäftigte, ungezählte mehr allerdings würden den eigentlichen Knochenjob für Amazon in Subunternehmen machen, nämlich die sogenannte letzte Meile an die Kundinnen und Kunden im Kreis Böblingen. (…) Angelockt vom deutschen Mindestlohn – im Vergleich zu osteuropäischen Ländern das große Geld – und vermittelt oft von der Arbeitsagentur, würden sich laut Brstiak meist junge Männer aus Rumänen, Bulgarien, Moldawien oder Nordmazedonien bei Subunternehmen verdingen. „Eine Chance für viele“, sagt der Theologe, aber „der bittere Geschmack der Realität“ folgt. Die Bezahlung sei nicht gerecht, Überstunden würden meist nicht entlohnt. Computer hätten berechnet, dass 150 oder mehr Pakete in acht Stunden zu schaffen seien. Wer länger brauche, sei eben nicht schnell genug. „Für eine Pause reicht es in der Regel nicht, eine leere Wasserflasche ist die mobile Toilette“, wird berichtet. Dampf mache der Vorgesetzte über das Handy, wenn ein Fahrzeug zu lange an einer Stelle stoppt. Bei Krankheit müssten die Arbeiter aus Geldmangel zurück in ihre Heimat fahren und würden durch neue ersetzt. Das ausbeuterische System beruhe auf Druck, Kontrolle und extremer Belastung. „Arbeitnehmerrechte sind den Betroffenen unbekannt, weil die Deutschkenntnisse fehlen“, so Brstiak. Und zu einem Sprachkurs seien die jungen Männer nach der überlangen Tagesarbeit nicht mehr in der Lage. „Die Größen der Branche müssen stärker in die Verantwortung für ihre Beschäftigten genommen werden“, fordern Betriebsseelsorge und Verdi. Die ganze Branche sei gefährdet, ein derartiges Dumpingmodell zu betreiben. „Nur noch festes, eigenes Personal sollte angestellt werden dürfen, wie es die Politik seit den jüngsten Skandalen der Fleischbranche vorschreibt“, meint Brstiak. Andreas Hiller, Pfarrer der evangelischen Betriebsseelsorge Ini Sindelfingen, appelliert an die Verbraucher, wenn sie schon Waren im Internet bestellen, diese zu behalten und nicht zurückzuschicken. „Das Versenden geht auf Kosten der Beschäftigten.“…“ Redaktioneller Beitrag vom 04.04.2023 in der KREISZEITUNG Böblinger Bote online externer Link („Amazon in Sindelfingen: Betriebsseelsorge und Verdi kritisieren Onlinehändler“)
  • Hinter den Kulissen von Amazon: Amazon-Paketboten in Bremerhaven (mit Video) 
    Überwachung, Druck, Ausbeutung – diese Wörter fassen den Alltag von Amazon-Paketboten zusammen. Die Nordsee-Zeitung und Correctiv haben über die Arbeitsbedingungen berichtet. Jetzt geben die Reporter Einblicke in die Recherche – und im TV.
    Die Maschine Amazon: Pro Jahr verschickt Amazon hunderte Millionen Pakete. Ein paar Klicks, und wenig später steht der Kurierfahrer vor der Tür. Doch der ultimative Kundenservice hat seine Schattenseiten: Luise Langen, Online-Reporterin der Nordsee-Zeitung, hat gemeinsam mit dem Recherchenetzwerk Correctiv über die Maschine Amazon und die Verlierer dieses Systems berichtet.  Jetzt geben die Reporter Einblicke in ihre siebenmonatige Recherche zu Amazon – dem größten Logistikunternehmen der Welt. Am 21. Februar haben sie live auf dem Fernsehsender ALEX Berlin über die Erfahrungen von LKW- und Kurierfahrern sowie Amazon-Angestellten gesprochen.
