Verfassungsfeind Marx? Zur Verfassungs(un)treue von Karl Marx

[Buch] Mythen über Marx. Die populärsten Kritiken, Fehlurteile und Missverständnisse„Darf man in der Bundesrepublik unbehelligt einen Lesekreis zu Marx veranstalten? Laut Verwaltungsgericht Hamburg (Urteil vom 8.4.2025, Az. 17 K 2550/23): Unklar. Stattfinden darf der Lesekreis ohne Einmischung staatlicher Behörden anscheinend nur, solange er sich nicht „aktiv-kämpferisch“ für Marx‘ Ideen einsetzt, da „die von Marx begründete Gesellschaftstheorie“ in wesentlichen Punkten mit den „Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar“ sei. Im konkreten Fall ging es um die Marxistische Abendschule Hamburg (MASCH), die wegen ihrer Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht 2021 gegen den Hamburger Verfassungsschutz klagte. Das Hamburger Verwaltungsgericht entschied zwar für die MASCH und gab dem Verfassungsschutz auf, MASCH aus seinem Bericht zu entfernen, aber in seinem Urteil bestritt das Gericht ausdrücklich die Verfassungstreue von Marx (…) Ironisch ist, dass die Richter des Hamburger Verwaltungsgerichtes von einem Marx-Lesekreis profitieren würden, um an einer solchen Debatte besser teilnehmen zu können.“ Eine Richtigstellung von Bruno Leipold vom 28. August 2025 beim Verfassungsblog externer Link und dazu:

  • „Marx würde wählen“. Ein Hamburger Gericht hat kürzlich Karl Marx‘ Theorien als antidemokratisch bezeichnet. „Quatsch, sagt der Gesellschaftswissenschaftler Alex Demirović“ New
    „… [Marx] würde sicherlich kritisch prüfen, welche Politik linke Parteien verfolgen, vielleicht hätte er Sorge, dass sie im politischen Alltag das Ziel einer sozialistischen Transformation aus den Augen verlieren. Aber er würde eine linke Partei durchaus wählen, da es ihm darum ging, die Bildung eines Veränderungswillens zu unterstützen, der auf die Freiheit der Individuen und die Veränderung der Eigentumsverhältnisse zielt. taz: Im August 2025 hat das Hamburger Verwaltungsgericht in einem Urteil über die Marxistische Abendschule externer Link geschrieben, Marx’ Theorie sei antidemokratisch und Marx-Lesen nicht mit der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ vereinbar. Was sagen Sie dazu?
    Demirović: Ich finde diesen Rückfall des Gerichts in die 1970er Jahre, die Jahre der „Berufsverbote“, befremdlich. Erstmal ist es ein ziemlicher Holzhammer gegen einen Bildungsverein externer Link. Dann berührt es die Frage: Wie demokratisch ist Marx und die Tradition, die an ihn anschließt? (…) Im Urteil wird vieles außer Acht gelassen, etwa dass es ganz unterschiedliche Bezugnahmen auf Marx gibt. Zum Beispiel untersuchte der Verfassungsrechtler Wolfgang Abendroth im Nachkriegsdeutschland die bundesdeutsche Verfassung in Anknüpfung an Marx, ohne sie zu verwerfen. Abendroth übt Kritik nicht aus undemokratischen Gründen, sondern weil er mehr Demokratie will. (…) Abendroth zufolge hat das deutsche Bürgertum mit dem Nationalsozialismus die Demokratie durch die Diktatur ersetzt. Deswegen verstand Abendroth die Verfassung der BRD als Klassenkompromiss, der nach dem Scheitern der Weimarer Republik eine erneute Aushöhlung verhindern kann. Demnach bildet die Verfassung nur die Grundlage für eine weitere Demokratieentwicklung. (…)
    Wir leben unter den Bedingungen, unter denen die Gewinninteressen der Unternehmen und Investoren maßgeblich sind für die Entscheidungen unserer Gesellschaft. Das weiß jede*r – es wird ja von den Regierenden jeden Tag gesagt: Erst muss die Wirtschaft laufen, dann darf auch an die Rentner*innen, die Kranken, an die Armen, die Ökologie gedacht werden. Im Sinne von Marx kann man sagen: Was wir hier haben, ist eine Diktatur der Minderheit, die unsere Gegenwart und Zukunft festlegt. (…)
    Das Gericht sagt offen, dass es die Klassen nicht abschaffen will, es bestätigt, dass die liberale Verfassung der Bundesrepublik die einer Klassengesellschaft ist. Insofern ist es eine ehrliche, liberal-konservative Urteilsbegründung. Indirekt stellt es damit das Demokratiegebot und den Bildungsauftrag des Grundgesetzes infrage…“
    Interview von Amira Klute vom 17. Oktober 2025 in der taz online externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=231447
nach oben