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Frankreich: Tödlicher Angriff auf kurdisches Kulturzentrum Ahmet Kaya in Paris – steckt erneut der türkische Staat dahinter?

Dossier

Paris/Frankreich: Plakat zeigt sechs Kurd:innen, die in den letzten 10 Jahren ermordet wurdenAm 23. Dezember 2022 hat der vorbestrafte Rassist William Mallet in Paris mit einer Waffe vor dem Kurdischen Kulturzentrum die drei Kurd:innen Mîr Perwer, Abdurrahman Kizil und Evîn Goyi ermordet und drei weitere Menschen verletzt. Dieser Angriff erfolgte fast genau zehn Jahre nach einem ähnlichen Überfall im 9. Pariser Arrondissement, bei dem ebenfalls drei kurdische Aktivistinnen starben. Damals gab es Hinweise, dass der Schütze ein Auftragsmörder des türkischen Geheimdienstes war. Das Verfahren stockt, nachdem dieser unter mysteriösen Umständen in der Haft verstarb. Der Fall wird als französisches Staatsgeheimnis behandelt und ist bis heute nicht aufgeklärt. Nicht nur für die Hinterbliebenen auch für alle, die befürchten müssen, einem weiteren Attentat ausgeliefert zu werden, muss diese und die Tat vor zehn Jahren lückenlos aufgeklärt werden. Wir dokumentieren Proteste, Stellungnahmen und Analysen:

  • Tausende Menschen demonstrieren am 7. Januar in Paris / Bundespolizei verhindert Anreise von Dutzenden Bussen aus dem Bundesgebiet New

    • Tausende Menschen demonstrieren in Paris
      Tausende Menschen demonstrieren in Paris gegen die Anschläge auf die kurdische Gemeinschaft. Unter den Demonstrant:innen sind Hunderte französische Politiker:innen, Jurist:innen und Gewerkschafter:innen.
      In Paris demonstrieren Tausende Menschen gegen die Morde an Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez am 9. Januar 2013 sowie an Emine Kara, Mîr Perwer und Abdurrahman Kızıl am 23. Dezember 2022. Auftakt der Demonstration „Staatsgeheimnis aufheben, zehn Jahre Straffreiheit beenden!“ ist am Bahnhof Paris-Nord (Gare du Nord) im 10. Arrondissement. Ganz in der Nähe liegt auch der damalige Tatort – das kurdische Informationszentrum in der Rue la Fayette Nummer 147. Das Motto der Veranstaltung leitet sich von der Forderung der kurdischen Gesellschaft an die Justiz und Regierung Frankreichs ab, alle unter Verschluss gehalten Dokumente freizugeben und so eine juristische Aufarbeitung des vom türkischen Geheimdienst verübten Dreifachmordes zu ermöglichen. (…) Die Demonstrant:innen vor dem Informationszentrum Kurdistan rufen „Şehîd namirin“ (Die Gefallenen sind unsterblich), „Jin Jiyan Azadi“ und „Bijî Serok Apo“. Der Demonstrationszug führt zum Platz der Republik und setzt sich aus mehreren Blöcken zusammen. Ganz vorne laufen Menschen, die Angehörige im kurdischen Befreiungskampf verloren haben. Im zweiten Block befinden sich Hunderte Abgeordnete, Bürgermeister:innen und gewählte Politiker:innen verschiedener Parteien sowie Vertreter:innen von Anwaltskammern und weitere Anwältinnen und Anwälte. Der dritte Block trägt das Motto „Jin Jiyan Azadî“ und ist Frauen und anderen unterdrückten Geschlechtern vorbehalten. Im nächsten Block laufen Internationalist:innen und solidarische Menschen, gefolgt von Kurd:innen und dem Block der französischen Gewerkschaft CGT…“ Bericht vom 7.1.2023 bei ANF externer Link mit Fotos und Videos sowie der Redeliste