    Gemeinsam mit der Gewerkschaftsvertreterin Tina Morgenroth erklären sie den Weg eines Amazon-Packetes: Der beginnt in einem von 20 Logistikzentren in Deutschland – dort lagert die Ware, die von Mitarbeitern verpackt und verschickt wird. Lkw-Fahrer bringen die Pakete in eines von 69 lokalen Verteilzentren. Einige Pakete machen vorher einen Abstecher in ein Sortierzentrum, bevor sie ebenfalls in die Verteilzentren gebracht werden. Und von dort aus liefern Kurierfahrer die Bestellung bis vor die Haustür. Luise Langen berichtet in der Sendung über die Erfahrungen der Amazon-Fahrer aus Bremerhaven – von unbezahlten Überstunden, Drohungen und Überwachung durch Apps. Und sie erklärt, was die Arbeitsbedingungen von Menschen aus der kleinen Großstadt Bremerhaven über einen global agierenden Konzern verraten.“ Artikel von Luise Maria Langen 21. Februar 2023 in der Nordsee-Zeitung online externer Link und das Video des Beitrags bei youtube externer Link
  • Amazon mal wieder: Scheinselbstständigkeit und der „Beifang“ der ununterbrochenen Erfassung der Arbeit der Beschäftigten 
    Seit Jahren wird immer wieder und sehr kritisch über die Arbeitsbedingungen bei Amazon berichtet – auch in diesem Blog. (…) »Online-Handelsplattformen und Lieferdienste gehörten zu den Krisengewinnern in der Corona-Pandemie. Gleichzeitig sind sie für ein hartes Vorgehen gegen Gewerkschaften und für schlechte Arbeitsbedingungen sowie Bezahlung bekannt«, so Ralf Streck in seinem Beitrag Happige Strafen gegen Amazon & Co externer Link. Dann aber kommt der Hinweis, dass in Spanien der Druck auf Unternehmen wie Deliveroo, Glovo oder Uber Eats zunimmt. Das ist die Folge eines harschen Urteils gegen den US-Onlineriesen Amazon: »Das Sozialgericht in der Hauptstadt Madrid entschied, dass das Unternehmen des Milliardärs Jeff Bezos fast 2200 Paketauslieferer fest einstellen muss, da es sich bei diesen um Scheinselbstständige handle. (…) »Im aktuellen Fall ging es um die Fahrer von Amazon Flex. Laut UGT war deren Scheinselbstständigkeit offensichtlich, denn sie seien von der Firma gezwungen worden, mit ihren eigenen Fahrzeugen zu arbeiten und Pakete unter Mithilfe der Unternehmens-App zu verteilen, über die sie ihre Anweisungen bekamen. (…) Auf der Website von Amazon Flex können Interessierte keine Produkte kaufen, sondern sich darüber informieren, wie sie Amazon ihre Arbeitskraft anbieten können. »Die Tätigkeit wird dabei in blumigen Wort beschrieben: „Verdiene in deiner Freizeit Geld dazu“, heißt es. „Mach es auf deine Weise. Fahr mit deinem Auto, höre deine Musik und werde dafür bezahlt.“ Als Verdienst winken nach Amazon-Angaben Verdienste von 25 Euro je Stunde. (…) 25 Euro pro Stunde? Das hört sich doch wirklich attraktiv an. Der gesetzliche Mindestlohn liegt derzeit bei 12 Euro pro Stunde. Aber man muss ein Menge Wasser in den scheinbaren Wein gießen: »Die in Aussicht gestellten 25 Euro Durchschnittsverdienst pro Stunde decken etwa nicht die Anfahrt zum Auslieferungslager und die Heimfahrt nach dem letzten ausgelieferten Paket ab … Für Amazon Flex zu arbeiten, ist nicht mit einer Festanstellung zu vergleichen. Es gibt keine zugesagte Mindestarbeitsdauer. „Es handelt sich nicht um eine Vollzeittätigkeit“, heißt es dazu von Amazon. Und: Die Fahrer agieren als Selbstständige. Für Kranken-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung müssen sie also selbst aufkommen.« Und es geht noch weiter: »Außerdem müssen Interessenten ein Gewerbe anmelden und den Gewerbeschein spätestens 90 Tage nach Beginn der Tätigkeit bei dem Unternehmen einreichen. Das Fahrzeug zum Transport der Pakete muss der Mitarbeiter ebenfalls selbst stellen. Dazu kommen die Kosten für die Abnutzung und den Unterhalt wie zum Beispiel eine höhere Kraftfahrzeugversicherung wegen des gewerblichen Einsatzes. Auch die Kraftstoffkosten und alle weiteren Aufwendungen wie beispielsweise Strafzettel gehen auf das Konto des Auslieferfahrers.