Die Privatsphäre ist ein fundamentales Freiheitsrecht. Ein beginnender Diskurs über die digitale Revolution, die die bisherige Gesellschaft zerstört – Edward Snowden basiert

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 23.7.2014Whistleblower Snowden unterstützen

Edward Snowden hat durch seine NSA-Aufklärung den Grundstein für einen tiefergreifenden Diskurs über unsere zukünftige Gesellschaft angestoßen. Ausgangspunkt ist sein Satz: “Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, die so etwas macht” (http://forum.spiegel.de/showthread.php?t=126492 externer Link).

Wegen dieses Aufklärungsschubs für die westlichen Gesellschaften durch Snowden sprach Heribert Prantl in einer Philippika gegen diese freiheitzerstörenden Absichten der Staaten gar von einem “Pfingstwunder” der Erleuchtung (http://www.nexxgo.de/edward-snowdens-pfingstwunder/ externer Link).

Und wie Snowden sich getraut hat gegen die Überwachungslogik anzutreten, hat er versucht folgendermaßen deutlich zu machen: “Wer überwacht wird, verhält sich konform. Das ist die eigentliche Gefahr der Massenüberwachung. Sie erzieht zur Konformität. Sie kultiviert vorauseilenden Gehorsam. Sie züchtet Selbstzensur. Diese Dynamik der Selbstzensur entwickelt sich unabhängig davon, ob wirklich konkret im Einzelfall überwacht wird. Damit schwindet die Gewissheit, dass man in Ruhe und Frieden gelassen wird. Und damit verschwindet die Privatheit – und mit ihr schwindet die Unbefangenheit. Der Verlust der Unbefangenheit ist eine Form der Gefangenschaft; sie ist ein Verlust der Freiheit. Die Überwachungsmacht veranlasst die Menschen, sich selbst – aus Angst – in Gefangenschaft zu nehmen. Glenn Greenwald zitiert in seinem Buch über den Fall Snowden das Urteil von Louis Brandeis, Richter am Obersten US-Gerichtshof aus dem Jahr 1928. “Das Recht in Ruhe gelassen zu werden, ist das umfassendste aller Rechte und dasjenige, dem ein freies Volk den größten Wert beimisst.” Weil Snowden dieses Recht verteidigt hat, hat ihn die US-Staatsmacht zur Ruhelosigkeit verdammt.

Da Prantls Text sich noch hinter einem Firewall verbirgt, kann hier einfach noch auf eine weitere Erörterung verwiesen werden: (http://www.heise.de/newsticker/meldung/Was-war-Was-wird-2217790.html externer Link)

Aber in eine ähnliche Richtung argumentiert dann auch jetzt Arno Widmann ( ein Vortrag in einer Evang. Akademie) in der Frankfurter Rundschau vom 22. Juli 2014: “Die letzte Chance – Die digitale Revolution zerstört die Gesellschaft und den Einzelnen. Ist das schlimm? Nein! Wir müssen uns nur neu orientieren. Nicht um etwas zu retten, sondern um etwas Neues zu schaffen.” (http://www.fr-online.de/kultur/digitale-revolution-die-letzte-chance,1472786,27912050.html externer Link)

Und im Ganzen gesehen will Widmann in dieser Entwicklung nicht allein Schlechtes sehen, denn er will nicht den Untergang “unserer Welt” für den Untergang der Welt überhaupt halten – denn in unserer Welt ging es bisher um die richtige Belehrung. Es geht um Meinungshoheit. Und diese wird durch die digitale Revolution gefährdet. Und so baut das Internet unsere Gesellschaft um. Es ist nämlich keiner mehr da, der ein Monopol hätte uns “Mores” zu lehren.

Während Widmann aber diese Seite sozusagen noch auf der “Haben-Seite” dieser Entwicklung verbuchen könnte, so sieht er die viel größere Gefahr in dem Wissen, das wir dem Netz geben. Und hier geht es um die Macht – auch über uns. Irgendwo fand Widmann den Satz: Niemals habe es in der Weltgeschichte eine größere Anarchie gegeben als heute im Netz. Aber jeder der Erfahrung mit herrschaftsfreien Strukturen hat, weiß: Das ist der Nährboden der Tyrannei. Wo es keine Gesetze gibt bestimmt der Stärkste, wo es langgeht.