    • Bundespolizei verhindert Anreise nach Paris zur Demonstration gegen die Anschläge in Paris
      „… In Aachen sind Dutzende Busse aus dem Bundesgebiet bei der Anreise zu der Großdemonstration in Paris gegen die tödlichen Anschläge von 2013 und Dezember 2022 gestoppt und kontrolliert worden. Mehreren Personen soll die Ausreise aus Deutschland mit der Begründung untersagt worden sein, dass die Teilnahme an der Demonstration in Paris den Interessen der Bundesrepublik schade. ANF liegt die Verbotsverfügung der Bundespolizei gegen eine Demonstrantin vor. Die Betroffene darf demnach bis zum 9. Januar, dem Jahrestag des Dreifachmordes an Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez durch den türkischen Geheimdienst MIT in Paris, nicht nach Frankreich reisen und muss sich bis dahin täglich bei der Polizei melden. In der Verfügung heißt es: „Aufgrund der Historie ist das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland bereits beeinträchtigt, wenn deutsche Staatsbürger im Ausland an Veranstaltungen von verbotenen Vereinigungen teilnehmen und dabei ein nicht unerhebliches Aggressionspotential aufweisen. Desweiteren können sonstige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet sein, wenn deutsche Staatsangehörige im Ausland Straftaten begehen. Die Teilnahme an Veranstaltungen von in Deutschland verbotenen Vereinigungen birgt neben der Gefahr einer Ansehensschädigung der Bundesrepublik auch die Möglichkeit einer weiteren Vernetzung, Erwerb von verbotenem Propagandamaterial, zur Akquirierung neuer Mitglieder oder auch Radikalisierung dieser. Zudem bieten entsprechende Veranstaltungen die Möglichkeit, öffentlichkeitswirksam, entgegen bestehender Verbote aufzutreten.“ Die Betroffene sei den deutschen „Sicherheitsbehörden seit längerer Zeit als Sympathisant / Aktivist im Umfeld der verbotenen Vereinigung PKK bekannt“, heißt es zur Begründung in der „Gefährdungsprognose“. Die Demonstration in Paris diene „u.a. der Vernetzung bzw. Gedankenaustausch im Umfeld einer verbotenen Vereinigung auf nationaler und internationaler Ebene. Durch Ihre Ausreise werden auch deutsche Staatsangehörige bei der Teilnahme an der o.a. Veranstaltung in der dort stattfindenden Agitation involviert. Dies könnte im erheblichen Maße sicherheitspolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland tangieren.“…“ ANF News vom 7. Januar 2022 externer Link
  • Am 3. Januar 2023 reisten Tausende nach Paris um den Opfern zu gedenken
    „Kurdische Menschen aus ganz Europa reisten am 3. Januar zur Beerdigung von drei Kurd:innen, die bei einem rassistischen Angriff ermordet wurden, in die Vororte von Paris, Frankreich. (…) Die Organisatoren haben Busse gechartert, um Menschen aus ganz Frankreich und einigen Nachbarländern zu der Zeremonie in Villiers-le-Bel, nördlich von Paris, zu bringen, so lokale Quellen. Tränen und „Märtyrer leben für immer!“-Rufe begrüßten die Särge, die in die Fahnen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und des kurdisch kontrollierten Gebiets Rojava in Nordsyrien gehüllt waren…“ Artikel von Glen Black vom 3. Januar 2023 auf The Canary externer Link („Thousands took to the streets of Paris for the funeral of three Kurds murdered by a racist gunman“)