« Hinzu kommt eine Pflichtmitgliedschaft in der Berufsgenossenschaft (BG) Verkehr mit einem „natürlich“ selbst zu tragenden Jahresbeitrag. Denken muss man auch an eine Berufshaftpflichtversicherung, denn: „Falls bei der Auslieferung ein Paket beschädigt oder verloren geht, trägst du die Verantwortung“, gibt Amazon Flex auf der Website den Interessierten mit auf den Weg. Man kann das auch so kompakt zusammenfassen: So gut wie alle Risiken liegen beim Auftragnehmer des Unternehmens Amazon, der oder die als „Selbstständige“ (genau über diesen Status läuft ja die Verlagerung der typischen Arbeitgeberrisiken) agieren (müssen) – auch wenn die Tätigkeit als solche in vielerlei Hinsicht auf illegale Scheinselbstständigkeit hindeutet. (…) »Das Verwaltungsgericht hat Amazon erlaubt, die Arbeit der Beschäftigten im Lager in Winsen ununterbrochen zu erfassen – trotz Datenschutzbedenken«, berichtet Gernot Knödler in seinem Artikel Leistungsdaten als Beifang. »Amazon darf die Mitarbeiter in seinem Logistikzentrum in Winsen/Luhe weiterhin engmaschig überwachen«, so das Verwaltungsgericht Hannover. (…) Und Amazon? »Amazon sieht sich … auf der sicheren Seite: Die Überwachung sei keineswegs beabsichtigt und allenfalls ein Nebeneffekt, argumentierten die Anwälte des Unternehmens. Es würden nur Leistungsdaten erhoben, die Privatsphäre der Arbeiter sei nicht betroffen.« (…) Das sieht die Richterin offensichtlich ähnlich: „Einfach nur zu behaupten, es gebe einen Anpassungs- und Leistungsdruck, reicht nicht“, so die Vorsitzende Richterin Andrea Reccius. Die Landesdatenschutzbeauftragte kann Berufung gegen das Urteil einlegen. Bis es – wenn überhaupt – eine anders gelagerte Entscheidung geben sollte, kann es also weitergehen mit dem Beifang aus dem Datenmeer.“ Beitrag von Stefan Sell vom 14. Februar 2023 auf seiner Homepage externer Link. Siehe auch:

  • Ein Lkw-Fahrer berichtet: „Amazon ist für mich ein riesiges rotes Tuch“ 
    Speditionen suchen verzweifelt Lkw-Fahrer. Udo Skoppeck ist seit über 40 Jahren Berufskraftfahrer und erzählt, warum er bei Amazon seine Verdi-Weste trägt und wie der angeblich unattraktive Arbeitsplatz wirklich ist. (…) Ständig winkt jemand mit einer Wechselprämie. Trotzdem muss man das hinterfragen. In den Einstellungsgesprächen heißt es immer: Natürlich, wir halten uns an die Lenk- und Ruhezeiten. Natürlich, du bekommst die Wochenenden frei. Keiner sagt dir: Wenn du bei mir anfängst, musst du gegen Gesetze verstoßen. Aber das schleicht sich allmählich ein und aus dieser Spirale kommt man nur schwer wieder raus. Wichtig ist, genug Selbstvertrauen zu haben und auch Nein sagen zu können! Als Lkw-Fahrer muss man sich nicht verstecken. Wenn das Gehalt nicht mindestens 3000 Euro beträgt, würde ich auch als Neuling die Finger davon lassen. (…) Früher bin ich beispielsweise zu einem Supermarkt gefahren, hab mich mit meinen Papieren angemeldet und mir wurde die Rampe genannt. Dann wurde mir ein Kaffeeautomat gezeigt und wo die Duschen und Toiletten sind. Es gab Personal, das den Lkw entladen hat. Pfiffige Spediteure haben dann angefangen, bei einem Transportauftrag das Be- und Entladen als Service zu verkaufen. Denn den Lkw-Fahrer mussten sie in der Zwischenzeit ja sowieso bezahlen. Danach haben die Unternehmen angefangen, ihr Logistikpersonal abzubauen. Und heute haben wir Fahrermangel und jetzt kommt die BGL und will eine Rolle rückwärts machen – was auch gut ist! (…)
    [Im Verkehrsausschuss wurde grundsätzlich angemerkt, dass Unternehmen Druck auf die Fahrer ausüben.]
