Der Bruch in Europa in der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 2015 durch die manifest gewordene Hegemonie Deutschlands mit der Forderung nach einem Grexit

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 28.7.2015

Ein Vorspiel zum 12./13. Juli 2015: Warum Wissenschaftler manchmal Aktivisten sein müssen

Heiner Flassbeck erwidert der „Süddeutschen“: Warum Wissenschaftler manchmal Aktivisten sein müssen. (http://www.sueddeutsche.de/kultur/krise-in-der-eurozone-warum-wissenschaftler-manchmal-aktivisten-sein-muessen-1.2567017?reduced=true externer Link) Heiner Flassbeck erklärt: Das Argument von Adrian Kreye gegen diese fünf Ökonomen bezogen auf ihren offenen Brief an die Bundeskanzlerin Merkel zur gescheiterten Austeritätspolitik sei einfach, aber grundlegend falsch: Richtig ist, dass Wissenschaft die Wirklichkeit erforscht, während Politik sie gestaltet. Doch – und hier liegt das Missverständnis – kann die Politik die Wirklichkeit nur basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen gestalten. Schlägt die Politik, aus welchen Gründen auch immer, die Ergebnisse wissenschaftlicher Erkenntnis in den Wind, ist es die vornehmeste Aufgabe der Wissenschaft vor eine solchen Politik zu warnen und eine Rückkehr zu einer vernunft- und erkenntnisorientierten Poltik einzufordern.

Darum geht es genau in der Eurokrise. In der Weltwirtschaftskrise der 30-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts machte der von der Politik gelenkte Staat einen fatalen Fehler: In einer Situation wo alle übrigen Sektoren einer Volkswirtschaft versuchen weniger auszugeben, als sie einnehmen, macht der Staat eben einen fatalen Fehler ebenfalls eigene Sparversuche durchzuführen (Stichwort Heinrich Brüning) (Anmerkung: Das Ergebnis war bekanntlich Hitler!)

Eine solche Austeritätspolitik kann aber nicht gelingen, weil die Gesamtwirtschaft logischerweise immer die Ausgaben eines Sektors die Einnahmen eines anderen sind. Versuchen alle Sektoren zu sparen, muss das Einkommen der Volkswirtschaft sinken, weil die Ersparnisse nicht mehr sinnvoll verwendet werden können – und im Zuge der Rezession dann vernichtet werden.

Es fehlt der deutschen „Lehre“ von der Ökonomie sowohl die Empirie (empirieresistent) als auch der Blick auf die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge (Keynes „ausgetrieben“)

Zentrales empirisches Indiz dafür, dass die entwickelten Volkswirtschaften heute in einer solchen Lage sind, sind ein Zins von null und eine allgemeine deflationäre Tendenz.

Die Aufgabe der Wissenschaft ist es nun in dieser Situation, die Politik darauf hinzuweisen, dass ihre Politik nicht erfolgreich sein kann. Man kann staatlich Schulden nicht reduzieren, wenn im Rest der Volkswirtschaft – inklusive des Rests der Welt – kein anderer Sektor bereit ist sich zu verschulden.

Solche gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge werden jedoch bewusst ignoriert, als „Keynesianisch“ gebrandmarkt und damit aus dem politischen Gestaltungsarsenal verbannt.

Dieses ideologische Vorgehen der Politik, also die Verbannung von Erkenntnissen – über die ökonomische Realität aus rein ideologischen Gründen – muss die Wissenschaft – soweit sie zu diesen klaren Erkenntnis kommt – kritisieren, will sie ihre ureigenste Aufgabe von Wissenschaft wahrnehmen, nämlich mit der Erforschung der Wirklichkeit die Möglichkeit zu schaffen, Politik auf einer rationalen Grundlage zu betreiben.

Vielleicht zur „Vertiefung“ noch dieses jetzt so kritisch gesehenen Piketty-Brief-„Ereignisses“ an die deutsche Bundeskanzlerin: „Die Austerität hat versagt. Offener Brief von Piketty an Merkel“ (https://www.labournet.de/?p=83191). Die Süddeutsche hat nun zu dieser Frage um diesen Brief ein offenes Forum eingerichtet zur allgemeinen Diskussion dieses ökonomischen Problems. (http://www.sueddeutsche.de/kultur/ihr-forum-offener-brief-an-merkel-was-darf-die-wissenschaft-1.2568186 externer Link)

Die in Deutschland stark „ideologiesierte“ ökonomische Lehre – und doch zum – relativen – nationalen Nutzen für Deutschland

