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Drei Nazigruppierungen aufgelöst

Artikel von Bernard Schmid, Paris, 11.07.2013

Am gestrigen Mittwoch, den 10. Juli 13 hat das französische Kabinett eine Verbotsverfügung gegen drei Nazigruppierungen erlassen: gegen die Kleinpartei Troisième Voie („Dritter Weg“, d.h. zwischen Kapitalismus und Marxismus) von Serge Ayoub und ihren schlagenden Arm Jeunesses nationalistes révolutionnaires (JNR; „Revolutionäre nationalistische Jugend“), sowie gegen den eingetragenen Verein Envie de rêver („Lust zu träumen“). Unter dem zuletzt genannten, poetisch klingenden Namen firmierte der Verein des Nazikaders Serge Ayoub, der die von ihm 2007 eröffnete Versammlungsstätte Le Local im 15. Pariser Bezirk verwaltete. (Vgl.  http://www.lemonde.fr/societe/article/2013/07/10/plusieurs-groupes-d-extreme-droite- dissous-en-conseil-de-ministres_3445538_3224.html externer Link )  Sowohl Troisième Voie als auch die JNR waren in den gewaltsamen Tod des jungen Antifaschisten Clément Méric am 05. Juni d.J. verwickelt: Der Urheber der tödlichen Schläge, Esteban Morillo, dürfte beiden Strukturen (der formelle Gliederungen aufweisenden Kleinpartei und der informellen Schlägertruppe) angehört haben.

Troisième Voie sowie die JNR hatten bereits am 25. Juni 13 ihre „Selbstauflösung“ bekannt gegeben, um einer staatlichen Verbotsverfügung „zuvorzukommen“ (vgl. https://www.labournet.de/internationales/frankreich/politik-frankreich/rechte-f/aktuell-drei-nazigruppen-aufgelost-oder-unmittelbar-vor-auflosung/ ). Dies war insofern ein kluger taktischer Schachzug, als eine bloße Selbstauflösungserklärung – bei ausbleibendem offiziellem Verbot von staatlicher Seite – eine spätere Neu- oder Wiedergründung nicht ausgeschlossen hätte. Ferner wurde von vielen Beobachter/inne/n damals vermutet, durch das Manöver mit der Selbstauflösung wolle Ayoub seine Gruppenstrukturen (vorläufig?) opfern, doch sein sozio-kulturelles faschistisches Zentrum Le Local retten.

Der nun doch noch erfolgte Erlass einer gesetzlichen Verbotsverfügung erschwert diese Pläne. Tatsächlich sorgt das Bestehen eines offiziellen Auflösungsbeschlusses dafür, dass auch die Wiederbegründung einer einmal verbotenen Gruppierung zum Straftatbestand wird: Unter dem Titel Reconstitution de ligue dissoute wird sie mit empfindlichen Strafen bedroht.

Antifamobilisierungen in naher Zukunft geplant

Am 22. und 23. Juni 13 fanden in mehreren Dutzend Städten Frankreichs antifaschistische Demonstrationen statt, die eine Reaktion auf den gewaltsamen Tod des jungen Antifaschisten Clément Méric darstellten.

Die Mobilisierung wurde dabei in relativ breiten Kreisen als „nicht auf der Höhe der Bedrohungssituation“, oder sogar weit davon entfernt, eingestuft. Über die Pariser Demonstration mit circa 6.000 Teilnehmer/inne/n berichteten wir bereits ausführlich im Labournet. Auch in rund 60 anderen französischen Städten fanden im Verlauf des Wochenendes – also am 22. oder 23. Juni – Demonstrationen statt, die jedoch ebenfalls meistens relativ klein blieben. 500 Menschen in Lyon, wo in den letzten Monaten massive faschistische Gewaltvorfälle zu verzeichnen waren – das ist ausgesprochen in schwach. Im bretonischen Brest, der Stadt, aus der Clément Méric stammte, demonstrierten vielleicht 150 Menschen. Dort war die Spaltung zwischen linksautononem und politisch eher sektiererischem Milieu einerseits, reformistischen Linksorganisationen (darunter die „Linkspartei“ von Jean-Luc Mélenchon, die zu Anfang fälschlich behauptet hatte, Clément Méric sei ihr Mitglied gewesen – und sich folglich „Vereinnahmung“ vorwerfen lassen musste) andererseits besonders tief. Diese Kluft erwies sich als extrem schädlich für die antifaschistische Mobilisierung.

