Vermächtnis eines erbarmungslosen Urteils gegen die Meinungsfreiheit: Bradley Manning

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 22.8.2013

35 Jahre Haft für Wikileaks-Informant: Mannings Vermächtnis

Der Fall des Whistleblowers Bradley Manning hinterlässt der westlichen Demokratie zwei Aufgaben: Sie muss sich der Diskussion zwischen Geheimschutz und öffentlichem Interesse stellen – und sie muss aufpassen wichtige Koordinaten im freiheitlichen System nicht zu verschieben. (http://www.sueddeutsche.de/politik/jahre-haft-fuer-wikileaks-informant-mannings-vermaechtnis-1.1751801 externer Link)

Damit wirde der Whistleblower härter bestraft als ein Kriegsverbrecher (http://www.fr-online.de/meinung/ueberwachung-in-unserer-gesellschaft-supergrundrecht-menschenwürde,1472602,24080806.html externer Link) -,deren Taten gerade auch Manning aufdeckte, aber die bis heute ungestraft rumlaufen „dürfen“. Wer hat dieses brutale Video nicht noch in Erinnerung, wo hinterhältig aus dem Hubschrauber Zivilisten richtig zusammengeschossen wurden?

Was also zählen Meinungs- und Pressefreiheit heute noch in unseren sogenannten „freien westlichen Gesellschaften“? Eine neue Entwicklung

Dies scheint aber erst „unserer“ Gesellschaft in dieser Zeit verlorengegangen zu sein, wie uns der Fall Daniel Ellsberg in den USA aus dem letzten Jahrhundert zeigt. (siehe die Gefahr von „Vereinigten Stasi von Amerika“: https://www.labournet.de/?p=40177)

Diese „Verschiebung“ zu Lasten der Meinungsfreiheit in den – wohl inzwischen nur mehr „sogenannten“ freien – Gesellschaften des Westens hat also in den letzten vierzig Jahren stattgefunden – und einen weiteren Ausgangspunkt von den Terroranschlägen am 11. September 2001 genommen. (siehe vor allem den Abschnitt „Innenpolitische Massnahmen bei http://de.wikipedia.org/wiki/Terroranschl%C3%A4ge_am_11._September_2001 externer Link)

Whistleblower Snowden bringt es an den Tag

Während die westlichen Gesellschaften – wohl in eine „Angststarre“ versetzt – den Verlust der Freiheit nicht wirklich wahrgenommen haben, hat Edward Snowden die Dimensionen des inzwischen entstandenen international vernetzten Kontrollstaates auf gedeckt. Dennoch erscheint es noch immer so, dass wir hilflos ausgeliefert sind dieser „Weltherrschaft der Spitzel“ (https://www.labournet.de/interventionen/grundrechte/kommunikationsfreiheit/datenschutz/hilflos-ausgeliefert-der-weltherrschaft-der-spitzel/ sowie Orwell 2.0 – Die totale Überwachung ist längst Realität: www.nachdenkseiten.de/?p=17827 externer Link)

Dabei erklären uns die Fachleute recht cool, dass schon seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts das Internet vollständig überwacht wird. (http://idw-online.de/de/news540623 externer Link)

Snowden hat es mit seinen Insiderkenntnissen nur ganz praktisch und konkret an die Öffentlichkeit gezerrt – weil er – nach eigenem Bekunden – in einer solchen Gesellschaft nicht leben möchte. Deshalb vermutet sogar die Süddeutsche Zeitung, dass diese Überwachung durch die Geheimdienste für die politischen Eliten eigentlich wohl aus Angst vor dem Volke geschieht (http://www.sueddeutsche.de/politik/ueberwachung-durch-geheimdienste-aus-angst-vor-dem-volk-1.1745365 externer Link)

Genau dies setzte darauf aber eine richtige Verfolgungshatz der Geheimdienste nicht nur auf Snowden selbst, sondern auch auf die Medien, die seine Dokumente zu Veröffentlichung brachten, in Gang. (siehe auch noch „Prism: US-Überwachungsaffäre und der NSA-Whistleblower“: https://www.labournet.de/interventionen/grundrechte/kommunikationsfreiheit/datenschutz/prism-us-uberwachungsaffare-und-der-nsa-whistleblower/?cat=7863)

