Prekäre Arbeit, Ausbeutung und Armut: Der Leidensweg junger Arbeitenden in Italien

„… Für die meisten jungen Italienerinnen und Italiener, die ohne Schutz oder gewerkschaftliche Rechte arbeiten, ist der Arbeitsmarkt weit davon entfernt, ein Mittel zur Emanzipation oder persönlichen Entwicklung zu sein, sondern ein Dschungel, in dem der Arbeitgeber König ist. Nach Angaben von Eurostat hat Italien mit 31,1 Prozent die zweitniedrigste Beschäftigungsquote für junge Arbeitende (15-29 Jahre) in Europa, bei den Frauen sind es sogar nur 26,4 Prozent. (…) Es ist eine Generation, die eine Krise nach der anderen erlebt hat, die mit der Krise 2008 in den Arbeitsmarkt eingetreten ist, die nach dem Ausbruch der Pandemie 2020 die meisten Arbeitsplätze verloren hat und die jetzt mit einer Inflationsrate konfrontiert ist, die ihr Einkommen weiter schmälert…“ Aus dem engl. Artikel von Marco Marchese vom 12. Oktober 2022 auf Equal Times , siehe mehr daraus:

Prekäre Arbeit, Ausbeutung und Armut: Der Leidensweg junger Arbeitenden in Italien

„Elena (nicht ihr richtiger Name), eine 33-jährige Grafikdesignerin, arbeitet seit Oktober 2019 für eine führende Werbeagentur in Rom. Zu den Kunden des Unternehmens gehören lokale Institutionen und politische Vertreter:innen, für die es Kommunikationsstrategien und visuelle Darstellungen für Wahlkampagnen erstellt. Das Unternehmen steht dem öffentlichen Sektor so nahe, dass Elena sprachlos war, als ihr bei ihrer Einstellung ein Praktikumsplatz angeboten wurde, ohne dass sie irgendeinen Vertrag unterschrieben hatte, und zwar für eine anfängliche Summe von 400 € pro Monat, die als Vergütung für die Erbringung „gelegentlicher Dienstleistungen“ gezahlt wurde. Ihre Arbeit hatte jedoch nichts mit „gelegentlich“ zu tun. Diese Anstellung war völlig rechtswidrig, denn Elena arbeitete Vollzeit, mit festen Arbeitszeiten, der Verpflichtung, jeden Tag im Büro zu sein und unter ständiger Aufsicht. „Nach acht Monaten boten sie mir endlich einen Vertrag an“, sagt Elena. „Aber es war ein falscher Teilzeitvertrag. Darin stand, dass ich 16 Stunden pro Woche für ein Gehalt von 600 Euro im Monat arbeiten würde.“ In Wirklichkeit arbeitete sie Vollzeit und der Rest ihres Gehalts, weitere 600 Euro, wurde unter der Hand gezahlt. Erst 2021, zwei Jahre nach ihrer Einstellung, erhielt Elena einen unbefristeten Vollzeitvertrag mit einem Nettogehalt von 1.450 Euro pro Monat, also 9 Euro pro Stunde. (…) Elenas Geschichte steht stellvertretend für den alltäglichen Kampf, den junge Arbeitende in Italien führen müssen. In ihrem Fall endete er ungewöhnlich gut – mit einem unbefristeten Vertrag. Für die meisten jungen Italienerinnen und Italiener, die ohne Schutz oder gewerkschaftliche Rechte arbeiten, ist der Arbeitsmarkt weit davon entfernt, ein Mittel zur Emanzipation oder persönlichen Entwicklung zu sein, sondern ein Dschungel, in dem der Arbeitgeber König ist. Nach Angaben von Eurostat hat Italien mit 31,1 Prozent die zweitniedrigste Beschäftigungsquote für junge Arbeitende (15-29 Jahre) in Europa, bei den Frauen sind es sogar nur 26,4 Prozent. Diese Zahlen zeigen, wie schwierig es für junge Menschen ist, einen Job zu finden oder einen besseren zu suchen, und lassen auf einen hohen Anteil an informeller Arbeit schließen. In einer Studie der Fondazione Unipolis gaben 35 Prozent der jungen Menschen zwischen 15 und 35 Jahren an, dass sie einer nicht angemeldeten Arbeit nachgehen oder nachgegangen sind. (…) Fast 50 Prozent der Arbeitenden zwischen 30 und 34 Jahren in Italien haben ein Einkommen zwischen 8.000 und 16.000 Euro im Jahr, eine Einkommensspanne, die von „absoluter Armut“ bis hin zu „nahezu existenzsichernd“ reicht. Es ist eine Generation, die eine Krise nach der anderen erlebt hat, die mit der Krise 2008 in den Arbeitsmarkt eingetreten ist, die nach dem Ausbruch der Pandemie 2020 die meisten Arbeitsplätze verloren hat und die jetzt mit einer Inflationsrate konfrontiert ist, die ihr Einkommen weiter schmälert…“ engl. Artikel von Marco Marchese vom 12. Oktober 2022 auf Equal Times („Precarious work, exploitation and poverty: the ordeal of young workers in Italy“)

Siehe zum Thema auch:

• unser Dossier: Corona-Krise in Italien: Auch eine soziale Krise – samt Repression gegen gewerkschaftlichen Widerstand
• oder das Dossier: Italien: Erzwingt die Coronakrise mit verschärfter Erwerbslosigkeit und Prekarisierung die Verlängerung des Kündigungsverbots und der Kurzarbeit?
• und leider das Dossier: An den Wurzeln der tödlichen Arbeitsunfälle in Italien – auch bei Pflichtpraktika
• sowie den Beitrag vom April 2021: NextGenerationEU auf Italienisch: Kampf gegen irreguläre Arbeit?