  • In Frankreich und weltweit finden Demonstrationen für die Aufklärung der Morde statt
    • „Auch am Mittwoch gingen die Proteste nach dem Massaker von Paris weiter. Unter anderem in Bordeaux, Marignane und Marseilles in Frankreich, in Aarau in der Schweiz, in Stockholm in Schweden, Amsterdam in den Niederlanden und in Heilbronn und Aachen in Deutschland fanden Protestaktionen statt…“ Meldung von ANF-News Deutsch vom 29. Dezember 2022 externer Link („Weitere Proteste gegen Massaker von Paris“)
    • „In Düsseldorf, München und Bremen haben am Freitag erneut Protestaktionen gegen den Anschlag von Paris stattgefunden, in Kassel wurde auf einer Veranstaltung der Opfer gedacht. Bei dem Anschlag am 23. Dezember auf das Ahmet-Kaya-Kulturzentrum, ein kurdisches Restaurant und einen kurdischen Friseurladen Evîn Goyî (Emine Kara), KCK-Exekutivratsmitglied, YPJ-Veteranin im Kampf gegen den IS und führende Vertreterin der kurdischen Frauenbewegung, der Musiker Mîr Perwer (Mehmet Şirin Aydın) und der langjährige Aktivist Abdurrahman Kızıl getötet worden. Die Beerdigungen werden in Kurdistan stattfinden, am 3. Januar ist eine große Trauerfeier in Paris angekündigt. Drei weitere Menschen wurden bei dem bewaffneten Angriff verletzt. Der Täter William Mallet wurde wegen mehrfachem Mord und Mordversuch aus rassistischen Motiven verhaftet. Die kurdische Gemeinschaft sowie viele Politiker:innen und Vertreter:innen verschiedener Organisationen sprechen sich gegen die These eines verwirrten Einzeltäters aus und fordern, dass die für terroristische Straftaten zuständige Staatsanwaltschaft die Ermittlungen führt…“ Meldung von ANF-News Deutsch vom 31. Dezember 2022 externer Link („Proteste gegen Anschlag von Paris: ‚Kein Vergeben, kein Vergessen‘“)
  • Polizei-Repressionen gegen Proteste in Solidarität mit getöteten Kurd:innen
    „… In den beiden Tagen nach der Gewalttat hatten sich kurdische Exilanten vor allem in der Hauptstadt, in Marseille, Bordeaux und Nantes zu Hunderten versammelt und mehr Sicherheit und einen besseren Schutz ihrer Familien vor dem langen Arm des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verlangt. Rund um die Pariser Place de la République kam es am Sonntag zu schweren Straßenkämpfen zwischen uniformierten Ordnungskräften und den wütenden Demonstranten, die Fahnen der in der EU als »Terrororganisation« verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) schwenkten und große Bilder des in der Türkei inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan zeigten…“ Artikel von Hansgeorg Hermann in der jungen Welt vom 27. Dezember 2022 externer Link („Straßenkämpfe in Paris“)
  • Polizei entdeckt Abhörgeräte in einem Auto unweit des Kulturzentrums und zerstört diese – alles deutet auf langen Arm des türkischen Staates hin
    • „Letzte Nacht fand die #Paris Polizei während einer Routinekontrolle ein Auto mit einem Audioüberwachungssystem, das in einem Fahrzeug 150 Meter vom kurdischen Kulturzentrum Ahmet Kaya installiert war. Es wurde bekannt, dass jemand während der Durchsuchung aus dem Auto geflohen war. Die Zeichen stehen auf türkische Spionage“ Tweet von Deniz Babir vom 31. Dezember 2022 externer Link (türk.)