    Allerdings. Ich verrate Ihnen ein kleines Geheimnis: Vor allem Amazon ist für mich ein riesiges rotes Tuch. Die gesamten Arbeitsbedingungen dort sind untragbar. Wenn ich bei Amazon anliefere, trage ich meine Verdi-Warnweste. [Warum?] Ich provoziere damit natürlich und das löst bei den Mitarbeitern Erstaunen aus. Einmal wollten sie mit allen Mitteln verhindern, das ich sie trage – mir wurde mit Hausverbot gedroht, ich musste meine Firma anrufen und es gab eine große Diskussion. Dafür hätte ich im Anschluss eine Kündigung akzeptiert. Es geht mir nur um Amazon, woanders würde ich mich nicht so verhalten. Aber es ist ein gutes Beispiel, weil es bei vielen bei Aufträgen die unterschwellige Drohung gibt: „Wenn du nicht spurst, musst du die Konsequenzen tragen“. Das wird meistens nicht offen ausgesprochen, aber man gerät ganz schnell in schwierige Situationen…“ Interview von Svenja Gelowicz vom 18. Januar 2023 in der Wirtschaftswoche online externer Link – Udo Skoppeck arbeitet seit 1980 als Fernfahrer. Er berichtet für den Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung über die Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern. Skoppeck hat außerdem den Verein Allianz im deutschen Transportwesen gegründet, der sich ebenfalls für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt. Zwischenzeitlich hatte Skoppeck sein eigenes Transportunternehmen.
  • Paketzusteller für Amazon: Im Netz der Subunternehmen 
    „… Im Sekundentakt fährt ein weißer unbeschrifteter Van nach dem anderen auf das Amazon-Gelände in Hoppegarten vor den Toren Berlins. Black Friday steht vor der Tür. In einem Monat ist Weihnachten – Hochsaison für Paketzusteller. Michael Wahl vom Beratungsnetzwerk „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes reicht den Fahrern Infoflyer durch das Fahrerfenster – in zehn Sprachen übersetzt. Die Paketzusteller, alle männlich, viele sind migrantische Arbeitskräfte oder haben Migrationshintergrund – sie kommen aus Russland, Bulgarien, Polen und der Ukraine. Viele sprechen wenig Deutsch. Da kommt ein Flyer in der eigenen Muttersprache passend. „Hi! Wenn es Probleme mit der Arbeit gibt, rufst du an, okay?“, sagt der Gewerkschaftsvertreter zu einem Kurierfahrer vor dem Amazon-Depot und dem UPS-Center in Hoppegarten. „Was ist Deine Muttersprache?“, „Bulgarisch“, antwortet der Fahrer. „Okay, hier auf dem Zettel ist alles auch auf Bulgarisch. Du kannst uns auch in Deiner Sprache anrufen.“ (…) „Viele Menschen, die bei Amazon als Kurierfahrer arbeiten, haben einen Migrationshintergrund und sind an diese Arbeit auch wirklich gebunden, weil sie hoffen, dass sie so einen langfristigen Aufenthaltstitel bekommen“, erläutert Gewerkschaftler Wahl. Benita Unger von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi geht einen Schritt weiter: Viele deutsche Arbeitnehmer würden unter diesen Bedingungen bei den Subunternehmen gar nicht erst arbeiten. „Gerade geflüchtete Menschen gehen in ihrer Not diese Arbeitsverhältnisse ein.“ (…) Einer von ihnen ist der 31-jährige Malek* aus Syrien. Er ist vor eineinhalb Jahren nach Deutschland gekommen. Zehn Monate arbeitet er bereits für ein Amazon-Subunternehmen, dessen Namen er nicht öffentlich nennen möchte. Das viele Treppensteigen bei der Auslieferung hat sich bei ihm bereits gesundheitlich ausgewirkt. Er klagt über Knieprobleme. Die Arbeitsbedingungen stimmten für ihn nicht. „Es gab Geldabzüge bei Unfällen als Strafe“, sagte Malek. Da er in Berlin gearbeitet hat, war er beim Ausliefern gezwungen falschzuparken, berichtet er. Er habe die Strafzettel selbst zahlen müssen. 200 Euro waren so auf einmal weg. (…) Malek machte von der Option der Fahrer-Hotline Gebrauch. Als er bei seinem alten Arbeitgeber kündigte, reichte er zudem Beschwerde bei Amazon über das Subunternehmen ein. Eine Antwort hat er bislang noch nicht bekommen. Ihm wurde gesagt, dass alles noch in Bearbeitung sei.“ Reportage von F. Montag, E. Angeloudis und G. Russew vom 28. November 2022 bei rbb24 externer Link
