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Frankreich: Nach dem Aufmarsch von 5 bis 600 Neo-Neandertalern: Die Regierungschefin verteidigt das Demonstrationsrecht… das der Stiefelfaschisten

CGT in Frankreich: Für immer antifaschistisch...Nach dem Aufmarsch von 5 bis 600 Neo-Neandertalern: Die Regierungschefin verteidigt das Demonstrationsrecht… das der Stiefelfaschisten. Zuvor benutzten mehrere Präfekten in französischen Départements die Anti-Terrorismus-Sondergesetz für Demonstrationsrechtseinschränkungen; allerdings pfiff das Innenministerium sie dabei zurück. Am Montag hatte Emmanuel Macron in Lyon erneut mit starken Widerständen zu kämpfen. – Die französischen Gewerkschaftsdachverbände werden am kommenden Mittwoch, den 17/05/23 zu Premierministerin Borne gehen…“ Artikel von Bernard Schmid vom 10.5.2023 – wir danken!

Frankreich: Nach dem Aufmarsch von 5 bis 600 Neo-Neandertalern:
Die Regierungschefin verteidigt das Demonstrationsrecht… das der Stiefelfaschisten

Nach dem Aufmarsch von 5 bis 600 Neo-Neandertalern: Die Regierungschefin verteidigt das Demonstrationsrecht… das der Stiefelfaschisten. Zuvor benutzten mehrere Präfekten in französischen Départements die Anti-Terrorismus-Sondergesetz für Demonstrationsrechtseinschränkungen; allerdings pfiff das Innenministerium sie dabei zurück. Am Montag hatte Emmanuel Macron in Lyon erneut mit starken Widerständen zu kämpfen. – Die französischen Gewerkschaftsdachverbände werden am kommenden Mittwoch, den 17/05/23 zu Premierministerin Borne gehen

Alles neu, macht der Mai? Nicht wirklich. An den Problemen von Frankreichs Emmanuel Macron, den die französische Öffentlichkeit mit starken Protesten und sozialen Widerständen infolge der Durchsetzung der am 20. März d.J. beschlossenen, am 15. April in Gesetzesform im Journal officiel (Amtsblatt, Gesetzanzeiger) veröffentlichten Renten„reform“ konfrontiert, änderte sich jedenfalls bislang nichts.

Am Montag dieser Woche, dem 08. Mai, in Frankreich gesetzlicher Feiertag im Eingedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, die Befreiung und den Widerstand, hielt Macron zunächst eine Gedenkfeier auf den Pariser Champs-Elysées ein. Dort stand er über längere Zeit hin buchstäblich allein im Feld der Kameras – nachdem er zuvor am Arc de Triomphe, unter dem das Grabmal des unbekannten Soldaten liegt, militärische Hände schüttelte -, was auch die Aufmerksamkeit einiger Medien für diese Tatsache weckte. Und dies bis hin zur Regenbogenpresse. Vgl.:

Hingegen ging es in Lyon, wohin Emmanuel Macron im Anschluss fuhr, etwas lebendiger zu. Dort demonstrierten laut Angaben der Präfektur (juristischen Vertretung des Zentralstaats im Département Rhône) „3.000“, laut dem öffentlich-rechtlichen Regionalfernsehen – vgl. dazu den ersten der unten stehenden Links zum Thema – „4.000“, lt. Gewerkschaften, u.a. CGT und FO, wiederum „5.000“ Menschen gegen seine Anwesenheit und seine Politik.

Zu hoffen dabei war nur, dass es zu keinem „Ausrutscher“ käme, etwa in Gestalt einer Relativierung der spezifischen Schrecken von Faschismus und Nazismus. Ging doch Macron offiziell nach Lyon, um dort des durch die Nazibesatzer und konkret durch Klaus Barbie ermordeten Widerstandskämpfers und -anführers Jean Moulin zu gedenken. (Moulin wurde am 21. Juni 1943 infolge von Verrats festgenommen, im Anschluss durch die Gestapo verhört und durch Barbie gefoltert. Laut einer nicht in allen Details bewiesenen Version, die dem offiziellen Totenschein entspricht, verstarb er am 08. Juli 1943 im Bahnhof von Metz im ostfranzösischen Lothringen auf dem Transport nach Berlin. Da er aller Wahrscheinlichkeit zufolge mittelbar an erlittenen Folterungen starb, jedoch nicht unmittelbar getötet wurde, benutzten wir am Montag das Adjektiv „umgekommen“. Richtiger, angemessener, anbgebrachter wäre natürlich „ermordet“.)

