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Auslastungsgrad 95,7 Prozent. Krisensicher & hochprofitabel: die US-Gefängnis-Industrie

Lunapark21 Heft 26 vom Sommer 2014Artikel von Urs-Bonifaz Kohler, erschienen in Lunapark21 Heft 26 vom Sommer 2014: 100 Jahre Weltkrieg: Kapitalistische Ökonomie & Kriege

Die nach außen gerichtete Aufrüstung findet ihre Parallele in einer nach innen gerichteten Hochrüstung mit umfassender Ausspähung (NSA & Edward Snowdon!)  und Militarisierung (Computer-Kriegsspiele!). Die USA sind auch hier – wie bei der Hochrüstung – Weltspitze. Kurz nach „9/11“ wurde in den Vereinigten Staaten das Ministerium für „Homeland Security“ – eine Art Super-Innenministerium – gebildet (siehe Kasten). Gleichzeitig entwickelte sich in diesem Land ein boomender privater Gefängnissektor.

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten entwickelte sich eine veritable Gefängnis-Industrie. Naja, „Industrie“ ist es ja eigentlich eher nicht. Aber so nennen die das dort, nachdem die eigentliche Industrie immer mehr verschwand: Alles, mit dem sich Profit machen lassen, wird zur „Industrie“. Bereits der Begriff „Rüstungsindustrie“ ist ja eigentlich absurd, da „Industrie“ ursprünglich für den produktiven Sektor – und damit für das Gegenteil von Destruktion– steht. Aber solch ein Räsonnement ist altmodisch in Zeiten, in denen die Finanzindustrie in aller Munde ist. Wobei der Milliardär Waren Buffet wiederum sagt, deren  spezifische Waren, Finanzprodukte wie Asset Backed Securities (ABS), seien „Massenvernichtungswaffen“.  Recht hat er. Warum dann also nicht „Gefängnis-Industrie“?

Die USA haben aus dem Strafvollzug einen riesigen Wirtschafszweig gemacht. Insgesamt leben 2,5 Millionen Menschen in US-Gefängnissen. Gut, die USA sind groß; da mag eine absolute Zahl manchen wenig sagen. Also ein paar Vergleiche. Innerhalb  nur einer Generation stieg in den USA der Anteil der Inhaftierten an der Gesamtbevölkerung um das Fünffache. 1980 kamen dort  139 Inhaftierte auf 100.000 Einwohnern. Heute sind es 750. Das ist absolute Weltspitze. Da kann auch der Chinese nicht mithalten. Oder auch: Eine vergleichbare Relation zwischen ziviler Bevölkerung und Inhaftierten gab es nur noch im Gulag-Stalinismus der 1930er Jahre. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es aktuell 89 Inhaftierte je 100.000 Einwohner, hierzulande sind es mit 79 nochmals deutlich weniger [„hierzulande“ = gemeint: die Schweiz; d. Red.].

Ein anderer Vergleich: Die USA bringen es auf 5 Prozent der Weltbevölkerung. Doch die US-Knastbevölkerung entspricht 25 Prozent der Welt-Knast-Population. Die USA mögen ihre hegemoniale Position in der produktiven Wirtschaft verloren haben. Im Knastwesen sind sie einsame Spitze und bauten diese Position, ziemlich exakt wie im Fall der Rüstungsausgaben, in jüngerer Zeit erheblich aus.

Es gibt Grafiken bzw. Tabellen, die belegen sollen, dass in den USA der Abbau der Arbeitslosen ziemlich genau dem Aufbau der Gefängnispopulation entspricht. Das mag ein bisschen schematisch sein;  doch in Ansätzen trifft das den Nagel auf den Kopf. Die Statistik  zur Soziologie der Gefängnis-Bevölkerung besagt: Bei den Insassen in den US-Gefängnissen sind die Afroamerikaner, die Hispano-Amerikaner und die Jugendlichen deutlich überproportional vertreten. Das sind exakt diejenigen Bevölkerungsgruppen, bei denen es eine zwei- bis dreimal höhere Arbeitslosenquote als die durchschnittliche gibt. Sarkastisch könne man sagen: Wären diese Leute „draußen“, so wären sehr viele von ihnen arbeitslos. Damit stünden sie oftmals schlechter da als im Knast, wo sie – in einem gewissen, auch zynischen Sinn – eine „Rundumversorgung“ genießen.

Der Gesamtumsatz im US-Knastwesen liegt bei 70 bis 75 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Der größte Teil der Gefängnisbranche ist als Dienstleistung in öffentlicher Hand organisiert – noch. Doch bereits 15 Prozent des Gesamtumsatzes und rund 5 Prozent der Gefängnisinsassen sind Teil einer outgesourcten, rein privat-kapitalistischen Knast-Dienstleistungsbranche.

