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Spaniens Krisenpolitik: 0-Euro-Bahnticket und andere Maßnahmen – finanziert durch Übergewinnsteuer

Dossier

0-Euro-Münze„… „Jetzt ist es wieder ruhiger“, sagt Borja Bermúdez. Der 35-Jährige mit gelber Weste ist einer der 851 Kundenberater, die die spanische Bahn Renfe zusätzlich eingestellt hat, nachdem die Regierung des Sozialisten Pedro Sánchez bekannt gab, dass es vom 1. September bis zum 31. Dezember ein 0-Euro-Ticket geben wird. (…) Es handelt sich dabei um Pendlertickets für eine festgelegte Bahnstrecke beziehungsweise Zone. Auf einigen Hochgeschwindigkeitsstrecken gibt es zudem Preisnachlässe von 50 Prozent. Das Ticket muss in den vier Monaten der Gültigkeit mindestens 16-mal genutzt werden, dann gibt es auch die 10 (Nahverkehr) oder 20 Euro (mittlere Strecken) Bearbeitungsgebühr zurück. Von 30 bis knapp 90 Euro kostet eine Monatskarte je nach Strecke normalerweise. (…) „Mit kostenlosen Abonnements und Preisnachlässen helfen wir vor allem Arbeitnehmern, Studenten und Familien. Und wir fördern den öffentlichen Verkehr und senken den Energieverbrauch“, wirbt Ministerpräsident Sánchez für seine Starmaßnahme im Energiesparpaket. Er kündigte das 0-Euro-Ticket Mitte Juli parallel zur Einführung einer Übergewinnsteuer für Energieversorger und Banken an…“ Artikel von Reiner Wandler vom 1. September 2022 in der taz online externer Link, siehe dazu weitere Maßnahmen, aber auch Kritik:

  • PR-Coup in Spanien: Aus für Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel – doch nur für wenige Produkte und für längstens sechs Monate New
    Sánchez‘ Krisenpaket gegen Teuerungswelle wird in deutschen Medien hochgelobt. Spanier sehen das anders. Fleisch und Fisch sind ausgenommen. Der allgemeine Konsum geht zurück; die Kaufkraft auch. Um soziale Gerechtigkeit geht es nicht. (…) Der Teufel steckt aber wie immer im Detail und abzuwarten bleibt, was noch an Überraschungen im Kleingedruckten blüht, wenn das Dekret real veröffentlicht wird. Tatsächlich wird die Mehrwertsteuer auf nur einige wenige Produkte gestrichen, und das auch nur für längstens sechs Monate. Die neoliberale Wirtschaftsministerin Nadia Calviño droht schon mit der Streichung der nun beschlossenen Steuerverminderungen, „wenn wir im März oder April feststellen, dass die Kerninflation, die keine Lebensmittel und Energie enthält, unter 5,5 Prozent sinkt“. Dabei ist das noch immer eine Teuerung, die weit über der Zielmarke von zwei Prozent liegt. Temporär ausgesetzt wird die Mehrwertsteuer nur auf Eier, Milch, Obst, Gemüse, Käse und Getreide. Gesenkt wurde dagegen der Satz für Pasta und Öl, von zehn auf fünf Prozent. Allerdings findet man in deutschen Medienbeiträgen wie im genannten des Spiegel den nötigen Kontext zur Einordnung nicht. Da auf die erste Produktgruppe in Spanien ohnehin nur der stark reduzierte Satz von vier Prozent zur Anwendung kommt, halten sich letztlich die Einsparungen in engen Grenzen. (…) Die Maßnahmen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, da die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten voranschreitet. Aufruhr handelt sich die „progressive“ Regierung deshalb ein, weil Fleisch und Fisch – der hier besonders gerne gegessen wird – aus der Senkung oder befristete Aussetzung der Mehrwertsteuer ausgenommen wurden. Die Regierung habe „Fleisch und Fisch vergessen“, lautet es auch in Medien, die ihr nahestehen. „Sollen arme Menschen also kein Fleisch oder Fisch mehr essen?“, fragen sich auch Verbraucherschützer. Viele Haushalte mit geringem verzichten wegen besonders stark gestiegener Preise für diese Produkte schon darauf. Der Konsum ist schon um knapp 14 und 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken, gibt auch das zuständige Ministerium an. (…) Die Reduzierung der Mehrwertsteuer ist ohnehin tatsächlich eine Maßnahme, die aus dem Baukasten der Rechten und Ultra-Neoliberalen kommt. Denn es profitieren bei diesem Gießkannenprinzip vor allem die, die viel konsumieren oder konsumieren können. Wer wenig Geld ausgibt oder ausgeben kann, profitiert kaum. (…)