Aber bisher wird weder in den Medien noch in der Politik darüber gestritten, wie wir das Internet verrechtlichen können – zum Schutze des Einzelnen, der in dieser Entwicklung einfach zum Verschwinden gebracht werden wird. Die Hoffnung wäre, dass die Politik dazwischen fährt zum Schutze der Privatsphäre und des Einzelnen

Vergebliche Hoffnung auf die Politik: sie zeigt bisher das stärkste Interesse an der Beschneidung der Rechte des Einzelnen.

Dieses Interesse an der Beschneidung der Rechte des Einzelnen manifestierte sich bei uns als Kampf zwischen ihm und dem Staat. Man denke nur an den Unsinn der von CDU und SPD so freudig geforderten Vorratsdatenspeicherung. Big Data schafft Überblick und Einblick bis ins Intimste – und so sehen wir wie fragil unser Recht auf “informationelle Selbstbestimmung” ist. – Das wurde nach damals heftiger Diskussion in dem sogenannten “Volkszählungsurteil” vom Bundesverfassungsgericht “geschöpft”.

Deshalb fordert Widmann – entsprechend dem Aufklärungsgebot aus dem Jahr 1784: “Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit” (Kant) – wieder den Mut aufzubringen, diese Internet-Zukunft zu gestalten.

Völkerrechtlich gibt es diesen Schutz des Rechtes auf Privatheit schon

Als unser Justizminister Maas kürzlich ein Völkerrecht des Netzes forderte – gemäß dem Koalitionsvertrag, wiedersprach ihm vehement der Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano. Es gibt nämlich dieses Internet-Völkerrecht schon, denn es ergibt sich aus dem UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte (“UN-Zivilpakt”) (http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2014%2F07%2F14%2Fa0086&cHash=8dea00b2394003a26385b57dda284da8 externer Link)

Die USA und Deutschland haben sich diesem völkerrechtlichen Pakt unterworfen. Er verbietet in seinem Artikel 17 unverhältnismäßige Eingriffe in das Recht auf Privatheit. Und wie wir seit den Enthüllungen von Snowden wissen kann von einem wirksamen Schutz der Kommunikationsstrukturen keine Rede sein.

So könnte – schon jetzt – die Bundesregierung ohne weitere internationalen Vereinbarungen vor dem Internationalen Gerichtshof gegen die NSA-Ausspähung durch die USA klagen. – Nur wo es keinen Kläger gibt, wird es auch kein Recht geben.

Privatsphäre als Menschenrecht

Nicht nur völkerrechtlich ihm zur Seite springt der Jurist und scheidende Bundesdatenschutz-Beauftragte Peter Schaar und folgert aus der Affäre um Edward Snowden die Kontrolle der Macht, indem er ihr die Privatsphäre als Menschenrecht gegenüberstellt. (https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2014/juli/privatsphaere-als-menschenrecht externer Link)

Edward Snowden kommt das Verdienst zu, wie seit dem 11. September unsere Freiheit systematisch eingeschränkt wurde – und jetzt müssen wir einen Weg suchen aus dieser Welt, wo die Sicherheit alle Freiheiten opfert, wieder rauskommen können.

Neue Weltsprache: Bedeutung von Algorithmen

Wie sich das dann schon in der “Sprache” der Computer ausdrückt – und damit die dringende Notwendigkeit einer Regelung direkt dringend macht, beschreibt Andrian Kreye in der Süddeutschen: Algorithmen sind auch ein großes Geheimnis. Aber nur selten geschieht es, dass Experten wie der Hacker Jacob Appelbaum den Quelltext aus einer großen Organisation wie der NSA einsehen können, wo er neulich aus deren Algorithmen herauslas, dass schon jeder verdächtig ist, der versucht sich im Netz zu schützen.

