Von nix kommt nix, nä? Möglichkeiten und Grenzen kritischer Betriebsratsarbeit – ein Gespräch mit Wolfgang Schaumberg

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit„… Ich sehe, was sich in den Großbetrieben eingebürgert hat an Expertentum, und auch, dass man alle vier Jahre Wahlkampf macht, um wiedergewählt zu werden. Wir dagegen haben unseren Wahlkampf damit gemacht, dass sie uns die Hosen runterziehen, wenn wir nicht als Belegschaft in Erscheinung treten. Wir sind in den Betriebsrat gewählt worden und haben dann etwas durchgesetzt, was betriebsverfassungsrechtlich gar nicht vorgesehen ist: dass die Belegschaft befragt werden muss, bevor der Betriebsrat eine Abstimmung macht über ein Verhandlungspapier oder einen Kompromiss. Diese Abstimmungen von der Belegschaft einzuholen, war ein sehr langer Prozess. Am Anfang haben wir auch Abstimmungen verloren, wo die Belegschaft sich halt nicht so verhielt, wie wir uns das gedacht oder erhofft hatten. Wir konnten den Kolleg:innen dann aber sagen, ihr habt doch selbst so gestimmt. Vorher wurde immer gemeckert »Scheiß Betriebsrat, Scheiß Gewerkschaft«. Jetzt konnten wir darauf verweisen, dass sie mehrheitlich selbst so gestimmt hatten…“ Aus dem Interview (Teil I) von Kirsten Huckenbeck, Stefan Schoppengerd und Karin Zennig, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 2-3/2022 und nun der Teil II aus dem express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 4/2022:

Von nix kommt nix, nä? Möglichkeiten und Grenzen kritischer Betriebsratsarbeit –
ein Gespräch mit Wolfgang Schaumberg, Teil 2 New

An dieser Stelle setzen wir das Interview mit Wolfgang Schaumberg aus der letzten Ausgabe fort.
Im ersten Teil hatte Wolfgang von seinen Erfahrungen bei Opel in Bochum, den Schwierigkeiten und Möglichkeiten der Betriebsratsarbeit, insbesondere hinsichtlich der Kämpfe und Debatten um Arbeitszeitverkürzung, berichtet. Der zweite Teil des Gespräches knüpft an die Frage des Umgangs mit Rationalisierungsprozessen im Zuge von Produktionsumstellungen und den dadurch entstehenden Konkurrenzsituationen zwischen Belegschaften an und widmet sich dann der Frage nach den Bedingungen und Perspektiven langfristiger politischer Arbeit durch die (radikale) Linke in den Betrieben.

Redaktion: Mir geht das Beispiel Untertürkheim durch den Kopf. Im Jahr 2017 wurde darum gekämpft, dass die Batterieproduktion nach Untertürkheim kommt und eben nicht in das Tochter-Werk in Kamenz bei Dresden.(S. Interview mit Michael Clauss in express 8/2017) Die Gewerkschaftsposition und auch die Position der Linken im Werk war, den im Zuge der Umstellung auf E-Mobilität befürchteten Personaleinsparungen dadurch zu begegnen, dass neue, dafür benötigte Fertigungsumfänge, z.B. die Batterieproduktion, ins Werk geholt werden sollten. Damit verbunden war auch eine ganz reale Konkurrenzsituation zwischen den Belegschaften in Stuttgart und in Kamenz. Die Argumentation war damals, dass die Standards der Arbeitsbedingungen in Untertürkheim höher sind als im ostdeutschen Tochter-Werk – es ging also auch um die Sicherung bestimmter Tarif- und Sozialstandards.
Du würdest aber trotzdem sagen, dass das zu kurz argumentiert war?

Schaumberg: Ich würde sagen: Was habt ihr gemacht, um euch zu verständigen mit den Betriebsräten in dem anderen Werk. Ihr kämpft jetzt darum, dass die Batterieproduktion nicht dahin geht, sondern hierhin. Wie habt ihr das abgeklärt mit den Leuten in dem anderen Werk?

Das ist jetzt nicht nur meine Erfahrung. So hat auch der Opel- Gesamt-BR-Vorsitzende Dr. Wolfgang Schäfer-Klug in einem Interview 2013 bestätigt: »[E]ine Erfahrung ist auch, dass alle sogenannten Standortwettbewerbe faktisch vorher entschieden waren. Das Management hat eine Strategie und setzt dann die Gewerkschaften an den Standorten unter Druck. Aber ich habe es noch nie erlebt, dass durch einen solchen ›Wettbewerb‹ die vom Management vorher festgelegten Entscheidungen verändert worden wären.« (https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/die-groste-wirkung-hatte-immer-nicht-lokal-zu-verhandeln/ externer Link)

Die wissen also schon längst, warum sie was wo wie bauen lassen. Erst in der zweiten Schiene werden die Betriebsräte gefragt: Wenn wir das Werk hier bauen, welche Konzessionen könntet ihr hier machen? Die Zentrale im Multi-Konzern entscheidet wesentliche Investitionen nicht in erster Linie nach Lohnkosten. Die Lohnkosten machen in der Autoindustrie durchschnittlich etwa 15 Prozent aus. Damals wussten wir aus dem Wirtschaftsausschuss bei Opel, dass sie bei 9 Prozent lagen. Wo die Firma was baut, das hängt von vielen anderen Sachen und Faktoren ab. Die Lohnkosten versuchen sie dabei natürlich immer zusätzlich zu drücken.

Unterbieten ist für uns kein Weg. Wir müssen einen Weg finden, wie wir aus der Ausspielerei des Managements herauskommen. Man muss der Belegschaft auch klar machen, dass die Manager nicht einfach Erpresser sind. »Was wir machen, das machen wir, weil der Markt uns dazu zwingt, das müssen Sie begreifen«, so Opel-Personalvorstand Strinz auf einer Betriebsversammlung. Das ist also ihre »freie Marktwirtschaft«, wo sie selbst ja dann doch unter Zwängen arbeiten und gar nicht so frei sind. Aber um so zu argumentieren, mussten wir uns immer wieder auch selbst schlau machen und Schulungen unterziehen, jahrelang, um überhaupt Argumente zu haben für solche Situationen.

Was könnte deiner Meinung nach eine sinnvolle betriebslinke Position angesichts der drohenden Betriebsschließungen und Entlassungen im Zuge der langsamen Verabschiedung der Verbrennertechnologie sein? Du hast im Automobilarbeitskreis der RLS selbst auch Debatten um Produktionskonversion mit geführt – und hast dabei u.a. kritisiert, dass dies oft mit der Idee verbunden wird: Wir müssen den Leuten jetzt auch Vorschläge für neue Produkte anbieten, die sie zukünftig fertigen können – oder deren Einführung sie sogar erkämpfen sollen. Die größte Sorge scheint dann in der Frage zu bestehen, ob man genügend Leute dafür gewinnt, die das dann auch machen.

