[Buch] Der verdrängte Kapitalismus. Möglichkeiten und Grenzen antifaschistischer Wirtschaftspolitik
„Auf die zunehmende Bedrohung von rechts werden immer drängender Antworten gesucht. Eine davon lautet in jüngster Zeit: »Antifaschistische Wirtschaftspolitik«. (…) Auslöser dieser Forderung ist die Beobachtung, dass Menschen tendenziell eher rechts wählen, wenn aufgrund von wirtschaftlichen Krisen, Inflation und der Kürzung von Sozialausgaben Abstiegsängste und Unsicherheit zunehmen. In diesem Kontext stellen sich einige Fragen: Warum wählen die Menschen dann rechts und nicht links? Welche grundlegenden Fragen werden dabei gar nicht erst angesprochen? Welche Strukturen des Kapitalismus können Aufschluss darüber geben, welche Weltanschauungen im Alltagsbewusstsein anschlussfähiger sind? Vor diesem Hintergrund diskutiert Sabine Nuss die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer »antifaschistischen Wirtschaftspolitik« exemplarisch anhand von vier Maßnahmen – mit Andrej Holm (Mietendeckel), Stephan Kaufmann (Inflation), Antonella Muzzupappa (Investitionen) und Ingo Stützle (Vermögenssteuer).“ Aus dem Klappentext zum Gesprächsband von Sabine Nuss im Karl Dietz Verlag Berlin – siehe mehr Informationen und eine Leseprobe:
- Der verdrängte Kapitalismus. Möglichkeiten und Grenzen antifaschistischer Wirtschaftspolitik
Gesprächsband von Sabine Nuss mit Andrej Holm, Stephan Kaufmann, Antonella Muzzupappa und Ingo Stützle- Karl Dietz Verlag Berlin 2025, Veröffentlichung: 21. November 2025
- Seiten: 168, Broschur
- € 14
- ISBN: 978-3-320-02433-8
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beim Verlag Karl Dietz Berlin, dort auch das Inhaltsverzeichnis

Möglichkeiten und Grenzen »antifaschistischer Wirtschaftspolitik«
»Antifaschistische Wirtschaftspolitik« will die Kluft zwischen Arm und Reich verringern (etwa durch Vermögenssteuer oder Mietendeckel), Menschen in Krisenzeiten schützen (durch Preiskontrollen) und beim grünen Umbau mitnehmen. Isabella Weber bringt die Zielsetzung auf den Punkt, wenn sie sagt: »Es geht darum, wie wir Wirtschaftspolitik so gestalten, dass die Menschen sich wieder in ihrem Land zu Hause fühlen, und zwar ohne dass sie mit dem Finger auf Migranten zeigen und einer Partei mit menschenverachtenden Auffassungen in die Arme getrieben werden.«[1] Wirtschaftspolitik so verstanden ist das Instrument eines »gestalterischen« Staats, der »uns im Neoliberalismus abgewöhnt wurde«. [2]
In den hier dokumentierten Gesprächen mit Ingo Stützle, Andrej Holm, Stephan Kaufmann und Antonella Muzzupappa ist allerdings deutlich geworden, dass »die Wirtschaft« kein Terrain ist, auf dem die divergierenden Interessen grundsätzlich miteinander »versöhnt« werden könnten und das vom Staat zu diesem Zweck »gestaltet« werden könnte. Auch ein noch so sozial »gestaltender« bürgerlicher Staat stößt an die strukturellen Grenzen einer Klassengesellschaft, die sich unter dem Zwang von Konkurrenz reproduziert, deren Produktionszweck in der Vermehrung des Kapitals liegt, die geprägt ist von der jeweiligen ökonomischen Situation, von den Kräfteverhältnissen zwischen den Klassen (und innerhalb der Klassen zwischen den verschiedenen Klassenfraktionen), von herrschenden Ideologien (mehr oder weniger Staat ist gut, mehr oder weniger Markt ist gut etc.) sowie von den politischen Kräfteverhältnissen (in denen konservative oder liberale politische Kräfte dominieren).
