»
Frankreich »
»
»
Frankreich »
»
»
Frankreich »
»

Frankreich: Streik- und Aktionstag am 10. November für hohere Löhne und Inflationsausgleich

Frankreich: Le partage des richesses ça s'impose ! / Vermögensteilung ist ein Muss! (SUD RATP)In Frankreich hat am gestrigen Donnerstag, den 10. November der zweite Aktionstag in Folge stattgefunden, auf Aufruf vor allem der CGT hin, aber auch anderer gewerkschaftlicher Strukturen. An diesem Donnerstag fielen die Demonstrationszüge in Paris mit einem stark befolgten Streiktag bei der RATP (Régie autonome des transports parisiens), d.h. bei den Pariser Nahverkehrsbetrieben – anders ausgedrückt, dem S-Bahn, U-Bahn- und Buslinien-Betreiber – zusammen (…) Ein unbefristeter Streik bei der RATP in den kommenden Wochen wird derzeit nicht ausgeschlossen, für nähere Feststellungen dazu ist es jedoch derzeit noch zu früh. Einen zweiten Streikherd im Raum Paris gibt es derzeit beim Transportunternehmen Géodis im Hafen von Gennevilliers (eine Vorstadt nordwestlich von Paris), d.h. dem größten Binnenhafen Frankreichs, er ist für die Warenströme im Raum Paris von hoher Bedeutung. Dieser Arbeitskampf hält seit dem 17. Oktober d.J. an. Abordnungen der Streikenden waren auf der Pariser Demonstration sichtbar präsent. Ansonsten – über diese beiden Sektoren hinaus – hielt die Mobilisierung sich jedoch sichtbar in Grenzen…“ Aus dem Artikel von Bernard Schmid vom 11.11.2022 – wir danken! Siehe diesen und einige Zusatzinformationen:

Frankreich: Streik- und Aktionstag am 10. November

erfolgreich vor allem im Nahverkehr des Pariser Raums, wo er sich stark bemerkbar machte. 
Anderer Streikherd im Binnenhafen von Gennevilliers. Anderswo eher mau & flau

In Frankreich hat am gestrigen Donnerstag, den 10. November der zweite Aktionstag in Folge stattgefunden, auf Aufruf vor allem der CGT hin, aber auch anderer gewerkschaftlicher Strukturen. An diesem Donnerstag fielen die Demonstrationszüge in Paris mit einem stark befolgten Streiktag bei der RATP (Régie autonome des transports parisiens), d.h. bei den Pariser Nahverkehrsbetrieben – anders ausgedrückt, dem S-Bahn, U-Bahn- und Buslinien-Betreiber – zusammen.  (Vgl.  https://www.francetvinfo.fr/economie/greve/greve-de-la-ratp-un-mouvement-tres-suivi_5469750.html externer Link) Sieben von insgesamt sechzehn Pariser Métro-Linien fielen völlig aus, die meisten übrigen funktionierten nur zu Stoßzeiten. Die beiden vollautomatisierten Linien 1 und 14 verkehrten hingegen normal, waren jedoch überlaufen. 

Einen ersten Protesttag derselben jüngsten Sequenz hatte es vierzehn Tage zuvor gegeben, am Donnerstag, den 27. Oktober. Zu ihm hatte allein die CGT aufgerufen. (Vgl. https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2022/10/Schmid-Doppelwumms.pdf )