Die größte Sorge ist, dass sie es tatsächlich erkämpfen. Aber was genau? Dass die Belegschaft sagt: So, wir stellen jetzt hier ein anderes Produkt her, das können wir auch, und das wollen wir jetzt hier produzieren. Doch dann wird das eigentliche Problem deutlich: Wem gehört die Fabrik? Das ist dann letztlich eine Auseinandersetzung über das Eigentum.

Das ist die alte Diskussion, ob man die Frage, was produziert wird, von der Frage, wie produziert wird, trennen kann. Wenn man es ernst meint mit der Einbeziehung der Beschäftigten, dann geht das über die Produktion eines anderen Produktes hinaus und in die Frage, wie und unter welchen Bedingungen produziert wird, über.

Der entscheidende Punkt ist doch, dass man dem Unternehmer nahelegt, du kommst auch gut weg oder sogar besser, wenn du das oder das produzieren lässt. Aber man muss dann dem Unternehmer auch zeigen, dass er mit dem neuen Produkt, mit einer neuen Ware, seinen Schnitt auf dem Weltmarkt machen kann. Oder man muss ihm die Fabrik wegnehmen, was unvermeidbar wieder viele andere Probleme aufwirft.

So eine Produktdebatte finde ich total gut, aber als Lösung für die anstehenden Probleme der Spaltung und Konkurrenz zwischen den Belegschaften geht das an der Tragweite des Problems vorbei, insbesondere wenn man die Illusion verbreitet, auf der Ebene einer einzelnen Konzernbelegschaft könnte man die Arbeitsplätze mit einem anderen Produkt sichern.

Vielleicht ist es auch einfach sinnvoller zu diskutieren, weniger Autos auf den Markt zu werfen und sich statt auf Individualverkehr in Blechkisten auf öffentliche Mobilität zu konzentrieren. Wir haben vor Ort Argumente gesucht und gefunden gegen die Position: »Ihr kritisiert das Auto, aber hört mal, wir leben vom Auto!« Wir haben unsere Argumente damals aufgeschrieben und verbreitet. Viele Kolleg:innen haben sich doch sinnvollerweise in Fahrgemeinschaften organisiert, im unbegriffenen Widerspruch zu ihrer Behauptung, wir lebten vom Auto. Den Satz, nein, wir leben nicht vom Auto, sondern vom Verkauf unserer Arbeitskraft, den kann man jetzt nicht jeder beliebigen Person um die Ohren hauen. Da gehört eine andere Form der Aufklärung dazu, was Lohnabhängigkeit ist, was dieses System kennzeichnet, dass ein absolut überwiegender Teil der Gesellschaft irgendwo anklopfen muss bei denen, denen die Büros, Verwaltungen und Produktionsmittel gehören – »hör mal hast du Arbeit für mich, ich muss leben können mit meiner Familie?«. Das macht Lohnabhängigkeit aus.

Mein Eindruck ist, dass sich die radikale Linke zu wenig traut, das anzusprechen, das als Bildungsaufgabe anzusehen und nach Wegen zu suchen, wie man eine solche Kritik unter die Leute bringen könnte.

Wenn die radikale Linke denn so stark wäre und wenn sie einen Bezug hätte zu den Auseinandersetzungen dieser Belegschaften, die jetzt u.a. von der Umstellung der Mobilitätssysteme, weg vom Individualverkehr betroffen sind. Hier drängt sich eher der Eindruck auf, dass sich die Aufmerksamkeit generell verschoben hat: auf die kleinen Unternehmen, in denen solche Auseinandersetzungen überhaupt erst noch geführt werden müssen, auf die Vielzahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse, die oft genug auch mit einem viel niedrigeren Lohnniveau einhergehen. Bedingungen, die man nicht vergleichen kann mit 30.000 – 40.000 Beschäftigten in einem Autowerk, die sich geballt und täglich an einem Ort treffen.

Ja, das waren bei uns wirklich andere Bedingungen. Dass wir überhaupt über 40 Jahre an einem Ort wirken konnten und dass wir zu rund 90 Prozent gewerkschaftlich organisiert waren mit über 500 Vertrauensleuten, wer hat das heute noch so? Das ist schon ein krasser Unterschied. Auch Leute, die heute in einer Fabrik wie amazon arbeiten, haben da eine andere Ausgangsbasis, als wir sie damals hatten. Falsch finde ich dennoch, dass die radikale Linke die großen Belegschaften in den Schlüsselindustrien weggeblendet hat. Wesentlich ist für mich dabei immer noch, dass man nach Wegen sucht, wie man nicht von einem Kämpfchen zum nächsten geht. Sondern lieber bestimmte Projekte vor Fabriken, in Fabriken, Wohnorten und so weiter in dem Bewusstsein angeht, wir müssen uns auf zehn und mehr Jahre Arbeit einstellen. Das ist schwieriger, wenn man, wie die jungen Leute, mit denen wir unseren Film oft diskutieren, gar nicht weiß, wo man nächstes Jahr sein wird. Das ist eine andere Lage, das sehe ich auch. Und trotzdem: Der Aufbau von linken Betriebsgruppen in den großen Betrieben bleibt nötig.

Man muss vielleicht aufpassen mit dem Begriff »Schlüsselindustrien«. Im express ist zurecht darauf verwiesen worden, dass es lebenswichtige, systemrelevante Bereiche gibt – und dass das nicht nur die Autoindustrie ist. Aber von der Seite der Macht her bei uns in Deutschland, da sind die von der IGM hochgehaltenen Schlüsselindustrien Auto, Maschinenbau, Elektro- oder auch die Chemieindustrie wichtig. Die haben ihre Lobby im Bundestag, deren Probleme werden als erstes gelöst, da gibt es staatliche Unterstützung – und nicht in den anderen Bereichen.

Auch ich hätte noch Fragen zu der Vorstellung, dass man eine radikale Linke ›außerhalb‹ des Betriebs braucht, um im Betrieb produktiv politisch arbeiten zu können. Du hast von Bildungsarbeit gesprochen, von der Auseinandersetzung mit den Logiken von System- bzw. ökonomischen Zwängen etc.
Mein Eindruck ist, dass ein Großteil der linken, auch autonomen Öffentlichkeit genau das macht, was du beschrieben hast: von Kampf zu Kampf hüpfen, Belegschaften immer dann unterstützen oder ihnen Aufmerksamkeit schenken, wenn es eine Auseinandersetzung gibt, wenn sich was regt. Aber ihr habt damals etwas anderes gemacht. Ihr habt damals beschlossen, dass ihr im Betrieb arbeitet, und zwar dauerhaft. Eine Frage wäre: Zieht das notwendig auch eine andere Form der Bildungsarbeit, der Konfliktbearbeitung, der politischen Umgangsweise nach sich: als Support von außen, als Schulung von außen? Die andere Frage ist, ob dieses Modell oder Arbeitsfeld an ein Ende gekommen ist. Anders gefragt: Ist es nicht, egal an welchem Ort, in welchem Arbeitsverhältnis, in welchem Betrieb oder Unternehmen notwendig, das als politischen Ort zu begreifen und eine entsprechend langfristige Arbeit am Bewusstsein bzw. Bildungsarbeit zu machen?