Die diskutierten Reformvorschläge »antifaschistischer Wirtschaftspolitik« sind Interventionen in dieses Feld widerstreitender Interessen, insbesondere mit Blick auf den unaufhörlichen Kampf zwischen der Klasse der Lohnabhängigen und der des Kapitals. Der bürgerliche Staat moderiert diesen Gegensatz zugunsten des übergeordneten Ziels »Wirtschaftswachstum«, er hebt ihn nicht auf. Das ist der Rahmen, in dem »antifaschistische Wirtschaftspolitik« bestimmte Möglichkeiten hat. Sie interveniert in den Klassenkampf, der sich auf ganz unterschiedlichen Feldern zeigt, verschiedene Gesichter und Verlaufsformen annehmen und von verschiedenen Gruppen getragen oder vorangetrieben werden kann, jeweils zugunsten der unteren Klassen.
Vor diesem Hintergrund kann etwa der Streit um die Abgabe von Steuern betrachtet werden. Die drei den jeweiligen Großklassen zugeschriebenen Einkommensarten (Lohn, Profit, Grundrente) sind, wie Ingo Stützle im Gespräch deutlich gemacht hat, Ergebnis der Arbeit der Eigentumslosen. Der Klassencharakter der modernen Gesellschaften ist insofern in das Steuersystem eingeschrieben. Je mehr Steuern auf Vermögen (Profit, Grundrente) erhoben und für die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen verwendet werden, desto mehr kehrt vom Mehrwert, den die Lohnabhängigen erwirtschaftet haben, wieder zu ihnen zurück.
Dabei ist jedoch immer mitzudenken, welche Gruppe wie von Reformvorschlägen adressiert wird. Wenn beispielsweise davon die Rede ist, dass die Steuern für die unteren Einkommensklassen gesenkt werden sollen (was zunächst ganz positiv erscheint), geraten jene aus dem Blick, die gar keine Steuern bezahlen, weil sie zu wenig verdienen. Will man die untersten Einkommensbezieher wie Geringverdiener adressieren, helfen Maßnahmen wie ein hoher Mindestlohn, Tarifbindung, Absenkung der Mehrwertsteuer oder der Ausbau öffentlicher Dienstleistungen mit gratis Zugang, ähnlich dem System der öffentlichen Bibliotheken.
Neben den diskutierten Instrumenten wie Vermögenssteuer, Mietendeckel und Preiskontrollen würde eine umfassende Stärkung der sozialen Infrastruktur einer weiteren Gruppe zugutekommen, die als zentraler Teil der lohnabhängigen Klasse oft aus dem Blick gerät: Menschen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten (nach wie vor meist Frauen, wenn sie es sich nicht leisten können, das auszulagern). Sie befinden sich in einer doppelten Abhängigkeit: erstens vom Lohn überhaupt, zweitens – sofern sie selbst nichts verdienen oder nicht ausreichend – vom Lohn eines anderen. Oder aber vom Staat. Diese Mehrfachabhängigkeit schwächt ihre Position. Von gewerkschaftlichen Kämpfen für Lohnerhöhung haben sie beispielsweise nur dann etwas, wenn die Person davon profitiert, von der sie abhängig ist – und das auch nicht zwangsläufig. Mit spezifischen Formen öffentlicher Daseinsvorsorge (Beispiel Kita-Ausbau), der Ausweitung staatlicher Transferzahlungen oder Regulierung (Elternzeitmodelle etc.) wäre die Lohnabhängigkeit zwar nicht überwunden, aber die Lebenssituation und -qualität könnten sich verbessern.
Auch bei Preiskontrollen geht es um Klassenkampf. Gegenstand der Auseinandersetzung ist die Frage, wer wie viel Zugriff hat auf den gesamtgesellschaftlich von den Eigentumslosen produzierten Reichtum, wie Stephan Kaufmann im Gespräch ausgeführt hat. Wenn Energieunternehmen Preise erhöhen, verringern sie – bei gleichbleibenden sonstigen Umständen – das, was die Menschen für ihre Lebenshaltung zur Verfügung haben. Im gleichen Atemzug erhöhen sie ihre eigenen Einnahmen. Wenn der Staat in der Krise Energiepreise deckelt, erhält er die Kaufkraft der Menschen und damit den bisherigen Zugriff auf den von allen produzierten Reichtum mittels Lohn, während er die Renditemöglichkeiten der Unternehmen in gewissem Rahmen einschränkt. Bei Mieten sieht es ähnlich aus. Wenn Immobilienkonzerne Mieten hochsetzen, erhöht das ihr Vermögen, schmälert aber das Einkommen der Mieterinnen und Mieter. Ein Mietendeckel kann diese Umverteilung stoppen.