    • Paris: Geheimdiensttechnik am Ort des Massakers gesprengt
      „In Paris sprengte die Polizei in der Nähe des Ahmet-Kaya-Kulturzentrums einen Behälter mit mutmaßlicher Geheimdiensttechnik. Während die Polizei sagt, sie habe gefürchtet, dass es sich um eine Bombe handele, sprechen Medien von Beweismittelvernichtung. Nur eine Straße entfernt vom Ahmet-Kaya-Kulturzentrum in Paris, wo am 23. Dezember 2022 Evîn Goyî, Exekutivratsmitglied der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans), zusammen mit dem kurdischen Musiker Mîr Perwer und dem langjährigen Aktivisten Abdurrahman Kızıl bei einem Attentat erschossen wurden, ist bei einer Routinekontrolle der Polizei am vergangenen Freitag gegen 20.30 Uhr ein Fahrzeug mit Geheimdiensttechnik entdeckt worden. Statt das Fahrzeug zu untersuchen, wurde von einer Bombe ausgegangen und der Behälter mit der Technik gesprengt. Zuvor war das Viertel abgesperrt worden. In dem Fahrzeug war eine mit einem WLAN-Router ausgestattete Vorrichtung zu sehen. Nach der Sprengung wurde festgestellt, dass es sich um keine Bombe gehandelt habe. Bilder von der Vorrichtung lassen darauf schließen, dass des sich um einen IMSI-Catcher handeln könnte, mit dem Mobiltelefonverkehr und WLAN in der Umgebung abgefangen werden kann. Es scheint sich um Geheimdienstausrüstung zu handeln. Für die Polizei scheint das Verfahren abgeschlossen, da es sich um keine Bombe handelte. Allerdings wurde laut Le Parisien der Geheimdienst eingeschaltet, da es sich bei dem Gerät um eine Vorrichtung zur Sammlung von Informationen gehandelt habe, was ebenfalls auf einen IMSI-Catcher oder ähnliches Gerät hindeutet. (…) Angesichts der mutmaßlichen Geheimdiensttechnik sprechen jedoch viele von Vertuschung und Beweismittelvernichtung im Zusammenhang mit dem Anschlag vom 23. Dezember. So lässt sich mit einem IMSI-Catcher unter anderem feststellen, welches Mobiltelefon sich in welcher Funkzelle aufhält. Es besteht dringender Verdacht, dass hinter den Morden von Paris kein rassistischer Einzeltäter, sondern der türkische Geheimdienst steckt…“ Meldung vom 2. Januar 2023 bei den ANF News externer Link
    • Attentat in Paris: Kurdische Organisationen glauben nicht an Einzeltäterschaft
      „… Eine der Getöteten, die mit bürgerlichem Namen Emine Kara hieß, war nach Angaben kurdischer Medien Mitglied des Exekutivrats der Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK), zuvor Aktivistin der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und hatte in Nordsyrien unter dem Nom de guerre Evîn Goyî gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gekämpft. Die KCK glaubt vor diesem Hintergrund nicht, dass die 48-Jährige nur ein Zufallsopfer des kurz nach dem Anschlag festgenommenen Rassisten William M. war. Die französischen Behörden seien mit Nachdruck aufgefordert, gründlich zu ermitteln und „alle Verantwortlichen“ vor Gericht zu bringen, erklärte der Dachverband. Er sehe den Anschlag „als geplanten Terrorakt und eindeutige Fortsetzung des Massakers vom 9. Januar 2013, bei dem Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez von einem Auftragsmörder des türkischen Geheimdienstes hingerichtet wurden – ebenfalls in Paris“, berichtete die kurdische Nachrichtenagentur ANF vergangene Woche. Alle drei damals getöteten Frauen hatten ebenfalls Kaderfunktion in kurdischen Organisationen – Sakine Cansiz galt in der Bewegung als lebende Legende, nachdem sie 1980 nach dem Militärputsch in der Türkei verhaftet worden war, sich dort als erste Frau vor Gericht politisch verteidigt und mehrere Jahre ungebrochen in einem Foltergefängnis verbracht hatte. Sie zählte zweifellos zu den politischen Vorbildern von Emine Kara, die sich 1988 schon mit 14 Jahren der Bewegung anschloss. Die Anti-IS-Kämpferin sei das „Hauptziel“ des Anschlags am 23. Dezember 2022 gewesen, hieß es in der KCK-Erklärung. Neben ihr waren der kurdische Musiker Mîr Perwer und dem langjährige Aktivist Abdurrahman Kızıl erschossen worden.