Ich hab vor einiger Zeit ja mal einen Artikel veröffentlich: »Die Linke ohne die Leute« (express 9-10/2017). Der hat sich mit der Frage beschäftigt, wie man sich vorstellen kann, an eine Belegschaft der Automobilindustrie heranzutreten von außen, wenn drin keine Kommunist:innen sind oder auch nur Leute, die ansprechbar sind für Anregung und Hilfe von außen. Ich glaube in der Tat, dass die radikale Linke vor die Tore der Betriebe muss, aber in einer anderen Art und Weise, als ich das zur Zeit erlebe. Nicht erst, wenn es da mal knallt, sondern dass man sich auf eine längerfristig angelegte Untersuchungsarbeit einlassen muss. Die Themen für die Untersuchungs­arbeit mit und in einer solchen Belegschaft habe ich in dem Artikel angesprochen: Arbeitsbedingungen und Kampfbedingungen.

Man kann vielleicht rauskriegen, welche Sorgen in der Belegschaft hauptsächlich diskutiert werden, und vielleicht auch rausfinden, was der Betriebsrat oder die Gewerkschaft in diesem Betrieb für Informationen verbreitet. Das wäre für mich ein erster Schritt zu sagen, wir wissen nicht, wie es bei euch ist, aber das, was der BR oder was eure Gewerkschaft hier sagt, das halten wir aus folgenden Gründen für verführerisch und falsch. Ich denke, so kann es funktionieren, von außen das Betriebsgeschehen zu kommentieren, ohne dass man konkret vorgibt oder belehrt, was zu machen wäre, und ohne so aufzutreten, als hätte man eine schnelle Lösung für das Problem, also ohne Handlungsanweisungen zu geben.

Als wir anfingen, war das eine fürchterliche Lernerfahrung, dass das alles so langwierig und langfristig ist und dass es viel länger dauert mit der Revolution, als wir uns das überlegt haben. Wir haben geschluckt und uns das auch damit erklärt, dass der Kapitalismus hier nach zwei Weltkriegen einen krassen Aufwind genommen hat, aber dass wir es trotzdem weiter für sinnvoll halten, dagegen zu mobilisieren. Und uns tagtäglich dagegen zu wehren, dass die Luft schlecht ist an den Maschinen usw. usw., und dass wir uns genau dabei mit den Ursachen unserer Ängste auseinandersetzen müssen.

Ich kenne das von linken Leuten, die aus ihrem Szeneeinerlei heraus und irgendwie mit anderen Milieus in Kontakt treten wollen, dass die häufig eine ganz andere Herangehensweise entwickeln: Man redet mit Leuten und egal, worüber die sich aufregen, sie haben erst mal recht und ihre Aufregung wird bestärkt. Mit dem Motto und der Haltung »man muss die Leute abholen, wo sie stehen«, werden Hoffnungen verknüpft, politisch etwas zu erreichen. Aber man würde nie auf die Idee kommen, die Leute, mit denen man da redet, die man »erschließen will« damit zu konfrontieren, dass man das anders sieht. Es wird eigentlich nur aufgegriffen und affirmiert, was da ist.

Wegen des Problems, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, finde ich es erstmal wichtig, dass Linke sich zunächst mal selbst überlegen müssen, aufgrund welcher verschiedenen Zufälligkeiten man denn ein Linker oder eine Linke geworden ist. Dass man sich auch fragt: Warum sind meine Kol­leg:innen anders drauf als ich? Was ist mit mir passiert, was ist mit denen passiert, dass sich die jeweiligen Meinungs- und Weltbilder gebildet haben? Und dass man andere Berufsvorstellungen entwickelt hat als die meisten Leute. Warum werden die einen Nudelarbeiter in Bielefeld und die anderen Automobilarbeiter in Bochum? Dahinter steht eben auch der Lohnarbeitszwang. Sich verdingen zu müssen. Diese Art Selbstreflektion halte ich für absolut notwendig.

Aber um auf deine Argumentation zurück zu kommen: Warum glaubst du, dass nur wenn man den Leuten eine Kritik mitteilt, eine andere Perspektive eröffnet, dass das schon zu einer Verhaltensänderung führen würde? Ist das nicht eine Vorstellung von Aufklärung, die suggeriert, die Leute hätten nur einen Mangel an Informationen? Also gebe ich sie ihnen, das wird zu Bewusstsein führen? Ich frag mich eher, worin die Gründe für die Entscheidung, sich zu unterwerfen oder aufmüpfig zu werden liegen. Das ist meines Erachtens keine Frage des Mangels an Informationen, sondern manchmal Bequemlichkeit, manchmal Sicherheitsbedürfnis, manchmal eine Fehleinschätzung, wie man am besten zum Ziel kommt. Es ist den Leuten in vielen Situationen doch auch klar, dass sie sich da grade unterwerfen, aber sie machen es trotzdem.

Ich würde zurückfragen: Was denkst du, welche Alternativen haben die, sich nicht zu unterwerfen?

Ich meine nicht, wenn die radikale Linke nur jeden Tag vor dem Tor steht, und das lange genug, dann wird es schon krachen. Aufklärung soll ja zur eigenen Aktivität führen, das passiert nicht automatisch. Im Betriebsalltag ist es eher möglich und unabdingbar zu diskutieren, was man tun kann, ob es vielleicht lehrreiche Beispiele gibt. Und dann selber die ersten praktischen Schritte auch zu machen, was wir als Gruppe auch vormachen konnten.

Ich frage das, weil ich selbst jahrelang im Betrieb war und sogar eine prädestinierte Sprechposition hatte, um anderen Informationen zu geben, um Irritationen auszulösen oder anzuregen. Aber meine Erfahrung war, dass viele das tatsächlich nicht hören wollten und dass es ein Anreden gegen das war, was ihnen entweder die Geschäftsführung oder manchmal sogar der Betriebsrat alltäglich erzählt.
Deswegen stelle ich für mich persönlich die Rolle und Bedeutung von reiner Information schon eher in Frage. Mich würde vor allem interessieren, was ihr methodisch gemacht habt oder wie ihr das hinbekommen habt, Leute dazu zu gewinnen oder dazu anzuregen, mal was anderes zu machen.

Wir hatten keine anderen Erfahrungen. Wir hatten den Vorteil, dass wir jahrelang mit denselben Leuten im Betrieb waren, Vertrauen aufbauen und auch kontinuierliche Diskussionen führen konnten. Und dass wir an tausend kleinen Konflikten jeden Tag Soli-Aktionen angeleiert haben. Entscheidend war für mich die konkrete Adressierung der Leute, d.h. ihre eigene Verantwortung und ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten in konkreten Auseinandersetzungen anzusprechen. Das kostet sehr viel Geduld und Zeit und es machen auch nicht immer alle mit, aber einen anderen Weg als kleine Soli-Aktionen der Gegenwehr einzuüben, haben wir auch nicht gesehen.

