Globale Handelskriege einst und heute. Vor einem neuen Weltreich?

CarWars - LunaPark21 -zeitschrift zur kritik der globalen ökonomie - heft 32/ winter 2015-16Artikel von Thomas Kuczynski in LunaPark21 – zeitschrift zur kritik der globalen ökonomie externer Link – heft 32/ winter 2015-16. Wir danken dem Autor und der Redaktion!

Globalisierung setzt anscheinend voraus, dass die Erde als Globus erfahren worden ist. De jure aber wurde der erste Vertrag zur Aufteilung der (außereuropäischen) Welt schon 1494 auf Initiative von Papst Alexander VI. (1431-1503) zwischen Spanien und Portugal geschlossen, zwei Jahre nach der Entdeckung Amerikas (von Europa aus betrachtet) und 25 Jahre vor der ersten Weltumseglung durch Ferdinand Magellan (1480-1521). Aus ökonomischer Sicht war dieser Vertrag von Tordesillas in der Tat sogar der entscheidende Ausgangspunkt für Magellans Vorhaben, hatte dieser doch die Idee, auf dem Weg nach Westen die Gewürzinseln (im heutigen Indonesien gelegen) zu erreichen, um auf diese Weise den damals lukrativen Gewürzhandel der spanischen Krone zu sichern. Obgleich der Plan selbst misslang, da die Inseln im Nachfolgevertrag von Saragossa (1529) Portugal zugesprochen wurden, entstand doch ein Reich, in dem – nach einem Wort von Kaiser Karl V. (1500-1558) – „die Sonne niemals unterging“, ein Weltreich sozusagen.

Anfangs noch vornehmlich feudal geprägt, war die Herausbildung des Kolonialsystems ein wesentlicher Bestandteil dessen, was zumeist als ursprüngliche Akkumulation des Kapitals bezeichnet wird. Das Kolonialsystem bildete daher einen entscheidenden Ausgangspunkt für die Weltherrschaft des Kapitals. Insofern ist der Terminus Globalisierung zwar erst in den 1960er Jahren erfunden worden, aber er benennt einen seit Jahrhunderten andauernden Prozess. Wie Marx im Band I des Kapitals formulierte: Der ursprünglichen Akkumulation auf „dem Fuß folgt der Handelskrieg der europäischen Nationen, mit dem Erdrund als Schauplatz“ (MEW, Bd. 23, S. 779).

Im Gefolge dieses Handelskrieges, der durchaus auch mit militärischen Mitteln geführt wurde, verlor Spanien als Weltmacht mehr und mehr an Bedeutung. Sein Niedergang begann mit dem Abfall der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung, den der Dichter und Historiker Friedrich Schiller (1759-1805) in seinem Buch so instruktiv dargestellt hat, und tatsächlich avancierten die Niederlande im 17. Jahrhundert zur „kapitalistischen Musternation“ Europas (Marx). Zwar konnte Spanien bis ins 18. Jahrhundert noch den Handel mit afrikanischen Sklaven dominieren (über den Asiento de negros), aber mit dem Frieden zu Utrecht von 1713 gelangte der Asiento in britische Hand (bis 1750), und verlor danach rasch an Bedeutung.

Handelskriege gab es auch in der Epoche des Industriekapitalismus, die mit der industriellen Revolution in England ab 1760 begann, aber sie hatten nicht mehr die große Bedeutung wie in der Manufakturperiode, als das Handelskapital noch das gewerbliche dominierte. Es sei jedoch an die Kontinentalsperre erinnert, durch die der englische Handel mit dem von Napoleon beherrschten Europa in den Jahren von 1806 bis 1814 faktisch zum Erliegen kam, oder an die – bis heute aktuelle, aber historisch an die Ergebnisse des Ersten Opiumkrieges zwischen Großbritannien und China (1839-1842) anknüpfende – Feststellung im Kommunistischen Manifest über die Bourgeoisie: „Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt…“

Mit der Abschaffung der Kornzölle in Großbritannien (1846) einerseits und dem 1860 zwischen Großbritannien und Frankreich geschlossenen Cobden-Chevalier-Vertrag andererseits begann eine kurzzeitige Blüte des Freihandels, die jedoch schon im Verlauf der Großen Depression (1873-1894) zu Ende ging, als die Handelspolitik in Kontinentaleuropa wieder protektionistische Züge anzunehmen begann. Vor allem aber setzte mit dem gleichzeitigen Übergang zum Imperialismus der Kampf um die Neuaufteilung der Welt ein, der sich zwar zunächst auf die Kolonialreiche bezog, aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu militärischen Verwicklungen zwischen den europäischen Großmächten und schließlich zum Ersten Weltkrieg führte. Die anschließende „Zwischenkriegszeit“ war durch eine stark protektionistische Handelspolitik charakterisiert, die zumeist zu einer bedeutenden Verschlechterung der ohnehin durch Krisen und Depressionen gekennzeichneten Wirtschaftslage beitrug. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs war das Volumen des Weltaußenhandels auf den Stand von 1906 zurückgeworfen, der Stand der internationalen Arbeitsteilung (gemessen am Anteil des Außenhandels an der Gesamtproduktion) gar auf den Stand von 1860.