      Überwachungstechnik in Tatortnähe gefunden – und sogleich gesprengt
      Als weiteres Indiz für die Drahtzieherschaft des türkischen Geheimdienstes werten kurdische Medien einen Vorfall am Abend des 30. Dezember: im 10. Arrondissement, wo sich auch das nach dem kurdischen Sänger Ahmet Kaya benannte Kulturzentrum befindet, hatte die Polizei am Freitag gegen 20.30 Uhr bei einer Routinekontrolle Überwachungstechnik in einem Fahrzeug entdeckt, war aber von einer Bombe ausgegangen und hatte Alarm ausgelöst, um den Behälter kontrolliert zu sprengen. Nach der Sprengung wurde festgestellt, dass es sich um keine Bombe gehandelt habe. Bilder der Vorrichtung ließen kurdische Journalisten auf einen IMSI-Catcher schließen, mit dem Mobilfunkverkehr und WLAN in der Umgebung abgefangen werden kann. Für die Polizei schien die Sache erledigt, da es sich um keine Bombe handelte. Allerdings war laut einem Bericht der Zeitung Le Parisien auch der Geheimdienst eingeschaltet worden, da der Fund nach Überwachungstechnik ausgesehen hatte. Angesichts der mutmaßlichen Geheimdiensttechnik sprächen „viele von Vertuschung und Beweismittelvernichtung im Zusammenhang mit dem Anschlag vom 23. Dezember“, hieß es am heutigen Montag in einem ANF-Bericht. Es bestehe der dringende Verdacht, „dass hinter den Morden von Paris kein rassistischer Einzeltäter, sondern der türkische Geheimdienst steckt“.
      Simpler Rassist ohne Hintermänner?
      Der festgenommene Täter William M. hat nach Medienberichten sowohl die Morde als auch eine rassistische Motivation gestanden. Der 69-jährige Ex-Lokführer gab an, er habe es generell auf „nicht europäische Ausländer“ abgesehen gehabt. Ganz danach sah es auch aus – und zwar schon vor dem Attentat. William M. war am 12. Dezember auf freien Fuß gekommen, nachdem er rund ein Jahr zuvor mit einem Säbel in einer Unterkunft für Geflüchtete aufgetaucht war und zwei Menschen verletzt hatte. Der Prozess stand noch bevor – der Mann stand deshalb unter gerichtlicher Aufsicht, war aber angeblich in keiner Datei als Rassist oder Rechtsextremist erfasst. Den Hass auf „nicht europäische Ausländer“ will er nach einem Einbruch im Jahr 2016 entwickelt haben. Gesagt hat er jedenfalls offiziell kein Wort darüber, dass ihn jemand angestiftet, ihn beauftragt oder ihm einen Tipp gegeben habe, wer als Opfer in Frage käme, falls er weiterhin einen privaten Rassenkrieg führen wolle. Ist dies damit ausgeschlossen oder wäre auch denkbar, dass er etwas verschweigt, weil er sich in der Rolle des ‚einsamen Wolfs‘ besser gefällt? Angst um sein Leben hat er nach eigenen Angaben wohl nicht. Angeblich bedauert er sogar, sich nach der Tat nicht selbst getötet zu haben. Der Demokratische Rat der Kurden in Frankreich gibt sich mit dem bisher überlieferten Geständnis jedoch nicht zufrieden: „Wir sind empört, weil man uns glauben machen will, dass es sich um einen simplen Rechtsextremen handelt“, sagte dessen Sprecher Agit Polat laut einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Es könne kein Zufall sein, dass der mutmaßliche Täter ausgerechnet zum Ahmet-Kaya-Zentrum kam, eines seiner Opfer in einem gegenüber gelegenen kurdischen Restaurant niederschoss und dann 150 Meter die Straße, die voller internationaler Läden sei, entlanglief, um schließlich in einem kurdischen Friseursalon um sich zu schießen, bevor er überwältigt werden konnte.“ Artikel von Claudia Wangerin vom 2. Januar 2023 auf Telepolis externer Link
  • Mîr Perwer, Abdurrahman Kizil und Evîn Goyi wurden aus anti-kurdischen und nicht nur rassistischen Gründen ermordet