Nachdem es noch in jüngster Zeit insbesondere aus dem verrückteren Teil des „Gelbwesten“-milieus dümmliche Macron-Hitler-Vergleiche gegeben hat (vgl. https://fr.euronews.com/culture/2023/04/06/tout-savoir-sur-la-fresque-hitler-macron-qui-a-fait-scandale externer Link), musste also gehofft werden, dass es keine Entgleisungen geben würde, bei denen das Andenken an die antifaschistische Résistance mit beschmutzt worden wäre, um Macron zu treffen. Die Hoffnung scheint sich erfüllt zu haben. Es wurden in der Öffentlichkeit keine entsprechenden Entgleisungen verzeichnet, und interviewte Demonstrierende, wie sie etwa durch die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde zitiert werden, wussten sehr wohl den Unterschied zwischen dem historischen Faschismus an der Macht und heutigen, aus anderen Gründen kritikwürdigen bürgerlich-wirtschaftsliberalen Regierenden zu unterstreichen. Seien wir glücklich darüber! Wie auch über den Mobilisierungserfolg. Vgl. dazu:

A propos Faschisten und Nazis: Wirkliche faschistische Kräfte – wenn auch nicht aus dem historischen Faschismus, sondern aktuelle – machten auch in diesem Monat Mai 2023 in Frankreich erheblich auf sich aufmerksam.

Aktuelle faschistische Kräfte

Zunächst hielt der rechtsextreme Rassemblement national (RN, „Nationale Sammlung“, also die auf eine parlamentarische Strategie orientierende und derzeit ziemlich erfolgreiche neofaschistische Wahlpartei) am diesjährigen 1. Mai eine größere Saalveranstaltung mit Medieneffekt ab, zu welcher frankreichweit mobilisiert worden war.

Am 01.05.23 hielt der RN – dessen seine Vorläuferpartei in Gestalt des Front National (FN, vor der Namensänderung 2018) demonstrierte bis 2015 noch jährlich an diesem Datum in Paris an der Statue der „Nationalheiligen“ Jeanne d’Arc, stellte dies aber unter Marine Le Pen ab 2016 ein, auch unter Berufung auf die „Terrorismusgefahr“ – eine Saalveranstaltung am Nachmittag mit 1.300 Parteikadern in der Hafen- und Arbeiterstadt Le Havre ab. Am Vormittag hatten in derselben Stadt auf Aufruf der Gewerkschaften hin 18.000 Menschen laut Zahlen der CGT, 4.800 laut denen der Präfektur (u.a. Polizei- und Ausländerbehörde im Bezirk) unter anderem auch mit explizit antifaschistischen Aussagen demonstriert.

Den RN ficht dies nicht an. Ohne sich irritieren zu lassen verkündete Parteichef Jordan Bardella, nachdem Fraktionsvorsitzende Marine Le Pen ihre Botschaften mit Schwerpunkt zu Immigration, Asyl und „ausländischen Enklaven in Frankreich“ ausgebreitet hatte, seine Botschaften zum Thema Soziales. „Dieser 1. Mai in Le Havre ist eine Hommage an die Arbeiter“, verkündete er, und: „Unsere Regierung kündigt das Erbe des Conseil national de la Résistance (CNR) auf.“ Der im Zweiten Weltkrieg den Widerstand koordinierende CNR hatte sich ein Programm gegeben, das starke Züge eines Sozialprogramme für die Zeit nach der Befreiung enthielt; es enthielt auch Aussagen zur Sozial- und Altersversicherung.