Der Schlag gegen den britischen „Guardian“

Gerade die Enthüllungen durch den „Guardian“ bekräftigten noch einmal die Vorwürfe gegen die NSA (http://www.fr-online.de/politik/-guardian–enthuellung–dokumente-bekraeftigen-vorwuerfe-gegen-nsa,1472596,23879736.html externer Link)

Deshalb schlug der britische Geheimdienst „mit aller Gewalt“ gerade hier zu – und somit zwang die britsche Regierung den Guardian sogar die Snowden-Festplatte zu löschen: eines der „bizarrsten Momente in der Geschichte des Guardian“ wie im Keller der Zeitung unter direkter Aufsicht der Agenten des Geheimdienstes GHCQ ein Laptop zerschmettert werden musste. (http://www.sueddeutsche.de/politik/druck-nach-nsa-veroeffentlichungen-grossbritannien-zwingt-guardian-snowden-festplatten-zu-zerstoeren-1.1750015 externer Link)

Dieser Gewaltstreich gegen die Informationsfreiheit ist mit der Bezeichnung „Kruder Willkürakt gegen den Guardian“ noch milde ausgedrückt. (http://www.fr-online.de/meinung/guardian-und-die-snowden-dokumente-kruder-willkürakt-gegen-den–guardian-,1472602,24071672.html externer Link)

Die Unfassbarkeit dieses Vorgangs kann dann vielleicht noch damit umschrieben werden, dass das Ganze anmutet, „wie aus einem Spionagethriller“ – wobei die Realität wieder einmal die Fiktion überholt hat. (http://www.fr-online.de/datenschutz/edward-snowden-dokumente-wie-aus-einem-spionagethriller,1472644,24069822.html externer Link)

Dem Entsetzen über diese schon aggressiv-brutale Unterdrückung der Pressefreiheit verlieh der Sprecher der Reporter ohne Grenzen, Michael Rediske, noch einen der Bedeutung angemessenen Schub, indem er ausrief „Ausgerechnet Großbritannien“: „Dass ausgerechnet in Großbritannien die Pressefreiheit so schlecht geschützt wird, schockiert uns besonders. Schließlich haben uns die Briten nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem silbernen Tablett ein demokratisches Presse- und Rundfunksystem serviert.

Die Trennung von Staat und Presse und die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen statt eines staatlichen Rundfunks sind dort vorbildlich.“ (http://www.fr-online.de/politik/-guardian–und-die-snowden-dokumente–ausgerechnet-grossbritannien-,1472596,24072006.html externer Link)

Nur brauchen einen aufrechten britischen Journalisten solche gewalttätigen Umgangsformen noch nicht von seinem Job abhalten: Von den Daten auf diesen Laptops und den Festplatten existieren vermutlich Kopien. Der Guardian Chefredaktuer Alan Rusbridger hat schon gesagt, die Zeitung könne ihre Recherchen von Brasilien aus weiterführen.

So ist nur zu hoffen, dass es der USA und Großbritannien nicht gelingen wird, das journalistische Netzwerk, das sich auf der Grundlage der Informationen von Snowden gebildet hat, einzuschüchtern und möglichst zu zerschlagen. (siehe auch: „NSA-Affäre: Britischer Geheimdienst contra The Guardian“: https://www.labournet.de/interventionen/grundrechte/kommunikationsfreiheit/datenschutz/nsa-affare-britischer-geheimdienst-contra-the-guardian/)

Dabei hört der Bruch der Gesetze und die Verhinderung eines rechtsstattlichen Verfahrens durch die Sicherheitsbehörden nicht bei dieser Aktion auf, denn inzwischen ist auch klar geworden, dass die NSA auch völlig illegal den E-Mail-Verkehr von amerikanischen Bürgern einsammeln. (http://www.sueddeutsche.de/politik/us-geheimdienst-nsa-sammelte-illegal-e-mail-verkehr-von-amerikanern-1.1751840 externer Link)

Verfassungschutz als „Herr über den Ausnahmezustand“ (Carl Schmitt) drückt unsere Gesellschaft nur nach rechts – Sicherheitsbehörden „außerhalb“ der Verfassung –

Die Tatsache, dass unsere Verfassungsschützer keineswegs mit dem Bundesnachrichtendienst wegen des Ausspionierens deutscher Bürger in einen Konflikt gerieten, ist schon an sich beunruhigend genug, aber die langsam doch noch durchdringende Erkenntnis, dass der Verfassungsschutz nicht nur versäumt unsere Grundrechte – und damit die Verfassung – zu schützen, nein, in den Untersuchungsausschüssen zur rechtsradikalen Mordserie der NSU sickert – über die Erkenntnis der Abgeordeten und die Interpretation darüber hinaus langsam durch, wie der Verfassungsschutz – ganz ohne demokratische Kontrolle – involviert war in diese Mordserie, ohne sie aufklären zu können – oder zu wollen?

