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Erpressung zahlt sich aus

Artikel von Gaby Weber (Buenos Aires) vom 14.01.2014surpreme court

Vor zehn Jahren reichten die Hinterbliebenen der verschwundenen Mercedes-Betriebsräte sowie Überlebende in den USA Klage gegen die DaimlerChrysler AG ein. Sie werfen dem Konzern vor, während der argentinischen Militärdiktatur sich aktiv an den Morden unbequemer Gewerkschafter und am Babyraub beteiligt zu haben. Jetzt verbot der Oberste Gerichtshof dem Gericht in Kalifornien die Eröffnung des Zivilverfahren.

2010 hatte sich das Berufungsgericht in San Francisco für zuständig erklärt, Daimler erwirtschafte im Sonnenstaat astronomische Gewinne und sei daher der Gerichtsbarkeit des Bundesstaates unterworfen. Die Richter stützten sich dabei auf das kalifornische Long Arm Statute, das herangezogen wird, um Steuerflüchtlinge im Ausland aufzuspüren oder Firmen zu bestrafen, die das US-Boykott gegen Kuba verletzen.

Schon im Vorfeld der Verhandlung hatte das globale Kapital den Supreme Court mit Amicus-Curiae Statements überschüttet: die Automobile Manufacturers Inc., die Association of Global Automakers, die Atlantic Legal Foundation, die New England Legal Foundation, die Associated Industries of Massachusetts (Zusammenschluss von Firmen, die im Commonwealth das freie Unternehmertum verteidigen), die US-Chamber of Commerce, der National Foreign Trade Council, die Organization for International Investment, die European Banking Federation, der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, der Bundesverbank Deutscher Banken, die Schweizer Bankiervereinigung, der ICC Switzerland (schweizer Handelskammer) und die Economiesuisse.

Die Amici nahmen kein Blatt vor den Mund. Würde das Verfahren eröffnet, dann würden nicht nur deutsche Unternehmer Gefahr laufen, für irgendwelche Untaten etwa in der Dritten Welt vor US-Gerichten zu landen. Auch US-Firmen liefen Gefahr, woanders haftbar gemacht zu werden, General Motors, Ford, Berbau- und Erdölunternehmen.

Die Amici drohen offen mit Wirtschaftskrieg. „These consequences would inflict significant harm upon the U.S. economy. They would decrease foreign direct investment, which contributes significantly to (the U.S.) economy. In 2009, foreign-controlled domestic corporations accounted for nearly 14% of total corporate income tax collected.” Auf deutsch: Bestätigt Ihr das Baumann-Urteil, werden Eure Steuereinnahmen um 14 Prozent sinken. 5,6 Millionen US-Arbeitsplätze befinden sich in den Niederlassungen ausländischer Firmen. Im Durchschnitt verdiene dort ein Arbeiter 77.409 Dollar, 36 Prozent mehr als in der restlichen Volkswirtschaft, rechnen die Globalen Automakers vor. Die Ausländer machen einen Umsatz von 649,3 Milliarden und investieren jedes Jahr 149 Milliarden. Das Baumann-Urteil „threatens to bring about a damning effect on foreign investment in the US with consequent deleteroius effects upon the American economy”.

Die Obama-Regierung, die im Fall des Menschenrechtsverfahrens Kiobel (wegen Teilnahme des Ölkonzerns Shell an Mordkommandos in Nigeria) noch auf Seiten der Opfer stand und für die Eröffnung eines Prozesses vor einem US-Gericht plädiert hatte, kippte bei Daimler um. Obama will sein Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa unter Dach und Fach bringen, sein Department of Justice reichte einen Amicus Brief für Daimler ein.

Am 15. Oktober 2013 hörte der Supreme Court den Fall. Zur Überraschung vieler machte man es dem Konzern nicht leicht. Chief Justice Roberts wies darauf hin, dass kein Artikel der US-Verfassung einem Bundesstaat verbietet, eine lokale Niederlassung für Handlungen des Mutterhauses verantwortlich zu machen. „Wenn Kalifornien sagt, wir nehmen den Fall, worin besteht das verfassungsrechtliche Problem“? Auch für Justice Breyer verletze ein Bundesstaat nicht die Verfassung, wenn er die Zuständigkeit seiner Gerichte auf die Niederlassung oder das ausländische Mutterhaus ausweitet. Es wäre danach ein „big problem” für den Bundesstaat, Investoren zu gewinnen, aber keine Verfassungsverletzung. „Wenn ein US-Bundesstaat eine Klage bezüglich eines im Ausland eingetretenenen Schadens annimmt, kann er das tun, denke ich, aber es ist ziemlich merkwürdig“ („but it’s pretty odd“).

Dann vergingen drei lange Monate, und die Obersten Richter änderten ihre Argumentation komplett. Am 14. Januar 2014 hob der Supreme Court das Urteil des kalifornischen Berufungsgerichtes auf. Auf das bei der Anhörung Erörterte – wie die richterliche Unabhängigkeit – ging der Court nicht mehr ein. Nun argumentierte man plötzlich mit dem Argument, dass selbst wenn Mercedes-Benz USA in Kalifornien „zu Hause“ wäre und von der Konzernzentrale in Stuttgart abhängen würde, er nicht der allgemeinen kalifornischen Gerichtsbarkeit unterworfen werden könne. Eine Eröffnung wäre ein negatives Signal an „Investoren“, schrieb Justice Ginsburg.

Wenn also ein Hedgefond mit Sitz auf den Cayman-Islands den argentinischen Staat vor einem US-Gericht auf Einlösung von Wechseln und Zahlung von Wucherzinsen verklagt, dann ist die US-Justiz zuständig. Aber wenn ein Grossunternehmen seine Gewerkschafter ermorden lässt und am Raub von Babys teilnimmt, dann wird US-Richtern der Fall entzogen.

Für die Familienangehörigen ist das ein harter Schlag, hatten sie doch den US-Richtern zugetraut, dem deutschen Konzern die Stirn zu zeigen. Nun scheint es, dass am Ende vielleicht doch die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben.

Wie es weiter geht? Der Rechtsweg in den USA ist am Ende. In Argentinien sind im Moment, abgesehen von den Ermittlungen wegen Kindesraubes, zwei Verfahren wegen der verschwundenen Betriebsräte anhängig, in San Martín und in La Plata. Ob diese Verfahren jemals die strafrechtliche Verantwortung Daimlers ermitteln und gar verurteilen werden, ist fraglich. Die argentinische Justiz ist korrupt, und die Regierung will oder kann sich nicht mit dem Konzern anlegen. Aus den Kreisen der Kinder der Verschwundenen hört man das Wort „Escrache“, also laute Proteste vor der Daimler-Zentrale, in Verkaufslokalen oder Messen.

War es nicht trotzdem ein Sieg? Musste nicht Daimler den US Supreme Court „bewegen“, um eine Untersuchung abzuwenden? Die Beweise für Daimlers Schuld wurden nicht widerlegt, das Unternehmen nicht freigesprochen, nicht einmal aus Mangel an Beweisen…

Siehe zum Hintergrund:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=51101
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