Bardella eignete sich, neben der Tatsache, dass er sich in sozialer Demagogie übte, dadurch auch das historische antifaschistische Erbe an. Dabei richtete er sich nicht an jene, die in derselben Stadt demonstriert hatten und dies auch gegen seine eigene Partei taten. Wohl aber, in Gestalt einer Schaufensterrede, an das Medienpublikum im übrigen Land.

Auf der Rückreise über Rouen, wo Le Pen und Bardella noch einen Kranz für ihre „Nationalheilige“ Jeanne d’Arc niederlegten – diese junge Frau wurde in dieser Stadt, Rouen, im Mai 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannt -, wurden sie mit einer höchst kurzfristig zusammenbekommenen antifaschistischen Gegenkundgebung konfrontiert. Vgl.:

Während Marine Le Pen sich zumindest verbal in ihrer Rede in Le Havre auf „den sozialen Frieden“ bezog, traten eine Woche später andere, (stiefel-)faschistische Kräfte von vornherein unfriedlich auf. Unter Henkersmasken bzw. in einem Aufzug wie zu einem Sado-Maso-Ereignis sowie unter Keltenkreuzen – dieses Symbol wird seit den 1950er Jahren im französischen Neofaschismus benutzt und ersetzt dort z.T. frühere, gesetzlich verbotene Symbolik – zogen am Samstag, den 06. Mai d.J. gut 500 bzw. 600 Anhänger der außerparlamentarisch und umgeschminkt gewaltaffinen extremen Rechten durch Paris. Seit den späten achtziger Jahren hat es sich quasi eingebürgert, dass der damalige FN und inzwischen der RN sich am ersten Mai „für Jeanne d’Arc“ in der Öffentlichkeit zu Wort meldet (von 1988 bis 2015 mit Demonstrationen im Quartier der Pariser Oper, 2016 in Paris sowie 2019 in Metz hingegen mit Saalkundgebungen, dazwischen war Pause), das nicht-institutionalisierte und gewalttätige rechtsextreme Spektrum jedoch am ersten Samstag/Sonntag im Mai. Letztere Datumswahl stimmt mit jener der „Nationalfeierlichkeiten für Jeanne d’Arc“ unter dem Vichy-Regime, damals am ersten Wochenende im Mai, überein.

Dieses letztgenannte Spektrum, das seit 2013 durch eine Reihe von – jedoch auf die Dauer ineffizierten oder wirkungslosen – Organisationsverboten getroffen wurde (https://jungle.world/artikel/2013/32/verboten-aber-noch-nicht-erledigt externer Link), kann nicht mit dem der wahlorientierten rechtsextremen Hauptpartei, dem RN, umstandslos gleichgesetzt werden. Doch fein sauber voneinander getrennt sind wie wiederum auch nicht. Denn an dem diesjährigen Aufmarsch vom 06.05.23 nahmen auch immerhin zwei frühere Schatzmeister des früheren FN, jetzigen RN teil. Vgl.:

(Anm.: Aus dem ultrakatholisch-nationalistischen Teil der, ideologisch heterogenen, extremen Rechten gab es wiederum am Sonntag, den 07.05.23 einen weiteren, weniger spektakulären Zug.)

Nun kommt das (beinahe) Lustige: Infolge der doch ziemlich breiten öffentlichen Empörung über diesen weniger unheimlichen denn heimlich veranstalteten Aufmarsch hielt zunächst der amtierende Polizeipräfekt – Laurent Nuñez – und späterhin die Premierminister Elisabeth Borne es für angebracht, explizit auszuführen, warum man diese Demonstration zuließ; Borne (die in ihrer Reaktion immerhin von „tatsächlich schockierenden Bildern“ sprach) berief sich dabei auf den hohen Grundsatz der Demonstrationsfreiheit in einer Demokratie. Welcher natürlich wirklich gilt, allerdings nicht wirklich Henkers- und Ku Klux Klan-Aufzüge abdeckt.