Und ich muss sagen, für uns war es vergleichsweise einfacher, mit der Sicherheit einer Gruppe und den Betriebsratsrechten im Rücken, nicht so leicht kündbar zu sein. Wir hatten auch die Sicherheit einer juristischen Beratung, jede Woche an unserem Tisch. Mit all dem konnten wir uns eine große Fresse anders erlauben als die meisten anderen im Werk. Die Meister hatten Respekt vor uns, weil sie wussten, dann hab ich direkt die ganze Gruppe am Hals, und ein Flugblatt usw.

Natürlich ist dieses Anrennen und Anreden gegen den Normalzustand, der einem fünf oder sechs Tage in der Woche um die Ohren gehauen wird, sehr ermüdend. Ich verstehe auch die Frage, welche Relevanz man dadurch überhaupt entfalten kann. Die Erfahrung zeigt aber auch die Bedeutung von Beharrlichkeit für Auseinandersetzungen.
Ich nehme hier mal die Erfahrung der Arbeit an einer Fachhochschule. Seitdem ich da arbeite, zieht sich ein Kampf um die unsägliche Bezahlung der Lehrbeauftragten, bei denen nur die Seminarzeiten vergütet werden, nicht die Vor- und Nachbereitung, die keinerlei soziale Absicherung haben. Dabei wird das Lehrangebot in manchen Bereichen bis zu 50 Prozent mit eben diesen Lehrkräften bestritten. Das hat natürlich etwas mit der Unterfinanzierung der Hochschulen zu tun hat, mit der Förderung von »Exzellenz« und Forschung statt Lehre. Mit den befristeten Hochschulpakten wurde einfach nach unten durchgestellt, dass eben nicht mehr als befristete und prekäre Verträge möglich sind, weil auch die Geldzuweisungen befristet sind. Es hat Jahre gedauert, um herauszufinden, dass es doch möglich ist, Gelder und Ausgaben anders zu organisieren und zu strukturieren und Leuten dauerhafte Verträge zu ermöglichen, ohne dass es – wie oft in den Auseinandersetzungen behauptet wurde – damit automatisch anderen Personengruppen an der Hochschule weggenommen wird. Das Wissen darüber ist wesentlich durch regelmäßige Treffen und Gespräche mit den ›betriebsinternen‹ Akteuren, sprich Kolleg:innen im gleichen Fachbereich, mit Lehrbeauftragten aus den anderen Fachbereichen, mit Informationen und Unterstützung des Personalrats und letztlich auch den Gewerkschaften usw. zusammengetragen worden. Das zeigt meines Erachtens nicht nur die Notwendigkeit, sich über Missstände auszutauschen, und die Notwendigkeit von Empörung als Auslöser, sondern auch die Wichtigkeit, Wissen über die Ökonomie, die gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen, die Verwaltungsorganisation des Arbeitsfelds zu erarbeiten, in dem man sich bewegt.
In diesem Beispiel war gerade die Kombination von externem und internem Wissen und eben die Beharrlichkeit, dran zu bleiben, entscheidend, um in der Auseinandersetzung jetzt, gut acht Jahre später, endlich einen Schritt weiter zu kommen: Derzeit wird über eine einheitliche Bezahlung der Lehrbeauftragten an der ganzen Hochschule diskutiert.

Ja. Man ist ja auch Verhaltensvorbild in so einer Situation: zu zeigen, dass man sich Sachen nicht gefallen lassen muss und auch nicht einfach mit dem Argument »da kann man nichts machen« abspeisen zu lassen.

Ja, aber zur tatsächlichen Veränderung braucht es mehr als nur Irritation und Gegeninformation. Was führt dazu, die Dinge anders zu machen, anders zu entscheiden, andere Perspektiven zu entwickeln? Was wir als ›Externe‹ oder ›Interne‹ machen, erst mal egal, mit welcher Methode, ist zunächst auch nur ein Angebot, eine Einladung an Leute. Dieses Wissen, von dem du redest, ist dabei ambivalent. Einerseits stimme ich dir zu, es ist zentrale Voraussetzung, um auch einen strategischen Hebel entwickeln zu können, und oft der Unterschied zwischen gut gemeint und über die politischen Ziele die organisatorischen und machtpolitischen Fragen vergessen zu haben. Andererseits kann ein Überfluss an Wissen auch dazu führen, dass man sich als Expert:innen nur noch im Rahmen »der Regeln« bewegt, nur noch die denken und sich Sachen innerhalb dieser vorstellen kann.

Mir fällt dabei unsere betriebliche Auseinandersetzung um Bildungsurlaub ein. Natürlich haben Leute ein Recht darauf, aber um den Bildungsurlaub zu nehmen, um den Mut aufzubringen, brauchten sie uns als Betriebsrat im Rücken, brauchten sie Solidarität im Rücken.

Dafür ist es wichtig, nicht nur mit den einzelnen Kolleginnen oder Kollegen über ihre Beschwerden und mögliche Lösungsschritte zu diskutieren, sondern ihr Einzelproblem als Massenproblem sichtbar zu machen. Und dann, mit Geduld und bei Gelegenheit, als Klassenproblem. Um darüber die Notwendigkeit, gemeinsam handeln zu müssen, zu begründen.

Oft war der Kleinkrieg über bestimmte Arbeitsbelastungen oder Verhaltensvorschriften im Betrieb der Ausgangspunkt für uns, um in eine größere Debatte einsteigen zu können. Zum Beispiel, um zu verstehen, dass der Unternehmer aus guten Gründen bestimmte Einsparungen vornimmt und dann sagt, hier müssen wir rationalisieren. Um das anzugreifen, kommt man um die Kleinkriege nicht drum herum. Aber man darf beim Beklagen der Wettbewerbszwänge nicht stehen bleiben. Dass Lohnabhängigkeit kein Naturereignis ist, müssen wir diskutieren, ohne den Rahmen groß tönend herzustellen nach dem Motto »die Revolution muss her«. Das haben wir gelernt, dass das so eben auch nicht gelingt. Kampf um Reformen bleibt unabdingbar, aber nicht mit reformistischen Illusionen. Ein in gemeinsamer Aktion erkämpfter Kompromiss, als Erfahrung von eigener Produktionsmacht und Würde, ist was anderes als ein von Stellvertretern servierter Kompromiss. Und Voraussetzung für die Entwicklung von Klassenkampf.

Das Gespräch führten Kirsten Huckenbeck, Stefan Schoppengerd und Karin Zennig, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 4/2022

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Von nix kommt nix, nä?