Hier handelt es sich um den Sektor der privatwirtschaftlichen Gefängnisindustrie. In diesem dominieren die beiden Konzerne Correction Corporation of America und die Geo Group. Das erstgenannte Unternehmen hat 60 Gefängnisse mit 75.000 Betten in seinem „Bestand“, das zweitgenannte bringt es auf 58  Knastanstalten und 70.000 Betten.  Da es sich um eine Industrie handelt, ist das in Pritschen angelegte Kapital nicht entscheidend, sondern die Auslastung desselben. Bei Geo heißt es dann beispielsweise im Geschäftsbericht: „65.949 active beds. 6.056 idle beds; average facility occupancy rate of 95,7 % [2012]“.  4,3 Prozent „idle beds“, nicht ausgelastete Pritschen, oder ein Auslastungsgrad von 95,7 Prozent der Knast-Kapazität – so etwas gibt es in der Privatwirtschaft außerhalb von Gefängnismauern kaum. Weswegen die Profitraten von Correction Corp. und Geo Corp auch überdurchschnittlich hoch sind. Der erstgenannte Konzern kam 2012 auf einen Gewinn von 332 Millionen Dollar bei 1,7 Milliarden Dollar Umsatz. Entsprechend hat sich der Börsenwert von Correction Corp. in jüngerer Zeit verdreifacht, derjenige von Geo immerhin verdoppelt. Der Umsatz von Correction Corporation stieg von 887 Millionen US-Dollar im Jahr 2000 auf aktuell 1,8 Milliarden Dollar 2013.

Man  kennt das ja: Bereiche öffentlicher Einrichtungen, die privatisiert werden, kosten am Ende die Gemeinschaft der Steuerzahlenden mehr als Bereiche, die in öffentlicher Regie verbleiben. Just so verhält es sich auch hier.  Die privaten Knastkonzerne verlangen je Inhaftierten im Schnitt  60 US-Dollar pro Tag. Isolationshaft kostet dann bereits 90 Dollar am Tag. Das liegt über den Kosten im öffentlichen US-Gefängniswesen. Im altmodisch- öffentlichen Knastwesen Westeuropas sind es umgerechnet 45 bis 55 Dollar pro Tag und Inhaftierten. Die Kosten je US-Knastinsassen liegen auch deutlich über dem Preisniveau  eines Urlaubers in einem US-amerikanischen Mittelklasse-Motel.  Selbst im [schweizerischen; d. LP21-Red.] Engadin müsste man für die Preise eines US-Privat-Inhaftierten noch Übernachtung mit Frühstück bekommen.

Das spricht sich selbst in den USA herum. Weswegen es in jüngerer Zeit immer wieder Vorschläge gab, die Privatisierungstendenzen im Knastwesen zu begrenzen. Das wiederum rief eine spezifische Lobby der Gefängnisindustrie auf den Plan. Im Zeitraum 2001 bis 2011 flossen nachgewiesenermaßen aus den Etats der Gefängnisindustrie 45 Millionen Dollar  auf die Konten von Parteien und Parlamentariern; Landschaftspflege eben. Längst wird auch, in Anlehnung an den Rüstungsbereich, vom „prison-industrial complex“ gesprochen. Das hat recht handfeste Folgen. Das 2010 im US-Bundesstaat Arizona beschlossene Gesetz mit dem Namenscode SB 1070 soll auf die Einflussnahme des Gefängnisindustrie-Komplexes zustande gekommen sein; ein Vertreter der Correction Corp war an der Formulierung des Gesetzestextes beteiligt. Die darin festgelegten harten Einwanderungsbestimmungen sahen Strafen für Ausländer vor, die ihre Einreisepapiere nicht bei sich trugen. Das Gesetz produzierte tausende zusätzliche Inhaftierte; 40 Prozent der festgenommenen Immigranten landen in privaten Gefängnissen (das Oberste Gericht kippte später Teile von SB 1070 wegen rassistisch motivierter Rasterfahndung). Im US-Bundesstaat Pennsylvania  bekannten sich 2009 zwei Richter schuldig, Tausende von Falschurteilen gesprochen zu haben. Für Bestechungsgelder in Höhe von 2,6 Millionen Dollar schickten sie Jugendliche hinter Gittern und kauften von ihren Nebeneinkünften eine Luxusjacht, die sie „Echte Gerechtigkeit“ tauften.

Im US-Bundesstaat Colorado gibt es eine Stadt mit Namen Canon City, die eine Art Welthauptstadt des Gefängniswesens ist. Sie zählt 13 Strafanstalten; von den 36.000 Einwohnern sind 16 Prozent Gefangene. Wer nicht im Knast lebt, lebt vom Knast, was hier schlicht „the system“ genannt wird. Der Bezirksabgeordnete Ed Norden: „Eine Rezession trifft uns nicht. Man entlässt wegen einer Wirtschaftskrise ja keine Häftlinge.“

 Urs-Bonifaz Kohler lebt in Solothurn, Schweiz

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