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Frankreich: Proteste gegen die Rentenreform: Kurzbericht zur Demonstration vom Samstag (21.1.23) und vorläufige Einschätzung

Demo in Paris am 19.1.2023 gegen die Rentenreform - Foto von Bernard SchmidAm Samstag, den 21. Januar 23 gingen in Frankreich erneut einige Zehntausend Menschen bei einer Zentraldemonstration in Paris auf die Straße, dieses Mal aufgerufen nicht durch Gewerkschaften – wie am 19. Januar d.J. -, sondern  durch politische Parteien und insbesondere die linkspopulistische Wahlplattform LFI („Das unbeugsame Frankreich“) sowie durch mehrere Jugendverbände. Die Messlatte lag hoch, denn am vorigen Donnerstag, den 19.02.2023 kamen frankreichweit in rund 230 Städten insgesamt zwischen 1,16 Millionen Menschen lt. Innenministerium und zwei Millionen lt. gewerkschaftlichen Zahlen zu den Protestzügen…“ Artikel von Bernard Schmid vom 23.1.2023 – wir danken!

Frankreich: Proteste gegen die Rentenreform: Kurzbericht zur Demonstration vom Samstag und vorläufige Einschätzung

Am Samstag, den 21. Januar 23 gingen in Frankreich erneut einige Zehntausend Menschen bei einer Zentraldemonstration in Paris auf die Straße, dieses Mal aufgerufen nicht durch Gewerkschaften – wie am 19. Januar d.J. -, sondern  durch politische Parteien und insbesondere die linkspopulistische Wahlplattform LFI („Das unbeugsame Frankreich“) sowie durch mehrere Jugendverbände. Die Messlatte lag hoch, denn am vorigen Donnerstag, den 19.02.2023 kamen frankreichweit in rund 230 Städten insgesamt zwischen 1,16 Millionen Menschen lt. Innenministerium und zwei Millionen lt. gewerkschaftlichen Zahlen zu den Protestzügen.

Das für mehrere Leitmedien arbeitende Expertenbüro Occurrence, dessen Schätzungen oft relativ restriktiv ausfallen, behauptete, genau 14.045 Demonstrierende gemessen zu haben – wie ihr die fünfundvierzig in der Masse auffielen, ist nicht geklärt. Die Veranstalter sprachen von 140.000. Auch dies dürfte an der Realität vorbeigehen und faktisch ausgeschlossen sein; der Protestzug dauerte im Vorbeiziehen an einem festen Punkt (für den Verfasser dieser Zeilen: auf Höhe der Métro-Station Ledru-Rollin) zwischen einer Stunden zwanzig Minuten und einer Stunde dreißig Minuten.

Laut eigenen Beobachtungen des Autors dieser Zeilen dürfte die quantitative Realität für den Sonnabend, 19. Januar 23 objektiv bei rund 40 bis 50.000 Teilnehmenden liegen.

Seit 2017 findet regelmäßig eine Art Wettbewerb darum statt, wer, ob Gewerkschaftsvorstände oder Linksparteien – insbesondere LFI -, die Nase vorn hat, wenn es darum geht, den Sozialprotest zu repräsentiere; daher rührt auch die Tatsache, dass getrennte Aufrufe gibt, wie bereits etwa im vorigen Herbst mit Protesttagen auf Aufruf der Gewerkschaften hin, etwa am 29. September und 18. Oktober, sowie auf Initiative von LFI wie am 16 Oktober 22.

Zumindest derzeit scheint klar, dass dabei die Gewerkschaften dabei insgesamt deutlich die Nase vorne haben und nicht die parlamentarische Opposition. Die CGT als historisch ältester Gewerkschaftsdachverband in Frankreich zeigte sich dabei strategisch insofern ausgesprochen offen, als sie anders als in früheren Jahrzehnten auf jegliche hegemonialen Ansprüche verzichtete. Ihr noch bis zum Gewerkschaftstag im März amtierender Chef, Philippe Martinez, erklärte im Interview bei den Privatfernsehsendern RMC und BFM TV, er rufe nicht nur gewerkschaftlich Organisierte zum Protest: „Wenn wir unter Gewerkschaftern bleiben, dann werden wir nicht zahlreich genug sein.“ Und dieses Mal lief am Donnerstag die CGT nicht vorne, sondern im hinteren Teil der Demonstration.

Noch weniger als Versuche parteipolitischer Ausrichtung hatte dabei das Vorhaben, die Gelbwestenbewegung von 2018/19 zu reaktivieren und als zentralen Träger des Protests auszugeben, Erfolg. Am 07. Januar 23, d.h. dem Samstag vor der Bekanntmachung der Reforminhalte durch die Regierung drei Tage später, kam es zum Versuch eines Remakes der Gelbwestenproteste. Laut behördlichen Angaben kamen dabei an unterschiedlichen Orten in ganz Frankreich nur 4.700 Personen; abweichende Zahlen liegen dem Verf. nicht vor. Und so entspricht das Aufflammen des Gelbwestenzorns zwar einer bestimmten kurzfristigen Konjunktur eines spezifischen Protests ab November 2018, den auszeichnete, dass er neben Lohnabhängigen auch untere Mittelklassen einerseits und Landbewohner andererseits stark einbezog – es lässt sich jedoch nicht reproduzieren, vielmehr scheint diese Phase abgeschlossen.

Am kommenden Montag, den 31. Januar 23 ist ein erneuter gewerkschaftlicher „Aktionstag“ mit Protesten, Streiks und Demonstrationen angesetzt. Davor und danach wird zu beobachten sein, in welchen Sektoren sich eventuell Streikfronten für über den Tag hinausreichende Arbeitsniederlegungen aufbauen. Auf diese würde es ankommen!

Artikel von Bernard Schmid vom 23.1.2023 – wir danken!

Siehe auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=208123
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