Kommunaler Investitionsstau: Handlungsfähigkeit (gezielt?) akut gefährdet
Dossier
„Trotz ihrer sozialen und wirtschaftlichen Schlüsselrolle sind die Kommunen alles andere als finanziell gut gebettet. Als Folge schieben sie in Niedersachsen einen gewaltigen Investitionsstau vor sich her. Um ihre Handlungsfähigkeit zu sichern, fordert das #schlaglicht 34/2023 eine solidarische Tilgung der Altschulden und eine Gemeindewirtschaftssteuer. (…) Die Folgen, die entstehen, wenn Kommen wichtige Aufgaben nicht mehr ausreichend erfüllen können, erleben die Menschen jeden Tag hautnah. Krankenhäuser müssen schließen, Verkehrswege und Bildungseinrichtungen sind marode, es fehlt an Kitaplätzen und öffentliche Freizeitangebote werden zurückgefahren. Ebenso bleiben Unternehmensansiedelungen aus, wodurch wiederum Beschäftigung verloren geht. So entsteht der Nährboden für Politikverdrossenheit, den rechte Kräfte nur zu gut für sich zu nutzen wissen…“ #schlaglicht 34/2023 vom 12.10.2023 beim DGB Niedersachsen
und dazu:
- Kommunen in Finanznot: Städte und Gemeinden haben 2024 ein beispielloses Defizit verbucht – der „Investitionsbooster“ wird es noch verschlimmern
- Kommunen in Finanznot: Städte und Gemeinden haben 2024 ein beispielloses Defizit verbucht
„Die Städte und Gemeinden in der Bundesrepublik sind im Jahr 2024 tief in die roten Zahlen gerutscht. Ihre Ausgaben überstiegen die Einnahmen um 24,8 Milliarden Euro. Ein derart hohes Defizit sei »in seiner Dimension beispiellos« und stelle eine »Zäsur in der Geschichte der Kommunalfinanzen« dar, heißt es im Kommunalen Finanzreport der Bertelsmann-Stiftung. Deren Vorständin Brigitte Mohn sprach von einer »Zeitenwende«. Die Handlungsfähigkeit der kommunalen Ebene sei gefährdet. Burkhard Jung (SPD), Präsident des Deutschen Städtetags und Oberbürgermeister von Leipzig, sprach von der »größten kommunalen Finanzkrise im Nachkriegsdeutschland«. In den Städten könne »nur noch über den Mangel entschieden« werden. Aus dem Report, der seit 2013 alle zwei Jahre erscheint, geht hervor, dass die Kommunen zwischen 2015 und 2022 noch durchgehend Überschüsse verzeichnet hatten, die sich auf insgesamt knapp 44 Milliarden Euro summierten. Das galt selbst für die Corona-Zeit, als umfangreiche Hilfen des Bundes für schwarze Zahlen sorgten. Im Jahr 2023 wurde erstmals seit Langem wieder ein Defizit von 6,8 Milliarden Euro verbucht. Schon dieses galt als »historisch«. Ein etwas höheres Minus habe es nur während der Finanzkrise der Jahre 2009 und 2010 gegeben, heißt es in dem Report. 2024 brachen die Zahlen dann regelrecht ein; das Defizit stieg auf das Dreieinhalbfache des Vorjahreswertes. (…) Tatsächlich zu schaffen machten den Städten und Gemeinden aber stark wachsende Ausgaben. (…) Kommunalvertreter wie Mischa Woitscheck, der Geschäftsführer des Sächsischen Städte- und Gemeindetages (SSG), sind von den Zahlen »ernüchtert, aber keineswegs überrascht«. (…) Woitscheck bezeichnete den Report als »Protokoll einer Vernachlässigung der kommunalen Ebene«. Abhilfe versprächen sich sowohl der Report als auch die kommunalen Spitzenvertreter von einer auskömmlichen Finanzierung der Städte und Gemeinden durch Bund und Länder. Diese müssten sich für eine »dauerhafte Verbesserung der kommunalen Situation engagieren«, sagte Mohn; es brauche eine »eindeutige Finanzierungsverantwortung beim Bund«. Jung pochte auf einen höheren Anteil