Professionelle PR-Arbeit? Schafft sie mehr Nähe oder mehr Distanz zwischen BR und den Kolleg:innen im Betrieb?

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit„… BR-Gründungen sind fast immer die Sache einer kleinen Minderheit. Soll ein Betrieb wirklich mitbestimmt werden, kann die Betriebsratsgründung deswegen nur der erste Schritt sein. Das gewählte Gremium muss sich im Anschluss darum bemühen, möglichst große Teile der Belegschaft für die Mitbestimmung zu gewinnen. Der Betriebsrat muss zu einer Sache der gesamten Belegschaft werden. Wie kann der Betriebsrat dies erreichen? In Handbüchern und Schulungen hört man oft den Begriff »Öffentlichkeitsarbeit des Betriebsrats«. (…) Statt Öffentlichkeitsarbeit schlage ich den Begriff »Belegschaftsarbeit« vor. Er beschreibt besser, worum es dem Betriebsrat bei der Kommunikation mit seinen Kolleg:innen gehen sollte. (…) Betriebsratsarbeit muss selbst zur Belegschaftsarbeit werden. (…) Eine Wandlung des Betriebes, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und mehr Handlungsmacht für die Beschäftigten ist aber im Interesse der gesamten Belegschaft. Deswegen muss auch die gesamte Belegschaft Verantwortung dafür tragen und sich aktiv in die Mitbestimmungsarbeit einbringen. Der Betriebsrat muss ihnen nur den Weg dazu ebnen.“ Aus dem Artikel von René Kluge in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 4/2024 – siehe den vollständigen Text:

Professionelle PR-Arbeit?

Schafft sie mehr Nähe oder mehr Distanz zwischen BR und den Kolleg:innen im Betrieb?

Die Gründung eines Betriebsrats verwandelt einen Betrieb. Vorher hat die Arbeitgeberseite nahezu uneingeschränkte Kontrolle über alle betrieblichen Angelegenheiten. Mit einem Be­triebsrat gewinnt jedoch die Belegschaft an Mitbestimmungsmacht. Der Arbeitgeber muss In­formationen teilen, Betriebsversammlungen zulassen und die weitgehenden Rechte des Be­triebsrates respektieren.

Man kann daher zu Recht stolz auf eine Betriebsratsgründung sein. Auch weil dies nicht einfach ist. Es braucht ausreichend Unterstützer:innen, das nötige Wissen und nicht zuletzt Ausdauer und Mut. Häufig werden Gründungen bekämpft, behindert und manchmal sogar verhindert. Auch deswegen ist oft nur ein kleiner Kreis von engagierten Kolleg:innen betei­ligt. Diese stellen dann in der Regel den Wahlvorstand und werden in den Betriebsrat ge­wählt. Der größere Teil der Belegschaft hat dagegen keine aktive Rolle. BR-Gründungen sind fast immer die Sache einer kleinen Minderheit.

Soll ein Betrieb wirklich mitbestimmt werden, kann die Betriebsratsgründung deswegen nur der erste Schritt sein. Das gewählte Gremium muss sich im Anschluss darum bemühen, möglichst große Teil der Belegschaft für die Mitbestimmung zu gewinnen. Der Betriebsrat muss zu einer Sache der gesamten Belegschaft werden.

Der Betriebsrat spricht anders als das Management

Wie kann der Betriebsrat dies erreichen? In Handbüchern und Schulungen hört man oft den Begriff »Öffentlichkeitsarbeit des Betriebsrats«. Dieser stammt ursprünglich aus der Managementtheorie und beschreibt die Kommunikation zwischen einem Unternehmen und seiner externen Öffentlichkeit. Ziel dieser Öffentlichkeitsarbeit (oder »Public Relations«) ist es, eine möglichst günstige öffentliche Meinung zu erschaffen. Öffentlichkeitsarbeit geht also von einem Innen und einem Außen zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit aus. Allein aus diesem Grund passt der Begriff nicht zum Wesen des Betriebsrats. Betriebsräte sind selbst Teil der Belegschaft, somit gibt es keine solche Trennung zwischen innen und außen.

Im Gegensatz dazu pflegt die Arbeitgeberseite bewusst Öffentlichkeitsarbeit im Betrieb, die dann als »human relations« oder »workers relations« bezeichnet wird. Ziel ist es hier, die Zusammenarbeit im Betrieb zu organisieren und Konflikte zu harmonisieren. Die Beschäftig­ten sollen ein möglichst positives Bild ihres Arbeitgebers haben und auch problematische Ent­scheidungen des Arbeitgebers bereitwillig akzeptieren. Betriebliche Öffentlichkeitsarbeit ist also ein weiteres Instrument zur Steigerung der Produktivität. Der Betriebsrat verfolgt jedoch andere Ziele. Deswegen sollte er auch anders über seine Arbeit sprechen. Statt Öffentlich­keitsarbeit schlage ich den Begriff »Belegschaftsarbeit« vor. Er beschreibt besser, worum es dem Betriebsrat bei der Kommunikation mit seinen Kolleg:innen gehen sollte.