Dieser historisch älteste und lange Zeit stärkste, im Zeitraum seit 2017 bei den Wahlergebnissen in den Unternehmen nun zweistärkste (vgl. https://www.capital.fr/entreprises-marches/syndicats-la-cgt-perd-du-terrain-la-cfdt-reste-n1-1404324 externer Link) Dachverband reagierte mit dem doppelten Aufruf darauf, dass der Ende September und im Laufe des Oktober d.J. stattfindende Streik in den Raffinerien an seine strategischen Grenzen stieß. An der Mehrzahl der sieben Raffinerie-Standorte in Festlandfrankreich (einen achten findet man auf der zu Frankreich zählenden Karibikinsel La Martinique, die von jüngsten Streik nicht tangiert war) ging er in der vorletzten Oktoberwoche zu Ende. Am letzten Standort im normannischen Gonfreville ging er am 02. November zu Ende. Obwohl die örtliche CGT darüber zunächst eine gewisse Unklarheit walten ließ, scheint es jedoch objektiv nicht gelungen zu sein, durch die Fortführung des Arbeitskampfs an einem Standort – über das Streikende andernorts hinaus – zusätzliche Zugeständnisse herauszuholen. (Vgl. zur Diskussion darüber: https://www.liberation.fr/checknews/non-la-cgt-de-la-raffinerie-de-gonfreville-na-pas-obtenu-un-meilleur-accord-salarial-que-la-cfdt-et-la-cgc-au-niveau-national-20221102_XOZYDFXRKBE5NHYVEQ2QZH3Z2U/ externer Link)

Es ging dabei – bei den Daten für sozialen Protest, die in die Landschaft gestellt wurden – darum, über einzelne Unternehmen oder Branchen hinaus den Druck und den Arbeitskampf für Lohnerhöhungen im Kontext hoher Jahresinflation zu bündeln, und dadurch diesen Lohnkampf zu politisieren (und ihn zur Frage von Kapital & Arbeit, statt zum Gegenstand einzelner Unternehmen im Licht ihrer jeweiligen Lage zu machen). Auch sollte eine solche branchenübergreifende Dynamik es erlauben, dass die Beschäftigten in jenen Unternehmen oder Sektoren, die gewerkschaftlich oder vom Kräfteverhältnis her schlechter aufgestellt sind, sich mit auf den Schwung von stärker organisierten und bessere aufgestellten Sektoren stützen können. 

Den ersten der beiden Aktionstage am 27. Oktober darf man jedoch als « in der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt » bezeichnen. Er blieb in den allermeisten Sektoren folgenlos. In Paris demonstrierten damals nur rund 1.000 Leute. Aufgerufen hatte dazu damals allein die CGT, auch die sonst oft mit ihr verbündeten Gewerkschaftsverbände wie die Union syndicale Solidaires (Zusammenschluss der SUD-Gewerkschaften, überwiegend in den neunziger Jahren als linke Basisgewerkschaften entstanden) und die FSU (Zusammenschluss von Gewerkschaften im Bildungswesen) blieben außen vor. Die Vorbereitungszeit zwischen dem Aufruf – er entstand nach dem letzten vorausgegangenen Protesttag vom 18. Oktober – und dem Datum 27. Oktober war objektiv wohl auch zu kurz. Selbst die CGT scheint ihn (den Tag vom 27.10.22) eher nur symbolisch vorbereitet zu haben.

Anders fällt die Bewertung zum gestrigen Donnerstag, den 10. November aus. Dieses Mal gab es ein «Zugpferd» in Gestalt eines Sektors mit starker Arbeitskampfdynamik, nämlich des Pariser Nahverkehrs (vgl. oben). Dort gibt es neben der allgemeinen Problematik von Lohnforderungen und Inflationsausgleich jedoch auch spezifische Thematiken: Die Buslinien des in öffentlicher Hand befindlichen Pariser Verkehrslinienbetreibers RATP müssen am Horizont 1. Januar 2025 für private Konkurrenz geöffnet werden. Schon jetzt wirft diese Teilprivatisierung des Sektors ihre Schaffen voraus, indem unter Berufung auf die künftig notwendige Konkurrenz Arbeitsbedingungen drastisch verschlechtert werden. Beschäftigtengruppen bei den Bus-Linien sprechen von bis zu einer Stunde täglicher, unbezahlter Mehrarbeit. Vor diesem Hintergrund nimmt seit der rentrée, also dem Schuljahresbeginn und der Wiederaufnahme des (im August in Paris weitgehend eingefrorenen bzw. den Tourist/inn/en überlassenen) gesellschaftlichen Lebens von Ende August o. Anfang September, die Zahl der Krankheitstage, aber auch jene der Selbstkündigungen von abhängig Beschäftigten sowie der Arbeitgeberkündigungen wegen Fernbleibens vom Arbeitsplatz explosionsartig zu. Auf nahezu allen medialen Kanälen wird mittlerweile über die, daraus resultierende, Verschlechterung des Transportangebots auf den Linien der RATP diskutiert.