    Fast noch unverständlicher ist die Ausgestaltung des 200 Euro-Schecks, den nach propagandistischen Angaben der Regierung zum Inflationsausgleich 4,2 Millionen Haushalte erhalten sollen. Ausgenommen sind aber Haushalte mit zwei Mindestlöhnen, da sie die Grenze von 27.000 Euro Bruttolohn überschreiten. Besonders absurd ist aber, dass Bezieher des vor zwei Jahren eingeführten Sozialgeldes ausgeklammert werden. Sie haben sehr wenig Geld zur Verfügung und leiden besonders stark unter der Inflation. Die große Zeitung El País meint, die Regierung wolle das „Fiasko“ des ersten 200 Euro-Schecks ausgleichen. Sogar die El País, das den Sozialdemokraten nahesteht, kritisiert, dass den Scheck, auch wegen großer bürokratischer Hürden, statt 2,7 Millionen nur 600.000 erhalten hätten. Im Aufbau bürokratischer Hürden ist man in Spanien parteiübergreifend besonders gut, das bestätigt sich auch beim Sozialgeld. (…)
    Dass Mieterhöhungen weitere sechs Monate auf zwei Prozent gedeckelt werden, begrüßen Mietervereinigungen. Sie sprechen aber von einer „ungenügenden“ Maßnahme und fordern den versprochenen Mietendeckel per Gesetz. Die neue Maßnahme sei zudem „dumm“ gemacht, da die Mieter die Deckelung beim Vermieter „beantragen“ müssen, weshalb ebenfalls viele davon vermutlich nicht profitieren werden. Positiv ist, dass die Maßnahmen aufrechterhalten und sogar nun auf Busse ausgeweitet werden, um den Umstieg von Berufspendlern auf öffentliche Verkehrsmittel zu fördern. Von einem „Umsonst“-ÖPNV ist aber weiter keine Rede. Ob die Tickets für Stadtbusse, Straßenbahnen und U-Bahnen weiterhin nur halb so teuer für Mehrfachfahrten bleiben, hängt weiter von den jeweiligen Regionalregierungen ab…“ Beitrag von Ralf Streck vom 31. Dezember 2022 in Telepolis externer Link, siehe zum Hintergrund:

    • Spanien senkt Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel auf null. Zudem sollen etwa 4,2 Millionen Haushalte eine Bonuszahlung erhalten
      „Spanien stockt seine Inflationshilfe um zehn Milliarden Euro auf. So solle 2023 etwa 4,2 Millionen Haushalten mit einem Jahreseinkommen von jeweils weniger als 27.000 Euro ein einmaliger Bonus von 200 Euro gezahlt werden, sagte Ministerpräsident Pedro Sánchez. Zudem werde die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel wie Brot, Käse, Milch, Obst, Gemüse und Getreide auf null gesenkt, für Teigwaren und Speiseöl werde der Satz auf fünf Prozent halbiert. Die Steuersenkungen auf Energie würden bis in die erste Jahreshälfte 2023 hinein verlängert. Auch die Zugticketsubvention für Pendlerinnen und Pendler bleibe laut Sánchez für weitere zwölf Monate in Kraft. Die Ermäßigung des Benzinpreises für Verbraucher werde mit Ausnahme des Transportgewerbes jedoch eingestellt. Zudem soll der Anstieg der Miete begrenzt werden – dafür wird die Wohnungsmiete bestehender Verträge für ein halbes Jahr eingefroren. Der Gesamtbetrag der Inflationshilfe seit Anfang 2022 erhöht sich damit auf 45 Milliarden Euro. Die vorherigen beiden Pakete hatten ebenfalls Direkthilfen, Steuersenkungen, zinsgünstige Darlehen und Mietdeckelungen umfasst. Sánchez sagte, die bisher geleistete Hilfe habe zu einem Wirtschaftswachstum von fünf Prozent in diesem Jahr beigetragen…“ Meldung vom 27. Dezember 2022 in der Zeit online externer Link
  • Studie: Deckel drauf auf Preise und Profite. Spaniens schnelle Reaktion auf die Krise 