der Kommunen etwa an der Umsatzsteuer, von der die Kommunen bisher 3,7 Prozent erhalten, der Bund 45,1 Prozent und die Länder 51,2 Prozent. Ralph Spiegler, der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, forderte ein Sofortprogramm zur Sicherung der kommunalen Handlungsfähigkeit. Das sei eine »dringend erforderliche Investition in das Vertrauen in den Staat und in unsere Demokratie«. Ob solche Forderungen auf offene Ohren stoßen, ist offen. (…) Der Ausblick sei, sagt Vorständin Brigitte Mohn, »für die kommenden Jahre pessimistisch«.“ Artikel von Hendrik Lasch vom 31. Juli 2025 in Neues Deutschland online - Unternehmen jubeln – und die Kommunen zahlen den Preis
„Der Investitionsbooster bedeutet eine milliardenschwere Entlastung für Unternehmen und reißt Löcher in die Haushalte der Kommunen. Nahverkehr, Jugendhilfe und anderen sozialen Angeboten droht die nächste Sparrunde…“ Artikel von Fabian Nehring vom 28. Juli 2025 in Jacobin.de - Siehe „Kommunalen Finanzreport 2025“
der Bertelsmann-Stiftung
- Kommunen in Finanznot: Städte und Gemeinden haben 2024 ein beispielloses Defizit verbucht
- Kitas, Schulen, Schwimmbäder, Sport- und Spielplätze, Straßen und ÖPNV… Wie werden Kommunen finanziell wieder handlungsfähig?
- „Investitionsbooster“ im Kabinett: drohende Mindereinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe – Bund muss Steuerausfälle der Kommunen übernehmen
„Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) fordert die Bundesregierung auf, im Zuge des geplanten Kabinettbeschlusses zu Unternehmenssteuersenkungen auch die absehbaren Steuerausfälle für die Kommunen vollständig zu übernehmen. „Mit den ‚Investitionsbooster‘ genannten Steuersenkungen zugunsten von Wirtschaft und Unternehmen verschärft der Bund die vorhandene finanzielle Notlage vieler Städte und Gemeineden weiter massiv. Das darf nicht passieren. Deswegen müssen die Mindereinnahmen komplett ausgeglichen werden“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke am Dienstag (3. Juni 2025) in Berlin. Am Mittwoch will das Bundeskabinett über das von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil geplante „Gesetz für ein steuerliches Investitionssofortprogramm zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ beraten. Darin vorgesehen sind unter anderem Sonderabschreibungen und Steuersenkungen zugunsten von Unternehmen, die bis zum Jahr 2029 zu Mindereinnahmen im Volumen von mehr als 48 Mrd. Euro führen werden – allein 13,5 Mrd. Euro zulasten der Kommunen. Weitere Ausfälle betreffen den Bund (18,3 Mrd. Euro) und die Länder (16,7 Mrd. Euro). „Viele Kommunen nagen bereits jetzt am Hungertuch. Wenn das, was der Bund aktuell plant, ohne Kompensation realisiert wird, gleicht das einem finanziellen Todesstoß für viele Städte und Gemeinden“, warnte Werneke…“ ver.di-Pressemitteilung vom 03.06.2025, siehe auch:
- 16. Juni, Online-Veranstaltung: „Ohne Moos nix los! Wie werden Kommunen finanziell wieder handlungsfähig?“ in der Reihe: „Lohn, Preis und Profit“
