Pilotprojekt Grundeinkommen: kein Rückzug vom Arbeitsmarkt, aber bessere mentale Gesundheit – Feldstudie entkräftet Mythos von der sozialen Hängematte [leider]
„Untersucht wurde Wirkung bedingungsloser Geldzahlungen in Höhe von 1200 Euro pro Monat über drei Jahre auf Arbeitsmarktbeteiligung, Konsum und Wohlbefinden. Über ein Drittel der bedingungslosen Geldzahlungen wurden gespart und knapp acht Prozent für wohltätige Zwecke oder zur Unterstützung von Familie und Freund*innen ausgegeben. Geldempfänger*innen zogen sich weder vermehrt aus Arbeitsmarkt zurück noch reduzierten sie signifikant ihre Arbeitsstunden. Bedingungslose Geldzahlungen verbesserten mentale Gesundheit und subjektiv empfundenes Wohlbefinden der Maßnahmengruppe über gesamten Zeitraum. Studie liefert evidenzbasierten Baustein zur Versachlichung der sozialpolitisch relevanten Debatte…“ Zusammenfassung der Ergebnisse des Pilotprojektes Grundeinkommen und diese beim DIW
sowie weitere Infos/Bewertungen:
- DIW: Pilotprojekt Grundeinkommen: Feldstudie entkräftet Mythos von der sozialen Hängematte – Bedingungsloses Grundeinkommen kann als Reformoption nun evidenzbasiert debattiert werden
„Wer bedingungslos regelmäßige Geldzahlungen erhält, zieht sich nicht aus dem Arbeitsmarkt zurück, ist aber mental deutlich gesünder. Das ist das Hauptergebnis des Pilotprojekts Grundeinkommen, für das mehr als 120 Menschen drei Jahre lang bedingungslose Geldzahlungen in Höhe von 1200 Euro monatlich erhielten. Initiiert wurde dieses Projekt vom Verein Mein Grundeinkommen, der die Geldzahlungen aus Spendengeldern finanzierte. Die wissenschaftlich unabhängige Konzeption und Auswertung des Pilotprojektes erfolgte im Rahmen eines Kooperationsvertrages des Vereins mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und der Wirtschaftsuniversität Wien. Im Fokus der Forschenden stand vor allem die Frage, wie sich regelmäßige und nicht an Bedingungen geknüpfte Geldzahlungen auf Arbeitsmarktbeteiligung, Konsumverhalten und das allgemeine Wohlbefinden der Teilnehmenden auswirken. (…) Die Ergebnisse des dreijährigen Experiments, das im Juni 2021 in Deutschland startete, zeigen, dass die Geldempfänger*innen ihr Arbeitsmarktverhalten kaum änderten. Weder zogen sie sich aus dem Arbeitsmarkt zurück – auch nicht kurzzeitig –, noch reduzierten sie ihre Arbeitsstunden signifikant. „Die Resultate widerlegen gängige Mythen über das bedingungslose Grundeinkommen, insbesondere die Vorstellung, dass es zu einem Rückzug aus dem Arbeitsmarkt kommt“, fasst Studienautor Jürgen Schupp, Wissenschaftler im Geschäftsbereich Sozio-oekonomisches Panel des DIW Berlin, zusammen. „Unsere Studie zeigt das Gegenteil – die Teilnehmer blieben aktiv im Arbeitsmarkt und nutzten die Zahlungen in einer Weise, die auf Verantwortung und Fürsorge hinweist.“ (…) Über ein Drittel der erhaltenen Geldzahlungen wurde von den Teilnehmenden gespart. Sie legten insgesamt mehr als doppelt so viel auf die hohe Kante wie die Vergleichsgruppe von 1580 Personen. Darüber hinaus gaben die Geldempfänger*innen sieben Prozent der Zahlungen zur Unterstützung von Familie und Freundeskreis aus oder spendeten sie für wohltätige Zwecke. „Es ist bemerkenswert, dass die Teilnehmer so viel sparten und gleichzeitig auch anderen in ihrem sozialen Umfeld halfen. Dies unterstreicht, dass bedingungslose Geldzahlungen nicht nur der persönlichen Konsumsteigerung dienen“, erklärt Studienautorin Sandra Bohmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Staat im DIW Berlin. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist die signifikante Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens der Geldempfänger*innen. Ihre allgemeine Lebenszufriedenheit stieg um 42 Prozent einer Standardabweichung. „Bemerkenswert ist außerdem, dass dieser Effekt über den gesamten Studienverlauf sehr stabil blieb und es nicht zu Gewöhnungseffekten kam“, sagt Studienautorin Susann Fiedler, Professorin für Business and Psychology an der Wirtschaftsuniversität Wien. Auch die mentale Gesundheit verbesserte sich um 30 Prozent einer Standardabweichung. „Dieser Anstieg bei der Lebenszufriedenheit und der mentalen Gesundheit ist insbesondere in Zeiten, wo die Krankschreibungen wegen psychischer Krankheiten zunehmen, sehr erfreulich“, ergänzt Fiedler. (…) Da die Studie das gängige Stereotyp entkräftet, dass Menschen mit dem bedingungslosen Grundeinkommen in eine „soziale Hängematte“ abgleiten, trägt diese Feldstudie zur Versachlichung der sehr polarisiert geführten Debatte bei. (…) „Da aufgrund des demografischen Wandels in den nächsten Jahren Deutschlands Sozialsysteme umgebaut werden müssen, sollte eine evidenzbasierte und ergebnisoffene Debatte alle Reformoptionen in den Blick nehmen – auch wenn das bedingungslose Grundeinkommen aktuell nicht auf der Agenda der politischen Parteien steht“, ergänzt Schupp.“ DIW-Pressemitteilung vom 9. April 2025zur Studie im DIW Wochenbericht 15/2025
- Drei Jahre Forschung, eine klare Antwort: Grundeinkommen verändert, wie du arbeitest – nicht ob. Grundeinkommen. Noch besser als wir dachten.