Wenn der Staat »grüne Investitionen«, beispielsweise die Förderung der Dekarbonisierung von CO₂-emittierenden Unternehmen, mit der Auflage verbindet, Arbeitsplätze zu erhalten (bei gleichbleibenden Löhnen), dann kann auch das die mögliche Rendite des Unternehmens schmälern, die Dividenden verringern, während es die Kaufkraft der Beschäftigten erhält.
Kurzum: Im Rahmen dieses Dauerkonflikts zwischen den Klassen kann »antifaschistische Wirtschaftspolitik« dem Kapital Geländegewinne abtrotzen zugunsten der lohnabhängigen Klasse oder zumindest Teilen von ihnen. Damit ist ihr Handlungsspielraum abgesteckt und zugleich ihre Grenze benannt: Sie kann die Fronten in den Auseinandersetzungen zwischen den Klassen verschieben, sie kann diese Fronten aber nicht aufheben. Die grundsätzliche Grenze »antifaschistischer Wirtschaftspolitik« liegt in der Notwendigkeit des Kapitals zur Akkumulation, dem Zwang, sich zu vermehren, um des Vermehrens willen. Dazu braucht es ausreichend Mehrwert. Und dieser entsteht durch Ausbeutung. Ausbeutung und Akkumulation sind systemnotwendig. Der Zwang zur Vermehrung von Kapital entspringt nicht der Gier von Kapitalisten, sondern der Konkurrenz zwischen den Unternehmen. Wie Antonella Muzzupappa dargelegt hat, zwingt sie die Kapitalisten dazu, immer wieder von Neuem Kapital zu investieren. Konkurrenz ist die zentrale Triebfeder für den Wachstumszwang. [3]
Konkurrenz wird in der herrschenden ökonomischen Lehre als positive Anreizstruktur gelobt. »Konkurrenz belebt das Geschäft« ist beredter Ausdruck dieser Überzeugung. Tatsächlich hat der Zwang zur Erhöhung des Mehrwerts ein enormes Potenzial, wenn es um Produktivitätssteigerung und die Produktion von neuen Waren geht, für die die Bedürfnisse erst noch künstlich erzeugt werden müssen. Die Kehrseite von Effizienz und Innovation ist die Zerstörung von Mensch und Natur.
Nicht nur innerhalb eines Landes konkurrieren Unternehmen gegeneinander, das geschieht auch zwischen Ländern und innerhalb geopolitischer Machtblöcke. Staaten haben Interesse am Erfolg der »eigenen«, der nationalen Unternehmen, sie wollen, dass »ihre« Unternehmen sich auf dem Weltmarkt gegen andere durchsetzen. Je schärfer der Wettbewerb auf dem Weltmarkt, desto wichtiger ist es aus Sicht des Staates, den eigenen Standort »attraktiv« fürs Kapital zu machen, das heißt, die Kosten für das Kapital möglichst gering zu halten. Das aber bedeutet: tendenziell geringerer Lohn, niedrigere Umweltauflagen – und auch eine entsprechende Steuergesetzgebung. Eine Vermögenssteuer müsste gegen massive Interessen durchgesetzt werden. Ob das gelingt, ist eine Frage der Kräfteverhältnisse und der wirtschaftlichen Stärke eines Staates. Wie nachhaltig solche Errungenschaften sein können, hängt nicht zuletzt von der Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Ökonomie ab.
Wir haben insbesondere in den Gesprächen über Inflation und Investitionen gesehen, wie unterschiedlich Krisen aussehen können. Wenn Unternehmen unter dem Zwang, ihr Kapital zu vermehren, die Preise erhöhen – sei es nun aus Gier oder aufgrund der Inflation bei ihren eigenen Vorprodukten oder Betriebskosten –, betrifft das zunächst Menschen, für die immer alles teurer wird und die sich das nicht leisten können. Ihr Konsum geht zurück, was sich auf andere Unternehmen auswirken kann, wenn sie Absatzmöglichkeiten verlieren. Solche Absatzeinbrüche sind aber noch keine Krise der Verwertung des Kapitals. Das werden sie erst, wenn die Unternehmen in einem Ausmaß auf ihren Waren sitzenbleiben, dass weder Zinsen, Dividenden und Löhne bezahlt noch Kredite und andere Verpflichtungen bedient werden können. Das kann einen Dominoeffekt auslösen, andere Unternehmen mit hineinziehen und damit auch Banken, die so viel Kreditausfälle nicht mehr verkraften. Das kann zu Massenarbeitslosigkeit führen.