Dabei wurde über Thomas Fricke schon eine allgemeine Untersuchung angeleiert, inwieweit heute die deutschen Ökonomen noch diese stark ideologiebasierten Vorgaben der ökonomischen Lehre glauben. (vgl. den letzten Absatz auf der vorletzten Seite bei https://www.labournet.de/?p=82488: „….. noch vor dem Hintergrund „schwankender“ Erkenntnisse über die Ökonomie selbst“ (= bei Thomas Fricke die Abschnitte zu „Ökonomen-Untersuchung“)

So hat die Finanzkrise die Welt der Ökonomen durcheinandergebracht. Vieles, was früher in der Theorie galt, wird – durch die Krisenentwicklung – in Frage gestellt – nur nicht in den entscheidenden politischen Spitzen. Aktuell zu Griechenland resümiert das Heiner Flassbeck dann folgendermaßen (http://www.flassbeck-economics.de/was-ist-geschehen/ externer Link)

Und wie falsch das Dogma bezüglich des Spardiktats zur Erholung der Wirtschaft immer wieder von neuem ist, das belegen die aktuellen Zahlen zu Griechenland, wo derzeit die Schulden nur weiter explodieren – ins Unermessliche. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/schuldenkrise-griechenlands-finanzbedarf-explodiert-1.2567206?reduced=true externer Link)

Das neoliberale Dogma „der Schuldner ist Schuld“ wird so laufend in der Praxis vor die Wand gefahren, ohne dass sein Scheitern allgemein anerkannt wird. – Oder kann es am Ende einen Wettlauf geben von den Untergangsfanatikern a la Schäuble & Co. mit dem Grexit usw. und der Suche nach einem Ausweg aus dieser Schuldenkrise?

Jedoch mit Blick auf Europa ist die deutsche – europaweit dominierende – Politik ein Desaster für das gesamte Europa – die „Lösung“ der Eurokrise bestand mehr aus der Absicht zu bestrafen als in der Suche nach vernünftigen ökonomischen Lösungen – z.B. für Griechenland

Während Flassbeck einen medialen Diskurs über das altbekannte Printmedium Zeitung anvisiert, ist der Entrüstungssturm – gerade auch am Beispiel Griechenlands – auf dem Weg über die „Sozialen Medien“ (vor allem Twitter) losgebrochen. (vgl. den Abschnitt“ Der Verrat an Europa durch eine „brutalst mögliche Abstrafung“ wird noch deutlicher im Netz ausgedrückt.“ (siehe #hashtag ThisIsaCoup)“ auf der Seite 5 bei https://www.labournet.de/?p=83452) – gerade auch mit dem amerikanischen Ökonomen Jeffrey Sachs als wesentliche ökonomische Kompetenz. Und im Samstagsessay der Süddeutschen am 18. Juli 2015 hat Jeffrey Sachs diese Entrüstung über die deutsche Krisenpolitik noch unter der Überschrift „Eine Bitte an Deutschland“ zusammenfassen können: (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/jeffrey-sachs-zur-griechneland-krise-deutschland-ist-fuer-die-misere-mitverantwortlich-1.2570563 externer Link) Dort führt er aus: Die Politik der von Deutschland geführten EU-Partner war unprofessionell und unklug, geprägt von Vorurteilen und zunehmend auch von dem Bedürfnis Athen zu bestrafen. (siehe dazu auch noch einmal „… Geht es noch um das Ringen nach vernünftigen ökonomischen Lösungen – oder nur um brutalst mögliche Abstrafung der Griechen?“ bei https://www.labournet.de/?p=83452)

Die Lösung der Probleme stand nie im Mittelpunkt… (fährt Jeffrey Sachs fort) Das Resultat ist ein massiver Produktionsrückgang, ein massiver Anstieg der Arbeitslosigkeit, ein masssiver Rückgang bei Bankkrediten und der Zusammenbruch des Exports…

In der Konsequenz erlebt Griechenland eine Depression, die vergleichbar ist mit der in Deutschland während der Regierung des Reichskanzlers Brüning von 1930 bis 1932 durch Sparen verursachten schweren Krise… Wenn die Gläubiger überziehen (den Schuldner in den Abgrund treiben), dann zerbricht im verschuldeten Staat die Gesellschaft. Im Deutschland der Zwischenkriegszeit hat dies Adolf Hitler an die Macht gebracht… Aus meinen langjährigen Erfahrungen habe ich gelernt: Um eine tiefe Wirtschaftskrise zu bewältigen muss der Kreditgeber klug reagieren. Aber: Deutschland hat es leider versäumt die klugen Fragen zu stellen. Realität ist es, dass die Gläubiger die Krise nie genau studiert haben…