    „Zusätzlich zu den Folgen der Corona-Pandemie verschärfen die rasant steigende Inflation und die hohen Energiepreise die soziale Lage in Deutschland, während große Energiekonzerne enorme Extraprofite verzeichnen. (…) Zugleich blockiert die deutsche Regierung vergleichbare Maßnahmen zu einem Gas- bzw. Energiepreisdeckel oder zu einer Übergewinnsteuer auf europäischer Ebene. Das steht in deutlichem Gegensatz zu der schnellen Reaktion der Mitte-links-Regierung aus Sozialistischer Partei (PSOE) und Linksallianz Unidas Podemos (aus Vereinigter Linken/Izquierda Unida und Podemos) in Spanien, wie die vorliegende, von der Rosa-Luxemburg-Stiftung beauftragte Analyse zeigt. Die spanische Regierung hat auf Veranlassung von Unidas Podemos zügig eine Übergewinnsteuer für den Energie- und den Bankensektor umgesetzt. Damit finanziert sie einen Gaspreisdeckel und Maßnahmen zur Verbilligung, teilweise sogar kostenfreien Nutzung des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs. Hier zeigt sich, dass eine Regierungsbeteiligung der Linken einen Unterschied machen kann für eine solidarische Bewältigung der Krise. Nach diesem Vorbild ließe sich in Deutschland die Energiepreiskrise bearbeiten und etwas mehr soziale Gerechtigkeit herstellen – Menschen vor allem aus einkommensärmeren Haushalten werden effektiv entlastet und die krisen- und kriegsbedingten Extraprofite der Konzerne belastet. [Ein] Fazit der Studie: (…) Ohne die Haltung von Parteien, die Teil der als «radikal » bezeichneten europäischen Linken sind – wie Unidas Podemos in Spanien –, wären die Wendungen in der europäischen Politik und der Wandel bei den Positionen der meisten Mitgliedstaaten zu Fragen wie Strommarkt-Interventionen, der Entkopplung und Deckelung von Gaspreisen und der spezifischen Besteuerung großer Energieunternehmen nicht möglich gewesen…“ Meldung der Rosa-Luxemburg-Stiftung externer Link zur Studie von Yago Álvarez externer Link vom November 2022
  • Spanische Regierung will Millionäre extra besteuern 
    Während die von der Rechten regierten Regionen die Vermögenssteuer abschaffen, kündigt die sozialdemokratische Landesregierung eine temporäre landesweite Reichensteuer an. Großspurig hat die sozialdemokratische Regierung in Spanien eine „Reichensteuer“ angekündigt. Da die Inflation im Land mit offiziellen 10,5 Prozent deutlich über dem Durchschnitt im Euroraum mit 9,1 Prozent liegt, sollen nun offenbar einige Reiche zur Kasse gebeten werden, um untere Einkommensschichten entlasten zu können. Es handelt sich tatsächlich aber um keine Initiative der Sozialdemokraten (PSOE) unter Regierungschef Pedro Sánchez, sondern in der Frage hat sich offensichtlich der Koalitionspartner Unidas Podemos (UP) gegen die PSOE einmal durchsetzen können. Die Linkskoalition läuft bisher in praktisch allen sozialen Fragen bei der PSOE gegen eine Wand. Die Sozialdemokarten haben bisher fast alle sozialen UP-Initiativen, wie zum Beispiel den Mietendeckel, verhindert. (…) Auf die Frage im Interview, wer denn als reich anzusehen sei, erklärte die Finanzministerin María Jesús Montero: „Wenn wir über Reiche sprechen, sprechen wir über Millionäre.“ Mit den neuen Einnahmen sollen „Hilfen“ finanziert werden können, die zur Unterstützung der „Mittelschicht und der Arbeitnehmer“ geschaffen wurden. Darunter etwa der „Tankrabatt“ von 20 Cent, den es in Spanien immer noch gibt, der aber mit der Gießkanne vor allem denen zugutekommt, die das Auto besonders viel nutzen. Es soll es darum gehen, „die normalen Einkommen von 99 Prozent der Bürger des Landes zu schützen“, fügte Montero an. Ab welchem Vermögen genau die „vorübergehende“ neue Steuer ab 2023 erhoben werden soll und wie lange, ist aber noch genauso unklar wie der Steuersatz...“ Beitrag von Ralf Streck vom 24. September 2022 in Telepolis externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=203963
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