Eine solche Krise ist aber keine Abweichung von der Normalität, sondern fester Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise. Wann eine Krise kommt, wie und wo sie ausgelöst wird, wie lange sie anhält, welche Ausmaße sie hat und welche Auswirkungen auf die Menschen – all das kann niemand vorhersagen. Der von vielen beklagte »Kontrollverlust«, die Unsicherheit und Instabilität sind Kennzeichen einer kapitalistischen Marktwirtschaft. Das lässt sich vonseiten des Staates nicht »wegregulieren«, umso weniger unter Bedingungen einer verschärften Weltmarktkonkurrenz. Deswegen ist das Handlungsfeld des Staates extrem umkämpft. Soziale Errungenschaften werden in Krisenzeiten zurückgenommen, sogar von jenen, die sie einst eingeführt haben: Der Sozialstaat wird abgebaut, die Daseinsvorsorge privatisiert, Lohnarbeitende werden entlassen, die Arbeitszeit wird verlängert etc. – flankiert von Appellen an die Eigenverantwortung und an das Nationalbewusstsein: Für »Deutschlands Wohlstand« sei all dies nötig.
Davon betroffen ist auch eine Vermögenssteuer. Zwar kann damit in einem begrenzten Rahmen Reichtum umverteilt werden, aber die systemische Ungleichheit, die aus der Eigentumslosigkeit herrührt, sowie die sich aus der Konkurrenz ergebenden periodischen Krisen bleiben davon unberührt. Damit steht eine Vermögenssteuer wie andere soziale Errungenschaften stets zur Disposition: Spätestens bei der nächsten Krise oder allein schon beim Versuch, in der internationalen Konkurrenz mitzuhalten, werden sie unerbittlich auf den Prüfstand gestellt.
Auch Preiskontrollen finden ihre Grenze an der Notwendigkeit zur Kapitalakkumulation. Im Plädoyer für eine »antifaschistische Wirtschaftspolitik« scheint ein linkskeynesianisches Wirtschaftsmodell durch, das Märkte zwar einhegen möchte, zum Beispiel um »irrationalen« Preissteigerungen entgegenzutreten, das aber Märkte als Instrument der Allokation von Gütern nicht grundsätzlich hinterfragt. Nun erfolgt im Kapitalismus die Produktion von Gütern und Dienstleistungen und die damit verbundene Jagd nach Profit »privat«, das heißt unabhängig von den anderen, die ebenfalls etwas produzieren oder anbieten. Privatproduktion bedeutet Intransparenz und Nichtwissen. Auf dem Markt werden die unbekannten Größen von Gesamtangebot und (zahlungsfähiger!) Gesamtnachfrage mittels Preisen miteinander in Beziehung gesetzt. Der Markt ist daher die für die kapitalistische Privatproduktion notwendige Regulierungsinstanz.