    „… Am 23. Dezember hat ein Schütze drei Menschen erschossen und drei weitere verwundet. Bei den Getöteten handelt es sich um die kurdische Politikerin Emine Kara – auch bekannt unter ihrem kurdischen Namen Evin Goyi –, um den Musiker Mir Perwer und um Abdurrahman Kizil. Auch wenn gesagt wird, dass es sich bei dem Attentäter um einen rassistischen Einzeltäter handeln soll, so stellt diese Attacke für die Kurden einen Terroranschlag dar. (…) Die Kurden, die hier friedlich in Frankreich leben, haben viele Fragen. Sie wollen wissen, warum diese Person ausgerechnet das kurdische Kulturzentrum und besonders unser Mitglied Evin Goyi angegriffen hat. Evin Goyi war eine der Repräsentantinnen der kurdischen Bewegung in Frankreich. Die Kurden in Paris stellen nur einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung dar. Warum greift der Attentäter ganz besonders kurdische Menschen an? Da der Täter bis zum 11. Dezember eine einjährige Haftstrafe abgesessen hat, vermuten wir, dass er im Gefängnis zu seiner Tat bewegt wurde. Die französischen Behörden müssen unbedingt seine Beziehungen und Kontakte während der Haftzeit näher untersuchen. Möglicherweise hat er Beziehungen zu ausländischen Nachrichtendiensten oder dschihadistischen Gruppen gehabt. Auch die Möglichkeit von Beziehungen zu rechtsradikalen türkischen Organisationen sollten die französischen Behörden in die Ermittlungen einbeziehen…“ Interview mit Baran Gündüz von Tim Krüger in de jungen Welt vom 31. Dezember 2022 externer Link („Geheimhaltung muss aufgehoben werden“)
  • Täter wurde von Anwohner:innen und Zeug:innen überwältigt
    „Im Zentrum von Paris sind nach Schüssen vor einem kurdischen Kulturzentrum drei Menschen getötet und weitere verletzt worden. Zunächst war in Justizkreisen von zwei Toten und vier Verletzten gesprochen worden, darunter von zwei Schwerverletzten. Nun gab eine Ermittlerin bekannt, es handle sich um drei Tote. Der mutmaßliche Schütze konnte vor Ort von Anwohnenden und Zeugenpersonen überwältigt werden und befindet sich inzwischen in Polizeigewahrsam. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mordes und schwerer Gewalt. Der Vorfall ereignete sich im 10. Arrondissement vor dem „Centre Culturel De Kurde Paris Ahmet Kaya“ in der Rue d’Enghien, einer kleinen Straße mit vielen Restaurants, nicht weit von den großen Boulevards mit ihren bekannten Kaufhäusern. Ein Zeuge gab gegenüber dem kurdischen Fernsehsender Medya Haber an, der Tatverdächtige sei mit einem Auto zum Tatort gebracht worden und habe unvermittelt auf Personen geschossen, die vor dem Verein warteten. Auch auf umliegende Geschäfte, darunter ein Friseursalon sowie ein kurdisches Restaurant gegenüber des Vereins, seien Schüsse abgegeben worden. Insgesamt habe es sieben oder acht Schüsse gegeben…“ Meldung von ANF-News Deutsch vom 23. Dezember 2022 externer Link („Paris: Drei Tote nach Schüssen vor kurdischem Kulturzentrum -UPDATE“)
  • Bewaffneter Angriff auf kurdischen Verein in Paris
    „… am 23. Dezember sind in der Innenstadt von Paris vor dem Kurdischen Kulturzentrum mehrere Schüsse gefallen. Drei Personen wurden bei dem Angriff ermordet, vier weitere Personen verletzt. Dieser gezielte Angriff auf die kurdische Community erfordert eine lückenlose Aufklärung. Fast zehn Jahre nach dem Tod an Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei diesem Angriff um einen geplanten Angriff seitens der türkischen Regierung handeln könnte…“ Pressemitteilung von Ceni – Kurdisches Frauenbüro für Frieden vom 28. Dezember 2022 externer Link („Appell: Lückenlose Aufklärung der Morde in Paris!“)
  • Siehe dazu auch: #ParisMassacreOfKurds