Unterdessen spielte sich am Dienstag, den 25. Juni und in den darauffolgenden Tagen eine Polemik zwischen verschiedenen französischen Medien ab, die den Kontext der tödlichen Schläge betrifft. Der notorisch rechtslastige (im konservativ-reaktionären Sinne) Radiosender RTL behauptete, Zugang zu einem Video erhalten zu haben, das die Polizei dank einer Überwachungskamera der Pariser Verkehrsbetriebe RATP in die Hände bekommen habe. Das Video zeige, dass den tödlichen Schlägen eine Prügelei vorausgegangen sei – und dass der Antifaschist Clément Méric den Naziskin Morillo „zuerst“ und „in seinem Rücken“ angegriffen habe, bevor dieser ihm im Gegenzug einen tödlichen Schlag versetzte. Ohne dass man erkennen könne, ob Letzterer dabei einen stählernen Schlagring benutzte oder nicht; dafür sei die Auflösung des Videos nicht gut genug. Allerdings widersprach die sozialdemokratische Tageszeitung Libérationdem Radiosender RTL kurz darauf energisch: Auch sie habe das Video einsehen können, komme aber (ebenso wie die polizeilichen Ermittler) zu anderen Schlussfolgerungen. Die Szene, die man in dem Videoausschnitt sehen könne, zeige nur die Füße der beteiligten Personen und lasse deswegen nicht erkennen, wer wen geschlagen habe. Gesichert sei, dass den tödlichen Schlägen eine Prügelei vorausgegangen sei. Aber ebenso gut sei es möglich, dass Clément Méric lediglich einer von Esteban Morillo bedrängten anderen Person zu Hilfe geeilt sei. RTL erwiderte, man halte die eigene Version aufrecht.

Was aus der RTL-Version, die sich klar gegen die jungen Antifaschisten richtet, ebenfalls ausgeblendet wurde, ist, dass der Streit in dem Bekleidungsgeschäft offenkundig deswegen eskalierte, weil mehrere der anwesenden Skinheads T-Shirts mit der Aufschrift „100 % Rasse“ trugen. Aus dem Grunde waren sie durch die jungen Antifas zur Rede gestellt worden. Die Version von RTL und vergleichbaren Medien entpolitisiert die Angelegenheit, und reduziert sie auf eine „pure Streitigkeit zwischen rivalisierenden Jugendgruppen“.

Unterdessen fand am Mittwoch, den 03. Juli 13 im Pariser Gewerkschaftshaus ein neues Bündnistreffen statt, ähnlich jenem vom 10.06., das dem Aktions- und Demonstrationswochenende von Ende Juni vorausging. Dieses Mal verlief es – im Vergleich zum vorausgegangenen – in ausgesprochen konstruktiver und wenig konfliktgeladener Atmosphäre, obwohl erneut ein breites Spektrum (von autonomer Antifa bis zur „Liga für Menschenrechte“, von feministischen Antifas bis zur eher moslem-kommunitaristischen „Partei der Eingeborenen der Republik“) anwesend war. In konstruktivem Arbeitsklima wurden neue, gemeinsame Aktionstermine beschlossen.
Dazu gehört insbesondere eine frankreichweite Mobilisierung gegen die geplante „Sommeruniversität“ des Front National, die am 14. September 13 in Marseille stattfinden soll. Weitere Nachrichten dazu werden folgen.