Während des Kalten Krieges fand unter den Bedingungen der Systemkonkurrenz in der westlichen Welt eine erneute Hinwendung zum Freihandel statt. Das schon 1944 beschlossene System von Bretton Woods, das den Dollar als Leitwährung etablierte, machte den Anfang, verbunden mit Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und schließlich, als „Ersatz“ für die nicht zustande gekommene Internationale Handelsorganisation, das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT). Das System von Bretton Woods brach zwar schon 1973 zusammen, aber die hochaggressive Politik des Freihandels, insbesondere gegenüber der „Dritten Welt“, wurde fortgesetzt, auch durch die Bildung von Freihandelszonen wie EFTA und EG in Europa, ASEAN in Asien usw.

Mit dem Ende des Kalten Krieges und der 1995 erfolgten Gründung der Welthandelsorganisation WTO schien der Sieg des Freihandels endgültig gesichert. Aber der Schein trog. Insbesondere die Anstrengungen des US-Monopolkapitals, im Welthandel gegenüber seinen Konkurrenten verlorenes Terrain wiederzugewinnen, zeugen von einem erneuerten Handelskrieg. In ihm geht es vor allem darum, die Auseinandersetzungen um neue Absatzmärkte dem Einfluss souveräner Nationalstaaten zu entziehen und sie privaten, also vom Monopolkapital beherrschten Schiedsgerichten zu übertragen.

Beispielhaft hierfür sind die Transpazifische Partnerschaft (TPP) und die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), die zugleich eine sehr klare politische Ausrichtung haben, indem die eine China und die andere Russland ausschließt, beides Staaten, deren Politik nicht so einfach den Interessen des US-Monopolkapitals untergeordnet werden kann. Als Hillary Clinton, die frühere Außenministerin und jetzige Präsidentschaftskandidatin, meinte, TTIP müsse eine ökonomische NATO sein, hat sie die Zielrichtung vollkommen klar definiert, was insbesondere dann deutlich wird, wenn man berücksichtigt, dass laut Artikel 6 des NATO-Vertrags jeder militärische Angriff auf transatlantisches Gebiet nördlich des Wendekreises des Krebses als Bündnisfall einzuordnen ist, woraus analog folgt: Jeder ökonomische Angriff auf transatlantisches Gebiet, präziser: auf den Einflussbereich des US-Monopolkapitals, nördlich des Wendekreises des Krebses ist im Sinne des TTIP zurückzuschlagen. Nach „9/11“ hatten die USA ihre NATO-Partner mit Hilfe der Artikel 5 und 6 militärisch an die Kandare bekommen, nun sollen sie auch ökonomisch an die Kandare genommen werden. Und auch wenn das asiatische Pendant zur NATO, die SEATO, infolge des von den USA verlorenen Vietnam-Krieges 1977 aufgelöst wurde, so hat TPP dieselbe Ausrichtung.

Obwohl die Vertreter der US-Administration gern von sich behaupten, sie seien die Repräsentanten der einzig verbliebenen Supermacht, wissen sie sehr genau, dass Russland und China sich keineswegs ihrem Diktat unterordnen werden und dass sie deshalb isoliert werden müssen. Dies ist die entscheidende politische Stoßrichtung der sogenannten Partnerschaften TPP und TTIP. Das drohende Welthandelsreich der USA wird also einige „Lücken“ haben, und deshalb ist der globale Handelskrieg nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Es steht zu hoffen, dass der in Westeuropa vorhandene und stärker werdende Widerstand gegen TTIP den Einsatz dieses Instruments verhindert.

Thomas Kuczynski lebt und arbeitet in Berlin. Sein Beitrag zur „Geschichte und Ökonomie“ erscheint regelmäßig seit H. 1 von Lunapark21.

Zu den Daten vgl. Jürgen Kuczynski: Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Bd. 37, Berlin 1967, S. 78-80.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=90711
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