Möglichkeiten und Grenzen kritischer Betriebsratsarbeit, Teil I – ein Gespräch mit Wolfgang Schaumberg

Im Redaktionsalltag bleibt oft keine Zeit für intensive Debatten, gemeinsame Strategie- oder Positionsfindung. Das ist nicht immer so tragisch, wie es klingt, lebt doch der express gerade von der Pluralität der Perspektiven – immer schön im Rahmen »sozia­listischer Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit«.
Aber gerade dieser Rahmen, in dem wir uns erklärt bewegen, ist es, der Debatte, Strategie und Position verlangt. Wie komplex das letztlich ist, zeigt die Diskussion um unseren altehrwürdigen Untertitel, die wir über das Jahr 2020 hinweg an dieser Stelle mit euch, geneigten Leserinnen und Lesern, geführt haben. Zumal dann, wenn neue Problematiken alte Konsense als fragil erscheinen lassen.
Einer, der innerhalb der Redaktion immer auf die Notwendigkeit dieser strategischen Debatten hingewiesen hat, ist unser geschätzter Genosse Wolfgang Schaumberg. Die Geschichte der GoG (ursprünglich »Gruppe oppositioneller Gewerkschafter«, seit 2000 dann »Gegenwehr ohne Grenzen«) bei Opel Bochum ist ohne Wolfgang kaum denkbar – wer sie sich noch einmal in Erinnerung rufen möchte, dem sei nach wie vor der Film »Luft zum Atmen. 40 Jahre Opposition bei Opel in Bochum«, 2019 von labournet.tv produziert, ans Herz gelegt (online verfügbar unter de.labournet.tv/luft-zum-atmen).
Im Dezember 2021 haben wir das laufende Betriebsratswahljahr zum Anlass ge­nommen, uns endlich mal die Zeit für ein solch Gespräch mit dem Fokus auf die Möglichkeiten und Beschränkungen von Betriebsratsarbeit zu nehmen. Es ist ausführ­lich geworden und wird im kommenden express fortgesetzt.

Der Ausgangspunkt für unser Gespräch sind die anstehenden Betriebsratswahlen und die Frage, welche Relevanz diese Wahlen in einer etwas weiteren politischen Perspektive haben, in der es auch um die Frage des Zusammenhangs von betrieblicher Praxis und Gesellschaft bzw. Gesellschaftsveränderung geht. Vorab eine persönlich-politische Frage: Wenn Du heute noch im Betrieb aktiv wärst, würdest Du kandidieren und würdest Du versuchen, die Kolle­g:innen für die Wahl zu mobilisieren?

Ich war Teil einer Auseinandersetzung, wie sie auch in dem Film »Luft zum Atmen« portraitiert wird, wo wir über 40 Jahre versucht haben, BR-Arbeit generell als Teil von Gewerkschaftsarbeit und zu einer permanenten Auseinandersetzung mit dem Management zu machen.

Und das im expliziten Widerspruch zu Aussagen, wie sie die IG Metall-Führung beispiels­weise im Februar 2018 vor der letzten Wahl geäußert hat: »Besser mit Betriebsrat«. Dort heißt es, Betriebsräte sind wichtig und die müsst ihr auch wählen. So weit, so gut. Und dann weiter: »Betriebsräte stärken Wettbewerbsfähigkeit und erhöhen den wirtschaftlichen Erfolg, 15 Jahre nach Begründung steigt die Produktivität der Firmen um 25 Prozent, Grund hierfür ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit.« (IGM-Zeitung metall, Februar 2018, S. 4) Das ist eine Ausrichtung von Betriebsratsarbeit von Seiten der IG Metall-Führung, die auch die IG Metall-Mitglieder in den Betrieben immer wieder hören – und sie sind angehalten, ihre Arbeit daran zu orientieren.

Das Problem ist aber nicht, dass die IG Metall-Führung das proklamiert, sondern dass das übereinstimmt mit dem, was die meisten Kolleginnen und Kollegen im Kopf haben.

Ich bin IG Metall-Mitglied, wir sind über 2,2 Millionen, wir sind über 500.000 in der Autoindustrie und ich glaube, dass die große Mehrheit meiner Kolleg:innen auch sagt: Ja, natürlich müssen wir auch Rücksicht nehmen auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes hier. Natürlich müssen wir schauen, wie wir überleben können, da können wir nicht einfach auf Wettbewerbsfähigkeit scheißen.

Was wir dagegen versucht haben mit den Kolleg:innen zu diskutieren, war: Kann die Rücksichtnahme auf die Nöte des Kapitals, seinen Profit zu vermehren, kann das eigentlich meine Zukunft, unsere Zukunft sichern? Immer wieder wurde uns ja versprochen: Wenn ihr verzichtet, wenn ihr einen Teil der Errungenschaften aufgebt, Erhöhungen des übertariflichen Lohns abgebt, dann werden die Arbeitsplätze sicherer. Mit uns hat die Belegschaft gemeinsam diskutiert und gemeinsam mit uns gelernt, dass dieses Modell nicht hinhaut. Entscheidend ist an dem Punkt, dass man einen Begriff von dieser Wettbewerbslogik hat, dass das ein Zwang ist, unter dem auch das Management arbeiten muss. An dem Punkt fehlt mir einfach Schulung und Aufklärung durch diejenigen Linken, die eine andere Produktionsweise wollen. Von nix kommt nix. Dass die Leute anfangen zu kapieren und lernen, dass Wettbewerbsfähigkeit ein Ausdruck dieses Systems ist und dass wir leider in diesem System unsere Zukunft nicht sichern können. Die Aufgabe, das zu vermitteln, wird zu wenig wahrgenommen. Für uns damals bei Opel Bochum war das aber der wichtigste Bestandteil unserer Betriebsratsarbeit, das zu vermitteln.

Mein Erfahrungshintergrund ist aber die Betriebsratsarbeit in der Automobilindustrie. Mir ist es wichtig, festzustellen, dass die Situation und Aufgabenstellung für BR-Mitglieder in großen Betrieben, in der Industrie im Bereich der IG Metall – also Elektroindustrie, Automobilindustrie, Maschinenbau etc. – eine völlig andere ist als in kleineren Betrieben im Dienstleistungsbereich oder in Krankenhäusern.

Du betonst diese Differenz nicht zum ersten Mal als Voraussetzung, um über Betriebsräte und Betriebsratsarbeit sinnvoll sprechen zu können. Doch sind die Bedingungen dafür, politisch in einem Betrieb zu arbeiten, wie ihr es versucht habt, grundsätzlich andere in diesen Branchen, in Groß- oder Kleinbetrieben oder in prekarisierten Arbeitsverhältnissen? Ist das Problem der Wettbewerbsfähigkeit, der Standortsicherung, der Rettung von Arbeitsplätzen ein Pro­blem, das nur Großbetriebe betrifft, oder taucht es nicht genauso in Klein- und Kleinst­betrieben als Konflikt immer wieder auf und ist dort ebenso Anlass für Auseinandersetzungen oder auch Arbeitskämpfe? Bevor wir darüber sprechen aber nochmal zurück zu meiner Frage: Würdest du denn in einem Großbetrieb noch mal kandidieren bzw. dazu aufrufen zu kandidieren? Oder sind dir gerade diese Betriebsräte schon zu eingebunden?