Arno Widmann nennt dies einen Rassismus der Apparate und stellt erschüttert die Frage, wie verfassungstreu sind die Sicherheitsbehörden?
(http://www.fr-online.de/meinung/-nationalsozialistischer-untergrund-rassismus-der-apparate,1472602,24081380.html externer Link)

Besonders niederschmetternd ist für ihn die Feststellung, dass – gemäß dem Abschlussbericht – von den Abgeordneten in den NSU-Untersuchungsausschüssen noch nicht einmal die Frage aufgeworfen wurde, ob unsere Sicherheitsapparate nicht rassistischen Vorurteilen unterliegen. Und richtig erschrocken ist er dann bei der gleichzeitig zu beobachtenden Tatsache, dass just während die NSU-Untersuchungsausschüsse tagten, die Zahl rechtsextremer Straftaten massiv angestiegen ist: 2012 gab es in der Bundesrepublik – allein nach der Rechnung des Bundesinnenministers – rund 17 600 politisch rechts motivierte Straftaten. Das sind 48 pro Tag!

Diesen Rassimus der Apparate haben sich dann Hajo Funke und Micha Brumliknoch einmal gesondert und ausführlich vorgenommen – und kommen nach der eingehenden Analyse der Abläufe, wie sie aus den dargestellten NSU-Berichten – natürlich auch kritisch hinterfragt – hervorgehen, zu recht einleuchtenden aber auch deprimierenden Ergebnissen: Durch einen absoluten „Quellenschutz“ – für die V-Leute – bei dem selbst schwere Straftaten vor einer Verfolgung geschützt werden, wird die bekannte Definition des faschistischen Staatsrechtslehrers Carl Schmitt durchgesetzt,“Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“. Genau dies wird nämlich jetzt mit den politischen Schlussfolgerungen aus dem Abschlussbericht faktisch erreicht. Indem die von den Ämtern Geführten keinerlei Strafverfolgung ausgesetzt sind, erhalten sie die völlige, von außen unkontrollierte Macht über einen auf Dauer gestellten Ausnahmezustand.

So soll jetzt ohne eine wirkliche Analyse der Mordserie und des dabei so deutlich hervortretenden staatlichen „Versagens“ vollendete Tatsachen geschaffen werden, nämlich eine „Sicherheitsarchitektur“, die – ausgerechnet – den Verfassungsschutz mit seinem „heiligen“ Kern sakrosankt macht.

Damit wird ein Abgrund an geheimen und nicht kontrollierbaren Parallelstrukturen in unserem Staate etabliert.

Und wieder kaum zu fassen ist, dass die Innenminister selbst der SPD-geführten Länder diese zutiefst autoritären Bestrebungen ohne weitere Kritik hinnehmen und sie sogar als eine gute Grundlage für eine Reform des Verfassungsschutzes feiern. (http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2013/august/auf-dem-weg-zum-%C2%BBtiefen-staat%C2%AB externer Link)

In dieser Diskussion hat sich jetzt auch deutlich die Humanistische Union in ihrem Organ „Vorgänge“ zu Wort gemeldet: „Verfassungsschutz in der Krise“ – und dabei wird auch die klare Position nicht vergessen „Den Verfassungsschutz abschaffen!“ (http://www.humanistische-union.de/nc/publikationen/vorgaenge/online_artikel/201/ externer Link)

Dabei kommen die drei Bürgerrechtsorganisationen in ihrem Memorandum „Brauchen wir den Verfassungsschutz? Nein!“ – nach der Analyse – zu dem Ergebnis: „Die Geschichte des Verfassungsschutzes ist eine Geschichte der Rechtsbrüche, des Machtmissbrauchs, der demokratischen Zumutungen – deshalb gibt es nur eine Alternative: Der Verfassungsschutz gehört ersatzlos abgeschafft“.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=42849
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