Ausschlüsse aus der UMP wegen zu weit getriebener Zusammenarbeit mit dem FN. Unterdessen sind auf beiden Seiten rassistische Ausfälle zu verzeichnen…

Am 19. Juni 13 berichtete die konservative Tageszeitung Le Figaro auf ihrer Webseite: „Die ,Ansteckungsgefahr‘ der Abkommen mit dem FN beunruhigt bei der UMP.“ So lautet die Überschrift des, am folgenden Tag auch in der Papierausgabe erschienen Artikels. Am selben 19.06.13 hatte die stärkste Oppositionspartei in Frankreich, die konservativ-wirtschaftsliberale UMP, den Bezirksparlamentarier und früheren Bürgermeister von Saint-Gilles (Gard, Südfrankreich), Olivier Lapierre, ausgeschlossen. Sein Parteiausschluss sanktionierte seinen offenen Bemühungen um ein Abkommen mit dem FN zu den Kommunalwahlen im März 2014. In diesem Zusammenhang hatte er erklärt, er wünsche – und unterstütze ggf. – eine Kandidatur von Gilbert Collard. Der prominente (und selbstverliebte) Anwalt war im Juni 2012 im Wahlkreis von Saint-Gilles zum Parlamentsabgeordneten in der Nationalversammlung gewählt worden. Er ist bislang parteilos, trat jedoch als Bewerber für den Front National an.

Am 03. Juli 13 startete das „Politische Büro“ – der Parteivorstand – der UMP ferner ein Ausschlussverfahren gegen Denis Vigouroux, Kommunalparlamentarier in Gonesse, wenige Kilometer nordöstlich von Paris. Dort soll er voraussichtlich auf dem dritten Listenplatz hinter Karim Ouchikh als Spitzenkandidat – auch bei der extremen Rechten gibt es einzelne arabischstämmige Politiker – antreten, für die „Marineblaue Sammlung“ (Rassemblement bleu Marine, RBM). Unter diesem Listennamen wird der Front National in ganz Frankreich seine Bewerbungen für die Kommunalwahlen präsentieren. Am 13.05.13 war in Gamaches, in der Picardie unweit des Ärmelkanals, bereits die „Aussetzung“ der Mitgliedschaft des UMP-Aktivisten Arnaud Clergé bekannt gegeben worden. Er möchte seinerseits in der Kleinstadt, wo er wohnhaft ist, eine gemeinsame Liste von UMP und FN antreten lassen.

Andere UMP-Mitglieder, die bislang nicht mit Parteiausschluss (wegen parteischädigenden Verhaltens) bestraft worden, streben nach gemeinsamen Kandidaturen mit der extremen Rechten. Im südfranzösischen Carry-le-Rouet – im erweiterten Umland von Marseille – wird der 61jährige Bezirksparlamentarier Patrick Amate eine Liste der „Marineblauen Sammlung“ (RBM) zu den Kommunalwahlen anführen. Er stammt aus einem parteilosen konservativen Milieu, war jedoch ab 2006 Mitglied im Wahlkreisvorstand der UMP, bei der er jedoch jahrelang keine Mitgliedsbeiträge entrichtete. Im März 2013 scheint er jedoch seinen Beitritt oder Wiederbeitritt vollzogen zu haben, nunmehr wurde sein Wieder-Ausschluss angekündigt. In Aix-en-Provence, Universitätsstadt und ebenfalls im Umland von Marseille gelegen, wird die Liste der „Marineblauen Sammlung“ von Catherine Rouvier angeführt werden. Diese kommt ebenfalls aus der UMP, hat jedoch zwischenzeitlich bei der rechtskonservativ-nationalistischen und EU-feindlichen Kleinpartei „Souveränität, Unabhängigkeit und Freiheit“ (SIEL) von Paul-Marie Coûteaux einen Zwischenstopp eingelegt. Paul-Marie Coûteaux und sein Splitterverein sind seit den Parlamentswahlen vom Juni 2012 formell mit dem FN assoziiert.