Ich würde nach wie vor dazu aufrufen. Ich würde allerdings warnen, dass man die Schranken dieser Vertretungsmöglichkeit mitdiskutieren muss, wenn jemand mit dem guten Willen zum Betriebsrat kandidiert, die Leute vertreten zu wollen.

Wir haben anlässlich des Films »Luft zum Atmen«, der mittlerweile in vielen verschiedenen Städten gezeigt wurde, viele Diskussionen vor allem mit jüngeren Linken gehabt, die nach Unterstützungsmöglichkeiten für betriebliche Kämpfe gefragt haben: Ich habe die Möglichkeit, in Untertürkheim oder dort und dort anzufangen, soll ich das machen? Ich habe geantwortet, dass ich es total schwierig finde, sowas alleine anzufangen. Sich mit den Argu­menten des Managements auseinanderzusetzen, setzt ein bestimmtes Wissen, einen be­stimmten Begriff vom System voraus, den man nicht einfach im Betriebsalltag gewinnt. Dafür ist es nötig – und da hatten wir damals Glück −, ein Umfeld zu haben und mit Leuten zusammenzuarbeiten, die einem immer wieder über den Horizont des eigenen Betriebs hin­weghelfen und das Grundsatzproblem, mit dem wir uns rumärgern, in den Blick zu holen.

Natürlich sind auch Leute in kleinen Betrieben unter einem ungeheuren Entlassungsdruck und hören auch ähnliche Argumente, »wenn das hier zu teuer wird, dann müssen wir auslagern«, aber das hat in den großen Industriebetrieben m.E. schon eine andere Qualität.

Die Leute dort sind vielleicht auch weniger in der Lage, Alternativen zu sehen. Zum Beispiel jetzt bei VW am Fließband, als Ungelernter 25 Euro pro Stunde zu bekommen, mit allen Privilegien, Werksrente etc., da sagen die Leute einem natürlich: »Wir haben sehr viel zu verlieren, wir haben null Alternativen, an diesen Lebensstandard jemals wieder anders rankommen zu können.«

Aber ja, dieser Kampf, ein Standort gegen den anderen, folgt der Logik der herrschenden Elite, »die deutsche Wirtschaft ist die Basis für euer und unser Überleben und gutes Leben«, und findet sich überall wieder – in der Schule, im Fernsehen bis hin zu Gewerkschafts­führungen…

Ja, aber gerade vor diesem Hintergrund ist mir die Trennung zwischen Bildungs- und Bewusstseinsarbeit in Groß- und Kleinbetrieben noch nicht ganz nachvollziehbar.

Ich sag‘ es mal andersrum. In Großbetrieben sind Betriebsräte mittlerweile zum großen Teil ein Bestandteil der Personalführung und des Personalmanagements. Das sehe ich in den kleinen Betrieben jetzt nicht so, wo der Unternehmer oftmals auch zum Ausdruck bringt, dass er den Betriebsrat gar nicht will. In den Großbetrieben will man Betriebsräte, aber eben mit einer spezifischen politisch-ideologischen und gewerkschaftspolitischen Ausrichtung: ein BR, der die Wettbewerbsfähigkeit »mitgestaltet«.

Der Begriff des Co-Managements ist erst Anfang der 1980iger Jahre aufgekommen. Das war die Phase, wo multinationale Konzerne und Unternehmen wie z.B. Opel/General Motors durch die Digitalisierung und die Einführung der EDV in die Lage versetzt wurden, ihre Forschung, ihre Produktion, ihren Vertrieb, alles auf globaler Ebene zu organisieren.

Das war früher so nicht möglich. Und da hat auch die Gewerkschaft gesehen, wir kommen mit nationalen tariflichen Regelungen nicht gegen das Argument an »woanders ist es nur ein Zehntel so teuer…«

Ab da erst habe ich in den IG Metall-Zeitungen lesen müssen: »Unsere Betriebsräte sind die Expert:innen vor Ort«. Die können und müssen helfen, den Standort zu sichern. Die haben Erfahrung und können dem Management sagen, wie man das macht. Co-Management erhielt da erst eine materielle und eben auch ideologisch unterfütterte Dimension – weil sich die Produktionsbedingungen geändert hatten. Diesen Prozess hat man in kleineren Betrieben und auch im Dienstleistungsbereich so nicht oder viel weniger erlebt.

Das ist nachvollziehbar. Trotzdem bleibt die Frage, wie Betriebsräte reagieren sollen, die sich in einer Situation befinden, in der Arbeitsplätze akut bedroht sind, sei es durch Ver­lagerung aus Kostengründen oder Umstellungen im Produktionsverfahren. Wie sollen die Betriebsräte denn agieren, wenn nicht in dieser Co-Management-Strategie? Da steckt ja nicht nur drin, Verzicht durchzustellen. Betriebsräte haben auch die Aufgabe, die Möglichkeiten der Mitbestimmung und ihnen in besonderem Maß zur Verfügung stehende Ressourcen dafür zu nutzen, Vorschläge für das Werk und dafür, was Beschäftigte da jetzt in Zukunft tun sollen, zu unterbreiten.

Es ist ausweglos, den Leuten zu erzählen, wir könnten »unseren Standort« gegen den Rest der Welt verteidigen. Das ist ein Scheinargument. Sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, heißt ja aus der Sicht des Managements: Lohnkonkurrenz, also: Wir können Euch halten, wenn ihr hier und da Rücksicht nehmt und Vorschläge macht. Aus gewerkschaftlicher Perspektive ist es wichtig, den Leuten zu sagen, dass wir nicht als einzelne Belegschaften aus der Scheiße rauskommen. Wir müssen uns als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter verstehen, und das heißt auch, dem Kapital gegenüber eine überbetriebliche Perspektive einzunehmen. Wir können nur eine Macht entfalten, wenn wir dem Kapital gegenüber auftreten als möglichst viele Belegschaften und möglichst viele Mitglieder. Und das müssen wir auch international vermitteln.

In unserer Verteidigungsposition gegen die wiederholten Schließungspläne damals haben wir erstmal betont, dass der Verzicht für‘n Arsch ist. Dass der uns nichts bringt. Die Leute hatten die Schnauze ohnehin voll vom Verzichten und haben sich gesagt: Wenn die uns jetzt versuchen, hier platt zu machen, dann schwören wir euch, das wird teuer. Und es wurde teuer.