Ein dauerhafter und umfassender Eingriff in den Mechanismus der Preisbildung, wie Preiskontrollen sie darstellen, schränkt diese Regulierung ein, was je nach Lage zu weiteren Problemen führen kann: zu einer Umgehung der Preiskontrollen (Schwarzmärkte) und/oder zum Zusammenbruch von Lieferketten. An einzelnen Stellen mögen Preiskontrollen möglich sein, auf breiter Ebene angewandt besteht aber die Gefahr einer Vergrößerung der Probleme. Die spezifisch kapitalistische Anreizstruktur würde empfindlich gestört werden. Wenn einem Unternehmen durch das Deckeln von Preisen die Möglichkeit der Vermehrung von Kapital eingeschränkt wird, hat es einen geringeren Anreiz zur Produktion. Eine umfassendere oder dauerhafte Regulierung von Preisen würde daher nicht nur auf massive Widerstände seitens des Kapitals stoßen, sie könnte auch Krisen hervorrufen. Der kapitalistische Markt würde dysfunktional werden. Es wäre eine transformation by desaster, keine transformation by design. Im Grunde wissen das auch die Verfechterinnen und Verfechter von Preiskontrollen: Sie sollen nur für Krisenzeiten gelten, im absoluten Notfall.[4]
Eine weitere Grenze für Maßnahmen »antifaschistischer Wirtschaftspolitik« liegt im »stummen Zwang der Verhältnisse« (Marx). In Gesellschaftsformationen wie dem Feudalismus waren die Untergebenen persönlich abhängig von ihrem Herrn, in der modernen kapitalistischen Klassengesellschaft sind sie sachlich abhängig, das heißt, sie sind nicht abhängig von einer bestimmten Person, sondern von der sachlichen Notwendigkeit, ihre Arbeitskraft gegen Lohn verkaufen zu müssen. Kapitalismus braucht notwendigerweise diesen »stummen Zwang« der Verhältnisse. Eine umfassende Sozialpolitik erschwert nicht nur die Verwertung des Kapitals, da es die Beiträge zu den entsprechenden Sozialversicherungen mitträgt. Sie würde Menschen auch die Freiheit geben, nicht jede beliebige Arbeit annehmen zu müssen, sei sie noch so schlecht. Das ist für den Kapitalismus dysfunktional. Eine Sozialpolitik, die diesen Zwang tendenziell unterminiert, stößt daher an die systemischen Grenzen des Kapitalismus.
Die Maßnahmen »antifaschistischer Wirtschaftspolitik« sind im Einzelnen stark umkämpft. Je schärfer die Krisen, je größer die internationale Konkurrenz, je untergeordneter ein Staat in der internationalen Konkurrenz steht, umso größer sind die Widerstände gegen die von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen. Im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise heißt umkämpft nicht, dass jedes Ergebnis möglich wäre, wenn nur die Kräfteverhältnisse es hergeben würden. Sind diese Maßnahmen nicht sowieso von vorneherein nur temporär gedacht, dann stoßen sie mit dem Zwang zur Akkumulation zusammen. Insofern besteht immer die Gefahr, dass sie unter dem Druck von Krisen und Konkurrenz wieder aufgehoben werden. Die Ursachen für die destruktiven Dynamiken einer kapitalistischen Ökonomie bleiben unter den gegebenen Bedingungen grundsätzlich erhalten. Die Maßnahmen »antifaschistischer Wirtschaftspolitik« müssten daher Teil einer größer angelegten Strategie sein, wie sie Andrej Holm in Bezug auf den Bereich Wohnen benannt hat: Damit ein effektiver Mietendeckel nicht zu weniger Investitionen in den Wohnungsbau führt, muss man Wohnen prinzipiell aus der privaten Marktlogik befreien und ein öffentliches Förderprogramm auflegen. Ähnliches gilt für die anderen von der »antifaschistischen Wirtschaftspolitik« vorgeschlagenen Maßnahmen.“
Schlussabschnitt des 2. Kapitels “ Möglichkeiten und Grenzen ‚antifaschistischer Wirtschaftspolitik'“ (S. 113–121)
Fußnoten
1) Isabella Weber: »Angst ist ein wichtiger Faktor. Ökonomin Weber zu Wirtschaft unter Trump«, Interview, in: die tageszeitung, 11.11.2024, unter: https://taz.de/Oekonomin-Weber-zu-Wirtschaft-unter-Trump/!6047444 ![]()
3) Natürlich gibt es Unternehmen, die sich diesem Druck zu entziehen versuchen, die selbst durchaus kritisch sind gegenüber der Logik der maximalen Steigerung von Renditen. Sie wollen langfristig, nicht kurzfristig agieren und eher bestands- denn gewinnorientiert. Aber der Handlungsstruktur der Konkurrenz können auch sie sich nicht vollständig entziehen.