Dabei gibt es durchaus historische Beispiele, wie Gläubiger weise mit dem Schuldner umgehen können: In den 1940-er und 1950-er Jahren waren die USA – als Gläubiger – sehr weise, sie haben Deutschland mit dem Marshall-Plan geholfen und 1953 (Londoner Schuldenkonferenz) die Schulden teilweise erlassen, meint Jeffrey Sachs noch.

Diese klugen Fragen haben jetzt ein paar ökonomische Kenner der Griechenlandkrise gestellt und beantwortet. (Siehe „Fakten über Griechenland, die Sie unbedingt kennen müssen“: https://www.youtube.com/watch?v=mi8RmbPAX6s&feature=youtu.be&rel=0 externer Link) Dies hat das Institut Solidarische Moderne zu einer Erklärung veranlasst: „Europa wird niemals mehr das Gleiche sein“ („Europe will never be the same again #thisisacoup“) (http://www.solidarische-moderne.de/de/article/450.europe-will-never-be-the-same-again-thisisacoup.html externer Link)

Stefan Lessenich führt dies in der Süddeutschen noch weiter aus: Mit dem „System Schäuble“ erleben wir die innere Kolonialisierung Europas: (http://www.sueddeutsche.de/kultur/zorneines-soziologen-mexikaner-europas-1.2582666 externer Link)

Vor bald 20 Jahren hat Pierre Bourdieu das „Modell Tietmeyer“ gegeißelt. Der Anlass war ein Interview Tietmeyers – des damaligen deutschen Bundesbankpräsidenten und damit des „Hohenpriesters der D-Mark“ – in der Zeitung „Le Monde“ gewesen, in dem dieser – damals shon – die ganze neoliberale Diskurswelt zum Besten gab.

So wird Europa nie mehr das Gleiche sein – nach dieser Brüsseler Nacht vom 12. auf den 13. Juli 2015 – dank Deutschlands durch die mit der Grexit-Drohung manifest gewordene Dominanz

Der Deal von Brüssel in der Nacht zum 13. Juli war für Griechenland nur eine Falle – denn Griechenland hatte keine Chance und soll scheitern. (http://www.nachdenkseiten.de/?p=26848#h03 externer Link, siehe weiter die Ziffern bis…#h08)

Dabei war der eigentliche „Störer“ und die wesentliche Ursache für die „Schulden-Krise“ der Eurozone Deutschland, das mit einem Leistungsbilanz-Überschuss von 7,5 Prozent die ökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone mit der Folge dieser Schulden geschaffen hatte. (Siehe Münchau in der Ziff. 4 b bei http://www.nachdenkseiten.de/?p=26868#h04 externer Link)

Warum sollte denn Deutschland diese privilegierte Stellung mit den Leistungsbilanz-Überschüssen – schön zu seinem Vorteil- auch aufgeben und zu einem -gemeinsamen – Management der Leistungsbilanzen, wie sie Keynes in Bretton Woods 1944 geraten hatte, übergehen? Und Deutschland hatte an dieser Schuldenkrise kräftig noch verdient. (http://www.nachdenkseiten.de/?p=26831#h04 externer Link) – und das sollte doch wohl – bitteschön – für Deutschland zum Schaden der „Anderen“ auch so bleiben.

  • Frank Hoffer von der ILO fragt denn auch im Hinblick auf die Annahme des Hilfspakets in Griechenland: Ein Schrecken ohne Grexit oder ein Schrexit? (http://www.gegenblende.de/-/iPw externer Link)
  • Ein Kollege, der in diesen Sachen engagiert ist und in den USA unterwegs, schreibt daher, ich bin froh, dass ich als Deutscher z.Zt. nicht in Europa unterwegs bin.

Der historische Bruch in der deutschen Europapolitik von einem europäischen Deutschland zu einem deutschen Europa – die spezifisch deutsche Form der „Renationalisierung im europäischen Gewande“.

Zum ersten Mal wollte Deutschland nicht mehr Europa, sondern weniger – und das hieß im Klartext: Die Verwandlung der Eurozone von einem europäischen Projekt quasi in eine deutsche Einflusszone. Man könnte sagen, dies ist die spezifisch deutsche Form der „Renationalisierung im europäischen Gewande“.