  • [Logistik-Angestellte, Lkw-Fahrer und Kuriere] Die Maschine Amazon
    „Pro Jahr verschickt Amazon hunderte Millionen Pakete. Ein paar Klicks, und wenig später steht der Kurier vor der Tür. (…) Jeden Tag geht Andreas mindestens 15 Kilometer, manchmal auch 20. Das ist in etwa so weit wie von Dortmund nach Bochum, fast ein Halbmarathon. Er läuft und läuft, wie viele hier im Amazon-Logistikzentrum Leipzig, als Teil einer riesigen Maschinerie, Tag für Tag, damit die Pakete auf Reisen gehen können. Nichts hält sie auf. Auch nicht der Tod. Vor ein paar Wochen starb einer seiner Kollegen während der Arbeit in dem Logistikzentrum. (…) Der Tod des Mitarbeiters mag ein extremes Beispiel sein. Aber die Art, wie ringsherum der Arbeitsalltag anscheinend ohne Unterbrechung weiterlief, steht beispielhaft für das System Amazon, das auf maximale Effizienz setzt und Pausen nicht kennt. (…) CORRECTIV.Lokal hat sieben Monate lang in verschiedenen Regionen Deutschlands recherchiert. (…) Wir haben mit mehr als 100 Menschen gesprochen, die in der Logistikkette von Amazon arbeiten oder Einblicke in die Abläufe hatten, Logistik-Angestellte, Lkw-Fahrer und Kuriere. Wir haben Arbeitsverträge und Dienstpläne eingesehen, Chatverläufe gelesen. Und wir haben Dokumente ausgewertet, darunter Kontrollberichte von Arbeitsschutzbehörden und Antworten von Datenschutzbehörden. (…) Amazon ist der mit Abstand größte Akteur in einer Branche, in der Ausbeutung und schlechte Arbeitsbedingungen offenbar zum Geschäftsmodell gehören. Ein Amazon-Paket geht durch die Hände vieler Menschen, die unter prekären Umständen arbeiten. Manche Arbeiter laufen einen Halbmarathon am Tag und haben kaum Zeit für eine Toilettenpause. Lkw-Fahrer sind so müde, dass sie ständig damit kämpfen, nicht am Steuer einzuschlafen. Viele berichten über stetigen Druck und wie eng ihre Aufgaben getaktet sind. Die Menschen arbeiten zum Teil neben Robotern, überwacht von Computern. Sie alle müssen als Teil der großen Amazon-Maschine funktionieren. Wenn jemand auf „Jetzt kaufen“ klickt, setzt sich die Maschine in Deutschland in Gang. (…) Jonas und Antanas sprechen von folgender Praxis: Wer eine Pause braucht, kündigt seinen Vertrag und fährt in den unbezahlten Urlaub. Dann kehren die Fahrer in ihre Heimatländer zurück und schließen oft direkt den nächsten Vertrag ab. So hebelt ihre Logistikfirma das Gesetz aus…“ Umfangreiche Recherche bei CORRECTIV.Lokal externer Link von Miriam Lenz, Jonathan Sachse, Mohamed Anwar, Thore Rausch, Ole Rockrohr und Svenja Stühmeier vom November 2022
  • Wie Amazon seine Macht in der Logistikbranche ausbaut – auf dem Rücken der Lkw-Fahrer