2000 waren fünf Schichten bei Opel Bochum im Streik und ganz Europa stand still. 2004 waren es elf Schichten und ganz Europa stand still. Beide Male war das für Opel bzw. GM total teuer. 2004 war ich als IG Metall-Delegierter bei der Delegiertenkonferenz, wo uns der IG Metall-Bevollmächtigte erklärt hat, General Motors wollte die Polizei an die Tore holen, und wir, die IG Metall und die Landesregierung, haben das verhindert. Aber das hätte sich die Opel-Belegschaft sowieso nicht bieten lassen, durch die Polizei die Besetzung der Tore aufzugeben.

Kurzum, unsere Haltung war: Wir müssen weiterhin unser Geld verdienen, wir wollen auch hier bleiben, und dann müsst ihr eben dafür zahlen, dass wir hier bleiben können. Euch gehört die Produktion, ihr habt die Planung und den Vertrieb, da haben wir gar keinen Zugang zu. Deswegen machen wir uns eure Probleme auch nicht zu eigen und sagen »Nein« zu euren Plänen. Wir hatten natürlich die Hoffnung, dass sich andere Belegschaften vielleicht an­schließen könnten. Das war nicht der Fall. Deswegen konnte eigentlich nur rauskommen, dass wir in diesem Verteidigungskampf mit Würde aus der Auseinandersetzung herausgehen. Der entscheidende Schritt war 2004, dass die Firma ein Angebot gemacht hat mit einer Abfin­dungsregelung, die höher war, als man sich das je erhofft hatte. Damit war allerdings die Belegschaft und der Kampf gespalten. Ein großer Teil hat dann auch gesagt: »Wunderbar, besser komm ich hier nicht raus«. Entscheidend ist, dass die Leute bei einer solchen Aus­einandersetzung einen Akt der Würde erleben und einen Kompromiss, der nicht delegiert wurde an externe Verhandler und Experten, sondern einen, wo sie sagen können, ohne unseren gemeinsamen Einsatz und das, was wir hier riskiert haben, wäre ein solche Kompromiss nie zustande gekommen.

Zu Eurer Frage nach den Unterschieden zwischen Klein- und Großbetrieben kann ich vor meinem Erfahrungshintergrund nur sagen: Ich sehe, was sich in den Großbetrieben eingebür­gert hat an Expertentum, und auch, dass man alle vier Jahre Wahlkampf macht, um wiedergewählt zu werden. Wir dagegen haben unseren Wahlkampf damit gemacht, dass sie uns die Hosen runterziehen, wenn wir nicht als Belegschaft in Erscheinung treten. Wir sind in den Betriebsrat gewählt worden und haben dann etwas durchgesetzt, was betriebsverfassungs­rechtlich gar nicht vorgesehen ist: dass die Belegschaft befragt werden muss, bevor der Betriebsrat eine Abstimmung macht über ein Verhandlungspapier oder einen Kompromiss. Diese Abstimmungen von der Belegschaft einzuholen, war ein sehr langer Prozess. Am Anfang haben wir auch Abstimmungen verloren, wo die Belegschaft sich halt nicht so ver­hielt, wie wir uns das gedacht oder erhofft hatten. Wir konnten den Kolleg:innen dann aber sagen, ihr habt doch selbst so gestimmt. Vorher wurde immer gemeckert »Scheiß Betriebsrat, Scheiß Gewerkschaft«. Jetzt konnten wir darauf verweisen, dass sie mehrheitlich selbst so gestimmt hatten. Auch Anmerkungen wie »ja, aber das war ja die andere Schicht…« haben wir zurückgewiesen und gesagt, dann müsst ihr eben untereinander diskutieren, wie man sich beim nächsten Mal bei einer solchen Abstimmung verhalten soll. Die Leute haben dann zum Teil gesagt, »da muss doch aber der Betriebsrat…«, oder »wir wissen doch ganz viel nicht«. Aber auch das haben wir zurückgewiesen und gesagt, nein, wir sind uns im Betriebsrat auch nicht einig. Wir können euch das Problem beschreiben und euch unsere Position mitteilen. Dann fragt die anderen Betriebsratsmitglieder, warum sie dem Verzicht zustimmen wollen. Wenn Euer Betriebsratsvorsitzender der Meinung ist, »uns ist die Jacke näher als die Hose«, dann müssen wir Autos eben auch in der Nachtschicht produzieren. Die Mehrheit hatte das dann angenommen und auch mehr Geld dafür bekommen. Wir fanden die Tendenz in dieser Auseinandersetzung um die Einführung von Autoproduktion in der Nachtschicht Anfang der 1990er Jahre damals fürchterlich. Unsere Herangehensweise direkter Auseinandersetzung und basisdemokratischer Einbeziehung der Belegschaft hat aber am Ende dazu geführt, dass selbst bei der Schließungsdrohung 2014 rund 75 Prozent der Belegschaft mit »Nein« gestimmt haben, als das Kompromissangebot auf den Tisch kam, dass wir zwei Jahre länger in Bochum arbeiten können, wenn wir dem Abbau von weiteren 900 Leuten zustimmen. Das ging damals durch die ganze Presse … Aber das war ein langer Prozess, dass auch die Belegschaft mehrheitlich gesagt hat, wir haben die Faxen dicke, das ist Entwürdigung, das möchten wir nicht mehr mitmachen.

Dein Fazit ist also, man kann das machen, Betriebsratsarbeit, aber es ist entscheidend, ob und wie man die Belegschaften selbst mit einbezieht in die Auseinandersetzung und sie selbst zu Subjekten auch ihrer eigenen Entscheidung macht.
Ich würde gern noch mal auf ein anderes Spannungsfeld zu sprechen kommen, die Arbeitszeit. Ihr hattet als GoG viel mit den permanenten Forderungen nach Arbeits­zeitflexibilisierung und der Auseinandersetzung um entsprechende Betriebsvereinbarungen zu tun. Wenn man heute das Thema Arbeitszeitverkürzung aus der Perspektive einer basis­orientierten betrieblichen Praxis angehen würde, was würde einem da begegnen? Welche Auseinandersetzungen gäbe es mit dem Unternehmen? Und wie könnte man dieses Thema anders aufgreifen als aus der Rolle von Stellvertretern oder Experten in der Arbeits­zeitkommission des Betriebsrates?

Wir hatten bei Opel Bochum die Arbeitszeitauseinandersetzung von 1984 in den Knochen. Es ist sicher etwas schwierig, das einfach auf andere Bereiche, z.B. Maschinenbau oder Elektro­industrie zu übertragen. 1984, das war eine richtig harte Auseinandersetzung, wo wir fünf Wochen ausgesperrt waren, wo vor unserer Nase der Rohbau der Autos robotisiert wurde. Wir haben gesagt, »wunderbar, dass diese Scheißarbeit des Rohbaus mit den Schweißzangen zukünftig von den Robotern erledigt wird, und die so gewonnene Zeit müssen wir auf unsere Seite rüberholen«. Das war eine Argumentation, die von der IG Metall damals auch mit­getragen wurde. Insofern war der Kampf um Arbeitszeitverkürzung bei Opel Bochum gut und lebendig von allen getragen.