Ihr Innenminister Gérald Darmanin hielt es zwischenzeitlich für angemessen, eine – anlässlich seiner Reaktion am Dienstag Nachmittag (09.05.23) bei der Fragestunde der Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung – eine etwas andere Position zu beziehen. Er kündigte seinerseits an, solcherlei Aufmärsche künftig zu verbieten. Vgl.:

Demonstrationsrecht

Nun, das wirklich Lustige daran ist, wie man ansonsten in jüngster Zeit zum Demonstrationsrecht steht. Denn Protestzüge aus dem gewerkschaftlichen und verbündeten Spektrum wurden in jüngster Zeit, angesichts von Präsidenten- oder Ministerbesuchen, welche mit Topfdeckel und Kochlöffelkonzerten begrüßt werden sollten, wiederholt behördlich verboten respektive dann doch noch durch die Verwaltungsgerichte (die entsprechende Entscheidungen aufhoben) genehmigt. Oder auch weiterhin verbotenn wenn ein Verwaltungsgericht die Verbotsverfügung bestätigte, wie just am Montag in Lyon. Vgl. dazu:

Nicht zu vergessen werden dabei darf, dass in jüngster Zeit wiederholt Präfekten oder Präfektinnen (als juristische Vertreter/innen des Zentralstaats in den Départements) auch die, zuletzt 2017 infolge der schweren Attentate vom 13. November 2015 verschärften, Anti-Terrorismus-Sondergesetze zu solchen Verbotsbeschlüssen mobilisierten. Dies war und ist nicht nur rechtsstaatlich schwer bedenklich, sondern ging sogar letztlich dem Innenministerium zu weit, zumindest nachdem Kritik aufkam und Verwaltungsgerichte solcherart begründete Klapperverbote verboten, wie anlässlich des Macron-Besuchs in Vendôme zur Mitte April dieses Jahres. (Wir berichteten über das Ereignis.) Letztendlich jedenfalls pfiff das Innenministerium die Präfekten an diesem Punkt zurück und forderte sie dazu auf, Verbotsmaßnahmen unter Berufung auf eine nicht näher spezifizierte „terroristische Gefahr“ tunlichst zu unterlassen. Vgl.:

17. Mai d.J.: Gewerkschaftsdachverbände gehen bei Borne vorsprechen

Am kommenden Mittwoch, den 17. Mai 23 sind nun die fünf anerkannten französischen Gewerkschaftsdachverbände (d.h. die wichtigsten zentralen Verbände ohne Union syndicale Solidaires, ohne UNSA und ohne die FSU) zu Premierministerin Elisabeth Borne vorgeladen. Eine konkrete Tagesordnung dafür besteht bislang nicht.

Kurz vor dem 1. Mai hatte der im kommenden Monat aus dem Amt scheidende Generalsekretär der rechtssozialdemokratisch geführten CFDT, Laurent Berger, schon einmal prophylaktisch – damals stand der Termin noch nicht – angekündigt, würde man zur Premierministerin vorgeladen, ginge man hin. Am 05. April dieses Jahres hatten noch alle Gewerkschaftsdachverbände gemeinsam agiert, nachdem Borne sich geweigert hatte, über die Rücknahme der damals noch nicht offiziell beschlossenen (das Urteil des Verf.gerichts dazu stand zu dem Zeitpunkt noch aus) Renten„reform“ zu reden: Alle standen nach 55 Minuten auf und gingen hinaus. Dieses Mal dürfte sich dies jedoch wohl nicht in identischer Form wiederholt. Die Gewerkschaftsverbände werden dabei getrennt empfangen.

Nach einigem Zögern stimmte auch die CGT ihrem Kommen hinzu; ihr Termin findet nun an diesem 17. Mai um 17 Uhr statt. Von ihrer Seite wurde dann noch präzisiert, ginge es bei dem Termin darum, „schlechte Reformen zu verkünden“, dann werde man nicht mitmachen. Im Übrigen, präzisierte CGT-Führungsmitglied Céline Verzeletti, sei man für die Rücknahme der Rentenreform. Ceterum censeo, Carthaginem esse delendam…

Als einziger der fünf Dachverbände hat bislang Force Ouvrière (FO, ungefähr: „Arbeiterkraft“; drittstärkster Dachverband, politisch ziemlich schillernd) ihr Kommen noch nicht definitiv und explizit zugesagt. Vgl.:

Artikel von Bernard Schmid vom 10.5.2023 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=211715
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