Mit den Kolleg:innen statt für die Kolleg:innen

Wie kann der Betriebsrat diese Kommunikation gestalten? Oft hört man den gut gemeinten Ratschlag »Tut Gutes und redet darüber«. Doch auch dieser Spruch stammt aus dem Kontext unternehmerischer Öffentlichkeitsarbeit und sollte mit Vorsicht betrachtet werden. Auch hier wird eine Trennung zwischen innen und außen vorausgesetzt. Der Betriebsrat erzielt Erfolge im Betrieb – vielleicht eine neue Betriebsvereinbarung oder eine verhinderte Teilschließung – und berichtet den Kolleg:innen dann. Das bedeutet, dass sie vorher nicht davon wussten und nicht beteiligt waren.

Selbstverständlich ist es eine wichtige Aufgabe des Betriebsrates, der Belegschaft ständig von seiner Arbeit zu berichten und Informationen zu teilen. Aber das kann nicht die Leitidee der Belegschaftsarbeit sein. Sonst werden die Kolleg:innen zu reinen Empfänger:innen von guten Nachrichten. Belegschaftsarbeit bedeutet nicht nur, ein positives Bild der Arbeit des Betriebsrates zu zeichnen. Stattdessen muss es darum gehen, die Kolleg:innen aktiv an den betrieblichen Auseinandersetzungen zu beteiligen und die Vorhaben des Betriebsrates mitzu­gestalten. Betriebsratsarbeit muss selbst zur Belegschaftsarbeit werden.

Wie funktioniert Belegschaftsarbeit?

Allein schon die Frage, mit welchen Themen der Betriebsrat sich überhaupt beschäftigt, sollte aus der Belegschaft heraus beantwortet werden. Dafür kann der Betriebsrat Umfragen, Ge­spräche bei Betriebsbegehungen oder kollektive Sprechstunden nutzen. Am besten eignen sich Arbeitsgruppen oder andere Interaktionsmethoden auf den regelmäßigen Betriebsver­sammlungen. Der Betriebsrat muss Räume schaffen, in denen möglichst viele Kolleg:innen frei und ohne Zwänge über die betrieblichen Angelegenheiten sprechen und ihre ehrliche Meinung äußern können.

Im Anschluss kann der Betriebsrat seine Ressourcen nutzen, um die Wünsche und Ideen der Belegschaft weiterzuentwickeln. Unter Einsatz seines Freistellungsanspruches, der Infor­mationsrechte sowie des Zugangs zu Schulungen und Sachverstand recherchiert der Betriebs­rat die Themen der Belegschaft, erarbeitet Forderungen, klärt Risiken ab und entwickelt Al­ternativen. Die Ergebnisse werden dann wieder der Belegschaft präsentiert, die diese beurtei­len und über die nächsten Schritte entscheiden kann. So entsteht ein ständiger Austauschpro­zess zwischen Belegschaft und Betriebsrat. Der Betriebsrat muss keine »Öffentlichkeitsar­beit« betreiben, um die Belegschaft von eigenen Vorhaben zu überzeugen, denn es sind nicht mehr die Vorhaben des Betriebsrates, es sind die Vorhaben der gesamten Belegschaft.

Natürlich ist das leichter gesagt als getan. Betriebsräte werden dabei auf viele Herausforde­rungen stoßen. Nicht alle Methoden eignen sich in allen Betrieben gleichermaßen. Unter­schiedliche Belegschaften müssen unterschiedlich angesprochen werden. Die Kolleg:innen werden auch zuerst nicht gewohnt sein, bei betrieblichen Auseinandersetzungen selbst gestal­tend mitzuwirken. Damit sie auch informiert diskutieren und entscheiden können, muss der Betriebsrat oft noch Informationen liefern und alle auf den gleichen Wissensstand bringen. Auch sind Belegschaften nicht homogen. Der Betriebsrat wird mit unterschiedlichen Meinun­gen konfrontiert werden und selbst Stellung beziehen müssen.

Auch wenn Belegschaftsarbeit nicht einfach ist, sollte sie dennoch versucht werden. Die Rechtslage steht dem nicht im Weg. Im Gegenteil, das Betriebsverfassungsrecht ist sehr offen für verschiedene, auch partizipative Formen der Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Belegschaft. Nicht zuletzt profitiert auch der Betriebsrat selbst von einer aktiven Beleg­schaftsarbeit. Wenn die Kolleg:innen sich wirklich in die Mitbestimmungsarbeit einbringen können, werden sie den Betriebsrat und seine Mitglieder noch mehr zu schätzen wissen. Die Betriebsversammlungen werden besser besucht sein und lebhafter ablaufen. Auch gegenüber dem Arbeitgeber wird der Betriebsrat durchsetzungsstärker sein. Es ist klar, dass von der ge­samten Belegschaft getragene Forderungen beim Arbeitgeber mit größerer Wucht aufschla­gen, als wenn lediglich der Betriebsrat diese vorbringt.

Im Betriebsrat sitzt nur ein kleiner Kreis von Kolleg:innen, eine kleine Minderheit. Eine Wandlung des Betriebes, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und mehr Handlungs­macht für die Beschäftigten ist aber im Interesse der gesamten Belegschaft. Deswegen muss auch die gesamte Belegschaft Verantwortung dafür tragen und sich aktiv in die Mitbestim­mungsarbeit einbringen. Der Betriebsrat muss ihnen nur den Weg dazu ebnen.

Artikel von René Kluge in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 4/2024

René Kluge ist ehemaliger Betriebsratsvorsitzender und arbeitet als Betriebsratsberater für »Recht und  Arbeit«: http://www.rechtundarbeit.net/ externer Link

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Email: express-afp@online.de

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=219911
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