„Die Städte und Gemeinden spielen eine entscheidende Rolle für unsere Lebensqualität. Sie sind maßgeblich verantwortlich für Kitas, Schulen, Schwimmbäder, Sport- und Spielplätze, Straßen und ÖPNV. Vielen fehlt jedoch das Geld, um ausreichend investieren zu können. Die Merz-Regierung plant Steuersenkungen, die die Finanzlage vieler Städte und Gemeinden weiter zu verschlechtern drohen. Wir diskutieren mit Uwe Zimmermann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, darüber, wie unsere Kommunen finanziell besser ausgestattet werden können. Die Veranstaltung des ver.di-Bereichs Wirtschaftspolitik findet online statt am Montag, dem 16. Juni 2025, um 18:00 Uhr. Den Einwahllink veröffentlichen wir kurz vor der Veranstaltung hier: https://onlinebiz.verdi-gpb.de/goto.php/crs/53208“ Infos zur ver.di-Veranstaltung
- Bochumer Bündnis für Arbeit und soziale Gerechtigkeit: Kommunalpolitische Forderungen
„Das Bochumer Bündnis für Arbeit und soziale Gerechtigkeit ist 2010 gegründet worden, um den Abbau von sozialen Leistungen und kulturellen Angeboten zu verhindern und hat sich seitdem immer wieder für den Ausbau von sozialer Sicherheit, von Infrastruktur und Klimaschutz eingesetzt. Stefan Marx, Geschäftsführer des DGB Ruhr-Mark und Sprecher des Bündnisses, erläutert: „Ziel unserer gemeinsamen Aktivitäten ist die Stärkung der Daseinsfürsorge und die Umsetzung einer sozialen und gerechten Politik. In diesem Sinne sollen unsere Forderungen zur Kommunalwahl zur Orientierung bei der Wahlentscheidung dienen. Dabei ist es uns angesichts der Rechtsentwicklung besonders wichtig, dass rechtsextreme Parteien wie die AfD keinen Sitz und keine Stimme im Rat und in den Bezirksvertretungen bekommen.“ (…) Die beteiligten Organisationen sind sich einig darin, dass eine aktive soziale und demokratische Stadtpolitik dazu beitragen kann, dass aus der Forderung „Rathaus Nazifrei!“ in Bochum Wirklichkeit wird.“ Meldung vom Bochumer Bündnis für Arbeit und soziale Gerechtigkeit am 05.06.2025 beim DGB Region Ruhr-Mark– als ein Beispiel
- „Investitionsbooster“ im Kabinett: drohende Mindereinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe – Bund muss Steuerausfälle der Kommunen übernehmen
- Wie Neoliberale die Kommunalverwaltung kaputtsparen
„Schon wieder monatelang auf einen Termin beim Amt warten? Der desolate Zustand der öffentlichen Verwaltung in Berlin und anderswo in Deutschland ist kein Versehen, sondern hat System.
Im Juni 2023 zirkulierte ein Brandbrief, der parteiübergreifend von allen Bezirksbürgermeisterinnen und -bürgermeistern Berlins unterschrieben wurde, in der Hauptstadtpresse. Den Bezirken, die sich in Berlin vor allem über Geldzuweisungen des Landes finanzieren, mangelt es an Mitteln. Es fehlten mindestens 250 Millionen Euro, um den Status quo aufrechtzuerhalten. Um den bekanntermaßen desolaten Zustand der öffentlichen Verwaltung in Berlin zu beheben, bräuchte es noch viel mehr. Zwar stellte das Land den Bezirken daraufhin zusätzliche 100 Millionen Euro zur Verfügung, doch damit ist das Problem der strukturellen Unterfinanzierung längst nicht gelöst. Die hohe Inflation ist nur ein Grund für die Misere. Auch die neoliberale Neuordnung der Verwaltung im Rahmen des »Neuen Steuerungsmodells«, das Managementtechniken der kapitalistischen Privatwirtschaft in die öffentliche Verwaltung eingeführt hat, sorgt systematisch dafür, dass Geldzuweisungen des Landes an die Bezirke möglichst gering ausfallen. Auf der Strecke bleibt dabei die Qualität der staatlichen Dienstleistungen. Die Interessen der Bürgerinnen und Bürger zählen in diesem Modell wenig. Staatliche Dienstleistungen kommen oft eher den unteren Einkommensgruppen zugute, also insbesondere der Klasse der Lohnabhängigen und den kleinen Selbstständigen. (…)