Prompt drohte in jener Nacht ein schwerer Konflikt mit Frankreich und Italien. Die Kanzlerin musste sich zwischen ihrem Finanzminister – der der heftige Protagonist eines Grexit ist – und Frankreich entscheiden. (was sie in den Augen der deutschen Nationalisten zur unsicheren Kantonisten werden ließ – und Schäuble zum beliebtesten Minister in Deutschland machte…)

Nur – fährt Fischer fort – dieser Konflikt ist damit noch überhaupt nicht ausgeräumt, denn für Schäuble ist der Grexit nicht vom Tisch – und wirft die Grundsatzfrage nach dem Verhältnis des lateinischen Südens und dem Norden Europas in einer Schärfe auf, welche die Eurozone überfordern muss.

Der Kern der Kritik an Deutschland artikuliert das feine Gespür für jenen historischen Bruch in der deutschen Europa-Politik von einem europäischen Deutschland zu einem deutschen Europa, der in Brüssel in jener Nacht auf den 13. Juli stattgefunden hat.

Diesem Anliegen auf die Besinnung auf die verlorengegangene Gemeinsamkeit in Europa – durch Renationalisierung (im eigenen Interesse!) – stellt sich der Philosph Jürgen Habermas an die Seite, indem er im „Guardian“ die rationalen Gründe für die missmutigen Reaktionen außerhalb Deutschlands sucht:

„Die deutsche Regierung hat mit der Grexit-Drohung zum ersten Mal den Anspruch auf Hegemonie in Europa manifestiert – so wird es auf jeden Fall im Rest von Europa wahrgenommen – und das ist es, was zählt. Ich fürchte, dass diese Bundesregierung, inklusive ihrer sozialdemokratischen Mitglieder, in einer einzigen Nacht das politische Kapital verspielt hat, das ein besseres Deutschland in einem halben Jahrhundert erworben hatte – und mit „besser“ meine ich ein Deutschland, das charakterisiert ist, durch größere politische Sensibilität und einen post-nationalistischen Geist.“ (vgl. http://www.theguardian.com/commentisfree/2015/jul/16/jurgen-habermas-eu-greece-debt-deal externer Link – und siehe weiter auch „Germanen in Sandalen – Das Bild vom hässlichen Deutschen kehrt zurück“: http://www.fr-online.de/fuer-sie-gelesen/fuer-sie-gelesen-germanen-in-sandalen,29976324,31313818.html externer Link – oder auch noch die Ziff. 1 c bei http://www.nachdenkseiten.de/?p=26831#h01 externer Link)

Was hilft es, wenn der Antreiber für eine Grexit-Politik gegenüber Griechenland und Lieblingsminister der Deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble geht?

Ulrike Herrmann bringt es – mit dem Rechenstift – auf den Punkt: Der Rücktritt, mit dem der Finanzminister drohte, ist tatsächlich eine gute Idee, denn Schäuble kostet Milliarden! Schäuble ist nämlich – bei aller „schönen“ Dominanz gegenüber Griechenland – teuer für die Deutschen. Der Finanzminister inszeniert sich zwar als besserwisserischer Sparfuchs – aber tatsächlich treibt er die Kosten für die Eurozone permanenet in die Höhe… Schäuble hat so schon einen Schaden von vielen Milliarden angerichtet. (erg.: und unter dem Strich nur Elend erzeugt)(http://www.taz.de/!5213917/ externer Link)

Und wie gleich zu vermuten ist, bleibt dieser Vorschlag zu des Deutschen Lieblingsminister`s Rücktrittsdrohung nicht unkommentiert. (http://www.nachdenkseiten.de/?p=26868#h05 externer Link)

Aber immerhin wurde im Netz von „Change.org“ dieses Rücktritts-Ansinnen aufgegriffen: Wolfgang Schäuble, treten Sie zurück! Sie verspielen die Zukunft Europas. (Ker kürzeste Link zu „Change.org“ geht über http://www.nachdenkseiten.de/?p=26812#h21 externer Link)

Mal schauen, ob die Deutschen den Schwachsinn des Spardiktats mit weiterer Verelendung in Griechenland bemerken, wenn sie merken, dass dies für ihren Steuerzahler-Geldbeutel nur immer teurer wird – bei allem schönen – eher sadistisch grundierten – Gefühl der unsäglichen Dominanz, es den Griechen doch so „schön“ einmal gezeigt zu haben.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=84385
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