    „Amazon will mehr Macht über seine Lieferkette gewinnen. Mit neuen Subunternehmen, die der Logistikkonzern kontrolliert. Die Folgen sind prekäre Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrerinnen und -fahrer. Seit anderthalb Jahren versucht Amazon in Deutschland, weniger abhängig von den Fuhrunternehmern zu sein, die die Ware zu den Kunden bringen. Das Ziel der Offensive mit dem Namen „Amazon Freight Partner“, kurz AFP: Der Handelsgigant möchte besonders auf der sogenannten „mittleren Meile“ Speditionen als Subunternehmen an sich binden. So nennt die Branche die Strecke zwischen großen Logistikzentren und kleineren Verteilzentren. Auf der „letzten Meile“, der Schlussetappe bis an die Haustür, setzt Amazon bereits Subunternehmen ein, deren Angestellte in Amazon-Transportern Pakete abliefern. Nach den USA und Großbritannien treibt Amazon nun auch in Deutschland mit neu gegründeten Transportunternehmen das AFP-Programm voran. Amazon deckelt die Zahl der Lkws, die jeder Subunternehmer betreiben darf. Der Konzern möchte offenbar nicht, dass einzelne zu groß und mächtig werden. Doch aus Sicht der Subunternehmer sind kleine Flotten wenig profitabel – Leidtragende dieses Kampfes um Macht und Margen sind die Fahrer. (…) Auch Gewerkschaften sehen in der Abhängigkeit ein Problem, besonders bei unerfahrenen Führungskräften. „Amazon zerstückelt seine Aufträge auf kleine Unternehmen, die bereit sind, anstelle von Amazon Verantwortung als Arbeitgeber zu übernehmen“, sagt Michael Wahl. Er arbeitet für das Beratungsnetzwerk „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbunds DGB. Sein Team aus dutzenden Beraterinnen und Beratern hat regelmäßig Kontakt zu Lkw-Fahrern. Auch er sieht Parallelen zur Branche der Kurierfahrer, in der Amazon bereits ein zersplittertes Netz von Kleinunternehmen geschaffen hat. Die Amazon-Subunternehmen würden 20 oder manchmal auch mehr Personen beschäftigen. „Wenn dann etwas schief geht, kann Amazon den Transportauftrag kündigen und sich der Probleme einfach entledigen“, sagt Wahl. (…) Alle Fahrer, mit denen CORRECTIV.Lokal gesprochen hat, sind bereits wegen Übermüdung in brenzlige Fahrsituationen geraten oder kennen Kollegen, die Unfälle auslösten, weil sie am Steuer einschliefen. In einem Fall berichten sie von einem Unfall, den ein erschöpfter Kollege im Juni in Süddeutschland verursacht habe. Die örtliche Polizei berichtete damals, dass der Lkw-Fahrer gegen 5 Uhr in die Gegenfahrbahn geraten sei. (…) In der Vergangenheit standen andere Branchen im Fokus, die auf Subunternehmerstrukturen setzten und so fragwürdige Arbeitsbedingungen schufen. Nach mehreren Recherchen zu teils prekären Zuständen in der Fleischindustrie beschloss der Bundestag mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz strengere Vorschriften für die Fleischindustrie und verbot 2021 den Einsatz von Subunternehmen mit osteuropäischen Billiglohn-Arbeitern in der Branche. Auf Anfrage von CORRECTIV.Lokal sieht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) kein vergleichbares „Regulierungsbedürfnis“ in der Logistikbranche. Allerdings plane die Bundesregierung, bis Ende 2023 einen Bericht über die „Haftung für Sozialversicherungsbeiträge im Logistikgewerbe“ zu erstellen und diesen öffentlich zugänglich zu machen. „Auf dieser Grundlage kann über eine eventuelle Fortentwicklung der geltenden Regelungen entschieden werden.“ Fahrer wie Tarek wünschen sich einen schnellen Eingriff durch die Bundesregierung. Besonders „Geld und Fahrzeiten“ sieht er als Problem. Dennoch wird er erst einmal weiter am Steuer sitzen, wenn er und tausende weitere Lkw-Fahrer und -fahrerinnen in der Vorweihnachtszeit Pakete über die „mittlere Meile“ des Handelsgiganten Amazon fahren.“ Recherche von Miriam Lenz, Jonathan Sachse und Thore Rausch vom 23. November 2022 bei CORRECTIV externer Link

Siehe zum Thema im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=202034
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