Protestierende Sexarbeiterinnen ausgesperrt – Arbeitskampf bei einem großen deutschsprachigen Portal für sexuelle Dienstleistungen

Beitrag von einigen protestierenden Sexarbeiterinnen vom 04. August 2014
Kontakt über s.protest@web.de

Bei einem der größten deutschsprachigen Portale für sexuelle Dienstleistungen entwickelt sich eine Art Arbeitskampf. Von einem Arbeitskampf – wenn auch sicherlich keinem „klassischen“ – kann insofern gesprochen werden, als der Portalbetreiber und die Sexarbeiterinnen ökonomisch nicht in einem Boot sitzen (so ist der Seitenbetreiber bspw. nicht am – über das Portal generierten – Umsatz der Sexarbeiterinnen beteiligt).

Vielmehr ist das Portal für die Sexarbeiterinnen eine reine Werbeplattform, die sie mit Standard-Accounts kostenlos und mit Premium-Accounts kostenpflichtig nutzen können. (Der Betreiber seinerseits finanziert sich einerseits durch Werbung und andererseits durch Premium-Accounts, die sowohl von Sexarbeiterinnen als auch deren potentiellen Kund_innen gebucht werden können.)

Der aktuelle Konflikt zwischen den Sexarbeiterinnen und dem Seitenbetreiber hat sich dadurch entwickelt, dass die Sexarbeiterinnen in ihren Profilen Telefonnummern angeben können (aber nicht müssen) und diese Telefonnummern bisher für alle Interessent_innen / potentiellen Kund_innen [1] sichtbar waren. Seit Kurzem müssen die Interessent_innen nun aber erst auf einen Button „Nummer anzeigen“ klicken. Dies soll erschweren, dass die Telefonnummern mittels so genannter Skripte [2] – anscheinend von Telefonmarketing-Firmen – ausgelesen werden. Soweit ist die neu eingeführte Regelung vermutlich nicht weiter problematisch für die Sexarbeiterinnen – allerdings wurde mit dem „Nummer anzeigen“-Button zugleich eine weitere Neuerung eingeführt.

Kund_innen-Gewinnung per Telefon deutlich erschwert

  • Nun bekommen nicht-angemeldete Besucher_innen der Webseite nur noch die Telefonnummer einer Sexarbeiterin pro Tag angezeigt (kontrolliert/‚berechnet’ wird dies wahrscheinlich anhand der jeweiligen IP-Nummer des benutzen Computers; also: 1 IP-Nummer = [vermeintlich] 1 Besucher_in);
  •  angemeldete Besucher_innen der Webseite, die eine kostenlose Standard-Mitgliedschaft haben, bekommen drei unterschiedliche Telefonnummern pro Tag angezeigt;
  •  und auch kostenpflichtige Premium-Mitglieder bekommen nur noch von 15 Anbieterinnen-Nummern/Tag angezeigt [3].

Dies hat nun sowohl viele Sexarbeiterinnen (insb. die, die überwiegend per Telefon und nicht mehr Mail/Privatnachricht in dem Portal Kunden gewinnen) als auch deren potentielle Kund_innen verärgert. Denn – wie schon gesagt: Bisher konnte jede_r Besucher_in der Seite alle Telefonnummern, die von den Sexarbeiterinnen in ihren Profilen angegeben werden, lesen und zur Kontaktaufnahme nutzen.

Die Kund_innen-Perspektive: Gleicher Preis – weniger Leistung des Portals

Verärgert sind begreiflicherweise die Premium-Kunden, die Geld für ihre Mitgliedschaft zahlen und nun aber nur noch ein begrenztes Nummernkontingent angezeigt bekommen.

Die Sexarbeiterinnen-Perspektive: Weniger Kontaktmöglichkeiten = weniger Kund_innen

Aber auch viele der Sexarbeiterinnen sind empört – so schreibt eine in einem Blog-Kommentar: „Seit dem dieser Scheiß läuft hab ich keinen Einzigen Auftrag mehr bekommen, mein Telefon steht absolut still. Wenn meine Telefonnummer nicht mehr ständig und für Alle sichtbar ist, ist mein Profil bei KM SINNLOS“ [4].

Eine andere Anbieterin klagt: „ich merke schon jetzt das ich extremen Umsatzausfall habe, weil Niemand mehr anruft. SO GEHT DAS NICHT!!!!“ [5].