Die offizielle Linie bei der UMP lautet klar, dass eine offene Zusammenarbeit mit dem FN (als Konkurrenten) als parteischädigendes Verhalten zu werten sei. Allerdings ist der inhaltliche Gleichklang bei rassistischen Aussprüchen davon nicht betroffen. So hatte Jean-Marie Le Pen, der alternde „Ehrenvorsitzende“ des FN – inzwischen 85jährig -, am Abend des Donnerstag, 04. Juli in Nizza über die „übelriechende und Juckreiz hervorrufende Anwesenheit der Roma“ hergezogen. (Die Antirassismusbewegung MRAP hat deswegen eine Strafanzeige angekündigt.) Am Sonntag, den 06. Juli legte unterdessen der amtierende Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi von der UMP, nach. Er erklärte zum Thema, er „rufe alle Bürgermeister zur Revolte“ auf, da die seit Juni 2012 amtierende (sozialdemokratisch-grüne) Regierung es ihnen nicht länger ermögliche, sich Roma und Gens du voyage („Landfahrer“, Sinti) vom Hals zu halten. Er empfehle ihnen sein Rezept: Aufbau von zahllosen Überwachungskameras, Beaufsichtigung auf Schritt und Tritt, Beschlagnahme von Fahrzeugen.

Mehrfach setzte Estrosi dabei die Gens du voyage – eine administrativ anerkannte Kategorie, zu der in Frankreich rund 200.000 Menschen gehören – in Gegensatz zu Franzosen: „Sie wissen schon, diese schönen und dicken Wohnwagen, für die die Franzosen manchmal ein Leben lang arbeiten müssten, um auch solche zu haben.“ Viele der in Frankreich lebenden „Landfahrer“ oder Sinti sind seit dem 15. Jahren Franzosen; im Unterschied zu den Roma aus südosteuropäischen Ländern sind sie keineswegs Neuzuwanderer. Ein Politiker der regierenden Sozialdemokratie aus dem Pariser Umland, Eduardo Rihan Cypel, reagierte darauf, indem er Estrosi „einen Aufruf zu Pogromen“ vorwarf. Antirassismusorganisationen überlegen derzeit, Strafanzeige zu erstatten.

Immunität Marine Le Pens im Europaparlament aufgehoben

Am Dienstag, den 02. Juli 13 beschloss eine Mehrheit im Europäischen Parlament, die Immunität der Abgeordneten Marine Le Pen aufzuheben. Dadurch wird der Weg frei zu einer Anklageerhebung vor dem Straf- und Zivilgericht in Lyon. In dieser Stadt hatte Marine Le Pen am 10. Dezember 2010, während des parteiinternen Wahlkampfs innerhalb des FN (damals trat sie gegen den in Lyon ansässigen Bruno Gollnisch zum Parteivorsitz an, den sie im Januar 11 übernahm), ihren berüchtigten Auftritt. In ihrer Rede behauptete sie, „jene, die sich so sehr für den Zweiten Weltkrieg interessieren“, sollten sich „einmal für diese veritable Besatzung interessieren“, die von (angeblich) unter freiem Himmel und auf öffentlichen Plätzen in Frankreich betenden Moslems ausgehe.

Dagegen hatten die Antirassismusbewegung MRAP, aber auch das „Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich“ (CCIF) und die „Liga für Menschenrechte“ (LDH) Strafanzeige erstattet.

Bruno Gollnisch – ihr seinerseits unterlegener Gegenkandidat, der sich z.T. noch immer um die Auslandskontakte des Front National kümmert und ebenfalls dem Europaparlament angehört – wetterte in einer Blogmitteilung gegen „eine Entscheidung (des Europäischen Parlaments), die des Obersten Sowjet der UdSSR würdig wäre“, einmal zeige sich die angebliche Meinungsdiktatur in der angeblichen EUdSSR.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=40112
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