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Latein- und Zentralamerika

Sein oder Schein? Die neue progressive Welle in Lateinamerika

Dossier von Lateinamerika Nachrichten: Sein oder Schein? Die neue progressive Welle in Lateinamerika„… Millionen Menschen protestierten für mehr soziale Gerechtigkeit und waren dabei heftiger Repression ausgesetzt. Schüler*innen und Studierende, Feminist*innen und Indigene waren tragende Säulen vielfältiger Bewegungen, die auch dafür sorgten, dass ehemalige Aktivist*innen wie Francia Márquez und Gabriel Boric seitdem regieren. Sexisten, Rassist*innen und korrupte Rechtspopulist*innen wurden dagegen zuletzt mehrfach nach Hause geschickt – rechte beziehungsweise rechtsextreme Kandidat*innen wie Rodolfo Hernández in Kolumbien, José Antonio Kast in Chile oder Keiko Fujimori in Peru mussten in die Opposition. (…) Doch was ist überhaupt links an den neugewählten Regierungen und was verbinden wir mit ihnen über die notwendige Abwehr von rechtsextremen Demagog*innen hinaus? (…) Anstatt eine neue Ära des sozialen und gesellschaftlichen Wandels zu feiern, wollen wir daher in diesem Dossier erst einmal genauer hinsehen…“ Aus dem Editorial externer Link zum Dossier von Lateinamerika Nachrichten & FDCL externer Link und zum Thema 2024 erneut:

  • Was ist von der neuen progressiven Welle in Lateinamerika zu erwarten? New
    „… Vor 25 Jahren, als Hugo Chávez zum ersten Mal die Wahlen in Venezuela gewann, begann ein neues und einschneidendes Kapitel in der Geschichte des Landes und des lateinamerikanischen und karibischen Kontinents. In den Jahren nach 1999 führten zahllose Volksmobilisierungen zur Verteidigung der natürlichen Ressourcen oder gegen neoliberale Regierungen sowie Zusammenkünfte wie das Weltsozialforum zu einem Aufschwung der Volksbewegungen in Lateinamerika, der sich in Wahlsiegen progressiver Regierungen unter anderem in Argentinien, Brasilien, Uruguay, Ecuador, Paraguay, Bolivien und Nicaragua niederschlug. Mehr als eine Epoche des Wandels wurde dieses Szenario als „Epochenwechsel“ definiert, dessen Auswirkungen über die Grenzen Lateinamerikas hinausgingen und Linke auf der ganzen Welt inspirierten. (…) Die neue progressive Welle ist dadurch gekennzeichnet, dass sie neben einer erstarkten Rechten agiert, deren neofaschistische Züge an die alte Rechte erinnern, aber ideologisch noch radikaler und politisch gewalttätiger sind als es diese war. Die neue Rechte verwendet nach wie vor Instrumente der Destabilisierung gegen linke Führungspersönlichkeiten, wie z. B. Lawfare, wobei rechtliche Mechanismen eingesetzt werden, um eine Agenda gegen ein Ziel oder einen erklärten Feind durchzusetzen. (…) Die sich verändernde geopolitische Lage hat für Lateinamerika eine Chance eröffnet. Auch wenn bilaterale Abkommen und konkrete Verträge auf den ersten Blick für einzelne Länder attraktiver oder profitabler erscheinen mögen, ist es nur im Rahmen eines gemeinsamen Projekts, das die regionale Zusammenarbeit und Souveränität fördert, möglich, diese Chance zu nutzen, um eine Agenda voranzutreiben, in deren Mittelpunkt das Wohlergehen der eigenen Bevölkerung steht. Nur wenn die lateinamerikanischen Länder als Block verhandeln und agieren, können sie eine dauerhafte und einflussreiche Position gegenüber anderen Kontinenten und Blöcken erreichen. In diesem Sinne fehlt es in Lateinamerika heute weniger an institutionellen Strukturen, sondern an einem gemeinsamen Projekt der regionalen Integration und des globalen Handelns. Statt etwa neue diplomatische Foren und Strukturen zu schaffen, besteht die Notwendigkeit mehr darin, sich auf kollektive produktive Projekte zuzubewegen, seien es gemeinsame Infrastruktur oder Technologien, insbesondere wenn es um die Bewirtschaftung und den Schutz natürlicher Ressourcen geht. Kollektives Handeln der Länder der Region zum Schutz und zur Handhabung von Rohstoffen wie Lithium und Öl würde es ermöglichen, sowohl angemessene Preise für diese Rohstoffe zu sichern als auch die beschleunigte Zerstörung der Natur durch die Konzerne zu verhindern. Auch muss das Herzstück dieses Projekts eine Energiewende sein, die nicht auf aussichtslose Marktlösungen wie die Ausgabe von Carbon-Anleihen zurückgreift. Diese regionale Integration muss auch finanzieller und monetärer Art sein. Um dies zu erreichen, ist es wichtig, eine Reihe von Maßnahmen wie kooperative und kollektive Aktionen zu ergreifen, die verhindern, dass das globale Finanzsystem die Volkswirtschaften erstickt, wie es in Argentinien und Venezuela der Fall ist. Es ist unerlässlich, kommerzielle und lokale Entwicklungsalternativen zu schaffen, wie z. B. kooperative Aktionen von staatlichen Entwicklungsbanken. Es muss eine gemeinsame Währung für Transaktionen zwischen den Ländern der Region geben. Schließlich kann und darf ein regionales Integrations- und Transformationsprojekt nicht das Werk von Regierungen sein. Vielmehr muss ein solches Projekt in den Völkern Lateinamerikas verwurzelt und von ihnen getragen sein. Dies kann nur erreicht werden durch Massenorganisation und Massenmobilisierung, gemeinsame Agenden und die gemeinsame Entwicklung von Kämpfen und politischen Programmen durch die popularen Organisationen.“ Beitrag von Tricontinental: Institute for Social Research in der Übersetzung von Elinor Winter bei amerika21 am 19. Februar 2024 externer Link

Das Dossier von Lateinamerika Nachrichten liegt der Oktober/November-Ausgabe bei, kann aber auch heruntergeladen externer Link werden

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=205766
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