Protest formiert sich

Als Reaktion auf die Einführung des Telefon-Buttons und des Nummernkontingents haben nun einige Sexarbeiterinnen (aus Solidarität auch solche, die selbst gar nicht per Telefon, sondern nur per Mail/Privatnachricht akquirieren) begonnen, ihre Telefonnummer zusätzlich zu dem dafür vorgesehenen Profil-Feld an anderen Stellen in ihrem Profil anzugeben, was aber nach den Regeln des Portals verboten ist.

Als Reaktion darauf hat der Portal-Betreiber nun die Profile der ersten protestierenden Sexarbeiterinnen „versteckt“. „Versteckt“ bedeutet, dass die Profile zwar noch – bei Kenntnis der URL direkt angesteuert und gelesen werden können. Aber bspw. bei den Ergebnissen von Suchanfragen der Kund_innen werden die versteckten Profile nicht mehr berücksichtigt. [6]

Auch haben die Sexarbeiterinnen die Möglichkeit Blog-Artikel zu schreiben (und wechselseitig zu kommentieren; auch die Kund_innen dürfen kommentieren, aber keine Artikel schreiben). Die Blog-Artikel der Autorinnen, deren Profile versteckt wurden, werden in der Liste aller Blog-Artikel nun nicht mehr angezeigt; auch deren Kommentare unter Blog-Artikeln von anderen Autorinnen sind nicht mehr lesbar. Auch deren sog. „Events“ und „Tour“-Daten (= Möglichkeiten für die Sexarbeiterinnen, auf besondere Angebote/Aktionen und wechselnde Aufenthaltsorte aufmerksam zu machen) werden nun nicht mehr angezeigt.

Würde zwischen dem Portal-Betreiber und den Sexarbeiterinnen, deren Profile versteckt wurden, ein klassisches Lohnarbeits-Verhältnisse bestehen, müsste von Aussperrung gesprochen werden. – Es dürfte spannend sein, zu beobachten, wie sich der Konflikt weiterentwickelt.


[1] Auf der Seite können sich Frauen und Transsexuelle als „Escort“ registrieren sowie Frau, Männer und Transsexuelle als „Kunde“. Bei den allermeisten „Kunden“-Profilen ist als Geschlecht „männlich“ angegeben. Einige der „Kunden“-Profile mit der Geschlechtsangabe „weiblich“ erweisen sich bei näherer Lektüre als (heterosexuelle) Paar-Profile. Fake-Profil dürfte es auch je Menge geben; einige Profile mit der Geschlechtsangabe „weiblich“ scheinen aber auch authentisch zu sein.

[2] In den FAQ des Anbieters heißt es dazu: „Erst, wenn der Button angeklickt wird, öffnet sich eine Box mit der Telefonnummer. Dies macht es z. B. für externe Scripte viel schwieriger, sensible Profildaten wie die Telefonnummer zu klauen und zu mißbrauchen.“ (http://servicecenter.de/index.php?kaufmich/Knowledgebase/Article/View/907/88/warum-kann-ich-die-telefonnummern-der-escorts-nicht-mehr-sehenexterner Link )

„Skriptsprachen (häufig auch Scriptsprachen) sind Programmiersprachen, die vor allem für kleine, überschaubare Programme gedacht sind. […]. Programme, die in Skriptsprachen geschrieben sind, werden auch Skripte oder Scripts genannt, während in der Betriebssystemumgebung von Microsoft meistens die Bezeichnung Makro verwendet wird.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Skriptsprache externer Link)

[3] So der Produktmanager des Portals in einem Kommentar vom 29.07.2014 um 11:48 h zu dem Blog-Beitrag einer Sexarbeiterin externer Link

[4] Ebd. am 9.07.2014 um 12:00 h.

[5] Ebd., am 28.07.2014 um 14:05 h.

[6] Sucht als bspw. ein Kunde_in nach Sexarbeiterinnen aus Bremen, so bekommt er nur die Profile der Bremerinnen angezeigt, deren Profile nicht versteckt wurden.

Anmerkung:

Bei diesem Artikel handelt es sich um die am Anfang ergänzte und im Übrigen um Tippfehler und ähnliches bereinigte Fassung eines Textes, den Kollegin Nylon_enscasement zuerst in ihrem Blog bei Kaufmich.com veröffentlichte externer Link

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=62933
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