  • Nicht der erste Mord an kurdischen Aktivist:innen in Paris: Am 9. Januar 2023 jährt sich zum zehnten Mal das Attentat auf Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez
    • „[M]it dem brutalen Anschlag am 23.12.2022 in Paris, bei dem drei Menschen getötet wurden und viele weitere verletzt, wurde eine Wunde aufgerissen: Es hat uns auf schmerzliche Art an den dreifachen Feminizid an unseren Genossinnen Sara, Rojbîn und Ronahî erinnert, die 2013, ebenfalls in Paris, vom türkischen Geheimdienst MIT ermordet wurden. Die Wahrheit darüber wurde nie vollständig aufgeklärt und bis zum heutigen Tag hinterfragen wir die Rolle des französischen Staates dabei. Auch bei diesem Anschlag stellen wir uns hunderte Fragen: Wie konnte der Täter an so viel Munition kommen? Wie konnte er innerhalb der wenigen Tage nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis einen solchen Anschlag planen und verüben? Und kann es wirklich Zufall sein, dass bei diesem Anschlag erneut eine hochrangige Frauenpersönlichkeit der kurdischen Bewegung, Evîn Goyi, ermordet wurde? Wir glauben nicht, dass das Zufälle sind. Derzeit eskaliert die Gewalt an kurdischen Frauen überall: Das iranische Regime tötet und verhaftet sie, die türkische Armee tötet sie mit Chemiewaffen und Drohnen, und in Europa sind sie der Kriminalisierung und Schikane der EU-Staaten ausgesetzt. Obwohl durch die Proteste im Iran der revolutionäre Slogan „Jin Jiyan Azadî“ in aller Munde ist, wird geschwiegen, wenn genau die Frauen, die den Slogan mit Sinn gefüllt haben, ermordet werden. Vor 2 Monaten wurde auch unsere Genossin Nagihan Akarsel vom türkischen Geheimdienst vor ihrer Wohnung in der südkurdischen Stadt Slêmanî erschossen. Wir werten diese Angriffe als Angriffe gegen uns, die kurdische Frauenbewegung, aber auch als Angriff auf alle, die sich revolutionär und feministisch organisieren und für die Befreiung der Frau und der Gesellschaft kämpfen. Wir richten unseren Appell an alle feministischen Gruppen und Organisationen: Lasst uns aufstehen und werden wir laut! Lasst uns gemeinsam Antworten fordern! Fordern wir eine lückenlose Aufklärung dieses brutalen Angriffs! Lasst uns Mîr Perwer, Abdurrahman Kizil und Evîn Goyi nicht in Vergessenheit geraten, genauso wenig wie unsere Genossinnen Sara (Sakine Cansiz), Rojbîn (Fidan Dogan) und Ronahî (Leyla Saylemez), die 2013 gefallen sind. Lasst uns gemeinsam an den französischen Staat und die internationale Gemeinschaft appellieren – Wir wollen Antworten! Wir wollen die Wahrheit zu den Angriffen! Und wir wollen, dass die kurdische Gemeinschaft und kurdische Frauen endlich geschützt werden, statt kriminalisiert, abgeschoben und ermordet. Jin Jiyan Azadî!“ Erklärung von CENI kurdische Frauen für Frieden vom 28. Dezember 2022 externer Link („Appell: Lückenlose Aufklärung der Morde in Paris!“)
    • „Am 9. Januar 2023 werden zehn Jahre vergangen sein, seitdem die kurdischen Revolutionärinnen mitten in Paris von einem Auftragsmörder des türkischen Geheimdienstes erschossen worden sind. Bis heute ist niemand für das Attentat zur Rechenschaft gezogen worden: Der Prozess gegen den Todesschützen wurde eingestellt, nachdem der Angeklagte kurz vor Prozessbeginn unter zweifelhaften Umständen in Haft verstorben ist. Auf Drängen der Angehörigen der ermordeten Frauen wurde zwar ein neues Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das aber stockt auf politischen Druck, da die Akte als Staatsgeheimnis behandelt wird…“ Artikel von ANF-News Deutsch vom 19. Dezember 2022 externer Link („Pariser Morde: ‚Staatsgeheimnis aufheben, Straffreiheit beenden!‘“)

Siehe auch im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=207442
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