Im Rüsselsheimer Echo war 1985 dann aber schon ein Artikel darüber zu finden, dass der Bochumer Betriebsrat keine Freischichtenregelung will, nach dem Motto: Da gibt’s schon wieder Stress im Opel-Betriebsrat.

Unser Punkt war, dass wir keine Freischichten, sondern die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit wollten, und das zum Brennpunkt unserer Auseinandersetzung gemacht haben. Wir haben argumentiert, dass eine etappenweise Reduktion der Arbeitszeit auf 35 Stunden über elf Jahre die Strategie kaputtmacht, dass mit Hilfe der Arbeitszeitverkürzung die Zu­nahme von Arbeitslosigkeit zumindest gebremst werden könnte. Wir sahen uns dem Bestreben des Unternehmens und auch der Mehrheitsbetriebsräte gegenüber, die beide Frei­schichtenregelungen bevorzugt haben. Wir haben von Anfang an gesagt, dass diese Freischichten-Regelung  ein Tor zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten ist. Der Vertrag legte damals auch fest, dass die Maschinennutzungszeiten nicht gekürzt werden mussten – damit war Durchflexibilisierung angesagt, da die Arbeitszeit sich an den Laufzeiten orientieren sollte. Wir haben dann trotzdem all die Jahre lang hochgehalten, dass wir jeden Tag weniger arbeiten wollen. Das war die Forderung, die wir von Anfang an im Programm hatten. Statt acht Stunden und 30 Minuten unbezahlter Pause wollten wir acht Stunden und darin eine bezahlte Pause. Das heißt eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 7,5 Stunden. Wir haben nicht locker gelassen. 1995 hatten wir noch mal eine Abstimmung im Betrieb, als der letzte Schritt zur Arbeitszeitverkürzung kam. Da hatten wir auch mit Leuten aus Bereichen zu tun, die eher bereit waren, der Betriebsratsmehrheit und der IG Metall zu folgen, Freischichten zu nehmen. Die Leute an den Bändern im Akkordbereich dagegen haben gesagt, »ach, die Freischichten, da muss ich mich dann immer drum schlagen, ob ich da überhaupt weg kann«. Vor Ort gab es immer Auseinandersetzungen darum, wer sich schon zwei Mal montags oder freitags abge­meldet hatte – und dass die Leute mehr Rücksicht auf die Interessen der Firma nehmen müssten. Am Ende haben wir diese Abstimmung 1995 dann mit 56 Prozent knapp gewonnen, so dass der Betriebsrat nicht anders konnte, als der Unternehmensleitung zu sagen: Bei Opel Bochum wird die Arbeitszeit täglich um 30 Minuten verringert. Die Pause wird fortan bezahlt.

Ich würde mich allerdings grundsätzlich davor hüten, unsere Vorgehensweise als Muster oder Blaupause für andere vorzuschlagen.

Ich halte es im Moment vielmehr für nötig, dass Leute, die einen Begriff haben vom kapitalistischen System und die Leute in der Autoindustrie zum Beispiel unterstützen wollen, deutlich machen, dass eine Reduzierung der Maschinenlaufzeiten und eine Arbeitszeit­verkürzung für die Unternehmen sauteuer wird und dass dies deswegen einen Kampf be­deutet, der über den einzelnen Betrieb und Konzern bundesweit und möglichst auch international angepackt werden muss. Dass man die 8-Stunden-Parole von 1896 heute als eine Kampagne zum 6-Stunden-Tag global machen muss. Und dass man den Unternehmen überall zeigen muss, »ihr konfrontiert eure Leute überall mit derselben Drohung, und wir haben eine gemeinsame Antwort darauf, die heißt nämlich Arbeitszeitverkürzung«. In diese Richtung würde ich jetzt vorschlagen zu diskutieren. Um das vor Ort durchzusetzen, reicht es nicht aus, dass ein Betriebsrat mit 20 oder 30 Leuten das verhandelt.

Es gibt hier kein Muster, das für jeden Betrieb passen würde, aber ich würde unbedingt dafür plädieren, an der Arbeitszeitverkürzungsdebatte dran zu bleiben. Es ist auch wunderbar, wenn weniger Autos produziert werden, wenn weniger Rüstungsproduktion stattfindet auf der Welt. Dann können wir die Arbeit unter uns allen anders verteilen und alle kommen vielleicht zu dem 6-Stunden-Tag, den sie gerne hätten.

Man kann hier nur in diese Richtung Aufklärungsarbeit machen. Auch die Kolleg:innen im Gesprächskreis Auto zum Beispiel (gemeint ist der seit 2018 bestehende Gesprächskreis »Zukunft Auto Umwelt Mobilität« der Rosa Luxemburg Stiftung, Anm. d. Red) wirken aus meiner Sicht oft zu sehr an der Illusion mit,  dass mit alternativen Produkten Produktion und Standorte gesichert werden können – statt reinen Wein einzuschenken, auf Betriebsebene, auf Konzernebene, weltweit, und zu fragen: Wie stellt Ihr Euch das vor mit dem versprochenen Reibach? Da sagt man den Menschen, glaube ich, gerade nicht die Wahrheit.

Lass uns einen Moment noch bei der Arbeitszeitdebatte bleiben. So einleuchtend das abstrakt ist mit dem 6-Stunden-Tag weltweit: Meine Phantasie reicht nicht aus, um mir vorzustellen, wie eine Bewegung aussehen müsste, um das durchzusetzen.

Das mag sein, aber glaubst du, das war 1896 anders, als die Leute gesagt haben, wir wollen den 8-Stunden-Tag? Meinst du, das war anders, als wir gesagt haben, »Samstag gehört der Vati mir«?

Es gab immer wieder solche Forderungen, die eine Bedeutung bekommen haben als überregionale, landesweite nationale Kampagnen und auch über die einzelnen Nationen hinaus gewirkt haben.

Die linke Standardforderung in dem Bereich ist ja, die Gewerkschaft soll das zu einem über­betrieblichen Tarifthema machen.

Das finde ich unbedingt notwendig als gewerkschaftliche Forderung. Aber sie stößt natürlich dann an Grenzen, wenn die Gewerkschaft sagt, »wir müssen da ein bisschen aufpassen, dass die deutsche Automobilindustrie dadurch ihren Stand auf dem Weltmarkt nicht verliert«. Das ist die Position der IGM. Sie wird nichts machen, wo der Verband der deutschen Auto­mobilindustrie sagen wird, macht das mal, dann werdet ihr sehen, was dabei rauskommt und was ihr davon habt.

Interview (Teil I) von Kirsten Huckenbeck, Stefan Schoppengerd und Karin Zennig, erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 2-3/2022

Siehe zum Thema im LabourNet Germany:

express im Netz und Bezug unter: www.express-afp.info externer Link
Email: express-afp@online.de

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=198045
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