Das Datum 10. November war in diesem Kontext seit längerem vorbereitet worden. Die Branchengewerkschaft des Dachverbands Force Ouvrière (FO) – die zweistärkste Gewerkschaft bei der RATP hinter der CGT – hatte zunächst die Streiktermine im Oktober hintertrieben, indem sie schon frühzeitig diesen 10. November (als ersten Donnerstag nach den Schulferien/Herbstferien von Ende Oktober u. Anfang November, sowie als Vorabend des gesetzlichen Feiertags in Frankreich vom 11. November) in den Raum stellte. Im Ergebnis zogen nun jedoch für diesen 10. November alle größeren Gewerkschaften an einem Strang. Dies konnte zu dem gestrigen realen Streikerfolg führen. 

Ein unbefristeter Streik bei der RATP in den kommenden Wochen wird derzeit nicht ausgeschlossen, für nähere Feststellungen dazu ist es jedoch derzeit noch zu früh.

Einen zweiten Streikherd im Raum Paris gibt es derzeit beim Transportunternehmen Géodis im Hafen von Gennevilliers (eine Vorstadt nordwestlich von Paris) (vgl. https://actu.fr/ile-de-france/gennevilliers_92036/reportage-en-greve-les-salaries-de-geodis-a-gennevilliers-veulent-leur-part-du-gateau_55072867.html externer Link), d.h. dem größten Binnenhafen Frankreichs, er ist für die Warenströme im Raum Paris von hoher Bedeutung. Dieser Arbeitskampf hält seit dem 17. Oktober d.J. an. Abordnungen der Streikenden waren auf der Pariser Demonstration sichtbar präsent.

Ansonsten – über diese beiden Sektoren hinaus – hielt die Mobilisierung sich jedoch sichtbar in Grenzen. An der Pariser Demonstration nahmen nach realistischer Schätzung circa 4.000, vielleicht bis zu 5.000 Menschen teil (die Behörden sprachen zunächst von « 2.000 bis 4.000 », die CGT gab zunächst keine Zahl heraus und sprach später von « 10.000 » (vgl.  https://actu.fr/ile-de-france/paris_75056/greve-du-10-novembre-10-000-manifestants-dans-les-rues-de-paris-selon-les-syndicats_55127285.html externer Link); der Verfasser überblickte den Protestzug in voller Länge auf der Kreuzung von Réaumur-Sébastopol im nördlichen Pariser Zentrum).

Landesweit demonstrierten in rund 150 französischen Städten an dem Tag laut Zahlen des Innenministeriums « 30.400 », laut jenen der CGT « über 100.000 » (vgl. zu den Zahlen https://www.20minutes.fr/societe/4009582-20221110-greve-10-novembre-30-400-personnes-selon-ministere-interieur-plus-100-000-selon-cgt externer Link oder https://www.tf1info.fr/societe/greve-du-jeudi-10-novembre-100-000-manifestants-selon-la-cgt-30-400-selon-le-ministere-de-l-interieur-2238304.html externer Link). Doch für eine wirkliche Offensive der Lohnabhängigen gegen den Druck von Regierung und Kapital dürfte dies derzeit noch zu gering ausfallen. 

Artikel von Bernard Schmid vom 11.11.2022 – wir danken!

Siehe dazu im LabourNet Germany zuletzt: 140 Tausend protestieren am 16. Oktober 2022 in Paris gegen das teure Leben und das Nichtstun in der Klimakrise

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=206022
nach oben