4) »Preiskontrollen verschaffen uns Zeit, nicht mehr und nicht weniger. Bei Problemen kann man nicht einfach Preisobergrenzen einführen und dann sagen: ›Okay, ich habe meine Arbeit getan, das war’s.‹ Die Preiskontrolle wird früher oder später nicht mehr angemessen funktionieren. Aber man kann Preiskontrollen anwenden, damit ein Preis nicht völlig überzogen wird – und in der Zwischenzeit alles Denkbare tun, um die tatsächlich existierende Knappheit des jeweiligen Guts zu beheben« (Isabella Weber in: »So geht antifaschistische Wirtschaftspolitik«, Interview, in: Jacobin, 18.11.2024, https://jacobin.de/artikel/isabella-weber-preiskontrollen-inflation-trump-biden-antifaschistische-wirtschaftspolitik
).
Siehe zum Buch auch:
- Rezension Gesprächsband: Antifa heißt Kapitalismuskritik!
„Mittlerweile ist es ein Allgemeinplatz, dass das Erstarken der Rechten auch wirtschaftliche Gründe hat (…) Aber ist es tatsächlich so einfach, dass sich mit ein paar Stellschrauben an der Maschine das Denken und Handeln der Menschen in eine progressive Richtung drehen ließe? Oder haben wir es im Kapitalismus mit einem weitaus komplexeren und tiefgreifenderen System zu tun? Der von Sabine Nuss kuratierte und herausgegebene Sammelband »Der verdrängte Kapitalismus« setzt an dieser Frage an und will »die tiefer liegenden strukturellen Zusammenhänge – insbesondere Herrschaftsverhältnisse und zentrale Handlungsmodi einer kapitalistischen Ökonomie« nachzeichnen. (…) Der Band wählt dazu eine spezielle Form: »Endlich ein Podcast, den man lesen kann«, kommentierte Autor Ingo Stützle treffend die Veröffentlichung des Bands auf »Bluesky«, der zu großen Teilen aus Gesprächen besteht. Und: »Es geht ums Ganze«. Denn wie unter einem Brennglas bringen die Autor*innen die alltäglichen Tücken unserer kapitalistischen Gegenwart auf den Punkt. Entlang von vier von Sabine Nuss geführten Gesprächen werden zentrale Krisenzonen der Analyse unterzogen. Stützle spricht über die Vermögenssteuer, Stephan Kaufmann zur Inflation, der Mietdeckel und die Mieten sind Thema von Andrej Holm und die Frage der Investitionen wird von Antonella Muzzupappa beleuchtet. Sabine Nuss rahmt das Ganze entsprechend mit einer Einleitung, in der sie sich auf die Forderungen und Lücken einer antifaschistischen Wirtschaftspolitik bezieht. Die Texte argumentieren dabei deutlich marxistisch, kapitalismuskritisch, illusionslos und zielen auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge anstatt auf einfache Antworten. Die Parole der antifaschistischen Wirtschaftspolitik wird dabei auf ihre notwendigen Beschränkungen verwiesen, allerdings in solidarischer Absicht, denn die Forderung als solche teilen die Autor*innen. Ihr Austausch ist in Ton und Stil unakademisch, unkompliziert und bietet unmittelbaren Anschluss an die Lebenswelt der Leser*innen. Die Komplexität der Sache – also die kapitalistischen Reproduktionsverhältnisse – soll dabei jedoch nicht banalisiert oder verharmlost werden, es geht darum, sie angemessen darzustellen. Klassenverhältnisse, Umweltkrise, die kapitalistischen Verhältnisse und deren Geschichte sowie die Frage des Staats werden dafür im Zuge der Gesprächsverläufe in den Blick genommen. So entsteht in der Gesamtschau eine Analyse, von der aus es weiterzudenken und zu handeln gilt, allerdings eben nicht als Gebrauchsanweisung…“ Rezension von Sebastian Klauke vom 26. November 2025 in Neues Deutschland online
Siehe bereits:
- Sabine Nuss: Antifaschistische Wirtschaftspolitik muss an der ökonomischen Wurzel ansetzen
„Was kann antifaschistische Wirtschaftspolitik leisten?“ Das diskutiert die Politologin und Publizistin Sabine Nuss in ihrem neuen Gesprächsband und mit Lukas Scholle im Interview am 27. November 2025 beim Wirtschaftsmagazin Surplus
- in Dossier: „Gerechte“ Sopo oder „antifaschistische“ Wipo – nicht allein gegen den Rechtsrutsch ausreichend und doch nicht in Sicht