»New Public Management« bezeichnet eine Strömung innerhalb der Verwaltungswissenschaften, die eine neoliberale Reform der Verwaltung anstrebte. Die Maßnahmen, die sie vorschlug, umfassen Privatisierung, mehr »Eigenverantwortlichkeit« von Verwaltungseinheiten, die Einführung von Wettbewerbselementen in das Verwaltungshandeln sowie die Übernahme privatwirtschaftlicher Managementmethoden in den Öffentlichen Sektor. (…)Die deutsche Variante dieses Reformprogramms, das »Neue Steuerungsmodell« (NSM), wurde von der damaligen Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGst) entwickelt. (…)
Während die Bundes- und Landesregierungen Sparmaßnahmen am Staat vornahmen, senkten nämlich die Bundesregierungen unter SPD, CDU, Grünen und FDP zugleich die Steuern auf hohe Einkommen, etwa indem sie die Abgeltungssteuer einführten, die Einkünfte aufgrund von Kapitalbesitz gegenüber der Lohnarbeit steuerlich privilegiert, oder die Körperschaftssteuer von Unternehmen reduzierten. Die Abschreibungsmöglichkeiten für das Kapital, die Christian Lindner in der Ampel-Regierung durch das sogenannte Wachstumschancengesetz durchgesetzt hat, ist ein jüngeres Beispiel dafür, wie Kosten für die »Entlastung« von Unternehmen und Reichen unmittelbar auf die Kommunen abwälzt werden. Von der im NSM beschworenen fiskalischen Disziplin profitieren die, die von staatlichen Leistungen mit breiter Wirkung nichts, aber von ihrer Beschneidung viel zu erwarten haben. (…) Indem die Neuorganisation der Kommunen nach dem NSM anstelle politischer Entscheidungen (die man immerhin noch abwählen könnte) betriebswirtschaftliche Regeln setzt, fügt sie sich ein in einen allgemeinen Trend zur Umverteilung von Unten nach Oben und zur weiteren Entdemokratisierung des Staates. Die Reformen in den Kommunen sind ein Instrument des Klassenkampfes, um die Kosten für die Reproduktion der Gesellschaft vom Kapital auf die Beschäftigten in der Verwaltung und bei den freien Trägern abzuwälzen und auch gegen sich ändernde politische Mehrheiten abzusichern, dass die staatlichen Ausgaben sich auf das »Nötigste« beschränken. Die neoliberale Organisation der lokalen öffentlichen Verwaltung läuft den Interessen der Lohnabhängigen und kleinen Selbstständigen – und damit dem Interesse der breiten Mehrheit der Bevölkerung – diametral entgegen…“ Artikel von Fabian Nehring vom 02. November 2023 in Jacobin.deam Bsp. Berlin
- Klamme Kommunen sind eine Gefahr für die Demokratie
„Deutschlands Kommunen stehen vor massiven Herausforderungen: marode Schulen, geschlossene Schwimmbäder und kaputte Straßen. Doch Investitionen in die Infrastruktur sind alarmierend niedrig. Um die Kommunen zu sichern, braucht es eine Neuorientierung in der Finanzpolitik. (…) Aber auch auf kommunaler Ebene wollen viele konservative und liberale Politiker sparen. Das Kalkül lautet: »Man muss schauen, welche Leistungen die Menschen am wenigsten nutzen und diese Leistungen einfach rauskürzen.« So werden Schwimmbäder, öffentliche Bibliotheken, Konzerthäuser oder kommunale Wohnungsbauprojekte infrage gestellt. Das stärkt langfristig vor allem eines: reaktionäre Politik, die auf die Unzufriedenheit der Menschen baut. Statt eines solchen Förderprogramms für die Rechten braucht es tragfähige Haushalte für die Kommunen. Denn Kommunen sind der Ort, an dem Politik real wird…“ Artikel von Von Karoline Otte vom 23. Oktober 2023 in Jacobin.de