Der Algorithmus von Google beispielweise, der bestimmt, welche Suchergebnisse auf den wertvollen Plätzen der ersten Bildschirmseite erscheinen, wird bekanntlich so streng gehütet wie das Rezept der Coca-Cola. Wobei dieser Vergleich hinkt. Die Konsistenz Cola-Sirups mag ein Betriebsgeheimnis sein. Der Google-Algorithmus ist eher so etwas wie eine Fatwa. So sind Algorithmen fundamentalistische Grundsatztexte, die eherne Regeln schaffen (in wessen Interesse?) Als Normalnutzer hat man auf sie nur wenig Einfluss. (http://www.sueddeutsche.de/digital/bedeutung-von-algorithmen-neue-weltsprache-1.2051528 externer Link)

Aber auch: Algorithmus zur Vermehrung des Reichtums. Die Schwierigkeiten der Machtfrage in einer refeudalisierten Gesellschaft

Wer hat in unseren Gesellschaften nur die Möglichkeit – und das nötige Geld sich diese Algorithmen dienstbar zu machen? Nur wer diese mathematischen Symbole nicht nur als Glasperlenspiel, sondern auch als technologisch-hochgerüstetes Reichtumsvermehrungs-Potential begreifen will, der muss zu dem Artikel von John Lanchester “Der Super-Klick” – Wie Hochfrequenzhandel funktioniert” in der “Monde diplomatique” greifen (http://www.nachdenkseiten.de/?p=22326#h07 externer Link – und zu einem weiteren Kontext siehe noch auf der Site 4 unten f. bei https://www.labournet.de/?p=62186). Aber auch hier ist die Grundlage zur Veränderung dann eine politisch angestrebte neue Verteilung in der Gesellschaft.

Dabei spiegelt sich in dieser durch Algorithmen geleiteten Spekulation noch viel weitergehende Probleme – wie z.B. eine heftige Beeinträchtigung des Welthandels durch die Devisenspekulation (siehe dazu die enorme Gewalt der Devisenspekulation bei Ulrike Herrmann in der TAZ “53 Billionen täglich” bei (http://www.demokratisch-links.de/53-billionen-dollar-taglich externer Link)

In einer Gesellschaft, die vor allem über die Interessen der Reichen definiert wird, degeneriert diese mathematische Formel auch zum Einsatz gegen die Interessen der Mehrheit in einer Gesellschaft. Die Regulierungen dieser Internet-Computerwelt werden daher wohl noch über den bloßen Schutz der Privatsphäre hinausgehen müssen.

Mit Sighard Neckel, der zu dem demokratie-einschränkenden Befund einer “refeudalisierten” Gesellschaft kommt (http://www.fb03.uni-frankfurt.de/45949543/Neckel_Refeudalisierung_Leviathan_1_2013.pdf externer Link pdf), wird der notwendige Ausweg zu einer allgemeinen Freiheit etwas dornenreicher werden, denn die Macht zur Kontrolle bekommt so ihren Sinn auch diese Machtverhältnisse – gegen die Freiheit für viele – immer weiter zu erhalten und eher fester zu zementieren.

Dabei stellen wir fest, dass der Ökonom Thomas Piketty (“Kapital im 21. Jahrhundert”) wegen des Grades der inzwischen erreichten Umverteilung zwischen Oben und Unten auch von einer Refeudalisierung spricht.

P.S. Das totale Ausforschen der Nutzer / Kunden – schlimmer als mit Cookies

Firmen setzen neue Technik ein, um Internetbenutzer auszuspähen (= heute (23. juli 2014) auf der Titelseite der Süddeutschen = nicht im Netz). Selbst das Cookie löschen wird sinnlos, wenn eine neue Technik zum Einsatz kommt, die Wissenschaftler der amerikanischen Princeton-Universität und der belgischen katholischen Universität Leuven jetzt neu schon auf fünf Prozent der 100 000 beliebtesten Webseiten gefunden haben.

Wie das Speichern eines Cookies dient das “Canvas Fingerprinting” dazu, die Spur eines Nutzers quer durchs Netz zu verfolgen. Betroffen sind Nachrichtenseiten (sic!), Regierungswebseiten und Erotikportale – also alle Sorten von Internetportalen. Eine Auflistung befindet sich hier: (http://is.gd/k4ezEv externer Link)

Die Technik kann vom durchschnittlichen Nutzer nicht bemerkt und kaum verhindert werden. Die Abschaltung der Java-Script-Funktion hilft, dann funktionieren viele Seiten aber nicht mehr richtig.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=62436
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