„Die Forschung zeigt, wie Grundeinkommen wirklich wirkt: Alle arbeiten weiter – aber mit mehr Sinn, Zufriedenheit und neuen Chancen. Das motiviert uns für den nächsten großen Schritt. (…) In der Studie haben Menschen mit Grundeinkommen genauso viel gearbeitet wie zuvor: im Schnitt 40 Stunden pro Woche. Es hört also niemand auf – aber viele fangen neu an! Denn Teilnehmer*innen mit Grundeinkommen haben oft auch die Chance genutzt, sich beruflich neu zu orientieren. Oder zu studieren. (…) Grundeinkommen ermöglicht berufliche Entwicklung. Manche schlagen neue Wege ein, andere finden im alten Job neue Perspektiven. (…) Weniger Stress, besserer Schlaf, mehr Zeit für dich und deine Freund*innen: Monatliche Zahlungen von 1.200 Euro verbessern das Wohlbefinden, die Lebenszufriedenheit und das Gefühl von Sinn im Leben. Und langfristig tut das nicht nur dem Kopf gut – sondern auch dem Körper. (…) Mit Grundeinkommen entscheidest du selbst über dein Leben – und die Möglichkeit, freie Entscheidungen zu treffen, verbessert spürbar dein Wohlbefinden. Besonders stark ist dieser Effekt übrigens bei Menschen, die ohne Grundeinkommen weniger selbstbestimmt wären. Zum Beispiel bei Frauen. (…) Mit Grundeinkommen mussten die Teilnehmenden nicht mehr von Monat zu Monat leben, das Geld kam zuverlässig. Viele konnten so erstmals sparen oder investieren. (…) Solidarität wird möglich, wenn du dich sicher fühlst. Denn wer sich keine Sorgen ums eigene (Über-) Leben machen muss, kann auch leichter teilen. (…) Für uns enttäuschend, aber auch das gehört zur Wahrheit: Grundeinkommen macht keinen besseren Menschen aus dir. In der Studie wurde niemand geduldiger, risikobereiter oder wählte plötzlich andere Parteien als zuvor. (…) Grundeinkommen gibt Menschen das Gefühl, mehr Zeit zu haben – für Freund*innen, Familie, Schlaf und das, was ihnen wirklich wichtig ist. (…) Das nächste große To Do fürs Grundeinkommen: – Finanzierbarkeit beweisen – Wirkung untersuchen – Gruppeneffekte erforschen Wir haben Großes vor! Wir starten 2026 mit der nächsten Phase der Forschung. Direkt in der Verlosung – und du mittendrin!“ Studienbewertung vom 9. April 2025 bei ‚Mein Grundeinkommen‘ - [Doku-Serie] Der große Traum – Geld für alle
Ab 9. April in der ARD-Mediathekverfügbar: Was passiert, wenn 122 Menschen drei Jahre lang monatlich 1.200 Euro erhalten – bedingungslos? Es ist eines der weltweit aufwendigsten Experimente zum Bedingungslosen Grundeinkommen, streng wissenschaftlich begleitet. Wie gehen die glücklichen Empfänger des Bedingungslosen Grundeinkommens damit um, was verändert sich? Die humorvolle Doku-Serie von Alexander Kleider offenbart überraschende Einsichten über Geld, Arbeit und den Wert von Freiheit. Kann das Grundeinkommen die Arbeitswelt wirklich revolutionieren? – mit DIW-Forschenden der Studie
- Leider in der Realitätsferne
„… Die neuen Daten könnten konservative Bedenken zerstreuen und sogar einen anderen Blick auf den Arbeitsmarkt ermöglichen. Dennoch bleiben die Wissenschaftler*innen mit ihren Überlegungen im jetzigen System haften. Denn fernab der Umsetzung ist das Grundeinkommen gerade deshalb eine Utopie, weil es Leistung und Einkommen entkoppeln könnte. Noch radikaler wäre, ein »bedingungsloses Wohnen« oder »bedingungslose Ernährung« zu fordern und mit der Geldform zu brechen. Nur so ein Gedanke.“ Kommentar von Sarah Yolanda Koss vom 09.04.2025in ND online – auch an unseren Hoffnungen in ein BGE vorbei… (siehe die Artikel von Mag Wompel zum Thema)